Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingbeiler Anzeiger. 
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Der St. Ingberter Anzeiger und das (Mmal wöhentlih) mit dem Hruptblatte verbundene Unterhaltungsblatt. GSonntags mit illustrirter Bei⸗ 
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Samstag, den 18. Mai 1878. 
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Dentsches Reich. 
Berlin. Die „Volksztg.“ schreibt: „Ein hiesiger Phoko— 
graph, welcher eines der auf den Straßen verbreiteten Blätter mit 
dem Bilde des Attentäters Hödel gekauft und in dem Bild einen 
Menschen erkannt hatte, der etwa acht Tage vor dem Altentat bei 
ihm eine Anzahl Photographieen hatte anferligen lassen, hat vor 
dem Untersuchungsrichter, nachdem er sich die Photographie des 
Attentäters hatte zeigen lassen, folgende Erllärung abgegeden: An 
einem der ersten Tage dieses Monats kam ein Unbekannter zu ihm, 
ließ sich photographiren und bestellte eine Anzahl von Bildern, 
velche er angeblich zur Vertheilung an seine Freunde benutzen 
wollte. Bei der Abholung der angefertigten Photographieen habe 
der Unbekannte ihm gegenüber ausgesprochen, er (der Photograph) 
ollte nur für sich noch eine größere Anzahl von Exemplaren an⸗ 
sertigen, da er mit seiner Pbotographie ein gutes Geschäft machen 
verde. Auch habe der Unbekannte im Verlaufe des Gesprächs ihm 
erklärt, nach eiwa einer Woche werde er todt sein, aber „wie ein 
lektrischer Funke werde es durch die ganze Welt gehen.“ Dieser 
Unbekannte scheine nach dem ihm vorgezeigten Bilde der Attentäter. 
Berlin. Bezühlich seiner Aeltern gab Hödel an, daß sein 
Vater, dessen Namen er trägt, todt sei. Seine Mutter, eine ge⸗ 
»orne Trabert, habe sich mit dem noch lebenden Schuhmachermeister 
Lehmann in Leipzig wieder verheirathet. Daher der Name Hödel 
zenannt Lehmann. Eine Kiste, d'ie er kurz vor der That an seine 
Mutter mit einem Breefe abgesandt, ist in Leipzig argehalten und 
deren Rüdsendung angeordnet worden. 
Berhin, 156. Mai. Gestern, Dienstag, Vorm ttag wurde 
Hödel wiederum vernommen; gleichzettig waren mehrere Zeugen 
dorgeladen. Unter diesen auch ein Beamter aus dem Kultus⸗ 
ministerium, der Geh. Sekretär Herr Kühnel. Ihm, wie den 
anderen Zeugen fil ganz besonders die Frechheit im Auftt ten 
Hödels beim Verhör auf. Als eine ebenfalls vorgeladene Arbe.ter⸗ 
jrau, welche er unmittelbar voe dem Adfeuern dies Schusses bei 
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dozwischen: „Was die da schwört, das schwöte ich auch alle Tage, 
ich leiste den Eid auch“, und dabei lachte er höhnsch auf. 
Auch einen Ennöastungszeugen hat der Verhaftete jetzt vorge⸗ 
ichlagen. Derselbe marde am Montag Abdend von einem Nuntius 
noc, vorgeladen, hatte aber nicht recht Lust zu erscheinen bis ihm 
dedeutet wurde, daß er kommen müss⸗. Es ist ein sich hier nur 
dorübergehend aufhaltender Nidlergeselle BVaumaun, welchem gegen⸗ 
Aber Hödel seinen Lebensüberdriß und seine Absicht, sich d a Le— 
ben zu nihmee, geäußert haben will. Baumann erschien denn 
auch gestern früh vor dem Unterfuchungsrichter. Er wurde von 
dödel in vertraulicher Wese wie ein alter Bekannter begrüßt. 
.Du“, rief Hödel ihm eutgegen, „was meinst Du wohl, man 
nöchte mir gerne 20 Jahre aufbrummen; ich soll auf den Kaiser 
zeschossen haben, Du weißt aber, daß ich mich seldsl erschießen 
wollte“. Baumann wußte aber nicht nur gar nichts von dieser 
Absint, sondern er erklärke auch, Hödel überhaupt nicht zu kennen; 
28 sei wohl möglich, daß er ihn ein Mal geseyen habe, ader er 
'onne sich dessen nicht entsinnen. Hödel war über diese Antwort 
nöchst aufgebracht. Er warf dem erst so freundschaitlice Begrüßten 
aunmehr vor, daß er lüge — eine Toktik, die er anwendet, so oft 
hm eine Zeug⸗naussage nicht behagt. — Im Vorübergehen sei 
noch erwähnt, daß Hödel von sämmtlichen Zeugen mit Bestinmt⸗ 
heit als der Attentäter erkannt worden ist. 
Das Material zur Ueberführung Hödels wegen des ihm zur 
Last gelegten Verhrechens ist zunmeht nach der Ansicht des Unter 
uchunzsrichters als vollständig beisammen zu betrachten und es 
cönnte alsbald mit der Verhandlung gegen ihn hbegonnen werden, 
wenn es sich nicht darum handelte, nunmehr festzustellen, ob Hödel 
aus eigener Intiative das Attentat gegen den Kaiser unternommen 
hat, oder ob er zu diesem Zweche mit Andern in Verbinduuqg ge⸗ 
tanden. Die in Leipzig mit Beschlag belegten Papiere, welche 
das Letztere beweisen sollten, find gestern in Berlin angelkommen. 
