Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Slt. Ingberler Mnzeiger. 
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1880. 
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Dienstag den 20. April 
Deutsches Reich. 
Der baherische Cultus-Minister v. Lutz hat sich nach 
Berlin begeben, um an den Verhandlungen des Bundesrathes 
theilzunehmen. Es handelt sich bekanntlich um den allgemeinen 
Antrag auf Abänderung der Geschäftsordnung des Bundesrathes. 
Der Berliner Frieden ist noch immer nicht in allen seinen 
Theilen ausgeführt. Das Wiener Kabinet hat in Konstantinopel 
und Cettinje zu verstehen gegeben, das türkisch-montenegrinische 
Uebereinkommen betreffs der Grenzregulirung müsse zu seiner Gil⸗ 
tigkeit die Zustimmung der Großmächte erhalten, und die deutsche 
Reichsregierung hat dieser österreichischen Anregung beigepflichtet 
und die gleiche Mahnung an die Pforte und Montenegro gerichtet. 
In diplomatischen Kreisen wird diesem Schritte der beiden verbün⸗ 
deten Großmächte eine größere Bedeutung beigelegt, als man viel—⸗ 
eicht hie und da annimmt. Daß Deutschland und Oesterreich ge⸗ 
neinsam vorgehen, ist selbstverständlich und kann Niemandem mehr 
auffallen; wohl aber liegt die große prinzipielle Bedeutung darin, 
daß Deutschland und Oesterreich auch bei dem erwähnten Anlasse 
gemeinsam als Wächter des Berliner Vertrags auftreten. Sie er— 
klären mit ihrem Schritte, daß sie nach wie vor an dem Grund— 
satze festhalten: jede einzelne Bestimmung des Berliner Vertrags 
könne lediglich durch ein gesammteuropäisches Votum irgendwelche 
Abänderung erfahren, es genüge aber in keinem Falle, wenn zwei 
Mächte unter sich über irgend einen Punkt, und ginge derselbe auch 
nur die zwei Mächte an, sich verständigen wollten. Gerade im 
jetzigen Augenblick, wo nach dem Ausfall der englischen Wahlen 
die panslavistischen Organe schon von einer Separatverständigung 
zwischen Rußland und England über die Köpfe der anderen Groß— 
müchte hinweg träumen, legt man großes Gewicht darauf, den er 
wähnten Standpunkt Deutschlands und Oesterreichs zu betonen. 
Man erwartet denn auch nicht ohne einige Spannung die bezüg— 
iche Stellungnahme der anderen Mächte zu dem deutsch⸗österreichischen 
Schritte. Es wird sich dabei zeigen, wer die konservative inier⸗ 
nationale Richtung verfolgt und wer schon jetzt geneigt ist, einseitige 
Abweichungen vom europäischen Traktat zuzulassen. 
Die am Sonnabend in Berlin stattgehabte Konferenz der 
Vertreter deutscher Handelskammern, welche bezüglich der Stellung⸗ 
nahme zu dem jetzt dem Reichstage vorgelegten Reichsstempelab⸗ 
zabengesetz zu berathen hatte, beschloß eine Eingabe an den Reichs 
tag. Die Eingabe soll sich prinzipaliter für die Ablehnung der 
Vorlage aussprechen. Eventuell werden jedoch folgende Sätze kon⸗ 
zedirt: In- und ausländische Werthpapiere und Aktien, sind mit 
1 pro Mille, Schlußscheine und Rechnungen gleichmäßig mit 10 
Pfennigen zu besteuern, während Lombarddarlehne, Quittungen 
und Cheks frei bleiben sollen. 
Bei der dritten Berathung der Militärvorlage nahm der 
Reichstag den Antrag des Zentrums auf Befreinng der Geist⸗ 
ichen von der Ersatzreservepflicht in namentlicher Abstimmung mit 
161 gegen 151 Stimmen an; ein Zusatzantrag, dieselbe Begünstig⸗ 
ung auch den jüdischen Religionslehrern zu gewähren wurde abge— 
lehnt. Die Annahme des ganzen Gesetzes erfolgte sodann in 
namentlicher Abstimmung mit 186 gegen 128 Stimmen. In der—⸗ 
selben Sitzung wurde auch die Aufhebung des im Vorjahre festge⸗ 
setzten, aber bisher noch nicht in Wirksamkeit getretenen Flachszolles 
beschlossen mit dem Zusatze, daß auch Jute, Manilahanf und Colos— 
fasern zollfrei eingeführt werden follen. Gleichzeitig wurde auch 
ein Antrag angenommen, wonach gestattet ist, so viel ausländisches 
Getreide, resp. Mehl auf Transiilager, bez. in Mühlen zollfrei ein⸗ 
zuführen, als wieder zur Ausführung gelangt, ohne daß der Nach— 
weis der Identitat erforderlich sein solü. 
Die Wuchergesetz-Kommission des Reichstags hat den auf 
Beschrankung der allgemeinen Wechselfähigkeit abzielenden Antrag 
des Abg. Bernards mit 8 gegen 7 Stimmen abgelehnt. 
