Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

denen einer die Flucht ergkiffen hat. In allen Kirchen ist Dank— 
Jottesdienst und die Stadt auf's Festlichste beflaggt. Die zufällige 
Verspätung des Kaisers mit der Tafel hatte ihren Grund darin 
daß der Kaiser sich zum Empfange des Prinzen von Hessen begeben 
haite. Von der Wachtmannschaft wurden 8 Mann getödtet und 
5 vberwundet. Die Erplosion fand Abends um⸗7 Uhr Statt. 
Die Erbitterung des Volkes anläßlich des Attentates ist außerordent 
lch. Der Kaiser ist ungemein erregt. 
Das Berliner „Tageblatt“ hat ein Privattelegramm aus 
Petersburg erhallen, in welchem behauptet wird, daß die Zahl 
der durch die Explosion Getödteten und Verwundeten bei weitem 
größer sei, als officiell gemeldet wird. Die Mine war unmittelbar 
unter der Hauptwache, welche an diesem Tag bon Mannschaften 
eines finnlaͤndischen Regiments bezogen wurde, angelegt uud mit 
Dynamit und Sprengbaumwolle gefüllt. Die Leitung, von der 
aus die Explosion bewirkt worden, konnte deutlich bis in den inneren 
Hof in einen Keller, wo Feuerungsmaterial aufgespeichert lag, ver— 
olgt werden. Die Verwüstung ist geradezu entsetzlich. Ueberall 
ah man verstümmelte Soldaten und einzelne Gliedmaßen derselben 
herumliegen. Gleich nach der Explosion wurde der Winterpalast 
Zurch Wachen und hauptsächlich durch Officiere, die aus allen Ca⸗ 
ernen und Restaurants herbeiströmien und es sich nicht nehmen 
ließen, den Sicherheitsdienst zuerst persönlich zu versehen, abgesperrt. 
Die Polizeidirection, der Polizeidirector und der Commandant der 
Stadt trafen ein und leiteten die Untersuchung. Eine Abtheilung 
Harde-Pioniere, die durch den Telegraphen herbeigerufen wurde, 
cüumte auf der Schreckensstätte auf. Ein panischer Schrecken ver— 
hreitete sich natürlich im Palast. Der Czar war nur darauf be— 
dacht, seine kranke Gemahlin möglichst zu beruhigen. Man glaubt, 
daß der Palast auch noch an anderen Seiten unterminirt ist. Bis 
jetzt werden nur officielle lückenhafte Nachrichten in der Stadt ver⸗ 
zreitet. Eine starke Kette von Polizeisoldaten hat den Platz vor 
dem Palast abgesperrt und Jeder, der in den Palast hinein will, 
wird, auch wenn er sich legitimirt, mit Escorte dem wachthabenden 
Dfficier zugeführt. Die kaiserliche Familie hat sofort einen anderen 
Theil des Palastes bezogen. 
Einer Peiersburger Correspondenz der „Nat.⸗Ztg.“ zufolge 
soll in die russischen Operationen gegen Achal-Teke in Cen⸗ 
fralasien mit dem herannahenden Frühling ein rascheres Tempo 
ommen. Für die energische Inangriffna hme der Erpedition spreche 
zesonders die Ernennung des Generals Skobele w zum Oberbe— 
fehlshaber, dessen Name für eine schneidige Kriegsführung bürge. 
Skobelew dürfte in Taschkent zu Anfang März eintreffen. Der 
Schwerpunkt der Operation wäre demnach, wie hieraus ersichtlich 
nach dem eigentlichen Turkestan verlegt und fällt im Gegensatz zum 
vorjährigen Feldzug einer Colonne zu, die von Taschkent über 
Buchara gegen Merw, also im Rücken der Achal-Tekinzen operiren 
soll und deren Zahl auf mindestens 20,000 Mann angesetzt werden 
darf. Man darf nun sehr gespannt darauf sein, wie Persien sich 
gegenüber diesem Vorgehen Rußlands verhalten wird. 
Ein englisches Blatt meldet: Die in Kabril gefundenen 
Papiere des Emirs von Afghanistan enthielten einen vollständigen 
Plan für die Invasion Indiens und die Beweise, daß von Ruß 
laͤnd gekaufte Waffen und Material in Kabul hierzu bestimmt waren 
Rußland verpflichtete sich zur Mithilfe bei der Invasion und ver— 
sprach dem Emir von Afghanistan alles Land bis Lahore inclusive 
und sämmtliche Beute. Dieser Plan datirt aus der Zeit der Spann⸗ 
ung zwischen England und Rußland. — 
Vermischtes. 
