St. Ingberler Anzeiger.
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1879.
Dienstag, den 2. Dezember
—w40
Der Steuerreformplan des Finanzministers v. Niedel.
In der Samstags ·Sitzung des Abgeordnetenhauses legte Herr
p. Riedel im Allerhöchsten Äufirage dem Hause vor: 1) Gesetzent⸗
wurf über die Einkommensteuer, 2) Gesetzentwurf über die Kapital⸗
rentensteuer, 8) Gesetzentwurf über die Gewerbelieuer und 4) Ge⸗
setzentwurf über einige Abänderungen an den Bestimmungen der
Haus⸗ und Grundsteuer. Durch diese Entwürfe soll die nothwe ndige
Steuerreform eingeleitet werden. Der Minister erinnert an seine
bereits früher dargelegten Grundsätze bezüglich einer Steuerreform
und eroörtert zunächst die Natur der hiet in Betracht kommenden
Steuergattungen. Unserm Steuersystem, wenn überhaupt von solchem
die Rede sein kann, sehlt, daß der Steuerpflichtige nicht in der
richtigen Weise herangezogen werden kann. Eine bloße Rev sion
des Systems würde zu nichts z*führen. Die Einkommensieuer allein
würde ohne Berücksichtigung der anderen Verhaltnisse nicht genügen.
Es fehlt der nöthige sflatisuische Ueberbuck aund außerdem ist die
Durchfühcung außerordentlich schwierig. Besonders würden die
Steuerpflechiigen mit fixem Einkommen ganz unverhälinißmäßig be⸗
nachtheiligt werden. Dazu kommt der Unterjchied zwischen Arbeits⸗
rinkommen und Vermögensrente, letztere wirlt auch bei brperlicher
Schädigung des Besfitzenden fort, ersteres aber hört auf, der Arbeiter
und die Seinigen derlieren dieses Einkommen. Eine besondere Ver⸗
mögenssteuer neben der Einkommensteuet wäre schon eher denkbar.
Aber das würde das schonungsloseste Eindringen in die Vermögens⸗
derhältniffe des Einzelnen bedingen. Es müsse also ein Weg ge⸗
junden werden, auf dem die bestehenden Schaden beseitigt und die
bestehenden Zustande luberhaupt angemessen berücsichtigt werden
tönnen. Durch die Vorlagen wird eine bessere Berücksichtigung der
Steuerfahigkeit des Einzelnen ermöglicht. Das System besteht in
verschiedenen deutschen Staaten, wenn auch in anderer Form und
hat auch in Bayern von 1848 bis 1856 bestanden. Eine Doppel
besteuerung eines Einzelnen ist nicht zu fürchten. Die Wirkungen
einer augemeinen Steuer sind viel andere, als die bea einer blozen
Erhöhung. Redner erörterl das an dem Beispiel eines verschuldeten
Delonomen, dem im ersteren Falle die Schulden abgerechnet würden,
im letzteren Falle aber nicht. Die unterdeß in anderen Staaten
gemachten Erfahrungen sprächen auch für diese Art der Steuerreform.
Bei der neuen Einlommensteuer fei ein Existenzminimum von
500 Mark angenommen. Die Einschätzung solle in zwei Jaslanzen
geschehen. Unter einem Einlommen von 3000 M. ist Niemand
zur Fassion verpflichtet. Bei der Kapilalrentensteuer beträgt der
Steuersotz 8 pCt., auch hier sind fur die Geringeren Erleichterungen
borgesehen. Die Gewerbesteuer berücksichtigt die einschlaͤgige neuere
Bewerbegesetzgebung, sowie zur VDerhütung der Doppelbesteuerung
die Einlommensteuer; desgleichen ist das Betriebslapital berücksichtigi.
Bei den Aktiengesellschaften ist dafüt gesorgt, daß gewisse Kapitalten,
welche man hier und da auf Konto des Vetriebskapilals zu setzen
bersuchte, der Defraudation entzogen werden. (Sehr gut!)
Bei der Haus⸗ und Gewerbsteuer ist darauf Rüdsichi genom⸗
men, daß die Ungleichheit der zu gering veranschlagten Arealsteuer
zu der Mieihsteuer ünftig dermieden wind; bisher hat die Areal⸗
steuer nicht einmal den vierten Theil von dem eingebrocht, was die
Miethsteuer leistet. Gewegung.) Der Grundfieuergesetzen iwurj
enthält nur die Bestimmungen über die Ueberführung aus der Gulden
in die Marlwährung; weiter konnte nicht gegangen werden. Die
betreffenden Klagen könnten höchstens nur durch eine Verminderung
—REL größere Steuerrevidir⸗
ung würde viele Millionen dosten und so den Steuerdruck wieder
dermehren.
