Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ss. Ingbertker Anzeiger. 
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M 94. 
Sonntag, den 16. Juni. 1878. 
Deutsches Reich. 
Muünchen, 12. Juni. Was die Regierungseniwürfe behufs 
Durchführung der neuen Neichsjustizgesetze betrifft, vernehmen wir, 
daß der größte Theil derselben sich bereits unter der Presse be⸗ 
findet, so daß dieselben unmittelbar nach dem Wiederbeginne der 
Thätigkeit der Kammern an die Mitglieder derselben vertheilt 
werden können. Der den Kammern vorzulegende Miilitäretat ist 
zum groößten Theil bereits gedbruckt. — Das k. Staatsministerium 
des Innern hat die Vorarbeiten für die neuen Reichstagswahlen 
beteits angeordnet und die thunlichste Beschleunigung derselben 
anbefohlen. 
Berlin, 13. Juni. Die Einladungen zu der auf heute 
2 Uhr anberaumten Eröffnungssfitzung des Congrefses ergingen 
gestern Abend 10 Uhr. Bald nach 1 Uhr begann die Auffahrt 
der Congreßdelegirten vor dem Palais des Reichskanzlers; die 
Delegirten benutzten die Botschaftswagen und trngea — die 
diplomatische Uniform des Heimathlandes. Etwa 20 Minuten nach 
2 Uhr erschien über dem Dach des Palais des Reichskanzlers die 
Flagge des Deutschen Reiches, die Eröffnung des Congresses ver⸗ 
lündend. Die Siraße vor dem Palais ist für den gewöhnlichen 
Verkehr gesperrt. Für die Mitglieder und die Arbeiten des Con⸗ 
gresses ist ein besonderer Post- und Telegraphendienst eingerichtet 
und zu diesem Zweck eine Anzah! Post- und Telegrophenbeamte 
zur Verfügung gestellt. Es verlautet, daß die heutige Sitzung des 
Congrefses lediglich Formalisäten, hinsichtlich des Präsidiums, 
Bureaus ꝛc. gewidmet gewesen sei und am Montag die erste eigent⸗ 
iiche Arbeitssitzung folgen werde. Der längere Zwischenraum 
erscheint motivirt durch den Wunsch, durch gegenseitige Besprechungen 
und Vorverhandlungen zwischen den Bevollmächtigten der einzelnen 
Staaten die Erledigung der Congreßaufgaben zu fördern. Von 
olchen Vorbesprechungen hatte bereits gestern nach dem Abendempfang 
dbei dem Reichskanzler eine bis in die Nacht dauernde zwischen 
Andrassy und Schuwalow stattgefunden. Andrassy hatte auch im 
daufe des heutigen Vormittages wiederholte Besprechungen mit 
Beaconsfield, der in seiner Wohnung (Kaiserhos) mit Salisbury 
zusammen arbeitete. Mittags hatte auch Schuwalow mit Salisbury 
und Andrassy eine längere Unterredung im Kaiserbof. — Der aus 
Brüssel hierher berufene türkische Ministerresident Caratheodori⸗ 
Fffendi fungirt nicht als Congreßbevollmächtigter, sondern wird aur 
mit den türkischen Congreßdelegirten konferiren. 
Berlin, 13. Juni. (Kronprinzlicher Etlaß.) Kaum der 
neuchlerischen Hand eines Verblendeten durch Gottes Gnade ent⸗ 
zangen, hat des Kaisers und Körigs Majestät, Mein Herr Vater, 
sich zum zweiten Male dem Geschoß eines im Versteck laueruden 
Verbrechers ausgesetzt gefunden. Wiederum hat Gottes gnädiger 
Schutß über dem theueren Haupte gewaltet. Der Frevler hat zwar 
jeider des Zieles nicht gefehlt, seinen verruchten Zweck aber nicht 
erreicht. Die Schmerzen, welchen die zahlreichen Wunden verur⸗ 
sachen, traten zurück gegen den tiefen Kummer, welcher das landes— 
bäterliche Herz des Kaisers und Königs durch die noch am Abend 
eines bisher so reich gesegnelen Lebens ihm nicht ersparte Erfahrung 
»edrüchte, daß im deutschen Volke solhe Unthalen in rascher Folge 
ceifen konnten. Die herzliche Theilnahme indeß, welche sich alsbald 
in der Einwohnerschaft der Residenz zu erkennen gab, die Entrüstung 
Aber das Berbrechen, verbunden mit der innigen Freude über die 
Errettung aus unmittelbarer Todesgefahr, die Segenswünsche, welche 
aus allen Kreisen und aus ollen Theilen des deutschen Vaterlandes, 
a, von überall, wo im Auslande und selbst in den fernsten Welt— 
heilen Deutsche weilen, in Adressen, in sinniger Dichtung und in 
Telegrammen, in Blumenspenden und ähnlichen Aufmerksamkeiten 
durch stündische und kommunale Vertreter, weitliche und kirchliche 
dorporationen, Behörden, Vereine, Versammlungen, durch Würden⸗ 
räger und durch Privatpersonen ohne Unterschied des Standes 
ind Berufs, des Alters und Geschlechts, in wärmster Weise Aus 
)ruck fanden, haben jeden Zweifel des kaiserlichen Herrn an der 
inveränderten Treue und Liebe des deutischen Volkes verbannt und 
ꝛefsen Ueberzeugung neu gekräftigt, daß die verderbliche Saat, aut 
velcher die Frevelthaten entsprossen sind, in dem Pattiotissmus der 
Nation keinen nachhaltigen Boden finden werde. Se. Majestät 
der Kaiser und König, Mein Herr Vater, ist überaus gerührt don 
den zahlreichen Beweisen lauterstes Anhänglichkeit, welche sich noch 
äglich mehren, und hat Mir aufgetragen, Allen, nah und fern, 
velche ihm das volle Vertrauen in die treue und hingebende Ge— 
innung des Volkes wiedergewährt, Allen, welche durch sywpathische 
dundgebungen auf seinem Schmerzenslager sein Herz mit wohl⸗ 
huender Freude erfüllt haben, den innigsten Dank zu sagen. Ich 
entledige mich dieser Allerhöchsten Weisung, indem ich Sie veranlasse, 
das Vorstehende zur oͤffentlichen Kenntniß zu bringen. 
