Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

9* . J ngberlker Anzeiger. 
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M. 33. Dounerstag den 26. Februar 1880. 
Deutiches Reich. 
(Bayerischer Landtag.) Die kgl. Staatsregierung hat 
die Wiedereinberufung der Kammern auf den 5. Juli ds. Is. in 
Aussicht genommen. Die Einberufung der Ausschüsse zur Be— 
athung der vier Gesetzentwürfe über die direkten Steuern soll un— 
nittelbar nach dem Schlusse des Reichstages, demnach erst gegen 
ende Mai, erfolgen. 
Der Kaiser spräch bei'm Empfange des Reichstagspräsidiums 
die Hoffnung aus, daß die Reichstagssession gut verlaufen und 
zas Militärgesetz zur Stärkung der Wehrkraft Deutschlands werde 
ingenommen werden. Derselbe äußerte große Betrübniß über die 
datastrophe in Petersburg und fügte hinzu, wie bedauerlich es sei, 
zaß in letzter Zeit so viele Atientate vorgekommen seien. Zur 
Aufrechterhaltung der Ordnung in Deutschland sei die Verlänge⸗ 
ung des Socialistengesetzes nothwendig. 
Die Aussichten der neuen Reichstagssession werden jetzt 
illgemein dahin präzisirt, daß das Reichsmilitärgesetz durch die ver⸗ 
einigten Nationalliberalen und Konservativen zu Stande kommen, 
die Vorlage wegen Verlängerung der Etatsperioden dagegen scheitern 
der zurückgezogen werden wird. Fürst Bismarck soll sich in letzterer 
Zeziehung keine Illusionen mehr machen und auch in die Sache 
ereits gefügt haben. 
Das noch im Laufe der Session an Bundesrath und Reichs— 
ag gelangende Wuchergesetz soll auch zivilrechtliche Bestimmungen 
imifassen und in dieser Beziehung ein Bericht des schlesischen Ober⸗ 
rüsidenten v. Seydewitz über die Ursachen des oberschlesischen Noth- 
tandes von entscheidendem Einflusse gewesen sein. 
Nach Erklärungen der Reichsregierung im Reichstage ist 
ür die nächste Session die Vorlage eines neuen Actiengesetzes zu 
rwarten und sind bereits kommissarische Berathungen zu diesem 
zehufe eingeleitet. 
Nach der „Germania“ sind die Verhandlungen der preußischen 
kegierung mit dem Vatican nicht abgebrochen, aber, fügt sie bei, 
ie Lösung der zahlreichen verwickelten Fragen mache eben viele 
-zchwierigkeiten und dadurch verzögere sich die Sache. Der Be— 
nerkung der „Germania“ ist wohl zu entnehmen, daß die preußische 
degierung gar nicht daran denkt, der Curie Hals über Kopf un⸗ 
cberlegte Zugeständnisse zu machen. 
In Berlin sollen die Verhandlungen über den deutsch⸗ 
sterreichischen Handelsvertrag in der zweiten Hälfte des Monaiß 
Rärz beginnen. 
Deutschland, England und Frankreich haben die 
nurch den Berliner Vertrag gewährleistete Unabhängigkeit Rumü— 
uens offiziell anerkannt. 
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ weist auf die beabsichtigte Anlag 
on Befestigungen an der Westgrenze Rußlands bei Kowno, 
dialystock und Grodno hin. In den maßgebenden Kreisen könne 
hwerlich die Besorgniß vor einem Angriff Deutschlands auf Ruß—⸗ 
and vorhanden sein. Ganz zwedclos würden nicht solche ausge⸗ 
ehnte und kostspielige Festungganlagen unternommen. Der nächste 
zweck derselben dürfte sein, im russischen Volk den Eindruck zu 
nachen, als fürchte man einen Angriff Deutschlands. Gelinge es, 
iese Vorstellung zu erzeugen, so sei es von da bis zu einer feind⸗ 
ichen Erregung gegen den bedrohlichen Nachbar kein weiter Weq 
nehr. Wenn es wahr wäre, daß die russischen Pläne gegen Deutsch-⸗ 
and, als deren Hauptbefbrderer der Kriegsminister Miljutin gelte, 
zur bis dahin aufgeschoben seien, wo Frankreich fertig sei, so koͤnnte 
nan in diesen Befestigungen gegen einen friedlichen Nachbar die 
Vorbereitumg einer gesichetten Basis für einen künftigen Angriffs⸗ 
rieg gegen Deutschland erblicken. Weder Frankreich noch Rußland 
ꝛätten jemals Angriffe von Deutschland erfahren. Die kolossalen 
kuüstungen beider Staaten, welche zwingend auf das übrige Europa 
rückten, konnten dahet nur auf eine agressive Polititk (Angriffs⸗ 
Jolitik) berechnet sein. 
Ausland. 
Mit der Revanche hat es zur Zeit bei den Franzosen nicht 
die mindeste Eile. Das Patiser Blatt, France“ schreibt: Wir 
varten recht gern zehn Jahre länger auf die Revanche. In dieser 
Zeit wird der überwuchernde Militarismus und der immer leerer 
verdende Schatz das Deutsche Reich hinlänglich geschwächt haben. 
