Full text: St. Ingberter Anzeiger

Verschmelzung beider Fraktionen zu einer einzigen großen konserbatiben 
Partei wieder in den Vordergrund trete, wird von ihm als sicher 
angenommen. Allein, meint er, die Ausführung dieses Planes dürfte, 
mie im Borjahre auf Schwierigkeiten stoßen. Jener Theil der 
Reichspartei, der dem Vorsitzenden der Centrumsfraklion, Frhrn. zu 
Frankenstein, bei der Wahl zum ersten Vizepräsidenten seine Stimmen 
gegeben, würde gern bereit sein, sich mit den Deutsch-Konservativen 
zu vereinigen. Doch widerstrebt eine große Minderheit der Reichs⸗ 
partei unser der Führung des Grafen Bethusy deser Koalition, 
und zwar vornehmlich wegen Bedenken auf dem lirchenpolitischen 
Gebiete, wie sich Das ja auch schon bei der Wahl des 1. Vize⸗ 
präsidenten herausstellte. Ist daher an eine vollständige Fusion der 
tonservativen Gruppen für's Erste auch nicht zu denlen, so ist doch 
der bevorstehendenden gemeinschaftlichen Konferenz am 13. Juni um 
deßwillen besondere Bedeutung beizulegen, da dort der Schlachtplan 
nicht allein für die beborstehenden Wahlen zum preußischen Abge⸗ 
ordnetenhause, soudern auch für die etwaigen Wahlen zu den ein⸗ 
zelnen deutschen Landesvertretungen entworfen werden soll. Es 
gilt, eine Cooperation aller konserpativen Nuancen gegen die Libe⸗ 
ralen in's Werk zu setzen. Die Konservativen glauben, daß jetzt 
die Zeit gekommen, um sich eine Mehrheit in den gesetzgebenden 
Versammlungen schaffen und das Werk der Rückrebidirung der 
liberalen“ Gesetzesära mit allen Kräften beginnen zu könuen. Der 
Unterstühung der Regierungen sind ja die Herren sicher. 
Am nächsten Sonntag den 15. wird, wie die F. Z. schreibt, 
in Frankfurt a. M. eine Versammlung Frankfurter und aus⸗ 
wärtiger Tabak-Interessenten ftatifinden, „welche den Zweck hat, 
Aber das Vorzehen des in Kassel gewählten Ausschusses von Han⸗ 
delskammern in der Tabalsteuerfrage einen Meinungsaustaufch her⸗ 
vorzurufen und über Mittel zu berathen, durch welche die Inte⸗ 
refssen der Mittel- und Klein⸗-Industriellen besser gewahrt werden 
können, als es bis jetzzt von gewissen Besitzern großer Massen im⸗ 
vportirten Tabaks geschehen ist.“ 
Ausland. 
Paris, 9. Juni. Die framösische Regierung erklärt in 
den Motiven der Vorlage über provisorische Verlängerung der 
Handelsverträge, sie werde nur denjenigen Staaten eine Verlänger⸗ 
ung gewähren, welche ihrerseits auch Frankreich im provisorischen 
Fortgenusse der bisherigen Begünstigungen belassen. — Die Ic⸗ 
suiten haben gegenwärtig in Frankteich 60 Institute; die Anzahl 
der in Frankreich lebenden Jesuiten beträgt 1500. 
Paris, 10. Juni. Das Getode in der heutigen Kammer 
war, nachdem der Schluß der Debatte, der aber später für auf⸗ 
gehohen erklärt wurde, ausgesprochen worden, ein so furchtbares, 
daß jeden Augenblick eine Schlägerei erwartet wurde, da eine große 
Anzahl von Deputirten von ihren Sitzen herabgestiegen war und 
sich gegenseitig bedrohte. Die Bonapartisten und Klerikalen riefen 
den Ministera zu: „Feiglinge!“ „Fälscher!“ „Verfaultes Kabi 
net!“ Mehrere Republikaner antworteten nicht weniger lebhaft, und 
der Quastor Margaine hatte nicht geringe Mühe, einen Zusam⸗ 
menstoß zu verhindern. Gambetta war nicht mehr Herr der Lage 
und beschränkte sich darauf, die Stenographen aufzufordern, „Nichts 
von diesen standalösen Scenen zu melden.“ 
Frankreich konzentritt zunächst seine Anstrengungen auf Griechen⸗ 
land und dessen Forderungen an die Türkei. So richlete der 
französische Geschäfisträger gestern an die griechische Regierung das 
Ersuchen, neue Kommessarien zur Wiederaufnahme der Verhandlun en 
mit der Pforte bezüglich der Grenzfeststellung zu ernennen. Die 
griechische Regierung hat eine baldige Rückäußerung zugesagt. — 
Aber unterdessen hat Frankreich in Algier alle Hände voll zu thun. 
