Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Slt. Ingberlker Anzeiger. 
Der St. Jugberter Anzeiger und das (2 mal wöchentlich?/ mit dem Hauptblatte verbundene Untethaltungtzblatt. Sonntage mit illustrirter Ber⸗ 
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A 69. 
Samstag den 1. Mai 
1880. 
Deutsches Reich. 
Aus Muͤnchen schreibt man dem „Irk. Kur.“: Bei Um— 
bildung voun 6 JägerBataillonen in zwei neue Infanterie-Regimen⸗ 
ter (Nt. 16 und 17) am 1. Oct. 1878 wurden hierfür Landwehr⸗ 
Bataillone nicht organisirt; es geschah dies mit Rüchsicht auf das 
damals schon in Aussicht genommene und nach Bewilligung des 
Reichstages nun zu errichtende 18. Infanterie-Regiment. Wie ich 
höre, soll mit der Formirung des neuen Regiments (J. April 
i881) auch Bedacht auf die Organisirung der Landwehr-Formation 
genommen werden, wobei auch eine theilweise veränderte Landwehr— 
Hezirks⸗Eintheilung nothwendig würde, da 4. bezw. 6 Landwehr⸗ 
Bataillone organisirt werden müssen, um eine einheitliche Formation 
der bayerischen Armee zu erhalten. 
Wie aus München berichtet wird, wird die bayerische 
Staatsregierung dem an den Bundesrath gelangten Entwurf eines 
Wehrsteuer gesetzes so, wie derselbe vorliegt, nicht beistimmen 
und jedenfalls sehr wesentliche Abänderungen beantragen. 
Det Berliner Correspondent des „Bayet. Kur.“ (ultrm.) 
schreibt unterm 26. April: „Fürft Bismarck soll gesonnen sein, die 
Steuerfragen in diesem Jahr unter allen Umständen zum Abschluß 
zu hringen, und ein eingeweihtes Mitglied des Bundesrathes sprach 
zestern sogar schon von der Möglichkeit einer Herbstsession. Schwer⸗ 
ch aber wird der Kanzler den diätenlosen Reichstag in dieser Zeit 
schon wieder zusammen bekommen. Inzwischen hat er durch die 
schleunige Vorlage des österreichischen und belgischen provisorischen 
Handelsvertrages bewiesen, daß, wenn man aus den Reihen der 
Abgeordneten in nur etwas entschiedener Weise mit ihm redet, 
er auch wirklich mit sich reden läßt.“ 
Am Mitwoch berieth der Reichsstag über den gegen das 
Tabakmonopol gerichteten Antrag von E. Richter, welchen 
dieser gestellt hat, um der durch die Monopol⸗Gerüchte beunruhigten 
Tabakindustrie endlich Ruhe zu schaffen. In ähnlicher Weise sprach 
sich Abg. Delbrück aus, welcher noch betonte, daß ja erst im 
dorigen Jahr das neue Tabaksteuergesetz angenommen worden sei, 
daß man von diesem noch gar nicht vollständig in's Leben getretenen 
Gesetz jetzt noch nicht sagen könne, wie es sich bewähre, daß man 
eine Wirkungen doch erst abwarten müsse, bevor man schon wieder 
an's Aendern gehe. Aus diesen Gründen empfahl Delbrück die 
Buhl'jche Tagesordnung, welche praktisch dasselbe betone, wie 
Richter's Antrag. Abg. Kopfer (Mannheim) sprach sich fün 
Richter's Antrag aus. Die conservativen Abgg. Graf Lerchenfeld 
Bayern) und Graf Udo Stolberg sprachen sowohl gegen Richter's 
wie gegen Buhl's Antrag; sie wollen sich nicht für die Zukunft 
hinden, sind im Grund ihres Herzens für eine noch höhere Tabak— 
steuer oder gar für das Monopol und beantragen deshalb, einfach, 
d. h. ohne etwas zu sagen, zur Tagesordnung überzugehen. Auch 
die freiconservativen Abg. v. Kardorff und Fürst Hohenlohe— 
Langenburg wollen einfache Tagesordnung: sie wollen die Reichs⸗ 
regierung bei der Steuerreform unterstützen und sind der Ansicht, 
daß der Tabak als Luxusgegenstand die schärfste Besteuerung ver— 
frage. Auch gegen das Monopol hätten sie nichts. Abg. Dr. 
Buhl GPfalz) begründete die von ihm vorgeschlagene Tagesordnung 
mit der Rücksicht auf die Tabakindustrie, die man endlich von der 
auf ihr lastenden Ungewißheit befreien müsse. Abg. Windthorst 
(Centr.) ist für Buhl's Tagesordnung, Abg. Fritzsche (socialdem.) 
für Richters Antrag. Bei der Abstimmung wird die von Dr. Buhl 
vorgeschlagene, das Tabakmonopol zurückweisende Tagesordnung mit 
181 gegen 69 Stimmen angenommen. — Weiter wurde noch der 
Antrag des Abg. Klotz berathen und mit großer Mehrheit ange— 
nommen, den Reichskanzler zu ersuchen, auf Herabsetzung der Ge⸗ 
richtskosten Bedacht zu nehmen. 
