Full text: St. Ingberter Anzeiger

zolitik des Kabinets zuruckölickend, einen Mangel an Entjchlossen⸗ 
heit in der Haltung desselben findet und das Zustandelommen des 
Zerliner Verirages nur durch das englisch⸗rürkische Ablommen * 
entschuldbar erachtet. Die Fuͤhrer der Opposition dagegen wollen 
die in letzterem verkorperte Politik im Parlament angreifen. — 
Sobald das Klima es gestattet, gehen dornussichtlich zwei Kommis⸗ 
ionen nach Kleinasien zur Besichtigung des Euphrat⸗, bezw. Tigris⸗ 
hales in der Voraussicht nämlich, daß eine Bahn in das Bigris⸗ 
chal gebaut werde. Sbwohl Dieß die längere Strecke ist und 
folglich Mehrkosten entstehen vürden, soll sie strategische und kom⸗ 
merzielle Vorzüge bieten. Die Unternehmer hoffen auf eine zehn⸗ 
ährige vierprocentige Staatsgarantie. (K. 3.) 
Der „N. fr. Presse“ tel graphirt man aus London, daß aller 
Wahrscheinlichkeit nach die jetzige Session die letzte dieses Parla⸗ 
menles sein und das Unterhaus am Schlusse der Session aufgelöst 
verden werde, da Earl Beagconsfield die jetzige Hochfluth des 
Enthusiasmus im Lande für seinen Erfolg und den seiner Partei 
auf die nächsten Jahre hinaus sichern will. „Das ganze Land 
preist Beaconsfield. Am Donnerstag wird Beaconsfuald von der 
önigin empfangen und am nämlichen Abend wird er eine große 
stede im Oberhause halten, in welcher auch einige wichtige, bishet 
unbekannte Abmachungen mit Frankreich bekannt gegeben werden 
ollen. 
Zu den russischen Preßstimmen über das Kongreßwerk, 
die wit in letzter Zeit mitiheilten, fügen wir einen Artikel des 
groͤßten russischen Blattes, des „Golos“, der sich zieml'ch gedrückt 
zußert. Das Blatt, welches besitebt ist, die Meinung der besitzen⸗ 
den Mittelklassen zu repräsentiren, schreibt: „Die russische Gesell⸗ 
schaft fühlt sich offenbar unbefriedigt. Die Resultate dreijähriger 
Anstrengungen, Sorgen und gewaltiger Opfer werden für verhält⸗ 
nißmäßig gering angesehen; die im Auge gehabten Ziele sind bei 
Weilem nicht erreicht. Was Das aber für Zele waren, weiß, die 
Wahrheit zu sagen, Niemand ordentlich zu erklären. Man hat viel 
don der Befreiung der Slaven gesprochen, nicht weniger, wenn 
nicht mehr, von der Rechtgläubigkeit, da Vielen rechtzeitig einfiel, 
daß wir früher die Griechen befreit und überhaupt die Rechtgläubig⸗ 
leit im Orient gerettet haben ; man sprach auch von Zargrad 
Stadt des Zaren, Konstantinopel) und der Aufpflanzung des 
reuzes auf der Hagia Sopia. Es ist ũberhaupt schwer zu sagen, 
welches Ziel wir nicht gehabt haben. Am Lautesten schrieen wir, 
die es scheint, über unsere Uneigenvützigkeit und daß wir keinen 
Fußbreit Landes für uns selbst wollten; Das war aber vor dem 
feriege, als es lächerlich war an eine Entschädigung zu denken und 
das Fell des Bären zu theilen, ehe er geschossen war. Wie nebel⸗ 
zaft diese Zeilen aber auch waren, man fühlt, daß sie nicht erreicht 
worden sind.“ 
Bermisqtes. 
pa St. Ingbert, 19. Juli. In der gestern Nachmittag 
im Fruchthallsaale in Zweibrüchen flattgehabten Versammlung 
der ünberalen Waähler des Wahlkreises Zweibrücken⸗Pirmasenz, 
welche außerordentlich zahlreich besucht war, entwickelte unser bis⸗ 
veriger Reichssstagsabgeordneter Herr Oberappellraih Schmidit, 
aachdem er von dem engeren Auͤsschuß der liberalen Partei unseres 
Bezirkes für die nächsthin statifindendenden Reichssstagswahlen als 
Fandidat aufgesftellt wo: den war, sein politisches Progtamm. In 
larer, leichtwerständlicher, fließender Rede sprach er ungefähr Fol⸗ 
gendes: Seitdem er das leßte Mal vor seinen Wählern gestanden, 
seien betrübende Erscheinungen zu Tage getreten; Gewerbe und 
Industrie lägen darnieder, nicht in Deutschland allrin, sondern in 
der ganzen Welt. Er hoffe, daß es jetzt besser würde, nachdem 
auf dem Berliner Congreß der Friede wieder hergestellt worden sei. 
