Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberler Anzeiger. 
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Samstag den 15. V 
1880. 
Deutsches Reich. 
Die Mittheilung aus Berlin, daß Herr v. Rud hart die er— 
betene Entlassung bereits erhalten habe, ist jedenfalls verfrüht; eine 
Entscheidung ist allerh. Ortes in München noch nicht erfolgt; 
dielmehr sind von hier aus Schritte geschehen, um Herrn von Rud— 
hart zur Zurücknahme seines Enthebungsgesuches zu veranlassen. 
Der „Reichsanzeiger“ veröffentlicht das Gesetz betreffend Er— 
gänzungen und Aenderungen des Reichsmilitärgesetzes 
vom 2. Mai 18749 
Der „Prov.-Corr.“ zufolge beabsichtigt der Kaiser, im Juni 
Düsseldorf zu besuchen und von dort nach Ems und spä— 
ter nach Gasteinn auf je drei Wochen sich zu begeben. Zwischen 
den Aufenthalt in Ems und in Gastein wird ein Besuch auf der 
Mainau fallen. 
Die eben zu Ende gegangene Reichstagssession, dit 
dritte der vierten Legislaturperiode, charakterisirt sich äußerlich als 
eine der arbeitreichsten. Mit ihren 50 Plenarsitzungen erhebt sie 
sich zwar nur wenig über den Durchschnitt, welcher 45 Plenar⸗ 
sitzungen zählt, aber diese 50 Plenarsitzungen sind auf einen Zeit⸗ 
raum von 89 Tagen zusammengedrängt, so daß mit Ausnahme 
der Osterferien kaum ein Tag arbeitsfrei war. In diesen 89 Ta— 
gen wurde ungefähr die gleiche Arbeit geleistet, wie sonst in einer 
jechsmonatigen Reichstagssession. Auch die Eingänge, an Gesetz 
entwürfen wie an Petitionen, hielten sich in der letzten Session 
auf der gleichen Höhe, wie während der Session des vorigen Jah— 
res, welche sich beinahe auf den doppelten Zeitraum erstreckte. 
Daß diejenigen Reichsboten, welche die Reichstagsarbeiten 
wirklich verrichteten, nicht müßige Zeit hatien, geht daraus hervor, 
daß neben den bereits erwähnten 50 Plenarsitzungen noch 94 Ab— 
theilungs- und 109 Kommissionssitzungen stattfanden. 
Regierungsseitig waren dem Reichstage unterbreitet worden: 
21 Gesetzentwürfe (einschließlich des Reichsetats), 7 Verträge,] 
Verordnung, 1 allgemeine Rechnung für das Etatsjahr 1879 80 
1Zusammenstellung der fernerweit liquidirten, aus der französischen 
Kriegskostenentschädigung zu ersetzenden Beträge, 1 Bericht der 
Reichsschuldenkommission, 5 Schreiben des Reichskanzlers wegen 
Ertheilung der Ermächtigung zur Einleitung strafrechtlicher Ver— 
folgungen, 9 Denkschriften, Verichte und sonstige Mittheilungen. 
Aus der Initiative des Reichstages gingen hervor: 3 Inter— 
pellationen, 11 Auträge und 5 besondere Anträge über Fragen 
der Fortdauer der Reichsmandate. 
Von den erwähnten Vorlagen haben die Zustimmung des 
Reichstags erhalten: 12 Gesetzentwürfe, die Verordnung uünd 6 
Verträge. Der Bericht der Reichsschuldenkommission ist durch Er⸗ 
theilung der Decharge, die Uebersichien der Einnahmen und Aus— 
gaben u. s. w. durch vorläufige Genehmigung der nachgewiesenen 
Etatsüberschreitungen erledigt worden. Die Liquidationen der aus 
der französischen Kriegskostenentschädigung zu ersetzenden Beträge 
sind genehmigt worden. Die Denkschristen Berichte u. s. w. haben 
durch Abdruck und Vertheilung an die Mitglieder beziehungsweise 
durch Beschlüsse des Reichstags ihre Erledigung gefunden. Ein 
Gesetzentwurf wurde abgelehnt. Unerledigt blieben 8 Gesetzent⸗ 
würfe, die allgemeine Rechnung über den Reichsetat pro 1875, 
sowie ein Schreiben des Reichskanzlers, betreffend eine strafrecht⸗ 
liche Verfolgung wegen Beleidigung des Reichztags. Zwei von 
der Gewerbeordnungs⸗Kommission bezw. von Mitgliedern des Reichs⸗ 
iags vorgeschlagene Gesetzentwürfe erhielten die Zustimmung des 
Reichstags. Die Interpellationen wurden von den verbündeten 
Regierungen sämmtlich beantwortet; von den gestellten Initiativ— 
anträgen des Reichstages wurden 8 im Plenum erledigt, 2 An—⸗ 
träge blieben unerledigt. 
Von den 1479 eingegangenen Petitionen beziehen sich 680 auf 
die Abänderung des Zolltarifs, 362 betreffen die Abänderung der 
Gewerbeordnung, 117 beschäftigen sich mit den Reichsstempelabgaben. 