Das „Deutsche Mont.⸗Blatt“ schreibt: In Reichstags— 
kreisen hält man es nicht für unwahrfcheinlich, daß bei der Be— 
rathung über den Antrag Richter das Tabaksmonopol betreffend, 
die für Donnerstag dieser Woche in Aussicht genommen ist, der 
Reichskanzler Fürn Bismarck zum ersten Mal in dieser Sesfion 
un Reichstage erscheinen werde um sich an der Diskussion zu be— 
heiligen. Nach umlaufenden Gerüchten habe der Reichskanzler erst 
or wenigen Tagen Veranlassung genommen, einem hervorragenden 
Parlamentarier gegenüber sich dahin auszusprechen, daß er noch 
—B 
Finanzen des Reichs, zur Entlastung der Einzelstaaten und deren 
Bevölkerung und zur Befeftigung des deutschen Einheitswerkes: 
Die Einführung des Tabaksmonopols und die Herstellung eines 
icheren, freundnachbarlichen Verhältnisses zu Frankreich — Was 
den Antrag Richter bezüglich des Tabaksmonopols betrifft, so hö⸗ 
en wir, daß eine sehr abgeblaßte motivirte Tagesordnung vorbe⸗ 
eeitet wird, die, wenn sie angenommen wird, den Plänen des 
danzlers betreffs Einführung des Tabaksmonopols in hohem Grade 
zünstig sein werde. 
Ausland. 
Der französische Minister des Innern hat 19 deutsche 
Zozialisten ausgewiesen, die in Paris Versammlungen hielten, 
don welchen die Polizei unterrichtet war. Eine der letzten Ver⸗ 
ammlungen führte zu Ruhestörungen und Gewaltthaten gegen eine 
Person, die von den Sozialisten für einen Polizeibeamten gehalten 
vurde. Hiedurch wurde die Ausweisung veranlaßt. 
In Frankreich wird der Kulturkampf nach wie vor mit 
illen Mitteln der Macht und des Einflusses geführt: der Episkopat 
rückt mit Protestbriefen ins Elysée; zuerst kamen die Kardinäle, 
denen sich am 14. ds. auch Mjgr. Guibert, Erzbischof von Paris, 
der einflußreichste der französischen Kardinäle, anreihte; die ultra— 
nontanen Blätter predigen, Hand in Hand mit den legitimistischen, 
Widerstand und Umsturz der Regierungsform und Verfassung; die 
Regierung aber geht ruhig und entschlossen ihren Weg, wie Ferry 
in einer großen Rede in Epinal betonte. 
Madrid. „Diario“ will wissen, Otte ro habe dem Oberst⸗ 
jofmeister Herzog von Serto vor seinem Tod ein Geständniß 
zemacht. Hiernach habe Otero von einer geheimen Gesellschaft in 
Toledo, deren Mitglieder ihm selbst unbekannt gewesen, den Auf—⸗ 
trag erhalten den König zu tödten; Geld und Waffen seien ihm 
geliefert worden und man habe ihn, falls er die passende Gelegen⸗ 
heit vorübergehen ließe, mit Ermordung bedroht. 
Aus Konstantinopel kommt die Meldung, das Abkom⸗ 
men der Pforte mit Montenegro sei von den Vertretern der Kon— 
greßmächte unterzeichnet worden. 
Zur Bekämpfung der dritten Präsidentschaft des Gene⸗ 
als Grant hat sich in St. Lomis ein national-republikanischer 
Ausschuß gebildet und einen Aufruf erlassen, in welchem die Ab— 
jaltung einer nationalen Massenversammlung für den 6. Mai in 
St. Louis in Vorschlag gebracht wird. 
Vermischtes. 
*St. Ingbert, 20. April. In Folge des Ablebens 
des bisherigen hiesigen kgl. Steuer- und Gemeindeeinnehmers be⸗ 
absichtigt die Verwaltung unserer Stadt, geeigneten Ortes die 
Trennung der städtischen Einnehmerei von der kgl. Steuereinneh— 
nerei zu beantragen. Sicherlich hat sich dieses Vorhaben der 
zollen Zustimmung der gesammten hiesigen Bepölkerung zu er⸗— 
reuen. 
—* Der Ensheimer Hof auch Trieschhof genannt, 
tand heute morgen in Flammen. Wie das Feuer entstanden und 
velche Verheerungen es angerichtet, ist uns bis jetzt noch nicht 
vekannt. 
St. Ingbert. Die Hrn. Gebt. Krämer dahier haben 
dem Comite der in Kaiserslautern stattfindenden pfälz. Ausstellung 
yon Lehrlingsarbeiten 100 Mark zur Ertheilung von Prämien 
ͤbermittelt. 
x Im ersten Quartale dieses Jahres lieferten die Pfaäl— 
zischen Eisenbahnen gegen die gleiche Zeit des Vorjahres 
eine Mehreinnahme von 468,008 M. 96 pf. 
F Im letzten Kreisamtsblatte der Pfalz werden die ver⸗ 
chiedenen Ministeral-Entschließungen etc., „herumziehende Zigeuner⸗ 
anden betreffend,“ zur Darnachachtung für die Behörden in Er— 
nnerung gebracht. 
In Lambrecht wurde am 15. ds. ein Knabe todt