Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
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M 125. Samstag, den 10. August 1878. 
Deutsches Reich. 
München, 5. August. Eine interessantere, dramatischert 
und zahlreicher besuchte Versammlung als die gestrige hat die bayhe⸗ 
rische Haupistadt lange nicht erlebt; sie war einberufen von der 
klerilalen, oder, wie sie sich neuerdinas nennt, von der katholisch⸗ 
bayerischen Partei, von weit über tausend Personen, darunter die 
dälfte der socialdemokratischen Partei aagehörig, befucht und bot, 
das die Reden der Einzelnen und die Aeußerungen der Gefammt⸗ 
Jeit anbelangt, ein so bewegtes Bild, daß man sich füglich nach 
Frankreich versetzt wähnen durfte. Das Ergebniß deeser Wahlver— 
fammlung war, um es nur gleich herauszusagen, die Thatsache, 
bdaß die Soziaudemokraten enischlossen sidd, Mann für Mann für 
den Kandidaten der Klerikalen, Rechtsraih stuppert, bei der Stich⸗ 
wahl einzutreten, wodurch die Wahl Stauffenberg's allerdings 
üußerst gefährdet erscheint. Zuerst sprach Ruppert selbst gegen den 
Militäretat, gegen Ausnahmsgesitze, gegen indirekte Steuern. 
Stärker aber noch als er betonte der zweite Redner, Stadipfarrer 
Dr. Westermayer, die Nothwendigkeit des Sichzusammenschaarens 
zegen den modernen Liberalismus: dieser habe in und um München 
große Sympathieen eingebüßt (große Heiterkeit), selbst das Herz 
von München habe sich gegen ihn erkältet (erneute Heiterkeit), all— 
gemein sei die Abneigung gegen ihn. „Manches“, sazte Wester⸗ 
mayer, haben wir mit der Socialdemokrafie gemein: auch wir 
bekämpfen die durch den Liberalismus verschuldete Verarmung der 
Massen, Verlotterung der Sitten, Verjudung des oͤffentlichen Lebens ꝛc. 
Wenn d'ie Sozialdemokraten für Stauffenberg stimmen würden, so 
würden sie die liberale Mißwirthschaft billigen. Die Liberaleßs sind 
die schlimmsten; alle Revolutionen gingen von ihnen aus, außerhalb 
Deuischlands sind sie alle Republikaner; das Eigenthum der Kirche 
haben sie genommen, aber iher Eigenthum, das Eigen⸗ 
thum des Großkapitals (lang anhaltender Beifalh) beschützen 
sie. Stauffenberg ist einmal gar nicht reichstreu, führte Westermaher 
unter Stürmen von Beifall weiter aus, denn was reichstreu ist, 
kann nur Bismarck difiniren; dieser aber hat vor Siauffenberg's 
Wahl in der offiziösen Presse warnen lassen. Wir, sagte Wester⸗ 
maher weiter, stehen jetzt dei Bismarck in Gunst, die Liberalen 
will er an die Wand drücken, uns cajolitt er; wir aber haben 
seinen Haß nicht gefürchtet, wir hoffen nun auch Nichts von seiner 
diebe.“ Es gab minutenlange Beifallssa'ven für den witzigen und 
gewandten Redner, auch für seinen Nachfolger, Appellrath Kopp, 
der Frhrn. v. Stauffenberg als Bürgermeister und Ministerkandi— 
daten zu verdächtigen suchte, am meisten aber für den Führer der 
Socialdemokraten, Schriftsetzer Kiefer, welcher erklärle, daß alle 
jeine Gesinnungsgenossen Mann für Mann für Rappert flimmen 
würden. Wenig Anklang fand der letzte Redner, Braf Holnstein, 
welcher für den glücklichen Ausgang der Wahl zu beien ersuchte, 
aicht allzuviel Beifall endlich das Hoch des Vorsißenden auf König 
dudwig von Bayern. Vorher haite noch Dr. Sigl in seiner dra⸗ 
dischen Weise für Ruppert gesprochen. (3. 8.) 
Nach der Köln. Zeitung vestätigt sich die Mittheilung der 
Allgem. Ztg., daß die Nationalliberalen bei den Nachwahien in 
Berlin daran denken, den Frhrn. v. Stauffenberg alt 
hren Kandidalen aufzustellen, wenn derselbe, was leider nicht zu 
den Unwahrscheinlichkeiten gehört, in München J bei der Stichwahl 
den vereinigten Ultramontanen und Socialdemokraten unterliegen sollte. 
Nüruberg, 7. August. Zufolge öffentlicher Einladung 
»rrsammelte sich gestern im Saale des „Sächsischen Hofes“ einm 
noßere Anzahl Hausbesitzer zur Besprechung der Frage der Häauser⸗ 
deuer-Einschätzunz. In eingehender Weise wies der Be—⸗ 
aͤrksgerichtsrach Bocke die dem Gesetze zuwiderlaufenden Unzukomm⸗ 
lichkeiten bei der Häusersteuer⸗Einschatzung nach; seine Ausführungen 
wurden nochh in einigen Puukten durch die Rechtsanwälte Beckh und 
Dr. Pemsel ergänzt. Schließlich einigle die Versammlung sich dahin, Ausland. 
mn das Ministerium eine Denkschrift abzusenden, in welher gebeten Teplhich, 7, August. Die Kaiser Wilhelm und Franz Joseph 
pird, „die Vorschriften zu prüfen, nach welcher die Revifion der find heute zusammengekommen; sie umarmlen und küßlen sig be 
—A Oberaufsichtswegen abzu⸗ihrer Begrüßung. 
indern und inzwischen die vorläufige Einftellung des compromißge⸗ 5 Deim „P. Li.“ wird aus Panesovba, 4. Aug., gemeldet: 
achtlichen Verfahrens anzuordnen, serner jene Schahungen, welche „Gestern Abend und heute früh wurde vom serbischen üfer guf di— 
»das Compromißgericht seit dem 22. Juli vorgenommen hat, zu 
cassiren und das Compromißgericht nach den revidirten Instructionen 
seine Thätigleit auf's Neue beginnen zu lassen.“ (Fr. K.) 
