Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ulrichsgasse, tödtlich verwundet, da ez mehrere Rippenbrüche, eine 
Fangenverletzuug und Bruch des linken Schulterblattes erlitt. 
Außerdem befanden sich unter den Betroffenen ein Zjähriges, zwei 
Hahrige, ein 6jähriges und ein 8 Jahre alles Mädchen, sowie zwei 
stnaben von 7 und 12 Jahren, endlich ein 16 Jahre alter Lauf⸗ 
bursche und ein 17jähriger Schriftsetzerlehrling, die insgesammt 
mehr oder wen'ger schwer beschädigt wurden. Wie Leute, die dem 
Unglücksorte nahe waren, versichern, trägt der Kutscher des einem 
diesigen Spediteur gehörenden Geschirrs, da er nur im Schritt 
zaher gefahren kam, keine Verschuldung. (Leipz. Tabl.) 
F Explosion von Feuer verkstörpern. Köln, 25. Juli. 
Die Direltion des Flora-Theaters hatte gestern Abend ein Som⸗ 
merfest arrangirt, wobei die Garten⸗Aulagen und die beiden Roll⸗ 
schuhbahnen prachtvoll illumin'rt waren. Auf der unbedeckten Roll— 
schuhbahn wurde nach Beendigung der Theatervorstellung ein Feuer⸗ 
werk abgebrannt. Leider ereignete sich zum Schlusse desselben ein 
trauriges Unglück. Ein Feuerwerkskörper. ein in die Erde gesteck 
les eisernes Rohr explodirte mit einer so farchtbaren Detonation, 
vaß an dem hundert Schritt entfernt liegenden Theater mebrere 
Fenster sprangen. Viele Personen wurden verwundet und zum 
Ddospitale gebracht. Der an der Kasse beschäftigte Controleur, ein 
tädtischer Marktbtamter, welcher in dem Etablissement einen Neben— 
berdienst fand, blieb itodt. Wie man anvimnt, ist derselbe von 
einem Eisenstücke in der Magengegend getroffen worden. Ob den 
peranstaltenden Feuerwerker, der zugleich in Nppes eine Executor- 
stelle bekleidet, irgend welche Schuld trefft, wird die e'ngeleitete 
Uaiersuchung ergeben. Uiter den Verwundeten soll sich ein Offi 
zier befinden. Ein Knabe erlitt einen doppelten Beinbruch. 
4 10,000 Mark Belohnung. Die Hambucrger Poeoli— 
zeis Behörde hat an die Berliner Sicherheitsbehörde die Nachrich! 
gelangen lassin, daß dort augenblicklich eine Diebsbande arbeitet, 
die allen Vermuthen nach ihren Wohnsitz in Berlin hat. Die da— 
selbst in letzter Zeit ausgeführten Diebstähle sind sämmtlich gleschartig 
Am 23. Juli haben die Einbrecher u. A. die Gelegenhe't gefunden, 
einen bedeutenden Diebstahl auszuführen, bei welchen ihnen folgende 
Gegenstäude, die als Erdstücke für die Bestohlenen besonderen Werth 
haben, in die Hände fielen: eine goldene Taschenuhr, das Gehäuse 
von getriebenem schön ciselirtem Gold mil Diamantkaopf. Auf dem 
Gehäuse eine Frauengestalt mit einem Löwen, die Britania vorstellend. 
Englische Arbeit vom Jahre 1750; eine goldene Taschenuhr. Die 
aus Goldblech fast vollrund getriebenen Figuren stellen Rebekka's 
Empfaag durch Ifaal dar. Englische Arbeit ans bem 18. Jayr 
hundert; ein goldenes Taschengehäuse glatt von rundlicher Form. 
Füc die Herbeischaffung des gestohlenen Gutes ist eine Belohnung 
von 10,000 Markt ausgesetzt. Sämmtliche Polizeibehötrde im In— 
und Auslande sind von dem Diebstahle in Kenntniß gesetzt. 