Die Mehrzahl der Petitionen, 952, über welche die Kommissionen 
bereits Beschluß gefaßt, bezw. Bericht erstattei haben, kamen im 
Plenum nicht mehr zur Berathung, 283 haben wegen zu späten 
Eingangs bezw. wegen des Sessionsschlusses auch in det Kommission 
nicht mehr zur Berathung gelangen können, 172 Petitionen wurden 
zur Erörterung im Plenum nicht für geeignet erachtet, 59 durch 
die bezüglichen Reichstagsbeschlüsse für erledigt erklärt, O sind dem 
Reichskanzler überwiesen, 4 Petitionen wurden zurückgezogen. 
Die Kommissionen haben 24 schriftliche und 33 mündliche Berichte, 
die Abtheilungen einen mündlichen Bericht erstattet. Bei den im 
Laufe der Session stattgehabten Wahlprüfungen wurden die Wahlen 
odon 37 Mitgliedern für gültig erklärt; 1 Wahl ist für ungültig 
exklärt, 5 Wahlen blieben beanstandet, 4 Mandate wurden auf 
Grund des Artikels 21 der Reichsverfassung für erloschen erklärt, 
und damit die sämmtlichen vollzogenen Wahlprüfungen erledigt. 
Zusammen sind 11 Mandate erledigt und die nöthigen Schritte 
zur Herbeiführung der ersorderlichen Ersatzwahlen geschehen. 
Das am 3. d. M. gebildete deutsche Uebungsgeschwader 
wird am 24. d. M. von Kiel aus in den See gehen und nach 
kurzem Aufenthalt in der Ostsee seine Uebungen in der Nordsee 
beginnen. 
Die aus Petersburg zurückgekehrien preußischen Offiziere, 
die zur Gratulation dorthin entsendet waren, wissen nicht genug 
die Aufnahme zu rühmen, die sie in Petersburg und namentlich 
dei'm Kaiser Alexander selbst gefunden haben. Sie waren 
während der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes nicht weniger als vier 
Mal in das kaiserliche Palais geladen und der Kaiser behandelte 
sie stets mit der gewinnendsten Liebenswürdigkeit. Er streifte so— 
zar die Politik. Er bemerkte z. B., man müsse gar kein Gewicht 
nuf Gerede und Geklatsch legen, als ob sein Sohn, der Thron⸗ 
jolger, dereinst nach anderen Grundsätzen als er selbst regieren 
verde. Das innige freundschaftliche Verhältniß zu seinem Oheim, 
Zaiser Wilhelm, werde niemals einem Wandel unterliegen, und 
ebenso sei er überzeugt, es werde ihnen, den Herrschern, gelingen, 
zu bewirken, daß auch die beiden großen Reiche wie bisher in 
Frieden und Freundschaft mit einander lebten. 
Ausland. 
Das öfterreichische Abgeordnetenhaus nahm bei Berathung 
der Verlängerung des Handelsvertrags mit Deutschland den Gesetz⸗ 
entwurf, welcher die Regierung ermaͤchtigt, den Veredelungsverkehr 
mit Deutschland bis 30. Juni 1881 ju regeln, an. Beireffs der 
vom Ausschusse beantragten Resolution, welche die Aufhebung des 
Appreturverfahrens vom 1. Juli 1881 an fordert, wurde moti— 
birte Tagesordnung beschlossen. 
Vermischtes. 
*St. Ingbert, 14. Mai. Morgen (15. Mai) tritt 
auf den pfälzischen wie auf allen übrigen deutschen Eisenbahnen 
der Sommerfahrplan in kraft. Wir verweisen auf den in der 
Dienstags⸗Nr. des „Anz.“ enthaltenen Auszug aus dem Sommer— 
ahrplan der pfälz. Bahnen. Unsere hiesigen Leser seien besonders 
darauf aufmerksam gemacht, daß diejenigen Personen, welche mit 
dem um 5 Uhr 56 Min. hier abfahrenden Zuge den um7 Uhr 
36 Min. in Homburg nach Kaiserslautern ꝛc. abgehenden Schnell⸗ 
zug erreichen wollen, in Einöd in einen von Zweibrücken kom⸗ 
menden Zug umsteigen müssen. 
* An Brandkassebeiträgen für das Jahr 1879 wurden bereit 
10 Pf. vorschußweise erhoben. Zur Deckung der Brandschäden 
ind weitere 8 Pf. für je 100 M. Versicherungskapital erforderlich, 
welche nebst einer Vorschußsumme von weiteren 10 Pf. für das 
Jahr 1880 demnächst zur Erhebung gelangen. 
.Aus Contwig wird der „Zw. Z.“ unterm 12. Mai 
geschrieben: Das Opfer der jüngsten hiesigen Schlägerei, Haarlos. 
der aus dem Kampfe sieben Stich⸗ und mehrere Hiebwunden davon⸗ 
zgetragen, und dem belanntlich der behandelnde Arzt ein über 5 
Centimenter langes Stück Messerklinge einige Wochen nach dem 
blutigen Vorfall aus der Wange gezogen hat, ist in der vergangenen 
Nacht gestorben. Die Sache wird nun wohl das Schwurgericht 
beschäftigen. 
f Im Jahre 2879 wurden in Pirmasens gebaut und 
boslendet 67 Neubaten mit einem Totalkostenaufwand von 760,000 
M. Rechnet man hiezu noch die Herstellung der sammtlichen Trot⸗ 
woirs in der Hauptstraße, großentheils mit Belag aus gebrannten 
Tementplatten, so wird die Summe von nahezu J Million Mark