Bei der am 27. April statigehabten Reichstagsnachwahl im 
zweiten Hamburger Wahlkreis wurde der Sozialdemokrat Hart- 
mann mit 13,155 Stimmen gewählt. Die Candidaten der Fort⸗ 
ichrittspartei und Nationalliberalen hatten es zusammen auf kaum 
20,000 Stimmen gebracht. Trotz des Sozialistengesetzes gelang es 
den Sozialdemokraten, den Wahlkreis, den sie bisher nicht im 
steichstag vertraten, sich zu erobern. 
die chronische Beschlußunfäigkeit des Reichs— 
tags veranlaßt die Blätter aller Partheien, die Abgeordneten zum 
Besuch der Sitzungen zu ermahnen, noch mehr aber, an die Re— 
zierung die Aufforderung zu richten, durch die unversiegende Frucht 
barkeit an neuen Vorlagen die Geduld des Reichstags nicht noch 
mehr zu strapazieren. J 
Die deutsche Kaiserin Augusta ist am 28. April in Baden⸗ 
Baden eingetroffen. 
Der —— füt Wätttemberg' schreibt: Die 
berittenen Truppen unserer Armee werden in nächster Zeit 
an Stelle der bisherigen Pistolen mit Revolbvern ausgerüstet 
werden. 
Ausland. 
In Oesterreich haben die Czechen den Deuischen gegenüber 
schon wieder einen bedeutsamen Erfolg zu verzeichnen. Ein Erlaß 
der Wiener Regierung ordnet die erweiterte Anwendung der czech⸗ 
schen Sprache im Amtsgebrauche an. Det innere Verkehr zwi⸗ 
schen den Aemtern bleibt davon unberührt, denn die deutsche Spta— 
he bleibt die Amtssprache von Amt zu Amt. Aber die Beamten 
haben hinfort im Verkehr mit den Parteien diejenige Sprache zu 
gebrauchen, deren sich die Pattei bedient. Da nun sehr viele 
deutsche Beamten des Cäzechischen nicht mächtig sind, ist die Ver⸗ 
dräugung der betreffenden deutschen Beamten die Folge des Erlas⸗ 
es. Natürlich werden die beseitigten Deutschen durch Czechen 
exfetzt werden, und das ist es ja, was die Czechen anstreben. Es 
st eine schwere Zeit für die Vusaen in Böhmen angebrochen, 
Schritt für Schritt werden sie zurückgedrängt! 
England hat in Folge des Sieges der Liberalen bei der 
Reuwahl des Parlaments ein liberales Ministerium erhalten. Am 
Donnerstag sollte die Eröffnung des neugewählten Parlaments 
tattfinden. 
Petersburger Blätter hatten gemeldet, der Haupturheber 
der Explosion im Winterpalast, Namens Szawitsch, sei verhaftet 
worden. Das ist, wie eine halbamtliche Mittheilung besagt, ganz 
und gar unrichtig, da von solchen Ergebnissen der eingeleiteten 
Antersuchung, welche den Hauptschuldigen feststellen, absolut nichts 
hekaunt geworden sei. (Nach anderen Berichten soll sich die Ver— 
haftung jedoch bestätigen. Szawitsch soll ein Verwandter des Gou— 
derneurs von Kaluga und aus Litthauen gebürtigt sein. Er soli 
im Jahre 1870 die Petersburger Universität absolvirt und vor der 
Explosion als Tischler unter dem Namen Dmitrjew im Palais ge— 
ebt haben.) 
Es ist erklärlich, daß die russische Presse mit großer Freude 
den Kabinetswechsel in England begrüßt. Wir werden uns 
nun in Mittelasien und im Orient mit England verständigen und 
dann freie Hand gegen Oesterreichs Balkan⸗Politik haben, — das 
ist der Grundzug der russischen Raisonnements. Da nun aber die 
englischen Liberalen sehr stark mit Frankreichs Freundschaft koket⸗ 
tiren, hält man es in Rußland für nöthig, auch wieder einen 
etwas freundlicheren Ton gegen Frankreich anzuschlagen. 
Vermischtes. 
f St. Ingbert. Nachftehend theils auszüglich, theils fragmentarisch, 
der Vortrag Uber Leben und Wirken der Deutschen in Nordamerila, gehal⸗ 
ten von Herrn Dr. Waltemath 
Meine Herren, 
„Nach Westen geht die Weltgeschichte, 
„Durch Asiens Steppen zog sie her 
„Und Ihr, Ihr jegelt ihr voran!“ 
so ruft der Dichter dem Columbus nach, der sich vom Hafen Palos auf⸗ 
gemacht, und suchend der Menschheit das alte Indien aufzufinden — eine 
neue Welt entdedte. „Nah Westen geht die Weltgeschichte“, dieses Wort, 
meine Herren, ist nicht blos in jenem Dichtermunde ausgesprochen, son dern 
es klingt und wird fort erklingen im Munde der Amerikaner, die gar stol, 
sind auf ihre Geschichte und ihr Land und die — es liegt offenbar — seht 
geneigt sind, in dieser Hinsicht sich zu Uberheben. Ihr Stolz läßt sie die 
übrige Welt als etwas hinter und unter ihnen Stehendes ansehen Sie 
gehen so weit, zu sagen, daß Amerika selbst die Welt sei: „America is thoe 
world“. Wir, meine Herren, sind nicht geneigt, in diesen Ausspruch einzu⸗ 
stimmen, aber wir müssen doch sagen, daß einige Berechtigung für jenen 
Stolz vorhanden ist. Denn die amerikanische Nation, die eben erst 40 
Millionen Men'schen zählt, hat im Laufe ihrer Existenz Bedeutendes geieiftet, 
Bedeutenderes, als in der alten Welt — in gleichen Zeiten — von gleicher 
Zahl Menschen geleistet wurde. Wir können aber auch mit großem Gleich⸗ 
muth diesen Stolz beobachten, weil wir wissen, daß wir Deutsche zu defsen 
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