F Neben den zahlreichen durch die soc al-demokratischen Or— 
gane publizirten Unterstützungen, welche der sozialdemokratischen 
Agitation zufließen, erhält diese Agitation Seitens sehr wohlhaben⸗ 
der Leute, welche jedoch nicht wünschen, daß ihre innigen Be— 
ziehungen zur Sozialdemokratie bekannt werden, namhafte, ja sehr 
bedeutende Zuschüsse. So ist nunmehr ermittelt worden, daß ein 
früher in Frankfurt a. M. ansässig gewesener sehr reicher Mann, 
der gegenwärtig in Hamburg als Rentier lebt, seit Anfang Juni 
für Wahlzwecke und sonstige Agitationsmittel im Interesse der So⸗ 
zialdemokraten, ferner in der Form von Darlehen, Vorschüssen 
und Geschenken an die socialdemokratische Partei aus seiner eigenen 
sasse zusammen 30,000 Mark verwandt hat. Dieser so bedeu 
tenden Beiträge ist bishet in keinem sozialdemokratischen Organ 
irgend welche Ecwähnung geschehen, trotzdem diese Organe zum 
Beweise der regen Betheiligung der Bevölkerung an der Agitation 
die eingegangenen Geldbeträge regelmäßtg veröffentlichen. Neben 
jenem reichen mit deun Sozialdemokcaten syenputh;sirenden Herrn 
zibt es noch andere wohlhabende Leute, welche im Geheimen die 
sozialdemoktatische Agilation understützen. So wird das kommu— 
nistische Biatt „Egaliée'“ in Paris von einzelnen der diutschen 
sozialdemokratischen Partei angehörigen wohlhabenden Personen 
durch namdafte Beträge forldauernd unteistützt. 
f Berlin, 29. Juli. Hödel ist noch im ner in seiner alten 
Gefänznißzelle auf Station 7 der Stadtvoigtei. Derselbe wird ärzt 
lich behandelt, da sein bei seiner Einlieferung gehabtes Leiden noch 
nicht ganz gehoben ist. Er erhält Lajarethkost, erste Fotm, und de⸗ 
jchäftigt sich eifrigst mit Lesen, da er durch die Fessellung seiner 
Hhände körperlich zu arbeiten verhindert ist. — Das ko perliche Be⸗ 
jinden Nod Ungs bessert sich merklich. Zu einer Veriehrung desselben 
wird man jedo h vor der Hand nicht schreiten. Sonntag wurde er 
wiederum in die Kirche der Stadtvoigtei gefühct. 
f In Sachen Hdelns meldet die Mattias'sche Deutsche 
Reichs⸗Korrespondenz Folgendes: „In gnt unterrichteten Kreisen 
war heute, Montag, die Nachricht verdreitet, daß der Kronprinz 
auf Grund des Berichtes des Staatsministeriums in Bezug auf 
das Erkenntniß des Staatsgerichtähofes wider Hödel dem Gesetg 
Lauf gelassein und das Tode surtheil unterjeichne 
abe a 
r Der Sliadikommandant von Berlin hbat den Soldaten 
den Besuch von fast 70 Bierlokalen verboten, welche von Sozial⸗ 
demofraten frequentirt werden. 
FScharfsinnige Bertheidigung. „Meine Herren 
von's Jericht, ich biltse um's Wori, von wegen meine Verdefen⸗ 
dirung,“ wandie sich der 21 Jahre alte Cigarrenmacher Hugo 
Ernst Emil Heinrich Jost in Berlhin beim Betreten der An⸗ 
klagebank an den Gerichtshof. „Watten Sie doh, b s Ihnen ein 
Vorwurf gemacht wird,“ war die Erwiderung des Heren Vorsitzen⸗ 
den. — Angekl.: „Jut ick habe Zeit.“ hierauf wurde vom 
offentlichen Ankläger die Anklage verlesen, nach welcher Jost in der 
Nacht zum 4. d. M. einen Wächier, welcher ihn zux Ruhe verwies, 
durch die Worte: „Na, von eenen Ochsen is ja nicht mehr wie 
een Stück Rindfleesch zu verlangen,“ beleidigt haben soll und dem⸗ 
nächst seine Sistirung zur Wache durch Niederlegen und Stoßen 
mit Händen und Füßen erschwerte. Vors.: „Sie sind der Belei⸗ 
digung und des Widerstandes angellagt, bekennen Sie Sich schuldig?“ 
— Angekl.: „Ick schuldig; wat meinen Sie woll; det könnte 
mir passen bei die Zeiten!“ Vors.“ „Ich mache Sie darauf auf⸗ 
merksam, daß Sie Sich einer milden Verurtheilung empfehlen, wenn 
Sie ein reumüthiges Geständniß ablegen. Haben Sie den in der 
Anklage angegebenen beleidigenden Ausdruck bei Ihrer Begegnung 
