Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberker Anzeiger. 
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A 9838. 
Samstag, den 12. Juni 
1889. 
Deutsches Reich. 
Der bayerische Finanzminister v. Riedel wird aus Marien⸗ 
bad bis Mitte dieses Monats nach München zurückkehren, und 
es wird dann alsbald die kgl. Entschließung in Betreff der Einbe— 
rufung der Kammerausschüsse für die Steuergesetzentwürfe und der 
Kammern selbst zu erwarten sein. 
S. Maj. der König von Bayeru hat in Folge des Ab— 
lebens der Kaiserin von Rußland eine vierwöchentliche Hoftrauer 
angeordnet. 
Offizios wird aus Berlin geschrieben: Es werden die Be— 
mühungen der Militärbehörden zur Verbesserung des Infanterie— 
gewehres, bezw. der bestmöglichen Ausnutzung der jetzt im Gebrauch 
befindlichen Gewehre unermüdlich fortgesetzt. Dem Vernehmen nach 
ist man in letzter Zeit zu besonders glänzenden Ergebnissen gelangt, 
mit deren Feststellung eine besondere Kommission betraut ist. 
Die Berliner Nachkonferenz, welche am 16. d. M. in Berlin 
zur Regelung der türkisch-griechischen Grenzfrage zusammentritt, 
wird im großen Saale des Reichskanzler-Palais ihre Sitzungen 
halten. Den Vorsitz wird Fürst Hohenlohe führen, und werden 
die Botschafter Englands, Oesterreich- Ungarns, Italiens, Rußlands 
und Frankreichs bei ihren Sitzungen von je einem Militär höheren 
Grades des Generalstabes oder des Geniekorps, unterstützt sein 
England hat hierzu bekanntlich den General Simmons, Rußland, 
wie es heißt, den General Anoutschin nach Berlin entsandt. Die 
Tücrkei und Griechenland werden an den Berathungen nicht Theil 
nehmen. 
Zwischen den Conservativen und Freiconservativen des preußß⸗ 
ischen Abgeordnetenhauses finden Verhandlungen statt behufs Ver— 
ständigung über die kirchenpolitische Vorlage. 
Durch die mit großer Mehrheit im Plenum des Bundes⸗ 
rathes erfolgte Annahme des Antrages in Sachen der Unterelbe 
ist dem Fürsten Bismarck für manchen Verdruß der letzten Wochen 
eine Genugthuung zu Theil geworden. Daß er Hamburg nicht 
etwa chikaniren will scheint der Kanzler vorher vertraulich erklätt 
zu haben. Wenn auf der andern Seite man sich aus jenem Zwischen⸗ 
fall die Lehre gezogen hat, daß das deutsche Reich nicht zum Chi⸗ 
kanirtwerden durch seine kleinsten Staaten gegründet worden ist, so 
hat dieser in mehrfacher Hinsicht verdrießliche Zwischenfall wenigsiens 
einige gute Folgen gehabt. 
Ueber die Verlobung des Prinzen Wilhelm (Sohn des 
deutschen Kronprinzen) schreibt die „Provinzial-Korrespondenz“: 
„In allen Kreisen des preußischen Volkes und weiterhin in ganz 
Deutschland hat sich die lebhafteste Theilnahme bei dem ernsten und 
freudigen Schritt kundgegeben, den der Enkel des Kaisers, derein— 
stiger Erbe des Thrones von Preußen und der deutschen Kaiser⸗ 
würde, mit dem unter Zustimmung seiner erhabenen Großeltern 
und Eltern vollzogenen Verlöbniß gethan. Aus freier Herzens⸗ 
neigung hat Prinz Wilhelm einer deutschen Fürstentochter die Hand 
zum innigsten und schönsten Lebensbunde gereicht. Seltene Eigen⸗ 
schasten des Geistes und des Herzens zieren die hohe Braut. So 
wird der Prinz im stillen Glück des Familienlebens zu den hohen 
Pflichten sich bereiten, die ihn einst erwarten“ 
Ausland. 
Der „Koͤln. Ztg.“ telegraphirt man aus Rom, 8. Juni: 
Pronuntius Jacobini hat bereits Auftrag erhalten, der deutschen 
Regierung mitzutheilen, daß die Kurie bereil sei. neue Verhand⸗ 
lungen mit Deutschland anzuknüpfen. 