Am 7. und 8. nächsten Monats hält der in Zweibrücken 
bestehende Verein für Vogelschutz und Geflügelzucht im „Zwei⸗ 
brücker Hof“ daselbst seine zweite Ausstellung, verbunden mit Prä— 
miirung und Verloosung, ab. Berechtigt zur Ausstellung sind auch 
die außer dem Bezirk Zweibrücken wohnenden Mitglieder des Vereins. 
F Vom I. April an sollen in Folge eines auf der Braner— 
versammlung in Zweibrücken gefaßten Beschlusses die Bier— 
preife für die ganze Westpfalz erhöht und die Wirthe veranlaß! 
werden, den halben Liter nicht unter 13 Pf. zu verknufen. 
F Die Feldjagd von Höheinöd, welche bisher um 41M. 
berpachtet war, ertrug bei der letzten Verpachtung 153 M. 
Aus dem Westrich berichtet der „Pf. K.“: Die Lust 
zur Auswanderung nach Amerika mehrt sich: es vergeht keine Woche, 
daß nicht Einer oder der Andere fortgeht; hauptsächlich ist dies der 
Fall in den Kantonen Zweibrücken (hier insbesondere in Dellfeld 
uind dessen Nachbarschaft), Pirmasens, Homburg und Waldmohr. 
Nicht blos ledige, auch verheirathete Leute wandern mit ihren Fa— 
milien aus; manche auch lassen dieselben zurück, um, wenn sie in 
Amerika ihre Rechnung finden, solche nachkommen zu lassen oder 
wenn jenes nicht der Fall sein sollte, wieder nach Deutschland zurüch 
zu reisen. Hauptsächlich sind es Ackerer, die auswandern. 
Eine in Reustadt am Montag abgehaltene Versamm— 
lung pfälzischer Wirthe, welche Tanzmusik halten, beschloß, ein 
hesuch um Verlängerung der Polizeistunde an den Kirchweihmon⸗ 
agen an Se. Mai. den Könia zu richten. Ferner wurde be— 
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schlossen, die k. Kreisregierung um Abänderung der Verfügung zu 
bitten, wonach Bälle und Tanzbelustigungen am Fastnachts-Montag 
und Kirchweih- und Jahrmarkts-Montag nur bis 11 Uhr er— 
laubt sind. — J 
FIn Neustadt hat eine Anzahl Hauseigenthümer einen 
Vermietherverein gegründet. Zweck vesselben ist, in erster Reihe 
die vierteljährigen Termine bei Vermiethung, statt, wie bisher ge— 
bräuchlich, zu Ostern, Johanni, Michaelis und Weihnachten ein⸗ 
treten zu lassen, auf den 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. 
October zu fixiren und dahin zu wirken, daß dies, wie auch ein 
Tagestermin, an welchem nach dem abgelaufenen Vierteljahr bei 
gehöriger vorheriger Kündigung die Wohnung geräumt werden 
nuß, durch einen Localpolizeibeschluß für hier festgesetzt werde. 
Zzweitens sucht derselbe für den Zahlungsmodus bestimmte Normen 
inzuführen, eingerissene Ungehörigkeiten zu beseitigen, säumige 
Miether an die Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu gewöhnen 
überhaupt in den hiesigen Miethverhältnissen Ordnung zu schaffen. 
F Es dürfte kaum in weiteren Kreisen bekannt sein, daß durch 
Quetschen, Beschneiden u. s. w. beschädigte Silbermünzen nicht ver⸗ 
tehrsfähig sind und von der Reichsbank einfach zerschnitten und 
entwertet an den Zahler zurückgegeben werden. Um sich vor Ver—⸗ 
lusten an dem Geldwerte zu schützen, ist deshalb zu empfehlen 
beschüdigte Silbermünzen nicht mehr in Zahlung zu nehmen. 