Ais weiteres Unglück müsse er den Untergang eines der größten 
deutschen Marinefchiffe, des großen Kurfürsten verzeichnen. Der 
noterielle Schaden sei der geringste gegenüber dem unersetzlichen 
Verlust au Menschenleben. Die Thatsache, daß die Bemannung 
dieser Schiffe in treuer Pflichterfüllung heldenmüthig wie Spartaner 
Jestorben seien, gewähre doch einige Beruhigung. Und endlich als 
iles Unglüd müsse er die entsetzlichen Mordversuche auf unseres 
Zaifers geheiligte Person derzeichnen. Man habe fast allenthalben 
die deutsche Nation für diese Verbrechen verantwortlich gemacht. 
eE prolestite aber gegen die Annahme, als sei das deutsche Volk 
daran schuld; dieses habe nichts damit zu thun. Auch in England 
ind Frankreich seien solche Verbrechen schon vorgekommen und doch 
sei es Keinem in diesen Laändern eingefallen, das ganze Volk dafür 
herantwortli h zu machen. Die —XDVV— 
zaß die beiden Altentäter socialdemokratischen Ansichten huldigten. 
die bürgerliche Ordnung müsse nun gegen die Tendenzen und 
Ausschreitungen der Socialdemotratie geschuͤtzt werden. Der darauf 
hezugliche Jüngst dem Reichstage vorgelegie Gesetzenwurf sei nicht 
angenommen worden, weil er nicht zutreffend, nicht bestimmt genug, 
nicht kiar redigirt gewesen sei. Dem nächsten Reichstag werde nun 
ein neues GBesetz vorgelegt werden. Die Abgeordneten seien ver⸗ 
pflichlel. die Regierung in ihrem Bestreben gegen die Unterdrüdung 
eio Deuoliafi schr Lusschreituttgen zu unterstühen. In weiche. 
hoem dies geschehen werde, wifse er selber noch nicht; jedenfalls 
rde er stas daftr Sorge tragen, daß die Freiheit der Nation 
nicht verlümmert wonde. 
Bezüglich der gegenwaͤrtigen Lage in wirthschaftlichet Be⸗ 
iedung aͤußerte er, werde dafür gesotgt werden müssen, daß die 
hemmnifse, welche dis feht einem Anfblühen der wirthschaftlichen 
Zerhültnisse eiugegen gestanden wären, beseitigt werden. 
Um'das Reich in financiellet Beziehung auf eigene Fuͤße zu 
jellen und um die Matricularbeiträge zu beseitigen, werden dem 
steiche eigene Einnahmen durch Erhöhung der indirekten Steuern 
eschafft werden müssen. In erster Linie habe man dabei an eine 
söhere Besteuerung des Tabaks gedacht. Bismarch's Ideal sei das 
Tabaksmonopol. Für das Monopol sprechen folgende Thatsachen: 
. Wir sind rings umgeben vom Monopol. England, Frankreich, 
Jtalien, Oesterreich haben das Monopol. 2. Auch die Tabaks—⸗ 
Fflanzen sind nicht gegen das Monopol. 3. Die bedeutendsten 
nutotitäten haben sich für das Mo opol ausgesprochen. Die 
Nachtheile des Monspols seien folgende: 
Ein blauͤhender weitderzweigter Handel, eine blühende In⸗ 
dustrie, die ca. 120,000 Arbeiter abgesehen von der Hilfsindustrie 
heschaͤftige, werde vernichtet. Die Hälfte oder zwei Drittel der 
darin beschäftizten Arbeiter würden brodlas werden, der Tabak⸗ 
hau, von dem viele kleine Landwirthe in Deutschland leben, würde 
auf ganz unsichere Füße gestellt und der Regierung auf Gnade und 
Ungnade überliefert werden. Bei der Tabaksindustrie seien in 
Deutschland ca. 800,000 Menschen direkt oder indirect betheiligi. 
