Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
Der St. Ingberter Anzeiger und das (S mal wõhentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt. Sonntags mit illustrirter Bei 
age) erscheint wöchentlich vlermal: Dieustag, Donnerstag, Samstaz und Sonntag. Der Aboune mentspceis veträgt vierteljahrlich 
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M 75. 
Dieustag, den 2M. Mai 1878. 
— 
Doutsches Reich. 
München, 12. Mai. S. M. der König, in Schloß 
Zerg eingetroffen, hat sofort Se. M. den deutschen Kanse: zur 
zlüdlichen Bewahrrung bei dem Attentate auf's Inniefte beglückwünscht. 
Berhin, 11. Mai. Heute Nachmitiag 82. Uhr wurde 
ꝛin Mordversuch auf unsern Kuser verübt. Als derselbe in Be— 
zleitung feiner Tochter, der Großherzogin von Baden, von seiner 
jewöhnlichen Spazierfahrt nach seinem Pulois zurückkebren wollte, 
prang ein Mensch unser den Linden, bei den Häusern Ne. 8 un 
3, zwischen der Wilhelms⸗ und Kleinen Mauernstraße, hinter einem 
Bäckerwagen hervor, und feuerte zwei Schuͤfst aus ein in Pebolver auf 
»en Kaiser ab, der im offenen Wagen saß. De Großherzog n don Beaden, 
uchte den staifer, der unverletzt blieb, mit hrem Körper zu decken — 
aach anderen Nachrichten wurde sie oh mächtig — während der Jãger 
zes Kaisers sofort vom Wagen sprang, um dea Pidrer zu ergreifen. 
Dieser feuerte noch zwei Schüsse unter das Pudldum ab, ehe er 
estgerommen wurde. Die Sautzmänner konnien ihn kaum votr der 
Vollswuth schützen. Der Kaiser verließ fofert den Wagen und wurde 
nit ungeheuerem Jubel begrüßt. Der Altentäter, ein langer, 
jagerer, battloser Mensch von 23 Jadren heißt Emil Max Hödel, 
zenannt Lehmann, ift ein Klempner aus Leipzig. Er wurde sofort 
n das nächste Polizeibureau geführt und dorh in Gegenwatt des 
Minifters Eilenburg, Lothar Buchers und Tessendorfs verhört. Er 
zibt an, beschäftigung los zu sein, er habe sich erschießen wollen, 
um die gegenwärtigen Zustär de und damit die Bedrückung der Armen 
durch die Reichen zu constatiren. Er habe in der letzen Zert 
ocialdemokratische Schriften colportirt, aber zul tzt Hunger gelitten. 
Auch wurden dei ihm sociademokratisch⸗ Schriften und Bilder der 
lais. Fam'lie gefunden (Einem andern Bericht entnehmen wir: Ent—⸗ 
rüstet wesst Hödel die Anschuidigung zurück, daß er den Kaiser hube 
erschießen wollen, kann aber den inzw schen eingelaufenen Nuch ichten 
nicht wdersprewen, daß er seldst soe glist sche Volksversammlungen 
in Schleud zz bei Lipzig einberufen und abgehalten hebe und dort 
ils Volksredner aufgetreten sei. — Doch dleibt er dabei, daß er 
aus Noth sich selbst habe erschießen wollen, denn, sagt er, dem 
zrmen Volt bleibt nichts Anderes übrig, wenn es nicht verhungern 
vill, als sich selbst todtzuschietzen.) Als das Publifum erbitlect über 
Hoͤdel herfiel, dat ein in der Nähe stebender Arbeite,, Ramens Krüger, 
Jei seiner Mutter Weberstraß · 27 wohnhaft, das Publifum: Haut ihn 
poch nicht so, er kriegt schon seine Strafe,“ diese Worke uͤnd das 
zanze Benehmen des Krüger für den Altenläter verdaͤchtigten diesen 
o, daß er ebenfalls verhaktet wurde, später jdoch da dessen volle 
Unschuld sich erwies, freigegeben wurde. Alsed e Nachricht in Berlin 
ruchbat wurde, bedeck!een sich die Hauser mit Fahnen und große 
Menscheywassen stiömten zum kaiserlichen Palais. Die Minister, 
Moltke, Gen⸗räle u. s. w. erschienen sofort, dem Kaiser Glüd zu 
wünschen. Abends durchtogen unzeheure Massen die Gassen, vdie 
Bolkehymne singend. Der Kaiser zeigte siih mehrmals auf dem 
Balkon. Später begab er sich mit dem Kronprinzen und seiner 
Tochler in das Opern⸗ und Schausp elhaus, wo er mit stürm ischen 
Hochrufen und der Natiou lhymne begrüßt wurde. Bei der Heim⸗ 
ahrt stand das Volk überall dicht gedrängt, den Kaiser zu sehen 
und zu bew llommen. Viele Straßen waren illuminiet, 
Berlin, 12. Mai. Fortdauernd treffen an den Kaiset 
Blückwunsch Telegramme der deutschen Fursten und der europaischen 
Souberane ein. Der Großherzog von Baden trifft morgen per⸗ 
oͤnlich dier ein. Reichstags Präsident d. Forckenbed hat eine Audienz 
zei dem Kaiser nachgesucht, deren Gewahrung heute erwa'tel wird, 
ind ging desdalb nicht nach Kiel zu der dou statifindenden Kriegs⸗ 
— Stauff nderg nach Siel. 
