Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Slt. Ingberler Anzeiger. 
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M 58. Sonntag den 11. April 
1880. 
Deutsches Reich. g 
Berlin, 6. April. Da es während der jüngsten Zeit nicht 
lelten vorgekommen ist, daß dem Arbeiterstande angehörende, augen⸗ 
scheinlich unbemittern Peanen durch Vorspiegelung ihrer in Amerika 
lebenden Angehörigere zur NAuswanderung dorthin verleitet wurden, 
ist für die zu diesem Zweck beantragte Ausfertigung von Reisepässen 
eine neue Anordnung getroffen worden. Um nämlich den nicht 
allein für die Betheiligten, sondern auch für die deutschen Reichs— 
Consularbehörden beim Eintritte der Hülfsbedürftigkeit der ersteren 
in Amerika entstehenden Weitläufigkeiten entgegenzutreten, ist be⸗ 
stimmt worden, daß Anträge auf Ertheilung von Pässen zur Reise 
nach Amerika nur dann Berücksichtigung finden sollen, wenn der 
den Paß Nachsuchende die erforderlichen Reisemittel nachzuweisen 
im Stande ist. Dieselben sind nach der Aufstellung des Central⸗ 
vereins für deutsche Auswanderungs- und Colonisations-Angelegen⸗ 
heiten für erwachsene Personen auf 240 M. und für noch nicht 
wölfjährige Kinder auf 180 bis 210 M. angenommen worden. 
Wer also nicht durch amtliche Bescheinigung nachweisen kann, daß 
er die nöthigen Reisemittel besitzt, soll künftig keinen Reisepaß zur 
Auswanderung nach Amerika erhalten. 
Berlin, 8. April. Der Kaiser hat das Entlassungsge— 
uch des Fürsten Bismarck mit folgender Cabinetsordre beant⸗ 
wortet: „Auf Ihr Gesuch vom 6. April erwidere Ich Ihnen, daß 
Ich die Schwierigkeiten zwar nicht verkenne, in welche ein Con⸗ 
jlict der Pflichten, welche Ihnen die Reichsverfassung auferlegt, 
Sie mit der Ihnen obliegenden Verantwortlichkeit bringen kann, 
daß Ich Mich aber dadurch nicht bewogen finde, Sie Ihres Amtes 
um deshalb zu entheben, weil Sie glauben, der Ihnen durch die 
Artikel 16 und 17 der Reichsverfassung zugewiesenen Aufgabe in 
einem bestimmten Falle nicht entsprechen zu köͤnnen. Ich muß 
Ihnen vielmehr überlassen, bei Mir und demnächst beim Bundes⸗ 
rath diejenigen Anträge zu stellen, welche eine verfassungsmäßige 
Lösung eines derartigen Conflictes der Pflichten herbeizuführen 
geeignet sind. Berlin, 7. April 1880. Wilhelm. “ 
Berlin, 8. April. Der Reichstag hat heute die erste 
Berathung des Wucher⸗Gesetzentwurfs vorgenommen. Dieser Gesetz⸗ 
entwurf, wie er vom Bundesrath vorgelegt ist, bedroht den Wucher 
mit strafrechtlichet Verfolgung und überläßt dabei dem Ermessen 
des Richters über das, was als Wucher zu betrachten sei, einen 
ziemlich weiten Spielraum. Die conservativen und ultramontanen 
Redner bedauerten, daß der Gesetzentwurf kein Zinsmarimum fest⸗ 
stellt, Schulze⸗Delitzsch äußerte verschiedene Bedenken, von denen er 
iber hofft, daß sie durch Berathung in einer Commission beseitigt 
werden können, weshalb er diese gleich den anderen Rednern em— 
ofiehlt. Der conservative Abg. v. Kleist⸗-Retzow befürwortet under⸗ 
inderte Annahme des Gesetzentwurfs, obwohl ihm dieser noch nicht 
weit genug geht. Als nun abgestimmt werden sollte, ob der Ge⸗ 
setzentwurf an eine Commission zu verweisen sei, stellte es sich heraus, 
daß das Haus nicht beschlußfähig war! 
Dem Verwaltungsberichte der Reichsbank zufolge, hat der 
Vesammtumsatz bei der Reichsbank und allen ihren Anstalten 
Haupt⸗ und Nebenstellen) im vergangenen Jahre 47 13 Milllarden 
hetragen. Es entfielen davon auf Koln 135 Milliarden, Elber— 
seld *, Crefeld 8, Dortmund s8 Düsseldorf */3 Milliarde; 
Aachen 217, Bielefeld 190, Coblenz 162. Minden 15 Mimster 
210. Siegen 80 Miillionen. 
Ausland. 
J Paris, 8. April. Das „Journal des Debats“ schreibt: 
Frankreich hat sich sowohl finanziell wie im Innern hinlänglich 
rholt, um an dem gemeinsamen Zivilisationswert der europäischen 
Nationen wieder theilzunehmen. Das Blatt fordert Frankreich auf, 
in Afrika, Asien und Australien fruchtbare, noch vakante Gebiets— 
theile zu besetzen, welche eines Tages von Wichtigkeit sein könnten. 
