Full text: St. Ingberter Anzeiger

Slt. Ingberler Anzeiger. 
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AM 27. Samstag, den 16. Februar 1878. 
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Deutsches Reich. 
München, 13. Febr. Durch die in heutiger Sitzung der 
Abgeordnetenkammer erfolgte Annahme des Gesetzentwurfs bezüglich 
der Taxen ist indirekt auch bereits die Einführung des Malzanf⸗ 
chlags in der Pfalz beschlossen wenn schon die formelle Erledigung 
diefer Angelegenheit erst morgen bei der Berathung des Finanz⸗ 
zesetzes erfolgen wird. Da nun die Einführung des Malzauf⸗ 
chlages in der Pfalz nicht mehr zweifelhaft ist, so haben die pfäl⸗ 
tschen Abgeordneten Vaillant und Louis folgenden Antrag einge⸗ 
reicht: Die Kammer wolle an Se. Maj. den König die Bitte 
stellen, anordnen zu wollen, daß eine Revision des Malzauffchlag⸗ 
zesetzes vom 16. Mai 1868 in der Richtung angeordnet werde, 
daß in Berücksichtigaung der landwirthschaftlichen Interessen beim 
Branntweinbrennereibetriebe eine vollständige Rückvergütung der 
Steuer bei der Ausfuhr stattfinde. 
München, 18. Februar. In der heutigen Sitzung der 
Abgeordnetenkammer wurde der Etat für Reichszwecke im Betrage 
don 19 Million M. ohne Debatte genehmingt und in den Reserve— 
sonds für den Fall etwaiger Erhöhung der Matricularbeiträge die 
Summe von 2650,000 M. eingestellt. Auf eine Anfrage von 
Schels,ob im Falle der Ablehnung der Tabakssteuer das Tabaks— 
monopol eingeführt werden würde, erfolgte keine Antwort von 
Seite des Ministeriums. Freytag äußerte, er befürworte keine an— 
beren Einnahmequellen als die Matricularbeiträge, weil letztere allein 
das Föderativ Princip im Reiche zum Ausdruck brächten. 
Bertlin, 12. Febr. Der Reichstag verwies die Rechts⸗ 
auwaltsordnung an eine Kommission von 21 Mitgliedern und den 
von Schulze Delitzsch beantragten Gesetzectwurf vetreffs der privat— 
rechtlichen Stellung der Erwerbs und Wirthschaftsgenossenschaften, 
an eine Kommission von 14. Bei der Debatte über die Rechts— 
anwaltsordnung begründete der Staatsstkretär Dr. Friedberg die 
Regierungsvorlage und empfahl die mözlichst unveränderte Annahme 
derselben; während die meisten Redner aus der Mitte des Hauses, 
ür die geringere Beschränkung in der Zulassung zur Addotatur 
oder für die Freigebung der Advokatur eintraten. 
Ausland. 
Wien, 13. Febr. Die „Polit. Corr.“ meldet aus Pola: 
Der Commandant des österreichischen Levantegeschwaders, Contread 
niral Barry, ist mit dem Flaggenschiff, der Panzerfregatte Habs⸗ 
purg“ heute nach dem Orient abgegangen. Von weiteren Schiffs— 
ausrüstungen ist nichts bekannt. 
Die Stellung Frankreichs zu der gegernwättigen europäischen 
Verwickelung wird von dem bekannten Pariser Offiziösen der Pol. 
ort. wie solgt gekennzeichnet. Das französsische Kabiuet wünscht 
»or Allem und um jeden Preis, selbst um der Begründung der 
cussischen Herrschaft in Konstantinopel, die rascheste Wiederherstellung 
»es Friedens. Bestimmend für diese Politik ist, geradezn gesagt, 
die Furcht vor Deuischland und der Wunsch, dasselbe in keineriei 
Weise zu verletzen. Von dieser Furcht wird das gegenwärtige sran— 
ssische Mmisterium weit stäcker veherrscht, als alle seine Vorgän—⸗ 
zer. Aus diesem Grunde hat das heutige Frankreich sorgfältig 
jeden Schein einer Annäherung an England dermieden, um in Ber— 
lin auch nint den Schatten eines Verdachtes auskommen zu lassen, 
daß es irgend eine Aktion plane. Der leitende Gedauke seiner 
Polink ist, zu einem intimen Einvernehmen mit Deuischland zu ge— 
angen, um sich so Frieden und Sicherheit zu verschaffen. Graf de 
Saunt Ballier, wecher der Vertraueusmann und spirits rector des 
heutigen Ministeriums ist, hat die Aufgabe übernommen, diesen Ge. 
danken zu verwirklichen. 