Berlin, 6. August. Ein gan; besonders königstreuer 
Wahlkreis scheint der Kreis Zullichau Crossen zu sein, in welchem 
der deutscheonservative Amtsralh Uhden als Reichslags⸗Abgeordneter 
hervorgegangen ist. Dort wurden nämlich 50 Stimmen für den 
Kaiser und 9 für den Kronprinzen abgegehen. Die ersteren 50 
mußten, da der Kaiser überhaupt nicht waͤhlbar ist, als „ungiltig“ 
cassiirt werden, die 9 für den Kronprinzeu abgegebenen Stimmen 
wurden dagegen den „ersplitterlen“ zugezhlt. 
Nach der Volkszeitung soll das Staatsministerium sich für 
Vollstreckung des gegen Hodel verhängten Todesurtheils ausgesprochen 
haben. Unter den Befuͤrworten einer Vollstreckung der Todesstrafe 
stehe in erster Reihe Fürst Bismard. 
Berlin, 7. August. Die „Prov. Corr.“ meldet, daß der 
Kronprinz und die Kronprinzessin bei der Vermählung der Prinzessin 
Marie am 24. Augusl den Kaiser und die Kaiserin vertreten werden. 
Der Kronprinz werde mit Rücksicht auf die am 9. Sept. biginnende 
Reichstagssession einen Theil des Monats Sept. in Potsdam verbleiben. 
Berlin, 7. August. Ein längererDie Bedeutung der 
Wahlen“ betitelter Artikel der „Provincial⸗Korrespondenz“ gelangt 
zu folgender Ausführung: Durch die gesammten Wahlen, soweit die 
Bevölkerung von Gesichispunkten der allgemeinen Politik und nicht 
don kirchlichen oder besonderen politischen Zwecken bestimmt worden, 
gehe klar erkennbar die Thatsache hindurch, daß das slaatserhaltende 
Bewußtsein gegenüber kritisch oppositionellen Bestrebungen zu durch⸗ 
ichlagender Geltung gelangi sei, daß fast nirgends eine Veründerung 
nach links, überall nur Veränderungen im Sinne eines engeren 
Unschlusses an die Regierung stattgefunden haben. Es sei h'ernach 
estimmt zu erwarten, daß die Lösung der Aufgabe, welche die erste 
urze Reichstagssession fasi ausschließlich ausfüllen werde, die Fest⸗ 
tellung außerordentlicher Maßregeln gegen die auf Untergrabung 
)er bestehenden Staats⸗ oder Gesellschäftsordnung gerichteten social⸗ 
demokratischen oder kommun stischen Bestrebungen in voller Gemein⸗ 
chaft mit der Mehrheit aus den konserbativen und gemäßigt liberalen 
Elementen erfolgen werde. Die Gemeinsamkeit in Lösung dieser 
Aufgabe werde aauch den Boden für ein weiteres ersprießliches Zu⸗ 
ammenwirken befestigen. Die wichtigsten Grundlagen der Gesetz 
jebung im Norddeutschen Bunde uͤnd im deutschen Reiche selen 
inter ähnlichen Partewerhältnissen zwischen Konservativen und Na— 
ionalliberalen vereinbart worden. Warum solle ein gleich erfolg⸗ 
ceiches Zusammenwuken jetzt nicht möglich seia, angesichts zumal der 
Nothwendigkeit, daß alle auf dem Boden der jetzigen socialen Ord⸗ 
nung stehenden Parteien sich fester aneinanderschließen und mit der 
Regierung zusammenwirken, um Staat und Gesellschaft vor weiterem 
Anwachsen der drohenden Gefahren zu schützen? 
Berlin. Von der hiesigen Behörde ist, wie die „Post“ 
neldet, ein Beamter bereits zum dritten Male nach Wien in kur⸗ 
en Zwischenräumen gesandt worden, um dem Gange einer Unter⸗ 
uchung nahe zu sein, die dort gegen eine Anzahl junger Leute 
ingeleitet worden ist, welche theils in Prag theils in Wien ihr 
Wefen trieben und nichts mehr und nichts weniger bezweckt haben 
ollen, als den Umsturz aller Monarchieen, durch den gewaltfamen 
Tod derschiedener großer Monarchen herbeizuführen, um alsdann 
die Fahne des Umsiutzes und des Schreckens aufzupflanzen. 
Berlin. Der Gerichtsassessot Graf Wilhelm v. Bizmarck, 
Sohn des Fürsten Bismardh, ist in das Reichskanglerami ais Hilfs⸗ 
arbeiter berufen worden. 
In Ber linm werden sich bel der Stichwahl zwischen Zelle 
Gorlschr.) und Fritzsche (socialdem.) die Ultra nontanen des Ab 
stimmens enthalten.