Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Sl. Ingberler Anzeiger. 
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1880. 
Deutsjches Reich. 
Aus München, 7. Jan. schreibt man dem „Nürnb. Corrsp.“: 
Für den Landgerichtsdirector Reiffel, Ersatzmann des Abg. Dr. 
Freyburger, hat das Ministerium des Innern, in analoger An⸗ 
wendung des Art. 29 Abs. 2 des Wahlgesetzes, die Vornahme 
einer Neuwahl (des Herrn Reiffel) angeordnet. 
Die Fürstin Bismarck ist von Berlin nach Varzin abge—⸗ 
reist; man folgert daraus, daß der Gesundheitszustand des Fürsten 
eine Reise nach Berlin zunächst nicht zuläßt. Allem Anschein nach 
verdienen die Berichte über eine Verschlimmerung in dem Befinden 
des Reichskanzlers doch mehr Glauben, als andere Angaben, welche 
von einer nahezu vollständigen Herstellung zu berichten wissen. 
Frankfurt a. M., 8. Januar. Oberbürgermeister von 
Mumm ist zum lebenslänglichen Mitgliede des Herrenhauses er—⸗ 
nannt worden. 
Ausland. 
Paris. Bezüglich des Botschafters in Berlin, Grafen St. 
Vallier, verlautet, daß derselbe das eingereichte Entlassungsgesuch 
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gierung aber bereit sein dürfte, einstweilen die Leitung der Bot— 
schaft in Berlin zunächst einige Zeit fortzuführen. (Graf St 
Vallier, der bei der deutschen Regierung eine persona gratsa ist, 
beabsichtigte in Folge des neuesten Ministerwechsels in Paris, der 
ihm das Schwergewicht der Regierung zuviel nach Links verlegte. 
von seinem Posten zurückzutreten.) 
Washington, 8. Jan. Im Repräsentantenhause wurden 
Vorlagen eingebracht, wonach für Eisenerze Zollfreiheit gewährt, 
für Brucheisen eine Steuer von 8, für Stahlschienen eine solche 
von 10 Dollars pro Tonne festgesetzt, die Steuer auf baumwollent 
Garne aber um 25 pCt. und diejenige auf Leinenfabrikate um 
10 pCt. erhoht werden soll. 
Die „Polit. Corresp.“ meldet unter Vorbehalt ans Cettinje: 
Die Albanesen aus Gusinje sind heute früh gegen die montene⸗ 
grischen Truppen ausgerückt; letzlere, die strengen Befehl hatten, den 
Kampf zu vermeiden, hätten sich zurückgezogen, seien aber bei der 
Rückwärtsbewegung von den Albanesen angegriffen worden; der 
Kampf habe um 9 Uhr früh beqonnen. 
Vermischtes. 
Der verflossene Stadtrath von Pirmasens hat den dor⸗ 
tigen Bürgern eine schöne Bescheerung zurückgelassen: Die Einführ— 
ung des Schulgeldes, und zwar in der Weise, daß von einem Kinde 
3.40 M. und von zwei und mehreren Kindern 8,80 M. in Zu— 
kunft zu bezahlen sind. Bisher wurden die Schulgelder auf die 
Umlagen gleichmäßig vertheilt. Unter der meist aus Fabrikarbeitern 
bestehenden Bevolkerung herrscht ob der Neuerung nicht geringe 
Aufregung. 
fF Kaiserslautern. Ein hiesiger Einwohner hatte durch die 
günstige Lage seiner Wohnung das Vergnügen, am Neujahrstage 
odon 240 Armen beglückwünscht zu werden. Da jedem Neujahrs- 
gratu lanten ein gewisser Betrag verabreicht wurde, so war es leicht. 
die genaue Zahl der Glüdwünschenden festzustellen. 
fF Otterberg, 6. Jan. Gestern Abend nach 10 Uhr ereig- 
neten sich in hiesiger Stadt ein höchst bedauerlicher Unglücksfall. 
Der Lederhändler Philipp Cherdron von hier, ein sehr rühriger und 
emsiger Geschäftsmann und angesehener Bürger hiesiger Stadt, 
wollte in seinem belannten Geschäftseifer in der obengenannten 
Abendstunde noch einen Pack zu versendendes Leder aus der zweiten 
Etage seines Wohnhanses holen, verfehlte beim Heruntergehen aber 
unglücklicher Weise die erste Stufe einer steilen Stiege und ftürzte 
jählings in den Hausflur und zwar so unglüclich auf den Kopf, 
daß er, trotz eiligst herbeigeholter ärztlicher Hilfe nach einigen 
Stunden seinen Geist aufgab. Wie man hört, erlitt der Arme 
durch diesen unglückllichen, Sturz einen Schädelbruch. Er war ein 
Mann im besten Thun und Alier, ein Vierziger, und hinterläßt 
eine junge Wittwe mit fünf noch hilflosen Kindern. Die Theil⸗ 
nahme ist hier eine allgemeine. 
