Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Nnzeiger. 
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M 121. 
Samstag den 2. August 
cBWg. 
Deutsches Reich. 
Mänchen, 30. Juli. Die Kammer der Reichstäthe hat 
einstimmig nachfolgende Gefetze genehmigt: betreffend die Ertjcheid⸗ 
ung von Kompetenzkonfliklten, die Ausgaben für den Verwaltungs⸗ 
gerichtshof pro letztes Quattal 1879, die Umwandlung der 4*/ pro⸗ 
jentigen Eisenbahnschuld in eine 4 prozentige und den Nachtragsetat 
des Justiz Ministeriums. 
Wie man sich erinnert, sseht Dentschland mit Frankreich in 
leinem eigentlichen Handels vertragsverhältniß, sondern gen'eßt nur 
die eigentlichen Voriheile der meistbegünstigten Nation kraft des 
Frankfurter Friedens, so daß uns alle Zugeständn'sse, welche Frank⸗ 
reich künftighin irgend einem anderen Staate macht, selbstverständ⸗ 
lich mit zu Gute kommen. 
Metz, 29. Juli. Der Tag der Ankunft des Kaisers in 
Meß ist nunmehr endgültig auf den 24. September festgeseßt wor⸗ 
den. Der Kaiser wird die Truppen der 16. Tivision,, welche 
pährend des Kaiser⸗Manövers die hiesige Besatzung dilden werden, 
vor ihrem Abrücken in ihre Garnisonen in der Parade sehen. 
Die Anordnungen für die Parade müssen dahin getroffen werden, 
daß dieselbe Nachmittags 3 Uhr beendet sein kann. Zur 16. 
Division gehören die Rheinischen Infanterle-Regimenter Nr. 29, 
30, 69 und 70, das Rheinische JägereBataillon Nr. 8, das West⸗ 
fälische Dragoner⸗ Regiment Nr. 7. und das Rheinische Husaren⸗ 
Regiment Nr. 9. 
Schöffengerichten hat der Amisrichter den Vorsitz, eröffnet und leitet die Ver⸗ 
andlung, verhört den Angellagten und die Zeugen und verkündet das Ur⸗ 
heil; während die Schöffen in gleichem Maß das Richteramt ausüben, er⸗ 
änzende und zur Aufklärung dienende Zwischenfragen thun und bei der 
losummung gleiches Stimmrecht wie der Amtsrichter haben. Wäbrend die⸗ 
er sich das Urtheil auf Grund seiner erworbenen Rechtskenntniß und seiner 
zraktischen Erfahrung bildet, sollen die Schoöfftu aus ihrem Rechtsgefühl, aus 
hrem Rechtsbewußtsein heraus und, da sie haͤufig Gemeindegenossen des An⸗ 
eschuldigten sein werden, aus ihrer Personen⸗, Sach⸗ und Ortskenntniß den 
„chuldigen treffen, den Unschuldigen aber frei lassen. 
Da das Schöffenamt ein Ehrenamt ist, so giebt es Personen, welche 
infähig find, dasjselbe zu bekleiden. Dahin gehören alle, welchen die Fähig- 
eii, osentliche Aemter zu bekleiden, oder die bürgerlichen Ehrenrechte durch 
ichteriiches Urtheil aberkannt sind, oder gegen welche das Hauptverfahren 
vegen eines Verbrechens oder Bergehens eroͤffnet ist, daß die Aberlennung 
er bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur B.kleidung öffentlicher 
Lemter zur Folge haben kann; ferner diejenigen Personen, welche in Folae 
erichtlicher Anotdnung über ihr Vermögen zu verfügen beschränlt sind. An⸗ 
ere Personen sind zu diesem Amt nicht geeignet und sollen daher zu dem⸗ 
elben nicht berufen werden. Dahin gehöͤren Personen, welche das 30. Le⸗ 
ensjahr noch nicht zuruckgelegt haben oder noch nicht zwei volle Jahre ihren 
Vohnsitz in der Gemeinde haben: ferner solche, welche Armenunterstützung 
us öffentlichen Mitteln empfangen, oder mit geistigen oder körperlichen Ge⸗ 
rechen behaftet find; endlich Sienstboten. Einize sollen zum Amt eines 
zchoͤffen nicht berufen werden weil sie schon andere öͤffentliche Aemter be⸗ 
leiden, so alle Rechts-⸗ und Staatsbeamte vom Minister an bis zum Volks⸗ 
hullehrer und den Militärpersonen. Endlich können gewisse Personen das 
imt eines Schöffen ablehnen, so die Mitgilieder geseßgebender Versamm⸗ 
ungen; Personen, die im letzien Geschäftsjahr bereits Geschworene oder 
Zchoöffen gewesen find; Aerzte; Apotheker, wenn sie keine Gehilfen haben; 
Hreise, vom 65. Lebensjahr an; endlich Personen, welche glaubhaft machen, 
aß sie den mit der Ausubung des Amts verbundenen Aufwand zu tragen 
nicht im Stande sind. 