Es ist jdoch, wie von maßgebender Seite erklärt wird? nicht thun⸗ 
ich in diesem Augenblicke mit derselben Ausführlichkeit oͤffentlich 
arüber zu berichten, wie über die persönlichen Verhältnisse —XC 
peil die Untersuchung darüber erschwert werden könnte. Es dürfen 
)ader eirige Tage vergehen, ehe über diesen Punkt Authentisches 
in die Oeffentlichkeit gelangt. 
Berlin, 15. Mai. Der „Prov. Corr.“ zufolge erwiderte 
)er Kaiser bei dem am Sonntage in Gegenwart des Kronprinzen 
tattgehabten Empfange des Staatsministeriums auf die Glückwunsch⸗ 
Ansprache des älsesten Ministers, des Justizministers Leonhardi: 
ẽs sel das dritte Mal, daß auf ihn geschossen worden; so erschüt 
erud und betrübend Das sei, so fiade er doch Tiost in der Theil⸗ 
ahme der Bevölkerung, welche sich vom ersien Augenblicke an so 
ebhaft kund gegeben und die ihm sehr wohl gethan habe. Man 
ȟrfe solche Dinge in leiner Weise zu leicht nehmen; er habe in 
»er Zet, als er Mitglied des Staatsministeriums gewesen, stets 
nuf die Gefahren hingewiesen, welche sich aus der Geltendmachung 
)er damaligen staatsfeindlichen Richtungen ergeben müßten. Seine 
Zefürchtungen feien durch das Jaht 1848 leider bestätigt worden. 
Jetzt wiederum und in erhöhtem Maße seres Aufgabe der Regierung, 
»ahin zu wirken, daß revolutionäre Elemente nicht die Oberhand 
zewännen. Jeder Minister wüsse das Seinige thun. Jasbesondere 
omme es darauf au, daß dem Volke die Religinn nicht verloren 
zjehe. Dies zu verhüten, sei die haupisächlichste Aufgabe. — Die 
„Prov Corr.“ meint, die Reichstagesfession werde keinesfalls vor 
dem 25. Mai geschlossen werden können. 
Ausland. 
Wien, 15. Mai. Die Zustände in der Militärgrenze und 
kroakien gestalten sich täglich bedohlicher, die Flüchtlnge thun sich 
u bew ffueten Banden zusammen, und man projeklirt die Prokla— 
nation des Standrechts. — Die Peiersdurger Berichte über Schu⸗ 
valoff's Mission lauten wenig günstig, die Partei des Tbhronfolgers 
zewinnt au Einfluß. EFrtf. Zig.) 
Rom, 12. Moi. Keine Regierung hat den Nuncien den 
kmpfang der letzten Eochtlika bescheinigen wollen, was dem h. 
Bater und den Kardinälen Manches zu denken gegeben hat. — 
Der Papst leidet seit einigen Tagen an einer Leberentzündung (K. 3.) 
London, 15. Mai. ‚Standard“ erfährt aus Hongkong, 
pas britische Geswader in China sei nach Yokohama gefegeln, um 
die russische Flotte in den Gewässern von Japan zu überwachen. 
Londbdon, 16. Mai. De Nd gin inspizett demnadst die 
Truppen in Woolwich. Der „Standard“ meldet, das Torpedoto⸗ 
nuné wählte am Hughyfluss die geeignetsten Punkte für Bersendung 
yon Torpedos zum Schutze von Diamont, Harbour und Kalkutiq. 
— Die ‚Times“ meldet aus Philadelphia 15. ds.: die Russen 
'auften von der Providenze-Aruis Kompagne 200, 000 Gewehre, 
vesche ursprüglich für die Turken fabrizirt worden waren enb 
bestellten eine we'tere halbe Million. 
Be!garad, 15. Mai. Auf Veranlassung des deuischen 
Zenerallonsuls Grafen Bray fand heute anläßl'ch der glücklichen 
Errettung des Kaisers Withelin ein Tedeum statt, welchem der 
Ministet des Aus värtigen Ristisch, det Adjutant des Fursien sowie 
ämwiliche diplomatische Agenten mit ihrem Konsulatspersonale bei— 
vohnten. 
In verschiedenen Otken Nordamerikas werden wie der 
„Times“ telegraphirt wird, Besorznisse vor wahrscheinlich kommu⸗ 
uistischen Erhebungen während des ommenden Sommers gehegt: 
Ungeheure Massen von müßzigen und verarmten Personen im ganzen 
Lande werden von rüchsichtslosen Demgogen angetrieben, zu Gewalt⸗ 
naßregeln zu schreiten, um sich wegen der Unbill zu rächen, die 
huen angeblich von dem Kapital zugefügt morden ist. Vollsver— 
ammlurgen, auf welchen kommunistische Gesinnungen ausgedrückt 
verden, finden unter zahlreicher Betheiligung häufiz statt, und die 
Unwesend /n applaudiren den zündenden Reden mit solcher Ein⸗ 
nüthigkeit, daß man ernstlich eine zu gleicher Zeit ausbrehende 
mheilnosle Bewegung befürchtet. Die Kommunisten flöriten baupi.