F Ueber das im Spessart herrschende Elend berichte, 
herr Pfarrer Graf Folgendes: Wir gingen von Haus zu Haus, 
anden im Ganzen zwei Unterbetten, sonst nur Strohsäche, sehr 
häufig mangelhafte Zudecken und Kopfkissen, die Lagerstätten der 
Kinder durchschnittlich erbärmlich, die Schlafstellen theilweise so 
daß es unbegreiflich ist, wie darin ein menschliches Wesen existiren 
kann. Alle Kartoffeln ohne Ausnahme sind erfroren und dürfen 
nach Ausspruch des Arztes nicht mehr genossen werden, weil der 
Typhus die unausbleibliche Folge sei. In Folge dieses Genusses 
iind die Leute zum Theil schon krank, erbrechen sich täglich, sehen 
zanz grün aus, und wäre nicht für andere Nahrung theilweise ge⸗ 
orgt, so wären nach Ausspruch des Arztes schon verbheerende 
trankheiten ausgebrochen. 
* Die von Adele Spitzeder eingelegte Beschwerde gegen ihre 
Berhaftung wurde verworfen. 
FCehrstuhl für eine nagelneue, eigenthümliche Dis— 
ziplin.) Eine Zeitung in Franken meldet mit kindlicher Einfalt 
zie Beförderung eines außerordentlichen Professors für Erdkund— 
zum ordentlichen Professor für Erbsünde. 
F In Bamberg hat der Gastwirth Friedrich Burgis zum 
„Rotihen Hahn“ seine Schwiegermutter erschossen. Auf seine Frau 
zab er einen Schuß ab, ohne zu treffen; sich selbst hat er in den 
Hals geschossen. Dies alles ging in wenigen Augenblicken im 
Wirihzzimmer vor sich. Die Frau entfernte sich aus demselben 
im nach ihrer Mutter, welche sich nach dem erhaltenen Schuß noch 
in ein anderes Zimmer geschleppt hatte, sich umzusehen. Sie fand 
dieselbe todt. Nachdem die Frau das Wirthszimmer, in dem sich 
keine Gäüste befanden, verlassen hatte, erhängie sich Burgis mi 
seinem seidenen Halstuche an der sog. Ofenstange. 
F In einem Dorfe Unterfrankens wurde jüngst ein reicher 
Bauer wegen Meineids verhaftet. Sein Sohn khatte ein Kind 
wegen einiger Beeren mit der Heugabel auf den Arm geschlagen 
und sein Vater wollte ihm heranshelfen. Mit 6 M. Entichädi— 
gung wäre die Sache abgemacht gewesen. 
F Wie in den Jahren 1873 und 1875 wird von München 
ans auch in diesem Jahr eine Pilgerfahrt nach Jerusalem und Rom 
veranstaltet. Die Reise wird am 3. April beginnen, etwa 50 Tage 
dauern und vor dem Fronleichnamsfest beendigt sein. Bei Be— 
nützung der dritten Fahrclasse ist es möglich, troß der etwas' theueren 
Landreise durch Samaria und Galiläa und der Abzweigung von 
Alexandrien nach Kairo mit 1000 bis 1100 M. für die Verson 
die Reisckosten zu decken. 
F Aus Straßburg wird gemeldet: Ein unheimliches Ge— 
rücht durchläuft seit einigen Tagen unsere Stadt, nämlich die Rach— 
richt. daß ein junger Mann von mittlerer Größe, mit schwarzem 
Barte, kleinem Filzhut und einen langen Ueberzieher tragend 
vährend der vorgerückten Abendstunden Mädchen oder Frauen, 
velche ihm auf der Straße begegnen, mit einem dolchartigen Messer 
»der einem Stilet verwundet. Die auf diese Art beigebrachten 
Wunden haben eine Tiefe von 1 bis 2 Centimeter. Der Unbe— 
'annte geht auf seine Opfer rasch zu, stößt sie, wie aus Unvor⸗ 
ichtigkeit, auf Brust oder Rücken an, und ehe die Opfer die ihnen 
beigebrachte Verletzung fühlen, oder spüren, wie das Blut fließt. 
ist der Verbrecher bereits vom Platze der That so weit entfernt 
daß man seiner nicht mehr habhaft werden kann. So wurden 
bis jetzt zwolf Frauenzimmer aus den verschiedensten Ständen ver⸗ 
wundet. Die Polizei giebt sich alle Mühe, dieses Indipiduum— 
habhaft zu werden. 
fReichweiler (Elsaß), 17, Februar. Der Väckermeister 
Anton Fischesser todtete am leßten Sonntag zur Zeit, als die Leut, 
dem Morgengottesdienst in der Kirche beiwohnten, seine Frau dur—