Gerüchtweise verlautet die griechische Regierung habe von 
der französischen die Ueberweisung höherer Officiere erbelen zum 
Zwecke der Reorganifirung des griechischen Heeres. 
—A Pforte zwei dentische Noten 
übergeben. Die erste zeigt deu Zusammentritt der Conferenz am 
16. Juni in Berlin zur Erledigung der griechischen Grenzregulir⸗ 
ungsfrage an. Die zweite fordert von der Pforte die Ausführung 
der Congreßbeschlüsse betreffs Montenegros und Armeniens. Der 
Berliner Conferenz werden sechs Vorschläge betreffs Feststellung der 
zriechischen Grenze vorliegen nämlich: die vom Congreß protokol⸗ 
arisch aufgestellte allgemeine Grenzberichtigung, zwei im Lauf der 
Verhandlungen türkischerseitz und zwei griechischerseits gemachte 
Vorschläge und endlich ein seinerzeit von Wadington gemachter 
Vorschlag. Die Grenzfixirung an Ort und Stelle wird der die 
Conferenzbeschlüsse ausführenden Commission übertragen, welche sich 
an Ort und Stelle begiebt. 
Vifälzuiches Schwurgericht. 
1I. Quartal 1880. 
Verhandlung gegen 1) Michael Til Imann, 48 Jahre alt, Bier— 
»rauer und Wirts in Schifferstadt, 2) Karl Tillmann, 42 Jahre all, Bier— 
»rauer und Oekonom allda, 3) Franziska Krembel, 28 Jahre alt, Ehefrau 
des Hauptangeklagten Michael Tillmann, 4) Friedrich Hermaͤnn Fischer, 34 
Jahre alt, Kaufmann von Kirchheimbolanden, beheimathet in Speher, zuletzt 
dopfenagent in Kaiserslautern, wegen betrügerischen Banqueroits und Ur— 
unden älschung, bezw. Theilnahme daran. Die Änklage vertriu Staatsan- 
valt Dr. Krell; Vertheidiger des Michael Tillmann und seiner Ehefrau ist 
stechtsanwalt Schmidt, des Karl Tillmann Rechtsanwali Gebhardt, des Frie⸗ 
)rich Hermann Fischer Rechtsanwalt Ginck. 
Am Nachmittag des 8. Juni begann die Hauptverhandlung in dieser 
SZache, nachdem die Voruntersuchung üder ein Jahr in Anspruch genommen 
jatte. Die Verhandlung wird die ganze laufende Woche ausfüllen und wohl 
auch noch in den Sonniag hineinreichen. Es werden im Ganzen etwa 100 
Be⸗ und Entlastungszeugen und Sachverständige vernommen werden; die 
Unklageschrift umfaßt 143 Bogenseiten, und sast eben so viele der Verwei⸗ 
ungsbeschluß der Strafkammer des kgl. Landgerichts Frankenthal. Es kann 
atürlich unsere Aufgabe nicht sein, eine detaillirte Schilderung der von den 
Angellagten — nach Aufftellung der Anklage — bethätigten Manipulationen 
uu geben; es wäre dazu der Rtaum unseres Blattes zu beschränkt und das 
Interesse des lesenden Publikums würde bei einer solch volumindsen Schil⸗ 
erung in gleichem Schritt mit dem Verständniß derselben schwinden. Wir 
beschränken uns darauf, in großen Zügen ein Bild der gegen die einzelnen 
Angeklagten gerichteten Anklage, sowie der von denselben dagegen geltend 
gemachten Veitheidigung zu entrollen. 