Paris, 8. April. Der Erzbischof von Tours und die 
Bischdfe von Mans, Nantes, Angers und Laval richtelen an den 
Prasidenten der Republik Proteste gegen die Märzdecrete, worin sie 
en Präsidenten auffordern, dieselben zurückzuziehen. Proteste von 
inderen Bischöfen stehen in Aussicht. — Bis jetzt haben fieben 
Veneralräthe Wünsche gegen die Märzdecrete beschlossen Die⸗ Be. 
schlüsse werden von der Regierung unverzüglich für nichtig erklärt 
verden. E. 3 
Dermischtes. 
*St. Ingbert, 7. April. In heutiger Schoöffen—⸗ 
itzung kamen folgende Fälle zur Aburtheilung: 1) Eine 
xrau von hier erhielt wegen Gaukelei 1 Tag Haft. 2) Ein 
andwerksbursche erhielt wegen Landstreicherei und Bettelns 60 
Tage Haft. 3) Ein anderer Handwerksbursche wurde wegen Bet⸗ 
elns zu 21 und wegen groben Unfugs zu 8 Tagen Haft ver⸗ 
artheilt. 
* St. Ingbert, 10. April. Der Zweigverein 
des Pensionsbereins „Bavaria“ vertagte in seiner gestern Abend 
tattgehabten Generalversammlung in Anbetracht der schwachen Be⸗ 
heiligung die Neuwahl des Ausschusses bis zu einem späteren 
Termine. Als Delegirter zur Hauptversammlung in München 
vurde Herr J. Dercum, Schreiner, gewählt. 
*— (Vereinsangelegenheiten.) Unsere gestrige Notiz in vor⸗ 
tehendem Betreffe können wir heuie dahin vervollständigen, daß 
ruch den Mitgliedern des „Musikvereins“ für motgen (Sonntag) 
aͤber acht Tage eine musikalisch-theatralische Abendunterhaltung mit 
darauffolgendem Tanze in Aussicht steht. 
F Die erste pfälz. Ausstellung von Lehrlingsarbeiten in 
daiserslautern findet Statt vom 9. bis einschließlich 23. 
Mai (8 Tage vor bis 8 Tage nach Pfingsten). Die Einsendung 
der Ausstellungsgegenstände beginnt am 24. April nächsthin. 
F Bei einer zu Bölheim am 18. März abgehaltenen 
holzversteigerung wurden für 100 Baumpfähle 90 Mark 50 Pf. 
erzielt. 
fF Billigheim, 7. April. Heute wurde dem Bürger⸗ 
neister Hauck von hier, der neulich das Unglück hatte, von seinem 
pferde gebissen zu werden, die Hand abgenommen. Der ungün⸗ 
tige Verlauf der erhaltenen Verletzung wird hauptsächlich dem auf⸗ 
geregten, gleichsam wuthähnlichen Zustande des Pferdes zugeschrie— 
jen, in welchen dasselbe durch vorausgegangene heftige Stochschläge 
jebracht wurde, weil es fich nicht ruhig verhalten wollte. 
7 Frankenthal, 6. April. Jakob Kaufmann und Max 
daufmann, beide Handelsleute von hier, standen unter der An⸗ 
lage der Privaturkundenfälschung in idealet Konkurrenz mit dem 
Vergehen des Betrugs vor Gericht. Ersterer wurde für überführt 
rklärt und zu einer Zuchthausstrafe von 1 Jahr und 5jährigem 
Verluste der Ehrenrechte verurtheilt. Letzterer aber als nicht über⸗ 
ührt freigesprochen. 
F Trier, 7. April. (Ein eigenthümlicher Redalteur.) Geftern 
Vormittag wurde der seit drei Wochen als verantwortlicher Redak⸗ 
eur der „Saar⸗ und Mosel⸗Zig.“ und als „Dr.“ zeichnende Ernst 
diene verhaftet, um heute Morgen nach Schleiz eskortirt zu wer⸗ 
den, wo derselbe noch den Rest einer längeren Gefängnißstrafe, 
die ihm s. Z. wegen Urkundenfälschung zuerkannt worden war, 
ibzubüßen hat. Der Rest dieser Strafe war ihm 1877 im Gna— 
enwege unter der Bedingung erlassen worden, daß er nach Ame⸗ 
rika auswandere und nie wieder in das deutsche Reich zurückehre. 
die romanhafte Vergangenheit des Ernst Kiene besteht aus einer 
angen Reihe von Fälschungen und Schwindeleien. Auf Grund 
ines gefälschten Maturitätszeugnisses erhielt er Zutritt zu den 
dollegien der Universität und auf Grund gefälschter Universitäts⸗ 
jeugnisse erhielt er wiederholt Stellungen als Lehrer an Gymnafien 
und das eine Mal als Direktor einer höheren Bürgerschule. Damit 
noch nicht genug, fälschte er auch, als er im Begriffe stand, sich 
zu verheirathen, seine Zivilstandspapiere. 
f München, 7. April. Der zum Besten der Abgebrannten 
in Donaustauf im Odeonssaal dahier veranstaltete dreitägige Bazar 
nit Lotterie hat ein sehr günstiges Ergeb niß geliefert, denn es 
vird sich ein Ueberschuß von mindestens 10,000 Mt. ergeben; die 
Lotterie allein hatte 4000 Loose à 1Ml. abgesetzt, und sämmtliche 
Bewinne derselben bestanden aus Geschenken. 
FBremen, 4. April. Mehr als 5000 Personen werden 
m Laufe der heute beginnenden Woche über Bremen nach Amerika 
erpedirt. Heute gehen zwei Schiffe und am Mittwoch wieder zwei 
Schiffe von Bremerhafen aus in See