Berlin, 11. Juni 1878. 
Friedrich Wilhelm, Kronprinz. 
An den Reichskanzler. 
Berlin, 13. Juni. Seitens der Regierung ist behufs Be⸗ 
fämpfung der Sozialdemokratie zunächst eine strengere Handhabung 
des Paßwesens in Ausficht genommen. Sodann ist allen Behörden 
eben solche Handhabung des Preß⸗ und Vereinsgesetzes empfohlen 
worden. 
Ausland. 
Wien, 13. Juni. In unterrichteten Kreisen glaubt man 
jier allgemein an einen glücklichen Ausgang der Kongreßverhand— 
ungen. Berichten aus Berlin zufolge hal Fürst Bismarck geaußert, 
»er Kongreß müsse zu einem friedlichen Erfolge führen. Lord 
Beaconsfield soll sich in ähnlichem Sinne geäußert haben, da das 
kinverstäändniß der Mächte viel weiter gediehen, als man im 
Publikum glaubt. 
London, 13. Juni. „Reuter's Bareau“ meldet aus 
Quebec (Canada, Nordamerika): Streikende Arbeiter plünderten 
ein Mehlmagazin und nahmen 200 Barrels Mehl fort. Den 
Polizeimannschaften gelang es nur mit vieler Mühe, die Ruhestörer 
zu zerstreuen und das Legislaturgebäude zu besetzen. Sie wurden 
hei ihrem Einschreiten gezwungen, die Waffen zu gebrauchen, wobei 
in Arbeiter erschossen wurde. Außerdem wurden mehrere Ruhe— 
törer, sow'e mehrere Polizeimannschaften und unbetheiligie An⸗ 
vesende durch Gewehrschüsse, Säbelhiebe und Steinwürfe verwundef 
Rermischtes. 
f Kaiserslautern, 183. Juni. Der der liberalen 
Partei angehörende Abgeordnete zum bayerischen Landiag Philipp 
Schmidt (Kaiserslautern) hat aus Gesundbeitsrüäsichten sein 
Mandat niedergelegt. 
Wie man der „Pf. P.“ mittheilt, sei eine Anzahl Fabri⸗ 
kanten und Gewerbetreibender in Kaiserlautern zusammen⸗ 
zetreten, um die soc'aldemokratischen Elemente aus ihren Elablisse⸗ 
ments zu entfernen. 
F.Aus Kirchheimbolanden, 8. Junl meldet das 
„N. W.“: In der gestrigen Sitzung des Igl. Polizeigerichtes wurde 
ein Butterhändler aus Mauchenheim wegen Thierqualerei (er mal⸗ 
rätirte sein Pferd fast eine halbe Stunde mit einem Stecken) und 
»amit verbundenem groben Unfug in eine Haftstrafe von zehn 
Tagen verurtheilt 
Der Reichstagsabgeorvnele für den Wahlbezirk Landau⸗ 
Neustadt, Herr Gutsbesizer Jor dan in Deidesheim, hat seinen 
Freunden milgelheilt, daß er eine Neuwahl ablehne. 
FPirmasens, 12. Juni. Ein Einwohner aus Erf⸗ 
weiler ließ fich vergangenen Sonntag in hiesiger Stadt anläßlich 
eines Gespräches üüber das jüngste Attenlai und Angesichts des 
anserm Sonntagsblatt beigegebenen Porträts Nobilings die Aeuße⸗ 
rung: „Schade, daß er nicht getroffen!“ zu Schulden kommen. 
Untersuchung ist bereits eingeleitet. P. A.) 
fFLandau, 18. Juni. Sonntag den 28. Juli findet 
dahier der Delegirtentag des pfälzischen Gewerbevereinsverbandes 
ttatt und soll dabei auch auf Antrag des Vereins Neustadt die 
sociale Lage und die Stellung des pfälzischen Gewerbestandes zur 
Soc aldemokratie auf die Tagesordnung gesetzt werden. (L. A.) 
. Der zum Bischoff in Speyher ernannte Herr Jofeph 
Ehrler wurde 1856 zum Priester geweiht. Nach mehrfacher 
Verwendung als Hilfspriefter ist er seit 1863 Prediger, war zuers