St. Ingberler Anzeiger.
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AMq7. Samstag, den 19. Juni 1880.
Deutsches Reich.
Die erste Sitzung der Berliner Botschafter⸗Conferenz
dauerte am Mittwoch von 2 bis 38/ Uhr und beschäftigte sich
nach einer begrüßenden Ansprache des Fürsten Hohenlohe zunachst
mit Formalitäten, dem Austausch der Vollmachten und der Ge—⸗
chäftaordnung. Nachmittags 5 Uhr war Diner bei dem Fürsten
Bismarcdh, welchem außer den Botschaftern auch die technischen Mit⸗
arbeiter der Conferenz beiwohnten. Die nächste Sitzung der Con⸗
erenz sollte erst Freitag oder Samstag stattfinden.
Die so zialistischen Parteifuhrer und Reichstagsabgeordneten
Auer, Bebel, Frißzsche, Hasenclever, Kayser, Liebknecht, Vahlteich
und Wiemer haben ein Flugblatt gegen ihren seitherigen Genossen
Hasselmann gerichtet, worin sie sich von demselben vollständig los—
ijagen und ihre Gesinnungsgenossen auffordern, jede Verbindung
mit demselben abzubrechen. Den äußeren Anstoß zu diesem Bruch
zab bekanntlich Hasselmann's Reichstagsbrandrede vom 4. Mai,
vorin er pathetisch ausrief, die Zeit des parlamentarischen Schwätzens
sei vorüber, die Zeit der Thaten beginne. Wer so spreche und die
cothe Fahne entfalte, sagen die Parteifüherer, müsse zum Los—
chlagen bereit sein. Hasselmann habe aber den hiezu erforderlichen
Muth nicht nur nicht gezeigt, sondern er habe eben jene Rede in
seinem Blatte nur ganz verstümmelt zu bringen gewagt. Seine
Aeußerungen seien also eitel Geflunker gewesen und hätten nur
der Polizei genuͤtzt. Auch habe er trotz Alledem sein Mandat bei—
behalten. Das Flugblatt schreibt Hasselmann auch die Absicht der
Sprengung der soziald. Arbeiterpartei Deutschlands und Gründung
einer „Partei Hasselmann“ zu. Auch von dem bekannten Mosi
und seinen „Tollheiten und Inkonsequenzen“ wenden sich die genann—
en Parteiführer entschieden und warnend ab.
Nach amtlichen Veröffentlichungen ist das Bedürfniß an Offi—
ieren bei Eintritt einer vollständigen Mobilmachung der deutschen
Armee ausreichend gedeckt. Der Bedarf für die gesammte deutsche
Armee, einschließlich Baherns und der zu errichtenden vierten Felb⸗
»ataillone, würde in diesem Falle 35 230 Offiziere, und zwar für
die Feldtruppen 17 470, für die mobilisirte Landwehr 3700, für
die Vesatzungstruppen 5480, für die Ersatztruppen 51809 und für
die vierten Feldbataillone 3400 Offiziere betragen. Nach den
Ftatssätzen sind für die Armeekorps der deutschen Armee inklusive
Bayern 19 324 Offiziere des stehenden Heeres, 6860 Reserveoffi—
ziere und 6191 Landwehroffiziere, also zusammen 31 275 Ofiziere
vorhanden. Hierzu würden noch die im Fall einer Mobilmachung
Sffiziersdienst thuenden Vizefeldwebel und Wachtmeister, deren Zahi
die der Reserveoffiziere noch übersteigen durfte, und die jetzt für die
Ersatztruppen u. s. w. aufgestellten Feldwebellieutenanis von etwa
3200 aus ehemaligen Feldwebeln, Sergeanten ꝛc. treten. Somit
vürde sich der wirlliche Bestand an Ojfizieren ꝛc. auf mehr als
10000 Kopfe stellen und den Bedarf um etwa 6000 überschteiten.
dierzu würde noch der größte Theil der zur Disposition gestellten
Offiziere treten, und es könnten somit auch noch etwa aufzustellende
fünfte Feldbataillone mit Offizieren besetzt werden. Ein Offizier⸗
mangel würde demnach höchstens bei der Formation groͤßerer
Landsturmbataillone eintret n.
Ausland.
Englisches Unterhaus. Richard beantragt, Schritte zu thun
zu Gunsten einer gleichzeiligen Entwaffnung der Staaten Europas.