Die Urlisten werden alljährlich aufgestellt und eine Woche lang in der 
zemeinde zu Jedermanns Einsicht ausgelegt. Die Einsprachen gegen die 
irliste können schriftlich eingesandt, oder beim Genteindevorsteher zu Protokoll 
rtlärt werden. Ueber die Urlisten und die dagegen erhobenen Einsprachen, 
zelche von dem Gemeindevorsteher an den Amtsrichter des Bezirks eingesandt 
ind dort zufammengestellt werden entscheidet ein Ausschuß, der alljährlich 
asammentritt und aus dem Amisrichter, einem Verwaltungsbea mten und 
leben Vertrauensmännern aus dem Amisgerichtsbezirk als Beisitzern besteht. 
dach diesen Entscheidungen wird die Urliste berichtigt und aus derselben die 
on der Landesjuftizverwaltung für jedes Amtsgericht festgesetzte Anzahl der 
Zchöffen gewähit. Die Ramen derselben werden in eine besondere Jahres 
ste eingeiragen. Die Anzahl der Schöffen ist für jeden Amtsgerichtsbezirk 
dbemessen, daß Jeder hoͤchstens zu fünf ordentlichen Sitzungstagen im 
jahre herangezogen wird. Vie Reihenfolge wird durchs Loos bestimnt und 
ie Sitzungstage für jedes Jahr vorher bekannt gemacht. Die Schöffen wer⸗ 
len bei ihrer ersten Dienstleistung fur die Dauer des Gejchäfisjahres vereidet. 
Zwar nicht sogleich, aber im Laufe der Zeit wird sich bei den Schöffen⸗ 
zerichten eine jeste, constante Praxis bilden, und man wird wieder von einer 
iten Gewohnheit des Urtheilens sprechen können, von einem Rechtserzeugniß, 
velches sich nut in den alien Vollsgerichten und Volksrechten, aber nicht bei 
en gelehrten Richtern und der Advokatenpracis findet. Die Meinung der 
eßzteten ist aus allzu großer Wissenschaftlichkeit stets schwankend. Mit der 
dechtsübung wird das Rechtsbewußtsein, welches durch die Gelehrtenbildung 
uruckgedräugt war, im Vollke wieder erwachen und der Schöffendienst wieder 
u einem seloͤstverständlichen Recht eines jeden Bürgers werden. wie er dies 
m Mittelalter gewesen ist. 
In den frühesten Zeiten Deuischlands urtheilte die ganze Gemeinde, 
häter in deren Vertretung Einzeine, welche vom Könige ernaunt wurden. 
Anfangs wurden fie fur jede Sizung aus der anwesenden Gemeinde ge⸗ 
vählt, seit Karl dem Grotzen wurden sie zu ständigen Urtheilsfindern er⸗ 
annt, so daß die Gemeiude gar nicht mehr zu Gericht zu kommen brauchte, 
bgleich es in der Regel geschah. Vie aligermanische Weise unterschied das 
Gericht halten“ und dasz Urtheil finden“. Der Beamte des Königs, der 
dichier, hatte das Gericht zu ha ien, d. h. den Vorsitz im Gericht zu führen, 
b zu eröffnen, das ganze Verfahren bis zun Vollzuge des gesprochenen Ur⸗ 
heils zu leiten, die Schöffen um das Recht oder Urtheil zu fragen, es zu 
erkünden und die Sitzung zu schlietzen. Das Urtheil durfte er aber nicht 
elbsi finden, auch nicht das defundene Urtheil schelten. Die Schoöffen muß⸗ 
en ihm vielmehr das Recht weisen. Die Gemeinde, welche außer den 
zchöffen noch zum Gericht kam, nannte man „den Umstand“, weil sie außer⸗ 
alb des durch Pfähle eingehegten Gerichtsplatzes, des Gerichtsbildeß (extra 
iguram judicii oder extra cepta judicialia, außerhalb der Gerichtspfähle) 
mherstanden, während die Schöffen und der Richter auf ihren Bänken in⸗ 
zerhalb derselben saßen. 