Rom, 132. Febr. Die klerikale Voce della Berita bringt 
inen Leuariikel, betifelt ‚das Konklave und der künftige Papst.“ 
Sie sagt: Die Gegner behaupteten, mit Pius staeb dae politische 
Bapstthum und so bleibe nur der allseitige Wunsch, das Konklabe 
rwähle einen liberalen, gemäßigten Papst, der verzöhnlich gegen 
)ie moderne Bildung, dem Grundsatz getreu bleibe: regnum meum 
aon est de hoc mundo. Die Voce ertlätt sodann gegen den 
obigen Wunsch der Liberalen: „wir kennen keinen liberalen Kar⸗ 
zinal im Sinne der Revolutionäre; wohl aber Männer voll Mä⸗ 
zigung im Kollegium. Das Konklave wird zweifelsohne nur einen 
Mann wählen, welcher erleuchteten Verstand, erhabenes Gemüth 
ind Klugheit des Urtheils nicht weniger besitzt, als besonnene 
Mäßigung. Die nöthigen Bedingungen sür ddie Lebensfähigkeit 
eines solchen Papstes seien Unabhängigkeit von staatlicher Gewalt. 
Schließlich aber sagt die Voce: Papsithum und moderne Bildung 
eien unversöhnlich, so lange die latinische Masse erniedrigt wird 
uurch das übermächtige Vororingen der antikatholisch⸗teutonisch sla⸗ 
ischen Gewalt. Aufsehen erregte in allen srreisen die von dem 
Hauptorgan der Jesuiten anerkannte Nothwendigkeit eines gemäßigten, 
esonnenen Papstes. 
London, 12. Febr. „Times“ führt aus, England könne 
zicht zugeben, daß die Fragen wegen Konstantinopel's und der Dar⸗ 
anellen von Rußland allein geordnet würden. De Besorgniß, daß 
dußland die Lösung dieser Fragen selbständig in die Hand nehmen 
volle, habe die Absendung der englischen Flotte zur Folge gehabt. 
Farl Derby hätte Dieß offen eingestehen müssen, statt die schale 
lustede zu gebrauchen, die Eskadre begebe sich nur des Schutzes 
»er Unterthanen wegen nach Konstantinopel. Der Moment sei kri⸗ 
isch. Die Regierung habe gewisse Punkte beeichnet, welche zu 
überschreiten Englaud den Russen nicht gestatten wird. Sollie Ruß⸗ 
and diese Grenze nicht respeltiren, so müsse die Regierung kühn 
ind energisch handeln. Auch „Dailh News? erklärt, daß Konstan— 
inopel nicht russisch werden dürke. Insbesondere müsse sich jedoch 
ẽn,land enischieden zur Wehr sezen, daß der Khedibe sich einen 
neuen Herrn suche, was dieser vielleicht zu thun geneigt sein dürfte. 
Ddaß solche Befürchtungen usbstauchen können, sei der klarste Beweis 
iner schlechten englischen Politik, welche es im krtischen Momente 
gestatiete, daß die orientalische Frage sich dem europaischen Schieds— 
zexichte entzog und in ein russisch türkisches Dulf verwandelte. 
„Standard“ gibt zu, daß England überlistet worden sei, trösten sich 
)amit, Rußland werde einst seine Superklugheit noch bereuen. 
„Morn'ng Post“ führt eine überaus heftige Sprache gegen den 
Schwachkopf Derby, welcher Englands Etzre krompromittirt habe. 
„Wir dürfen jedoch nicht verzweifeln,“ ruft die Morning Post, 
‚und mütssen einen mäßigen Ton anschlagen, bis uns ein zweiter 
Palmerston ersteht.“ (T. N.) 
London, 14. Febr. Der „Daily Telegraph“ meldet: Die 
Britenflotte lief in die Dardanellen am Mutwoch bei Tagesanbruch 
ein. Iyre Ankanft in Konstantinopel wird spärestens heule Morgen 
twartet. 
Vom Kriegsschauplatz. Eine Correspondenz der 
„Daily News“ aus Adrianopel, vom 27. Jan., scholdert die grauen⸗ 
jaften Scenen des Elends, welche der Kiieg auf dem Wege von 
Philippopel nach Hermanli enthüllle, ein 70 Meilen langes Pa⸗ 
soraina von Tod in jeder Form und in seer schrecklichsten Ge— 
talt. „In dieser Gegend hatte sich die Masse der flüchttigen tür— 
ischen Familien gesammelt. Flüchtlinge von der dingegend von 
Blewna bis nach Poailippopel hatten Wochen lang auf diesem Wege 
estredt, den Hafen der Sicherheit vor den Mogskowiten, Konstan⸗ 
iwopel, zu erreichen. Die langen Züne der Flüchtenden hatten 
aAlle Wege des Ruczuges der türkisthen Armee verstopft und den 
Marsch der Truppen verhindert. Seit da Einschließung von 
Plewna und schon früher hatte eine beständige Auswanderung 
üdwärts stattgefunden aus allen Sitädien, welche von den Russen 
»edroht waren, und alle diese Züge hatten sich im Maritzathale 
zufgestaut. In keinem Dorfe sahen wir eine kürk sche Famiue und 
jietzt erkäärte sich das Räthsel, was aus allen muhamedanischen Be⸗ 
wohnern geworden war. Als wir am 23. Jap. Philippopel ver⸗ 
ießen, war das Erste, was uns aufstieß, ein Haufen Lichen tür⸗ 
ischer Soldaten auf dem Wege liegend, von den Rädern der 
»orübergefahrenen Artillerie zermalmt; ein'ge Meilen weiter die 
dörper von Türken und Bulgaren im Schnee. Die sich zuruck 
iehende zürlische Atmee hat oft die Straße verlassen müssen und