Der Premierminister Gladsione erklärt durch die Kriege in Europa
eit 30 Jahren seien Zustände geschaffen worden, welche einen
dauernden Frieden beguͤnstigen; die Einigung Italiens, die Neu—
gestaltung Deutschlands, die Befreiung der Slaven auf der Balkan⸗
zalbinsel hätten nicht mit friedlichen Mitteln erreicht werden konnen.
Es sei freilich erwünscht, vernünftigere, minder kostspielige Mittel
us den Krieg zur Schlichtung der Differenzen der Nalionen zu
finden. Der Regierung müsse aber in einer so delicaten Frage
vann Zeit und Umstände dazu angethan sind, sie anzuregen.
Fourtney beantragt ein Amendement, wonach es Pflicht der Regier⸗
ing sei, jede passende Gelegenheit zu ergreifen, den auderen Regier⸗
ingen eine Entwaffnung anzuempfehlen. Gladstone will das Auen⸗
ꝛement nicht empfehlen, aber auch nicht bekämpfen. Richard's An⸗
rag wird abgelehnt, Courtney's Amendement jedoch genehmigt.
Pfaälzisches Schwurgericht.
II. Quartal 1880.
15. Juni. (Vormittags.) Verhandlung gegen Peter Ho ok, 49 Jahre
ilt, Fabrikarbeiter in Reckarau, wegen Meineids. Vie Anklage vertritt
Staatsanwalt ODr. Krell. Vertheidiger Rechtsanwalt Kieffer
Eine Tochter des Angeklagten war mit dem Tagner Georg Hick VI. von
Nundenheim verheirathet gewesen und im November 1875 mit Hinterlafsung
eines Kindes Namens Margaretha gestorben. Die Großeltern nahmen ihre
Enkelin sofort nach Neckarau zu sich und behielten sie auch fortwährend in
Pflege. An Pfingsten 1879 kam jedoch das Kind zu seinem Vater, der fich
unterdessen wieder verheirathet hatie, nach Mundenheim zum Besuch. Nachdem
zs einige Zeit dort gewesen, erklärte sein Vater, er gebe es jetzt nicht mehr
her. Das ging dem Angeklagten und dessen Ehefrau, die sich an das Kind
ewöhnt hatten und mit größter Zärtlichkeit on demselben hingen, sehr zu
derzen, um so mehr, als sie hörten, das Kind werde von seinem Vater und
einer Stiefmutter lieblos und hart behandelt. In seiner Verzweiflung kam
nun der Angeklagte auf den etwas romantischen Gedanken der gewaltsamen
Entführung. Mil zwei anderen Männern fuhr er in einem Nachen des Nachts
iber den Rhein; während er Wacht hielt, holten die beiden Männer seine
Enkelin, die sodann im Triumph heimgebracht wurde nach Neckarau in die
Wohnung ihrer zärtlichen Großeliern. Die Entführung war aber wirklich
eine gewoltsame gewesen, und es hatte dabei die Stiefmutler einige Verletz⸗
ungen davon getragen. Wegen dieser Verle zungen sollte nun gegen die beiden
Maänner strafrechtlich vorgegangen werden. Man vermuthete als dieselben — fie
varen nicht erkannt worden — einen gewissen Friedrich Wilhelm Bernhardt und
den Sohn des Angeklagten Namens Johann Hoock, beide von Neckarau. Diese
Beiden wurden wegen Koͤrperverletzung vor das Polizeigericht Ludwigshafen und
war in dessen Sitzung vom 83. Sepiember 1879 geladen. Als Zeugen gegen sie sollten
pernommen werden die verletzte Stiefmutter und der Angeklagte. Um des letzteren
eidliche Vernehmung möglich zu machen, ließ der Polizeianwalt in der Sitzung die
Un.lage gegen den Sohn Johann fallen, und der Angeklagte beschwor nun, daß
r jene beiden Männer nur dem Gesichte, nicht aber dem Namen nach kennel
Wie sich später herausstellte, waren die beiden Männer der Fabritarbeiter
Johann Reif und der Fabrikarbeiter Friedrich Wilhelm Mildenberger, beide
bon Reckarau, von denen die Anklage aufstelli, der Angeklagte habe sie beide
nicht blos dem Gesichte, sondern auch dem Namen nach gekannt, während Hoock
dies bestreitet und nur zugiebt, daß er die Vornamen derselben gewußt habe,
ex sei ganz zufällig den beiden begegnet als er weinend und trostlos über ven
Lerlust seiner Enkelin im Wald spazieren ging, und diese hätlen sich ihm
rreiwillig zur Hilfe bei der Entführung angeboten: um ihre Ramen habeer
ie nicht gefragt.