Aus Algier wird nämlich gemeldet, daß der von zwei Kompagnien 
Chasseurs und einer Esladron Spahis vertheidigte Posten Redaa 
am Montag früh von emem etwa tausend Mann zählenden Insur—⸗ 
centenhaufen angegriffen wurde. Die Insurgenten wurden zurück⸗ 
geschlagen, verloren 50 Mann an Todten und wurden von den 
Spahis versolgt. Aber man sieht, daß der Ausstand durchaus nicht 
so keicht zu nehmen ist, wie man anfänglich in Paris Willens war. 
London, 10. Juni. Die meisten Morgendlätter widmen 
der goldenen Hochzeitsfelser des deutschen Koiserpaares Leitartikel, 
welche rühmend die Herrschertugenden des Kaisers hervorheben. 
Die ,Times“ schreibt: Das deutsche Volk habe guten Grund, den 
Kaifer zu ehren, welcher sich um Deutschland so hoch verdient ge⸗ 
macht und die auf ihn gesetzten höchsten Erwartungen mehr als 
übertroffen habe. Der Kaiser stehe hocherhaben über den Parteien 
als ein mit Recht von dem ganzen Volke hocverehrter und be⸗ 
wunderter Hertscher. 
Mantua, 10. Juni. Die Ueberschwemmung in Folge 
des Durchbruches von Dammen richtet in der Provinz Mantua 
ungeheuren Schaden an. Zwischen Revere und Sermide wurden 
weitere 12 Kommunen plötziich und zur Nachtzeit von den Fluthen 
überrascht, so daß die Einwohner sich kaum noch auf die Dämme 
retten konnten, woselbst auch die Gemeinde⸗-Vörstehun gen lampiren. 
Die dem Kinsturze nahen Häuser, das ertrunkene Bich und de, 
ruinirten Eigenthümer bicken ein Bild des Jammers dat. Den— 
noch herrscht in Folge der von den Behörden getroffenen Fürsorge 
iberall vollständige Ordnung. 
Rom, 11. Juni. Der Papst und Kardinal Nina 
jaben den Kaiser Wilhelm anläßlich der Feier seiner goldenen 
Zochzeit beglückwünscht. Die betreffenden Devpeschen machen keinerlei 
Anspielung auf Poluik. J 
—AVV 
ands leichter, als es für ihn vortheilhaft ist. Er hat keine rechte 
Vorstellung von der Bedeutung des geeinten deutschen Reichss. Im 
Journal des Debats wird darüber erzäblt: „Was spricht man unz 
yon den Deuischen?“ sagte der frühere Finanzminister des Khedive, 
der unglückliche Jemoael Sadyt, „es ist möglich, daß die Deulschen 
in Europa gewaltige Kriegsmänner sind, was geht das aber unsß 
Egrpter an? Ich kenne nur die Nationen, welche Geld haben; nun 
jabe ich aber wohl schon oft französisches und englisches, aber noch 
niemals deutsches Geld gesehen.“ Der Khedive denkt ziemlich ebenso; 
r urtheilt über die Macht eines Vollkes nicht nach der Zahl der 
Soldaten, die es ins Feld stellen, sondern nach der Zahl der Zeich⸗ 
ungen, die es auf eine Anleihe machen klann. Wenn indessen die 
Initiative Deutschlands, wie es den Anschein hat, zu einer gemein⸗ 
amen europäischen Pression führen wird, so dürfte er seinis Irr⸗ 
hums bald genug gewahr werden. Daß er den Sultan gebeten 
jaben soll, ihn gegen Deutschland in Schutz zu nehmen, klingt wenig 
slaubhaft; wenn es aber wahr ist, so hat der Schlaukopf eine 
nerkwürdige Albernheit begangen. 
Vermischtes. 
I51 St. Ingbert, 13. Juni. Des Kaisers Jubelfeft, seine 
‚goldene Hochzeit“, ist nun auch in unserer Stadt, wenn auch ohne 
veitere Vorbereitung, doch in sehr schöner Weise gefeiert worden. 
