Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberker Anzeiger. 
Der St. Jugberter Anzeiger und das (2 mal wöchentlich? mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, (Sonntags mit illustrirter Bei— 
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4Ag 85. Samstag, den 29. Mai —1880. 
Deutsches Reich. 
Sämmtliche Regierungspräsidenten Bayerns sind in Mün— 
chen eingetroffen, um über die Statuten der Wittelsbacher Ju— 
biläumsstiftung zu berathen. Eine Correspondenz des „Pf. K.“ 
sagt, daß auch die von den Kreis-Comites für die Wittelsbacher— 
AVD 
jedem Regierungsbezirk, in München versammelt sind. Den Vor— 
sitz führt der Minister des Innern v. Pfeuffer. 
Die vier Gesetzentwürfe zur Reform der directen Besteuerung 
in Bayern, welche von der Regierung dem Landtag vorgelegt 
worden sind, harren noch der Erledigung. Es ist sehr zu wün— 
schen, daß die zu ihrer Prüfung gestattete Muße von Solchen, 
welche die Sache verstehen, dazu benuͤtzt werde, in der Oeffentlich— 
keit ein Urtheil darüber abzugeben. Sind die -Entwürfe einmal 
Gesetz geworden, dann ist auf geraume Zeit nichts mehr daran zu 
ändern, dann müssen wir sie und ihre Wirkungen tragen, wie sie 
einmal sind. 
Berlin. Der Kaiser hat zugesagt, am 4. Juni 
in Magdeburg der Feier der zweihundertjährigen Vereinigung 
Magdeburgs mit dem Staat der Hohenzollern beizuwohnen. Ge— 
gen den 8. Juni will sich der Kaiser nach Düsseldorf zum Besuch 
der rheinischen Gewerbeausstellung und allgemeinen Kunstaus— 
stellung begeben, worauf der Curaufenthalt in Ems folgen wird 
Der Aufenthalt in Ems soll, entsprechend den früheren Jahren 
drei Wochen andauern. Er würde also Ende Juni oder Anfang 
Juli seinen Abschluß sinden. Es folgt dann ein Ausflug nach 
der Insel Mainau im Bodensee, der etwa acht Tage in Anspruch 
nehmen soll, worauf sich der Kaiser ebenfalls wie gewöhnlich nach 
Gastein begiebt und drei Wochen dort verweilt. Er würde dem— 
nach Ende Juli wieder in Berlin eintreffen. 
Berlin. Die Generalversammlung der Südseegesell 
schaft (Samoa) beschloß formell die Liquidation. Mitglieder 
des Aufsichtsrathes gaben die Absicht kund, durch Bildung einer 
neuen Gesellschaft die angestrebten Zwecke zu verfolgen. Dieselben 
haben das Projekt, die Einzahlung der gegenwärtigen Aktipnäre 
von 12 Millionen Mark als Prioritäts-Aktien in die neue Gesell— 
schaft zu intradiren, während die jetzigen Samoa-Gläubiger für 
hre Schuldfocderungen als Aktionäre betheiligt werden solllen. 
Se. Durchlaucht Fürsst v. Hohenlohe ist am 24. dss. 
aach Berlin zurückgereist. Der Fürst hatte in den jüngsten 
Tagen mehrfach mit dem Vorsitzenden des Ministerraths Staats— 
minister v. Lutz und mit dem Staatsminister des k. Hauses und 
des Aeußern Freiherrn v. Craitsheim conferirt.“ 
Ueber die Dislokation der 11 neu zu errichtenden Infanterie— 
regiementer bringen Berliner Blätter bereits einige Andeutungen. 
Hiernach würden die meisten der neuen Regimenter an den Rhein 
und nach dem Elsaß gelegt werden; so werden die beiden neu 
zu formirenden sächsischen Regimenter ihre Garnison im Oberelsaß 
erhalten, desgleichen das neue bayerische Infanterieregiment; von 
den acht preußischen Regimentern wird eins nach Köln und eins 
nach Koblenz kommen, von wo das 4. Gardegrenadierregiment nach 
Berlin wird verlegt werden. Zwei Regimenter werden ihre Garni— 
sion in Baden erhalten, wo von dem XIV. Armeekorps nur sechs 
Infanterieregimenter stehen, während zwei derselben sich in Elsaß⸗ 
Vothringen befinden. Die übrigen vier Regimenter sollen im Bereich 
des l. und V. Armeekorps (Preußen und Posen) untergebracht werden 
Frankfurt a. M. Nüächsten Sonntag findet hier der 
Parteitag der Fortschrittspartei Südwestdeutschlands statt. Eugen 
Richter wird dabei anwesend sein. 
Ausland. 
Das Wiener „Fremdenblatt“ meldet: Oesterreich⸗ Ungarn 
hat bereits dem Antrage Frankreichs betreffs der Nachconferenz zur 
Erledigung der türkischegriechischen Grenze Frage zugestimmt, nachdem 
es sich vorher mit Deutschland in's Einvernehmen gesetzt hatte. 
Deutschland hat unter der Voraussetzung der Zustimmung aller 
Mächte dem französischen Antrage beigestimmt. An der Zustimmung 
Rußlands und Italiens wird nicht gezweifelt. 