Der Angeklagte ist ein etwas schwachsinniger Kopf und scheint schon des⸗
zalb über die Bedeutung eines Eides sich nicht rechi klar zu sein. Zudem
ieß sich in heutiger Verhandlung nicht mit aller Bestimmtheit feststellen, wie
der Wortlaut der von ihm beschworenen Aeußerung war und ob er wirklich
die beiden Männer dem Namen nach gekannt hat. Der Staaisanwali hielt
war die Anklage aufrecht, die Geschworenen schlossen sich jedoch den Ausfuͤhr⸗
ingen der Vertheidigung an und sprachen nach ganz kurzer Berathung den
Angeklagten frei. Derselbe erhiell noch zudem von einigen Geschworenen
Anterstützung zur Heimreise.
15. Juni. (Nachmittagesitzung.) Verhandlung gegen Jacob Kolb ,
34 Jahre alt, Tagner in Sippersfeld, wegen Koͤrperverletzung durch Gifi
8 229 R.Si.⸗G.⸗B.) Die Auklage vertritt Staatsanwali Kieffer, Verthei⸗
ziger ist Rechtscandidat Meyer.
Der Angeklagte heirathete vor fieben Jahren seine jetzt 26 Jahre alte
Ehefrau Katharina Schmitt von Sippersfeld. Die Ehe war keineswegs eine
lückliche, dean den Angeklagten plagte, vielleicht wegen des Altersunterschiedes,
»ie Eifersucht. Die junge Frau konnte ihn aber auch nicht von einer anderen
eidenschaft, vom Trunke, abhalten. Wenn er nun so in angetrunkenem Zu⸗
tande heimkam, schimpfte und schlug er wohl auch seine bessere Ehehälfte und
rohte ihr auch, er werde sie noch wegbringen .c. Am 6. März abhin hatte
er in benachbarten Ortschaften Besen verkauft und war Abends⸗ nach 8 Uhr
n stark betrunkenem Zusiand heimgekommen. Das Nachtessen bestand in Kar—
offeln und Kaffee und er fing während desselben wieder zu schimpfen an, wo⸗
ei er seiner Frau gedroht haben soll, er werde ihr noch mit einer Axt die
dehle abhauen. Die Frau, die zwar an ähnliche Auftritte schon gewöhnt war,
og es doch vor, jene Nacht außerhalb des Hauses ihres sie bevollen Gatten
uzu ringen, und übernachtete bei einer Nachbarsfrau. Auch der wurdige Ehe⸗
nann war in jener Nacht nicht zu Hause, sondern kam erst am aͤnderen
Ddorgen zurück und blieb etwa eine Viertelstunde in seiner Wohnung. Nach⸗
dem er das Haus wieder verlassen halte, lam seine Ehefrau, holte fich von
dem auf dem Herde in einer Kanne stehenden Kaffee, der am vorigen Abende
ibrig geblieben war, und begab sich damit wieder in die Nachbarswohnung.
Dort erwärmte sie den mitgebrachten Kaffee, wobei ihr ein unverkennbarer
„chwefelgerach auffiel. Nachdem der Kaffee ganz heiß geworden war, trant
ie etwa 2 oder 3 Mund voll davon, spurte sofori einen starken Schwefelge⸗
hmack und mußte sich heftig erbrechen. Sie begab sich dann hinuder in ihre
Vohnung, um Rachforschung zu halten, und fand dort in der Kaffeekanne
en ganzen damals befindlichen Vorrath an Streichhölzchen, die nach ihrer
ind der Anklage Ansicht der Angeklagte, als er Morgens auf lurze Zeit zu
dause war, hineingeworfen haben muß. Sie machte dann später, Als ihr
rẽhemann heimkam, diesem Vorwürfe über seine Handlung, worauf dieser
alonisch erwiederte: „Du hättest ja keinen davon zu saufen brauchen.“ Als
r dann merkte, daß sie die Sache ernst nehme und der Gendarmerie Anzeige
nachen wollte, suchte er dies, jedoch vergebens, zu verhindern. Zwei bis drei
Tage war die Frau von Uebligkeiten geplagt, sonstige schlimme Folgen kraten