Full text: St. Ingberter Anzeiger

SBi. Ingberler Anzeiger. 
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M 185. Samstag, den 23. November 
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Deutsches Reich. 
Mänchen, 19. Nov. Der Gesetzgebungsausschuß der 
Zammer der Abgeordneten erledigt heute mit Ausnahme der für die 
morgige Sitzung zurückzestellten Abänderungsanträge der Staatste⸗ 
gierung zum Forstgesetze die Artikel 834 —81 des Ausführungsge⸗ 
etzes zur Strafprozeßordnung und damit den Rest des ganzen Ent⸗ 
wurfs in erster Lesung. Actikel 33 — Verfahren bei Anklagen 
zegen Minister — erlitt im Einverständniß mit der Regierung eine 
anerhebliche Modifilation. Den Antrag Dürrschmidt entsprechend 
wurde vorbehaltlich der Redaktion ein durch den neuen Strafprozeß 
zedingtetr Antrag in Bezug auf das Gesez vom 19. Imuat 1872, 
die Abänderung der Gemeindeordnung betr. angenommen. Eine 
mehrstündige Diskussion veranlaßte der Antrag Herz auf Abstrich 
der Artikel 48—56 des Entwurfs — Verfahren bei polizeilichen 
Strafverfügungen —. Der Antrag wurde begründet mit Henweis 
zuf die nach langem Kampfe endlich im Jahre 1861 in Bahyern 
erfolgte Trennung der Rechtspfleze von der Verwaltung, auf das 
allgemein befciedigende prompte Strafverfahren vor dem Einzeln⸗ 
richter in Bayern, auf die Bedenken, welche sich gegeu die Aender⸗ 
anz dieser bewäßrten Prozedur im Zeitpunlt der Einführung eines 
großen, mit dem Besteheuden ohnehin vielfaich aufräumenden Gesetz⸗ 
zebungswerkes geltend machen, auf die Gefahren einer unnöthigen 
Verqaickung der richterlichen Strafgewalt mit der Thätigkeitssphäre 
der Verwaltungsbehörden und auf die voraussichtliche Einbuße der 
etzteren an allgemeinem Vertrauen, welche die von der Regierung 
haen zugedachte Strafbefugniß zur Folge haben würde. Für den 
Antrag Herz traten insbesondere die Pfaälzer Horn und Schmidt 
entschieden ein, während sich die Minister v. Pfeufer und v Fäustle 
dagegen aussprachen, den Beweis der Nolhwendigkeit einer Aenderung 
des bisherigen Systems ober nicht zu erbringen vermochten. Bei 
der Abstimmung wurde der Antrag Herz mit 12 gegen 3 Stimmen 
— Hauck, Stenglein, Volk — angenommen. Die Amendements 
des Abz. Stenglein zu Art. 48 und 50 waren in Folge Dessen 
zegenstandslos. Alle übrigen Artikel gelangten unverändert zur 
Annahme. 
Munchen, 19. Novbr. Se. Maj. der Konig hat dem Kö⸗ 
nig Humbert von Italien auf telegrophischem Wege sein Beileid an 
dem Attentat ausgesprochen und hiermit den Ausdruck wärmster 
GBlüdwusche zur Erreitung aus der Gefahr verbunden. 
München, 20. Nov. Der Gesetßgebungsausschuß der 
sammer der Abgeordneten erledigte heute die zurückgestellten Anträge 
der Staatsregierung einige Abänderungen des Forstgesetzes und des 
cedederten Forstgesetzes für die Pfalz betreffend und hiermit den 
zanzen Ertwurf des Ausführungsgesetzes zur Strafprozeßordnung 
mn eister Brrathung. Es wurden nur wenige rein redaktionelle Ver— 
»esserungen vorgenommen. Zum Referenten wurde der Abg. Steng⸗ 
jein ernannt, welcher mit den Abgg. Herz und Kopp in die Re⸗ 
daltionscommission gewählt wurde die ihre Thätigkeit morgen beqin⸗ 
nen wird. Am Monntag soll die erste Lesung des Ausführungs⸗ 
Besetzes, zum Getichtsverfassungsgeseze ihren Aafang nehmen. — 
Ueber den Tag der Einberufung des Landtags ist von Seite der 
Kegierung noch kein Beschluß gefaßl. 
Nürnberg, 17. Nov. Da mit dem 1. Januar k. J. 
in Folge der Abändeeung der Reichsgewerbeordnung die odligatori⸗ 
che Einführung von Arbeitsbüshern ins Leben tritt, hat die mittel 
tränlische Kreisregierurg den Distriklepolizeibehörden in einer Re⸗ 
zierungs-Entschließung Erläuterungen hierüber gegeben. Da die ins 
Leben tretende Mazregel für Atbeuceber und Abeitaehmer im gan⸗ 
zen Reiche von Wichtigkeit ist, glauden wir, daß die nachstehenden 
Erläuterungen der Regierung von allgemeinem Intereffe sind: 1. 