Berlhin. Die neuraigischen Schmerzen des Reichskanzlers 
Fursten⸗Bismarck haben derart zugeuommen, daß sein Hausarzt, 
derr Dr. Siruck ihm angerathen hat, sich füc längere Zeit von 
ꝛen Geschaften, kernzuhalten. Dorf man Meldungen aus unter 
richfetea paͤrlamenfarischen und Hofkreisen Glaudbea schenlen, so 
würde der Reichskonzlet auf demngendeyn Wunsch seiner Famil 
mnach der Erledigung der Srientfrage (H defin vive um seinen 
Abschied nachsuchen.“* ( D. Mont.Bl.) 
Ausland. 
Wien, 12. Mat. Sämmtlicht Blatter sind voller Theil⸗ 
nahme betreffs des Allentals auf den Kaiser Wilhelm. Das 
„Fremd⸗nblatt“ sagt: Die österreichtsche Nation beglück vünscht vor 
allen anderen die deussche Nalion zur Errettung des Kuaisers. Nicht 
allein Deutschland wurde se ne kräftige Hand und sein weises Haupt 
erettet, sondern Oesierreich ein aufrichtiger Freend, Eurnpa ein 
Fürst erhalten, der ein treuer Friedensiö derer sei und auf dessen 
Einfluß es jetzt weniger als je verzichten lann. 
Wise n, I2. Pai. Der Belimer Corrispondent der hoch⸗ 
zific dien Montagsrevue schreidt, die wesentlichste Diff renz zwijchen 
kuglaud und Rußland ist die Ftage wegen Batum und zwar im 
dinblick darauf, daß Batum ein wichtiger Etappenpurntt sur einen 
Feldzug nach Indien z vischen Bojatnd und Oo ssa bildet. Dieser 
Zunkt wird deiderseitig zähe festgebalten. Die Nachgibigieit freint 
sur um den Preis anderer Conzʒ ssionen moͤglich. Angesichts der 
Sachlage ist es rathsom,die Feredensaus fichten nicht mit den 
Friedentwünschen zu verwechsin Gigen das Projekt, den 
eutschen Kronprinzen zum Siatihalter bon Elsatz Lothringen zu 
ernennen, besteht, noch einer Mittheilung desselven Correspondenten, 
an allertöchster Stlle bestimmte Abneigung. 
Paris, II. Mai. Fürst Hohenlohe eröffaete heute die 
»eutsche Kunstausstellung im Ausstellurgspalaste. Er wurde von 
der deutschen Ausstellungskommiffion und don dem Handels ministet 
Teisserene de Bort empfangen. Deefem dankte er, Namens der 
eutjchen Küustler für die wohlwollende Aufnahme derselben. Der 
„Liberte? zufolge erwiderte der Handel ⸗minister, er schäte fich 
zllücklich wegen der Toeeilnahme Deutschlands an der Ausftellung. 
Dieje sei ein Pfand der herzlichen Beziehungen, welche zwaschen 
heiden Völkern bestehen müßlen. 
Paris, 12. Mai. Gestern gleich nach dem Bekanniwerden 
es Atientates auf den Kaiser Wilheim beulückvünschie det Marschall 
Vlac. Mahon den Kaiser tlegraph sch zu dem Fehlschlagen des ruch⸗ 
olen uttentates. Die biesigen Zeitungen sind einstimmig in Ver— 
da mung des Attentates. — Oberst Denfert, der Vertheidiger von 
Belfont, ist gestorben. 
Paris, 12 Mai. Die Nachricht von dem Attentat, welche 
in Paris gegen 6 Uhr Sonnabends dekonnt wurde, hat hier die 
ebhafteste Sensation hervorgerufen. Auf detr deutschen Boisa aft 
'and gerade ein Galadiner statt zu Edren der deutschen Weltaus⸗ 
tellungs Komm ssion. Es wurden auf den Kaiser nit dem qgrößten 
knthesiaemus Hocht ausgehracht. 
Rom, 11. Mai. Det .Courrier d'Italie“ meldet unter 
borbehalt, daß die Verhandhungen wegen Abdankung des Bey von 
Tuns zu Gunsten Frantreichs fortd auern; eine derartige Abiretung 
osle eventuell als Gegenleistung für ein enqlisches Sarpten“ de 
rachtet werden. 
St. Petersbur g, 11 Mai. Haupifachlich der deutschen 
Vermittlung, weiche dir⸗eln vie indirelt geuͤdt wurde und dem Frst⸗ 
zalten der deutschen Regierung an dem Siandpunkie der Wahrung 
der europäischen Interssen allen Großmüchten gegenubder, ohne nach 
der einen oder anderen Seite hin abzuweichen, st es, wie ich oon 
juberlässigster Serte erfahre, zu danken, daß die Vereinbarungen 
wiß nen hier und London einen friedli ven Verlauf nehmen werden. 
die deiderseitigen Forderungen und Zugestandnisf sollen in der 
Uuterredung Schawuloffs mit Bismara begen einander abgewogen 
obrden sein und eine andere als riedliche Einigung 
runmehr sast Uun möglich erscheinen lassen. —AV 
auteten bisber noch nicht, werden jedoch baldigst erwartet. 
Bermisates. 
Su. Ingabert, 14. Mu. Auch der hiefige Krieger⸗ 
berein hat ein Glückwunch⸗ Telegramm an Se. Val. den deusichen 
Kaiser gesandt.