Sie würden durch die Einfühtung des Monopols schwer betroffen 
verden. Ferner würden die Einnahmen aus dem Monopol na⸗ 
nentlich in den ersten 10 Jahren sehr unüchere und leineswegt 
ehr hoch sein. Er für seine Person habe sich noch nicht entschie— 
ven; der fei weder für das Monopol, noch absolut dagegen; er 
verde die Enischeidung der Frage nach der Veröffentlichung der 
sesultate det Enquöte seinen Wählern überläfsen. 
Eine wichtige Frage sei auch die Militärfrage. Das Reich 
herwende für das Miililär allerdings eine sehr große Summe; 
allein das sei eine Nothwendigkeit; denn wenn Deutschland allein 
ür sich abrüsten würde, so wäre das sofort eine Einladung für 
unsere Feinde über uns herzufallen. Die Geschichte bestätige das. 
Nachdem Herr Schmi'dt die Grundlosigkeit einiger Vorwürfse. 
pelche der national-liberalen Partei gemacht werden, wider legt, 
chloß er seine mit großem Interesse von der Versammlung verfolgte 
Rede mit einem Hoch auf unsern deutschen Kaiser. 
Herr Oberappellrath Schmidt wird am Samstag Nach 
nittag auch unsere Stadt mit seinem Besuche beehren und um 
25 Uhr in Grewenig'schen Saale öffentlich sprechen. 
'St. Ingbert, 18. Juli. Gestern Nacht 12212 Uhr 
hrannle 6 in dem Er z'schen Hause auf der Schnappbach. Der 
asch herbeigeeilten Feuerwehr der Vopelius'schen Glashütte und von 
— Schnappbacher Bevöl⸗ 
erung gelang es bald des Feuers Herr zu werden, und dasselbe 
zuf seinen Ursprung zu beschränken, indem nur der Dachstuhl 
»es Hauses, wo Heu aufbewahrt war, abbrannte. Ein größerer 
Zrand hätte jedoch lescht entstehen können, da die Gemeinde Schnapp⸗ 
zach selbst keine Feuerspritze besitzt, und es doch gewiß wünschens— 
verth und am Platze wäre, bei Zeiten für die Anschaffung einer 
olchen zu sorgen. 
'St. Jugbert, 19. Juli. Vor etwa 4 Wochen hott⸗ 
ich ein in unserer benachbarten preußischen Gemeinde Elver s2berq 
mnsaßi zer Bergmann, Familienvater, aus seiner Wohnung entfernt 
hue wieder dahin zurückkehren. Seit dieser Zeit wurde er vermißt 
hor einigen Tagen nun wurde derselbe todt im Walde zwischen 
sier und Elversberg aufgefundeo, neben ihm eine halbgeleerte 
„chnapsflasche. Dem Trunke sehr ergeben, haite er sich wahcschein⸗ 
ich im Rausche niedergelegt und durch einen Schlaganfall seiner 
Tod gefunden. 
1 3weibrückn, 18. Juli. (3. 3.) In der gestrigen 
—„zung des hiesigen Zuchtpolizeigerichts find u. 'a. folgende Urtheile 
rgangen: die bekannten Bäumchendiebe Semar und Sefrin von 
Foͤntwig erhielten je ein Jahr 3 Monate Zuchthaus, der sog. 
Keückenmüller“ von hier, 8. Müller, wegen eines im Deuischen 
daus“ verübten Lebensmitteldiebstahls 6 Jahre Zuchthaus, Tag⸗ 
oͤhner Baus von hier wegen Beleidigung des deuischen Kaisers 
dJahr Gefängniß und eine Frau von Winterbach wegen Fund⸗ 
iebstahls (dieselbe hatte eine 50 M.-Rolle gefunden und Dies 
nicht angezeigt) 14 Tige Gefängniß. 
Aus dem Westrich, 186. Juli. Herr Oito Fleisch 
nann, Zuchthautgeiftlicher in Kaiserslautern und Redacteur der 
aselbjt etscheinenden „Pfalz. Post“ befindet sich auf einer Wahl⸗ 
reise durch's Alsenj⸗ und Münsterthat, um für die Candidatur des 
Ixn. dv. Gienanih zum Reichstage zu wirken, Der Herr Pfatrer 
,eranstaltete zu diesem Zwece Versammlnngen in Ällenbamberg, Feil 
Iind and ren Orlen, und ließ sein bekannkes Licht allenshalben