Die in Zürich erscheinende Feitung der deutschen Social⸗ 
emotraten bringt, wie die „Nat.Ztg.“ einem Telegramm der 
„Wiener Allg. Zig.“ entnimmt, unter der Ueberschrift „Ein Aus— 
tritt aus der Partei“, die Erklärung der Parteiführer, daß der 
bisherige socialdemokratische Reichstagsabgeordnete Hasselmann, 
Vertreter von Barmen-Elberfeld, aus der socialdemokratischen 
Partei ausgeschlossen sei. Der Parteibeschluß wird damit begruͤn— 
—— 
bei der dritten Lesung des Socialistengesetzes, welche er damit 
schloß, „daß er bedauere, daß die deutschen Socialdemokraten sich 
nicht mit den Nihilisten und Communisten identificiren,“ die 
Partei⸗Interessen schwer geschädigt habe. Die Berliner „Volksztg.“ 
»emerkt dazu: Wir glauben danach, daß die ruhigeren Elemente 
in der Partei, die sich von den in Aussicht gestellten „Thaten“ 
Herrn Hasselmann's nicht viel Gutes versprechen, auch die Can— 
didatur Most,s verhindern werden, die — nebenbei ganz aussichts- 
los — nur geeignet wäre, neues Oel in's Feuer zu gießen uͤnd 
die Rückkehr normaler Verhältnisse noch mehr zu erschweren. 
Paris, 24. Mai. Viele Blätter tadeln lebhaft den Poli— 
eipräfecten wegen seiner Machtentfaltung und wegen des heftigen 
Auftretens seiner Untergebenen. Der Zwischenfall auf der Plac 
de la Bastille wird folgendermaßen erzählt: Etienne, Secretär der 
„Sociötéè des Egaur“, und ein deutscher Bildhauer Namens Grün 
eien mit rothen Immortellenkränzen ruhig herangekommen; die 
Polizei faßte sie beim Kragen; viele Neugierige hätten, ohne auf⸗ 
rührerische Reden auszustoßen, protestirt; darauf habe die Polizei 
ein Dutzend Personen verhaftet, darunter die Redakteure Bois Glaby 
»om „Gaulois“, Huignard vom „National“ und Lordon vom 
„Evonement“, der mißhandelt wurde. Die Polizei soll sich dabei 
der blanken Waffe bedient und einige Personen verwundet haben. 
Dieselben wurden indeß bald wieder freigelassen. Grün soll aus⸗ 
gewiesen werden. Der „Rappel“ hofft, der neue Minister des 
Innern werde sich Andrieur's entledigen, andernfalls werde eine 
Interpellation in der Kammer erfolgen. 
Paris. Der Stricke in Roubair ist noch nicht voll⸗ 
ständig beendigt. Die Fabrikbesitzer wollen mehrere Forderungen 
der Arbeiter bewilligen, während Letztere nicht gewilligt sind, 
in gewissen Punkten nachzugeben. Es sind mehrere Beigier zu 
Held- und Freiheitsstrafen wegen Aufreizung und aufrührerischen 
Benehmens verurtheilt worden; auch wurden noch mehrere belgische 
Sozialisten verhaftet. 
In Betreff der an die Pforte zu richtenden identischen Auf⸗ 
orderung regte die franzöfische Regierung an, für die grie— 
hische Grenzregulirung die früher in Äussicht genommene Eom⸗— 
mission fallen und zur Erledigung der Frage sdie Nachkonferenz 
der Mächte sofort eintreten zu lassen. England und andere Mächte 
haben bereits diesem Vorschlag zugestimmi. Die formelle Zustim⸗ 
mung einiger Mächte steht noch aus, ist aber gleichfalls mit Sicher— 
heit zu erwarten. 
Ein „Volksarbeit“ überschriebener Leitartikel der „Frkf. 
Presse“ schließt mit folgenden in froher Hoffnung gipfelnden Be⸗ 
trachtungen.“ „Die allgemeine Lage war nach dem französischen 
Kriege günstig, auf die Zollreform von 1865 waren fünf Jahre 
ruhiger, gleichmäßiger Entwickelung gefolgt, normale Jahre, von 
denen man, wie von den trefflichen Frauen, am wenigsten spricht. 
Dann kam der unglückliche Krieg und brachte uns ein nie geahntes 
Nationalbewußtsein, ein starkes Arbeitsbedürfniß zur Wiederher⸗ 
stellung des Vernachlässigten, den Milliardensegen, unpraktische 
iinanzielle Dispositionen der Regierung, eine Ueberschwemmung mit 
ungedeckten Banknoten und endlich die erste ominöse Erprobung des 
Aktiengesetz von 1870, das Kapitalien und Kräfte in un— 
wirthschaftliche Bahnen riß. Dazu die soziale Bewegung mit 
ihtem Gefolge von Faulheit und allseitigem Rückgang der indivi— 
duellen Arbeitsleistung, zugleich aber underständiger Steigerung 
des unproduktiven Verbrauchs. Sind Das nicht handgreifliche 
und austeichende Erklärungsgründe genug für die Hausseperiobe 
von 1871/73, und zugleich für den nothwendigen Rückschlag, in 
dem wir bis vor Kurzem lebten? Ein Theil der gestiegenen und 
der nachmals gesunkenen Werthe war aber nur ein fiktiver (schein— 
barer), und jetzt, wo die Nothlage als zum Theil wenigstens uͤber⸗ 
wunden erscheint, zeigen sich zwar große Verschiebungen im Ver—