Ein weiterer Unglüdsfall ist hier zu registriren, der in 
weiteren Kreisen bekannt zu werden verdient und der als Sporn 
dienen wird, Andere beim Holzfällen vorsichtiger zu machen. Heute 
nämlich fällten die Holzmacher von Otterlerg im nahen Waldesorte 
Schwarzhübel starke Baustämme und wurde bei dieser Gelegenheit 
ein armer, aber braver Holzmacher von hier, Namens Ludwig 
Werle, derart unglücklich an eines seiner Beine getroffen, daß das⸗ 
jelbe vollständig uͤber dem Knöchel entzweigeschlagen und zersplittert 
wurde. Unvorsichtigkeit von Seite seiner Mitarbeiter soll hier mit 
unterlaufen. 
In Neustadt beabsichtigt eine Anzahl Hauseigenthümer, 
einen Verein zu gründen, um in Zukunft dem gewohnheitsmäßigen 
Nichtbezahlen der Hausmiethe seitens vieler Miether energisch ent⸗ 
gegenwirken, resp. vorbeugen zu können. 
4 Mit dem Eintritte gelinderer Witterung hat sich für die 
Weinbergarbeiter auch wieder Gelegenheit zur Thätigkeit eingestellt; 
in den Wingerten am Haardtgebirge sieht man ganze Züge von 
Frauen und Mödchen, die Compost in die Furchen schaffen. Der 
Schaden durch die Kälte hat sich in den besseren Lagen von Kall⸗ 
tadt, Dürkheim, Ungstein als nicht so erheblich herausgestellt, als 
man anfangs glaubte. Wo das Holz reif war, ist vor der Hand 
mmer noch ein guter 8SOer zu erwarten. 
4 In Dreisen fiel am 5. ds. ein fünfjähriges Kind in einen 
um Boden stehenden Hafen voll kochenden Wassers und starb am 
folgenden Tage an den erlittenen Brandwunden. Gleiches Unglück 
raf an demseiben Tage ein Zjähriges Kind in Mölschbach. 
Der württembergische Minister des Innern v. Sick 
hesuchte vermittelst Equipage die Ueberschwemmung in Unterdürk⸗ 
Jeim (bei Cannstati). Seine Pferde ertranken dabei, während er 
elbst nur mit Mühe durch einen Kahn gerettet wurde. 
F München. Das „Vaterland“ bringt in seiner Nr. 58 
einen recht interessanten Artikel, welcher davon handelt, daß beab⸗ 
sichtigt gewesen sei, drei Regimenter nach Preußen zu versetzen, 
wofür dann preußische Regimenter nach München kommen sollten. 
Wie aus bester Quelle versichert werden kann, ist die ganze Ge⸗ 
schichte lediglich Erfi ndung. 
F Essen, 7. Jan. Auf der Krupp'schen Fabrik geht der 
Betrieb im Allgemeinen wieder recht flott, die Gesuche nach Ar—⸗ 
beitern in den Zeitungen mehren sich, und auf den Bahnhöfen 
finden sich seit den letzten Wochen wieder viele auswärtige Arbeiter 
ein, die ihrem Aeußern nach aus Polen zu kommen scheinen. In 
den letzten Jahren waren derartige Zuzüge hier sehr selten und 
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f In Koͤsen ist eine in der dürftigsten Weise lebende alie 
Dame, Fraulein Zerkenbach, in ihrem ungeheizten Zimmer erfroren. 
Bei Durchsuchung ihres Nachlasses fanden sich in einem alten 
Unterrode 132,000 M. in Gold und in Kassenscheinen. Die Erben 
werden gesucht. 
F Ein japanischer Polizeiraih befindet sich gegenwärtig im 
Auftrage seiner Regierung in Berlin, um die dortigen criminal⸗ 
polizeilichen Einrichtungen kennen zu lernen. Wie er erzählt, sind 
das deutsche Strafgesetzbuch und die deutsche Strafprozeßordnung 
auf Veranlassung seiner Regierung ins Japanische übersetzt und 
werden voraussichtlich bei der demnächstigen Revision der Straf⸗ 
rechtspflege in Japan eine wesentliche Berüchsichtigung erfahren. 
F (Datum⸗Eier.) Unter diesem Namen werden von einer 
Privat⸗Hühnerzüchterei in der Nähe Hamburgs jetzt zum Verkauf 
ausgebolen, welche in blauem Stempel das Datum tragen, an 
wvelchem sie gelegt worden sind. 
F Freiburg i. Br. Mit Rüchssicht auf die schon längere Zeit 
indauernden mißlichen Geschäftsberhältnisse, deren Ursache großen⸗ 
theils in dem leidigen Creditunwesen zu suchen ist, haben sich einzelne 
hiesige Geschaftsleute entschlossen, von Neujahr an nur gegen baar 
zu verkaufen, wobei jedoch, und zwar ohne jede Erhöhung der bis— 
herigen billigen Preise, 5 Procent Rabatt bei Beträgen von 3 M. 
an, bei großeren Beträgen aber nach gegenseitigem Uebereinlommen 
3 Monaie Ziel ohne Rabatt verwilligt würde. 
Auch in den Gebirgsgegenden Schlefiens tritt der 
Noihstand auf. In der Grafschaft Glaz leiden ewa 500 Weber— 
amilien die bitterste Noth. Das Städtchen Ladin hat nur 1670 
Zeelen. worunter sich 100 darbende Familien befinden. Die Weber.