Ser Hauptangeklagte Michael TiIImann ist ein über die Gemar— 
ung von Schifferstadt, ja über die Grenzen der Pfalz hinaus bekannter und 
in früheren Zeiten auch geschätzter Geschäftsmann; in Schifferstadt selbst sei⸗ 
ner Zeit einer der angesehensten Bürger, bekleidete er früher das Ehrenamt 
ines Bürgerme isters daselbst und hatie bereits zweimal Gelegenheit, als Ge— 
chworener Mit lied des Gerichts zu sein, das ihn jetzt als Angeklagten vor 
ich sieht. Er lebt mit der Mitangeklagten krembel — seiner früheren 
Dienstmagd — in dritter Ehe. Seine zweite Ehefrau, Katharina Magin, 
var am 27. Februar 1870 unter Hinterlassung eines bedemlenden verms— 
zens gestorben und am 18. October desselben Jahres schloß er seine dritte 
Ehe. Er hatte früher Ackerbau betrieben und in wohlhabenden und glück⸗ 
ichen Verhältnissen gelebt, da er selbst ungefähr 14 000 Mk. Vermögen be⸗ 
essen und ihm, wie erwähnt, seine zweite Ehefrau ein bedeuiendes Vermögen 
nit in die Ehe gebracht hatie. Einem gewissen ehrgeizigen Zuge folgend, 
der ihm seine bisherigen Verhältnisse als zu klein erscheinen eß, kausie er 
uim 13. 8ez. 1870 von dem Bierbrauer Rudolph Dahlem in Schifferstadt 
dessen daselbst befindliche Bierbrauerei und Branniweinbrennerei nebst Zube⸗ 
jör um 26,800 fl. und ferner am 1. Februar darauf von genanntem Dah⸗ 
em noch verschiedenes, zum Bierbrauereibetrieb gehöriges Mobiliar um 
3165 fl. Er betrieb die Vrauerei gleich von Anfang an meist mit fremden 
Beldern, da er selbst bei seinem ausgedehnten Ländereibesitz wenig Baarmittel 
esaß. Er unternahm dann noch größere bauliche Verändernngen an der 
Brauerei, richtete daneben noch eine großartige Wirthschaft ein und gerieth 
dadurch in Schulden. Schon wenige Jahre nach dem Kauf der Vrauerei 
ermißte man öfters prompte Zahlung, ja er ließ sogar Ende 1871 Urtheile 
zegen sich ergehen, bei denen er das Schuldverhältniß nicht bestreiten wnnte. 
Im Jahr 1875 trat er mit dem Geschäftsagenten August Grehl von Speyer 
in Creditverbindung, welch letzterer Wechsel auf ihn zog, sie von ihm accep⸗ 
uiren ließ und diese weiter begab. Viele solcher Wechsel mußten daun spä⸗ 
ter, da Michael Tillmann sie am Verfalltage nicht einloͤsen konnte, durch neue 
ersetzt werden, wobei ihm natürlich hohe Prozenle für Zinsen und Provision 
»erechnet wurden. So kamen denn die Verhältnifse Michael Tillmann's 
immer weiter und weiter zuruck. Im Marz 1878 versuchte er nochmals ei⸗ 
nen Weg zur Rettung. Am 2. März 1876 erhielt er von Adam Sauet- 
orunn, Gerber in Haßloch, ein Darlehen von 51,500 Mk., wofür er in Ge⸗ 
neinschaft mit seiner Ehefrau und seinem Bruder Hermann Tillmann, Acke⸗ 
zer in Schifferstadt, hypothekarische Sicherheit bestellte Am selben Tage 
vurde ihm gegen Verpfändung seiner Liegenschaften bei dem Kaufmann 
Theodor Hirsch in Mannheim ein Credit von 28,800 Mi. eröffnet; letzter⸗ 
vähnter Credit wurde jedoch bald von Michael Tillmann bedeutend über⸗ 
chritten, ohne daß, entsprechend dem Charakter eines derartigen Contocorrent⸗ 
»erhältnisses, von ihm wesentliche Abzahlungen gemacht worden wären, so daß 
endiich genannter Theodor Hirsch von dem kgl Handelsgerichte Frankenthal 
unterm 6. April 1877 ein Urtheil fur den VBetrag von 40000 Mi. gegen 
Michael Tillmann erwirkte Mit diesem Schlage — stellt die Anktlage auf — 
väre der Ausbruch der Gant bei letzterem undermeidlich gewesen, wäre nicht 
sein Bruder, der Angeklagte Karl Tillmann, jert für ihn in die Schranken 
getreten. 
Karl Tillmann lebte mit seiner Ehefrau Elisabetha Valdenaire ebenfalls 
in den besten Vermögensverhälinissen, besaß auscedehnte Ländereien und eine 
zroße Oekonomie. Schon früher halte er seinem Vruder Michasel bei der— 
chiedenen Verlegenheiten durch Buürgschaftleiftung unter die Arine gegriffen; 
etzt wagte er das Letzte und brachte am 12. October 1877 das ganze Brtauerei