mit dem Wäͤchter gebraucht? — Angekl.: Janz jewiß habe ick det 
jedahn, aber nicht von wegen den Wächter, sondern man bloß von 
wegen det Rindvieh ins Alljemeene.“ — Vors.: „Bei Ihrer dem⸗ 
nächt erfolgten Sistirung zur Polizeiwache leisteten Sie dadurch 
Widerstand. daß Sie Ihre Fortführung durch Niederlegen zu ver⸗— 
hiadern suchten. In diesem Falle werden Sie hoffent ich mit der 
Wohrheit nicht zurückhalten. Haben Sie dem Beamten Widerstand 
auf d'e angegebene Weise entgegengesetzt?“ — Angekl.: „Rumjelegt 
habe ick mir ja, det stimmt schon; aber man nich vor Widerstand, 
sondern man blos vor Müdigkeit, wie denn überhaupt in's Nieder⸗ 
legen nie nich Widersltand jefunden werden kann. Wenn man 
nämlich liegen duht, denn steht man nich, un Widerstand heeßt uf 
deutsch so dille wie stehen bleiben und nich mitkommen in's Polizei- 
revier.“ — Vors.: „Lassen Sie derartige Deduktionen bei Seite 
und antworten Sie kurz auf meine Frage, ob Sie Sich auf Grund 
der erhobenen Anklage schuldig bekennen?“ — Angekl.: „Na, det 
sollle mir passen; ick, janz unschuldig, soll mir alleene so rinn' 
legen? Niemals!“ — In Folze der nun Stait fiadenden Beweis⸗ 
aufnahme wurde der Vorgang in der oben beschriebenen Weise er⸗ 
wiesen. Es stellte sich aber außerdem noch heraus, daß der Ange⸗ 
klagte bei Begehung der That stark angetrunken war. In Rücksicht 
hierauf und in Erwägung der seitherigen Unbescholtenheit des An⸗ 
geklagten beantragte der öffentliche Ankläger eine 141ägige Gefäng⸗ 
nißstrafe, welche indessen durch die erlittene Untersuchungshaft für 
verbüßt zu erachten auheimgestellt wurde, welchem Antraze der Ge— 
richtshof durchweg beitrat. 
Paris, 28. Juli. Be'm großen inkernalionalen Schach⸗ 
Turnier hat der Deutsche Zuchertort den ersten Preis gewonnen. 
7 Paris, 30. Juli. „Temps“ meldet, daß die Bank von 
Frankreich beschlossen habe, ihre gegenwärtigen Noten durch neue zu 
ersetzen, die fast unmöglich nabzumachen und leichter zu controliren 
wuͤren. 
F Die „Südd. Pr.“ stellt in Folgendem die durch den Ver⸗ 
traz von Berlin geschaffenen Gebietsveränderungen zu⸗ 
ijammen: Die europässche Türkei hat große Verluste erlitten und 
sst von ihten 6817 Quadrat⸗-Meilen auf 3867, von 10 Millionen 
Finwohrern uuf 6 Millionen herabesuaken. Dabei ist das 
künftig unter einem christlichen Sktatthalter autonome Ost-Rumelien 
mit 630 O.M. und 1 Million Einwohnern der Türkei zugerechnet, 
der Verlust der Oberhoheit über Rumänien und Serbien nicht in Anschlag 
gebracht worden. Das nene Fürstenthum Bulgarien darf trotz der Unter⸗ 
stelling unter den Sullan der eigentlichen Türkei nicht mehr zug⸗ 
rechnet werden; es umfaßt 1150 O.⸗M. mit 1,700,000 Ein— 
wohnern. Unter den letzteren befiaden sich nicht weniger als 
680,000 also 40 pCt. ohamedaner. Geringer ist die mohame⸗ 
danische Minderheit in dem 1 Million zählenden Ost Ramelien znit 
etwa 270,000 Glaubenkangehösigen. Rumänien ist souverän ge⸗ 
worden und von 2201 OQ.V. mit 5,073,000 Einwohnern auf 
etwa 2290 O.⸗“M. mit 5,110,000 Einwohnern vergrößert 
worden. Es hat Bessarabien mit 150 O.M. und etwa 
135,000 Einwohnern abgegeben und dafür die Dodrudfcha 
mit eiwa 240 Q.⸗M. und 175,000 Einwohnern bekommen. 
Besset ist Serbien davongelommen; es hatte bis zum Kriege 
373 O.⸗M. mit 1,3360,000 Einwohnern und lommt jetzi aauf 
993 Q. ˖ M. mit etwa 1,640,000 Einwohnern, hat also 120 
Q.M. und 280,000 Einwohner mehr bekommen, als ihm der 
Frieden von San Stefano zuwies. Endlich Montenegro ist von 
78 O.M. auf 158 Q.M. und von 170,000 Einwohnern auf 
220 000 Einwohner gelommen. Oesterreich occuprt in dem 
nicht an Montenegro abzetretenen Theile von Bosnien 
und der Herzegowina 980 Q.⸗M. mit 1,2250,000 Ein— 
wohnern; unter der Bevölkerung sind 750,000 griechisch⸗