Je mehr man Deutschland verarmen und finanziell sich entkräften 
äßt, desto mehr wächsst dort die Socialdemokratie und desto günstiger 
verden die Aussichten für die Revanche.“ 
Das Berliner „Tageblatt“ meldet aus Petersburg: Hier 
ursiren die tollsten Geruchte. Auch will man in der Siadt von 
inem Brief wissen, den der Kaiser nach der Explosion am 20. ds. 
Ubends wiederum in seinem Schlafzimmer gefunden habe, des In⸗ 
jaltz: der Kaiser solle nicht glauben, daß er sich am Jubiläums- 
ag, 2. März, die silberne Krone würde aufsetzen können, wohl 
ber würde Petersburg am Abend des Jubiläumstages eine Illu— 
nination zu sehen bekommen, wie die Residenz sie noch nie erlebt. 
die Bevölkerung fürchtet in Folge dessen Brandstiftungen. Im 
daufe des Tages wurden von der Polizei besondere Vorsichtsmaß⸗ 
ꝛegeln gegen eine Feuersbrunst in Höfen und Häusern anbefohlen. 
In jedem Hofraum müssen große Bütten mit Wasser zum sofortigen 
Hebrauch bereit stehen. 
Die glaubwürdigen Nachrichten aus Petersburg melden 
noch nichts von Reformen, sondern von verstärkten Maßregeln der 
Abwehr und Strenge. Man begreift, daß unter den ersten Ein⸗ 
drücken der schrecklichen That ein neues System sich nicht improvi— 
äüren läßt. Wer aber auf ein solches hofft, hegt nichts weniger 
us feindliche Gefühle für das unglückliche Land und seinen Herrscher. 
Amtlich wird aus Petersburg gemeldet: Die Nachricht 
uswärtiger Blätter über das angebliche Verschwinden der wacht⸗ 
jabenden Officiere bei der Explosion im Winterpalast ist erfunden. 
Alle Officiere und Mannschaften haben ihre Pflicht au'fs gewissen⸗ 
Jafteste erfüllt, wofür der Kaiser selbst dankte. Eben so unbegrün⸗ 
)et ist die Nachricht von einem Unwohlsein des Kaisers. Der 
daiser, welcher vollkommen wohl ist, besuchte heute, im offenen 
Schlitten fahrend, die Pawlow'sche Kriegschule. Bei der Rückfahrt 
geleiteten die Kriegsschüler unter Hurrah den Schlitten bis zur 
Nikolaibrücke. Hier begrüßten die Bassanten den Kaiser ebenfalls 
nit enthusiastischen Zurufen. 
—L—— 
Vermischtes. 
*St. Ingbert, 25. Febr. In der heutigen Schöffen— 
sitzung kamen folgende Fälle zur Aburtheilung: 1) Ein Mann 
von Thalerweiler erhielt wegen Hausfriedensbruch 8 Tage Ge— 
ängniß und wegen Unfugs 8 Tage Haft. 2) Ein Schusterlehr⸗ 
ing von Biesingen wurde wegen Diebstahls zu 4 Tagen Gefäng⸗ 
tiß und wegen Landstreicherei zu 1 Tag Haft verurtheilt. 3) Eine 
Ddienstmagd von Guidesweiler erhielt wegen Diebstahls eine Ge— 
ängnißstrafe von 1 Monat und 8 Tagen. 9) Wegen Beseitigung 
epfändeter Sachen erhielt ein Mann von Rohrbach 3 Tage Ge— 
ingniß. 
In der nächsten Sitzung haben als Schöffen zu erschei— 
sen, die Herren: M. Fuchs, von Heckendalheim und Heinrich 
darren, von Ensheim. 
Der Gesammtumschlag des Vorschußvereins Zweibrücken 
zezifferte sich im Jahre 1879 auf 8,819,991 M. 31 Pf. Der 
Zruttogewinn betrug 26,668 M. 34 Pf. der Reingewinn 18,910 
N. 13 Pf. Den Stammantheilen werden 5 Prozent Dividende 
ewährt; 6, 150 M. werden dem Reservefonds, der um beinahe die 
döhe von 17,000 M. erreicht, zugetheilt; 6,000 M. werden dem 
isher 30,000 M. betragenden Delkredere-Ktonto überwiesen. 
f Untet den dem Reichstag zugegangenen Petitionen befindet 
ich auch eine der Saarbrücker Handel sktammer. Dicselbe bittet 
darin den Reichstag, dahin zu wirken, daß gesetzliche Grundlagen 
ur das Auktionswejen im Engros- und Detail⸗Vertauf geschaifen 
verden. 
f Die Kohlenbteise auf den preußischen Saargruben er—⸗ 
ahren in Folge forwahrender steigender Nachfrage im Eisenbahn⸗ 
ind Kanalabsatz abermals vom 1. März c. ab eine Erhöhung von 
1bis 4 Pfennig pro Centner. 
f Die Steingutfabrik Kaiserslautetn hat im Jahre 1879 
einen Reingewinn von 17,334 M. 87 Pf. gemacht. Davon