Dieser Umstand⸗ hatte das Recht, das von den Schöffen gefundene 
Artheil zu beftätigen oder zu schelten, es zu verwerfen. Auch durjte der 
dichter die außerhalb der Gerichisbänle flehenden Leute um das Urtheil fra⸗ 
en, und dies muͤßte geschehen, wenn was zuweilen auch vockam, in der 
zihung keine Schöffen anwesend waren. Jeder um das Urtheil gesragte 
zürger war zum Finden des Urtheils verpflichtet; wer sich weigerte, wurde 
estraft. Sie durflen sich zuvor mit anderen Vürgern berathen oder ander⸗ 
ariz Rai holen. Wer tkein Recht finden donnte, mußte es beschweren 
Ausland. 
In Frankreich rüsten sich die Republilaner zu einer 
zroßen Demoustration, welche nächsten Sonntag in Naney bei der 
Tnthüllung der Statue von Adolphe Thiers stattfinden soll. Frei⸗ 
lich hut Gambetta den Anttag abgelehnt, bei dieser Gelegenheit die 
Festrede zu halten. „Nancy“, soll er gesagt haben, „liegt mir zu 
nahe an der Grenze, da könnte ich mich vielleicht nicht enthalten, 
ungereimtes Zeug zu schwatzen.“ Und so wird denn Jules Simon 
m Namen der Frau Thiers das Wort ergreifen. Letziere reist 
con Donnerstag früh zur Enthüllung des Denkmals ihres Gatten 
nach Nanch ab. Unterwegs wird sie in Toul anhalten, nachdem 
der Gemeindevotstand dieser Stadt sie eingeladen hat. 
London, 30. Juli. Das ‚Reuter'sche Bureau“ meldet 
aus Konsiantinopel von gestern: Sawas Pascha theilte dem bri⸗ 
lischen Botschafter Lahard und dem franzoͤsischen Botschaiter Fournier 
nit, die Pforte sielle die in dem Ferman von 1873 dem Vice⸗ 
»duig von Aegypien zugestandenen Privilegien wieder her und ver⸗ 
lange nur, daß der Khedide alle Verträge der Pfotte zur Ge⸗ 
nehmigung unterbreite. Layard und Fournier verlangen ihrerseits 
die Abfassung des neuen Fermans für den Khed ve in der Act, 
daß der Khedive veirpflichtet sein soll, alle Verträge der Pforte 
nitzuthe:len; der Tribut Aegyptens an die Türktei solle erhöht 
werden; im Falle alle früheren Privilegsen wieder gewährt wür⸗ 
den; Tewfil solle den Tribut herabsetzen löanen. sobald ein ein⸗ 
siges Prud legium versagt werde. 
Burgas, 28. Jali. Gestern haben sich hier die letzten 
tussischen Truppen eingeschifft. Ost Rumelien ist mithin jetzt voll⸗ 
sänd:a von den Russen geiäumt. (A. Z3.) 
Die Schöffengerichte. 
Die wichtigste Neuerung des am 1. October in Kraft tretenden Gerichts⸗ 
erfassungsgesetzes ist die Bildung von Schöffengerichten. Bereits werden von 
den Gemeindebehörden die Urlisien, d. h. die Verzeichnisse der in jeder Ge⸗ 
neinde schoöffenbaren Personen aufgestellt und in nicht mehr ferner Zeit wird 
Diesen und Jenen das aus der Urne springende Loos von der Werktags⸗ 
arbeit hinweg auf den Richterstuhl rufen. Ein weiterer Schritt in der Ent⸗ 
vichelung der Selbstverwaitung wird damit gethan und dem Bucger auf's 
neue in Erinnerung gebracht, daß es außer der häuslichen Sorge auch öffent⸗ 
iche für ihn giebt. Wir wollen daher bei Zeiten auf diese Neuerung auf⸗ 
merksam machen, damit Jedermann vorbereitet sei, wenn ihn an Stelle des 
sachbarn das vielleicht unerwarteie ˖ Loos zuerst trifft. 
Die Schöffengerichte werden bei den Amtsgerichten und für die Amts- 
zerichtsbezirle gebiidet. Den Amisgerichten stehen Einzelrichter vor, welche 
n den ihnen gesetzlich Uberwiesenen dürgerlichen Rechtsfstreitigleiten allein ver⸗ 
vandeln und entscheiden; bei der Verhandlung und Enticheidung der den 
Imtsgerichten geseziich überwiesenen Straffachen ist dagegen der Amtsrichter 
n Gemeinschaft mit zwei Schöffen thätig. In diesen Strafgerichten oder