Das Gartenfest bei Emrich war stark besucht. Die mit Fahnen, 
taiserbildern, Transpatent ꝛc. reichgeschmück:e Baumanlage sah 
mehrere Hundert Gäste, die sich sämmtlich der besten Stimmung 
rxfreuten. Die Stimmung war eine Abspiegelung des Wetters: 
der Himmel hatte halt wieder das richtige ,Kaiferwetter“ gesandt. 
Dazu trug schon von 4 Uhr ab die ganze Berglapelle zäahlreiche 
ind schöne Musikstücke vor, zwischen welchen später die Sänger 
)es Musikvereins und des Arbeiterbildungsvereins mehrere Gesänge 
ertönen ließen. Der Feststimmung wurden Worle ver liehen durch 
den Herrn Obereinfahrer Ktamer. In kurjer, gedrungener An⸗ 
prache hob er hervor, wie selten es unter den Sterblichen im All⸗ 
semeinen einem Ehepaar gegöant ist, die lange Zeit von 50 Jahren 
sinducch die Lebensbahn gemeinsam zu durchschreiten; wie das 
Blück, einen solchen Jubeitag zu erleben, vor unsern Augen eben 
inem Kaiserpaare, und zwar unserm Kaiserpaare zu Theil 
vird; wie aber auch beide Gefeierten sowohl als Fürsten, wie als 
Batten und als Eltern das Bild eines würd'gen, pflichtgetreuen, 
ines Musterpaares darbieten, das in hohem Grade die Segens⸗ 
vünsche verdient, die ihm heute vom deutschen Volke dargebracht 
verden. Wie diese Worte rom Herzen kamen, so gingen fie auch 
vieder zu den Herzen und fanden in begeistertem, dreimaligem Hoch 
inen mächtigen Wiederhall. Die Unterhaliung währte dis Mil⸗ 
ernacht und die Gäste trugen die Erinnerung an einen wohlge⸗ 
ungenen, schoͤnen Hochzeitsfefsttag mit sich zur Ruhe. — Auch die 
Besellschaft Harmonie feierte den hohen Tag in ihrem Kreise, und 
vohl mit denselben Gefühlen der Festfreude; denn ebenfalls erst 
Viternaht mahnte die Theilnehmer zum Aufbruch. Der vom 
hetrn Subrector Barnikel gebrachte Toast lautete ungefähr so: 
Verehrte Gesellschaft! Der heutige Tag kann nicht vorüber⸗ 
jehen, ohne daß wir der Feier gedenken, welche uns heute hier zu 
jersammeln freudigen Anlaß gegeben hat. 
Das deutsche Kaiserpaar begeht heute ein seltenes Fest, das 
Fest der goldenen Hochzeit. Goldene Hochzeit eines Kaiserpaates 
vie unendlich selten! Goldene Hochzeit Unseres Kaisers. wie tief 
argreifend. 
Wie wallt heute in uns und in der Brust jedes Deuischen so 
mächtig auf das patriotische Gefühl, das Gefsühl der Liebe und 
VBerehrung, welches unser Karser durch feine persönlichen Eigenschaften 
ind durch Alles das, was er uns Gtoßes und Echabenes errungen 
zat, hervorruf und'kräftigte und stärklte. 
Dem tiefften Grunde unseres Herzens entquellen die Glück und 
Segenswünsche, welche wir heute dem allverehttesten Jubelpaar ent⸗ 
zegenbringen. Möze das kaiserliche Jubelehepaar noch lange Jahre 
»en glücklchstett Eheßund genießen! Moöge unser Karser noch lange 
Zeit in der Fülle körperlicher u. geistiger Kraft u. Frische bleiben, 
'owie er heuse dasteht, ein strahlend Vorbild deuischer Heldenkraft. 
So fordere ich Sie auf, mit mir einzustimmen im den Ruf: 
Seine Majestät unser Kaiser, Ihre Majestät unfere Kaiserin, 
das erlauchte Iunbelpaar lebe hechh! — — — 
— Im Ganjen darf St. Ingbert mit Genugthuung auf die⸗ 
'es Kaiserfest zurückblicen. Nicht nur waren die svestpläte starlk 
hesucht, sondern ouch die Straßen pranglen in reichem Flaggen⸗ 
chmuck, so daß sich die Häuser einiger belanntlich verbissenen Re⸗ 
nitenten jämmerlich genug auszeichneten.