Bezuglich der geschäftlichen Seite sei er, Redner, weil entfernt,
eine zu schnelle Berathung der Vorlagen zu empfehien; aber aus
Rücsicht auf verschiedene andere Verhaͤltmisse erachiet er, daß das
haus moͤglichst bald Stellung zu den Vorlagen annehme. Der
Minister weist dann den Vorwurf zurüch, als ob durch die neuen
Vorlagen die Steuerschtaube mihr angezogen werde. Nichts sei
irriger; im Gegentheii sollte nur die Steuerlast gerechter vertheill
werden. Auch die besser Situirlen würden durchaus nicht begün⸗
digt. Daß es der Regierung nicht Ernst wit den Voriagea sei,
freffe wohl nicht zu, denn solche Arbeiten macht wohl Niemand zum
VBergnügen. Dazu sei auch die Arbeit zu undankbuir und unpopu⸗
lär. Die Arbeit wurde gemacht in dem ernsten Bestreben eine
Besserung der Zustände herbeizuführen. Die Vorlagen würden sehr
zur Klärung der Situation beitragen. Der Minister bitlet um
Würdigung und Annahme der Vorlagen.
Deutsches Reich.
Breslbau, 30. Noo. Dem schlesischen Provinzallandtage
ist die offizielle Mittheilung zugegangen, daß es den Wünschen des
Zaisers entsprecben würde, wenn der Landtag die zur Errichtung
iner Stiftung zur Etinnerung an die goldene Hochzeit des Kaisers
'n Aussicht genommenen 400,000 Mart zur Beseitigung des Noth⸗
tandes in Oberschlesien mit verwende.
Ausland.
Edinburg, 80. Nov. Gladstone hat zwei weiteren hier
ibgehaltenen Meetings beigewohnt. In dem einen, welchts von
5000 Personen besucht war, sprach sich Gladstone auf das Schürfste
zegen die Finanzpolitik der Regierung aus, welche er als eine
Ttravagante und unredliche bezeichnete. Die Ausgaben für die
miltärischen Operationen gegen Afghanistan, sowie diejenigen für
die Expedition in Abysfinien seien schlecht veranschlagt und würden
»is nach den Wahlen zum Parlament geheim gehalten. In dem
iuderen von 17. 000 Personen besuchten Meeting erklärte Gladstone
aß der Zeiwunti unmittelbat bevorstehe, wo die türkische Herrschaft
iüber den Balkan aufhören werde. Die Erbschaft dürfe nicht an
stußland, Oesterreich oder England übergehen, jondern an dieje⸗
nigen Völter, welche jene Gegenden dewohnen, dieselben —XV
niemals unter das Joch einer despotischen Macht zurüchfallen. Es
ei Wachsamkeit nothwendig, nicht allein Rußland, sondern auch
Oesterreich gegenüber, welches vielieicht die Absicht hege, die russische
Zubrematie durch die seinige zu ersetzen.
Madrid, 29. Nob. Die Vermählung des Kösnigs mit
der Erzhetzogin Christine hat heute in der glänzend erleuchteten
dirche von Atocha in Gegenwart des diplomatischen Korps und
der Hof und Staatswürdenträger stattgefunden. Der Konig be⸗
rat die Kirche in Begleitung seiner Mutter, der Königin Ifsabella,
ie Erzherzogin Christine wurde von ihrer Muller, der Erzherzogin
ẽlisabeth, geleitet. Die Einsegnung erfolgte durch den in Stell⸗
ꝛertretung des Papstes fungirenden Kardinal, welcher auch die
Traumesse celebrirte.
Konstantinopel, 29. Nov. Die Pforte hat ihren
Vertretern im Auslande heute folgendes Telegramm zugesandt:
Rach authentischen Nachrichten, die der Pforte zugingen, sind die
Berüchte von Moukhiat Pascha's Ermotdung vollständig unbegrundet?
»erselde befindet sich auf dem Marsche nach Gussiinje.
Bermijchtes.
*BZweibrücken, 28. Nov. Die hiesigen Bierbrauer
jaben beschlossen, in Folge des Malzaufschlages den Preis des
Bieres pro Hektoliter vom 1. Dezember an um 1 Mark zu erhöhen.
F Wie uns mitgeiheilt wird, hat in Hainfeld ein sast
erblindeter Mann ausf überraschender Weise seine Sehktaft wieder
rdalten. Bei einer häuslichen Beschäftigung stieß er mit dem
dopf an der Ofen, was indeß keine Verbrennung, sondern eine
lleine blutende Wunde in der Nahe des einen Auges zur Folge
jatte. Augenblicklich hatte der Mann das Gefühl, als sei an der
Jerletzten Stelle ein Aederchen oder Häutchen zerrissen und merlte
t bald zu seiner freudigen Ueberraschung, das seine Auzen wieder
die Sehlraft erlangt hatten. (Gaͤt.)
fSGraf Bismarck von Straßburg, der gegenwärtig
as Gast des Herrn Reichstagsabgeordneten Dr. Buhl (Deidesheim)
n der Pfalz weilt, betheiligte sich am 27. Nov. an einem Jagen
ruf dem Gebiet der Gemeinde Lachen und wird lommenden Samstag
umn ben Treibjagden auf Medcenheimer Bann Theil nehmen.
rNurnberg, 1. Detember. Gestern wurde die Abhall⸗
ung der Landesindustrieausstellung für 1882 am hiesigen Platze
deschlossen. Das Landeslomlio ist gebildet und hat einen Garan⸗
siefonds von zweimalhundertdreißigtausend Mark gezeichnet.