kines Arbeitsbuches bedücfen die aus der Volkeschne (o. h. der 
zewöhnlichen Werktagsschule mit Ausnahme der Fortbildungs- und 
aͤhnlichen Schulen) entlassenen gewerblichen Arbeiler unter 21 Jah⸗ 
en ohne Unterschied des Geschlechts. Ob die Arbeiter lediglich ais 
Gesellen, Gehülfen, Lebrlinge oder Fabrikarbeiter angenommen sind 
»der nur thatsächlich als solche beschäftigt sind, ob sie von Hand⸗ 
werlern oder von groͤzeren gewerblichen Unternehmern angenommen 
ind, ob sie in deren Behnusung, in Werkstuben, Werkstaälten, Fa⸗ 
1 
driken oder im Freien, insbesondere auf Bauplätze und Bauten ar⸗ 
zeiten, ist unerheblich, Die Arbeiter in Hüttenwerlen und in Bau⸗ 
zoͤfen gehoͤren zu den gewerblichen Arbeitern und sind demnach zur 
FJührung des Arbeitsbuches verpflichtet. 2. Von der Verpflichtung 
ur Führung eines Arbeitsbuches sind ausdrücklich entbunden: a) 
Arbeiter unter 14 Jahren, welche nach Bestimmung des Gesetzes 
ine Arbeitskarte besitzen müssen, b) Gehülfen und Lehrlinge in Apo⸗ 
hetlen und Handelszeschäften. 2. Zu den gewerblichen Arbeitern 
m Sinne des Gesetzes sind unter Anderen nicht zu rechnen und 
ur Führung eines Arbeitsbuches demgemäß nicht verpflichtet: a) 
dinder, welche bei ihren Eltern und für diese und zwar rnicht auf 
Hrund eines Arbeitervertrages mit gewerblichen Arbeiten beschäftigt 
ind, b) Person, die in einem Gesindednstverhättniß stehen, c) die 
nit gewöhnlichen auch außerhalb des Gewerbes vorkommenden 
Urbeiten beschäftigten Tag öhner nund Handarbeiter, d) Personen, 
die in der Stellung von Angestellten (Geschäftsführern, Werkmeistern 
a. dal.) in gewerblichen Betrieben beschäftigt sind. Auch die- 
enigen zur Führung eines Arbeitsbuches verpflichteten Arbeiter, 
velche vor dem J. Januar k. Is. in Beschäftigung getrelen sind, 
jaben sich mit einem Arbeitsbuche zu versehen. 
Bexlin, 19. Novr. In Düsseldorf haben bei der Prüfung 
ür den Einjährig⸗Freiwilligen Militärdienst von den 31 Examinan- 
den nur 3, in Köln von 90 jungen Leuten nur 20 bestanden. 
Unknüpfend an dieses Ergebniß und in Berüchsichtigung der That⸗ 
ache, daß die Mehrzahl dieser jungen Leute dem Kaufmannsstand 
angehörte, ergeht sich die in Brandenburg a. d. H. erscheinende 
Kaufmännische Correspondenz“ in bitteren Klagen über den jetz gen 
rauerigen Stand der kaufmännischen Bildung und knüpft an die, 
in den Handelsstand seldst gerichtete Mahnung, das Uebel nicht 
im sich greifen zu lassen, Vorschläge, wie demselden gesteuert werden 
önnte. Der Artikel verdient der Aufmerksamkeit weiterer Kreise 
mpfoblen zu werden; denn ohne Zweifel ist die unzulängliche 
gildung unseres Kaufmannsstandes ein nicht minder großes Hinder⸗ 
uiß für die Concurrenz mit dem Auslande, wie der —AV 
Technik im deutschen Gewerbe. Der Verfall hier wie dort hat 
ibrigens vielfach dieselbe Veranlassung, und die Schuld vertheilt 
ich ziemlich gleichnäß auf Lehrherrn ünd auf Lehrlinge. Und auf 
zas Lehrlingsberhältn:ß muß man ja immer zurückkommen, wenn 
nan ein Urtheil über die Solidität oder Unsolidität gewerbliche r 
Verhältnisse gewinnen will. Der Zug der Zeit aber geht dahin, 
aß jeder Einzelne so rasch wie mözlich ju einer sogenannten 
Zelbstständigleit gelangen will, resp. herrscht das Verlangen der 
ẽltern oder Vormünder, sich der unmittelbaren und umfassenden 
zücsorge für Kinder oder Pflegebefohlene so bald als moͤglich zu 
ntichlagen. Daher die Bewohnheit, nohh bei sehr großer Jugend, 
ilso mit seht mangelhafter Schülbildung, in das Lehrverhäliniß 
inzutreten, verbunden mit dem Verlangen, dasselbe so senell wie 
nöglich abzuschließen, und auf der anderen Sene die Gewohnheit 
nicht sowohl die Ausbildung des Lehrlings im Auge zu behalten, 
ondern denselben zu allerlei mechanischen Diensten zu verwenden, 
deren Verrichtung mit seinem eigentlichen Beruf nur in einem ganz 
iußerlichen Zusammenhange steht, und dann den „Ausgelernten“ zu 
entlassen, um mit einem andern Lehrling, man tann wohl sagen, 
nas Spiel von Neuem zu deginnen. Gewiß erfordern die gerügten 
lebelstande Abhilfe, gewiß ist das Verlangen nach einer den hohen 
Uufgaben des Standes entsprechenden Bildung des jungen Kauf⸗ 
nannes nur allzu gerechtfertigt; aber wir glauben, daß die „Kaufm. 
Sorrespondenz“ ihren Vorbildungsplan — mit alademischem Ab. 
yluß — nach e'nem zu großariigen und idealen Plan abstedte 
Man darf doch nicht übersehen, daß der laufmännische Beruf in 
ehr viele Branchen zerfällt, und daß ein nach dem angegebenes 
Frzithungs dral ausgebildeter junger Mann nur sehr wenig Comptoirn 
inden wird, welche seine Kennemnisse verwerthen und also ihm ein 
zen Kosten seiner Bildung entsprechendes Acquivalent gewähre, 
öunten. Ader die Ausbildung des Nachwuchses muß obligatorisch 
Jemacht werden für den Lehrling, wie für den Lehrherrn. Und 
zies kann nur geschehen, wenn der Kaufmannsstand dem Beispiel 
der Handwerker solgt, welche in corborativen Bildungen die