Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Als sie gegen 1 Uhr aber doch etwas eingeschlummert gewesen sei — so er⸗ 
zaͤhlt sie das jetzt Folgende — habe sich ihr Mann ploößtzlich auf fie gekniet, 
sie mit der linken Hand vorn am Hals hepackt und ihr mit der rechten einen 
fingerdicken Strick um denselben gewunden, den er dann, immer noch auf ihr 
inieend, mit aller Wucht zusammengeschnürt habe, so daß sie nur die Worte: 
Ach Gott!“ habe aussioßen lönnen. In ihrer Todesangst habe sie die letzte 
berzweifelte Anstrengung gemacht und sich mit Händen und Füßen gewehrt — 
da sei noch gerade zur rechten Zeit die Bettlade unter ihnen zusammenge— 
brochen, ihr Mann habe den Strick loslassen müssen; sie habe sich nun auf⸗ 
gerafft, sei zum Fenster geeilt, ihr Mann sei zwar dazwischen getreten, aber 
es sei ihr doch gelungen, das Fenster zu vffnen und um Hilfe auf die Straße 
hinauszurufen. Der Angellagte habe sie jetzt geschlagen, an die Wand ge— 
oͤrückt, es sei ihr aber gelungen, an die Thüre zu gelangen, in den zweiten 
Siock hinunter ju eilen und dort einer Witiwe Köhler zu klopfen, welche je⸗ 
doch nicht aufgemacht habe. Ihr Mann sei ihr nachgekommen, habe ihr den 
opf verschiedene Male an die Thüre der Wittwe Köhler gerannt und sie 
dann wieder hinaufgeschleppt in ihre Behausung. Die Wwe. Köhler bestätigt 
Das vollständig und gibt an, fie habe aus Furcht vor dem Angektlagten sich 
nicht herausgewagt und ebensowenig gewagt, die Ehefrau des Angeklagten 
einzulassen. Obwohl diese Aufslellung der Ehefrau Reichert durch die Nach⸗ 
barbleuie und auch durch den Befund bei der Ortsbesichtigung in allen Punlten 
destätigt wird, erliärte der Angell igte Alles für Schikane; fie habe geträumt 
und dabei laut geschrieen und er habe deßhalb um Hilfe gerufen. Die bei 
der ärztlichen Untersuchung an der Ehefrau konstatirten Beulen und Verwund⸗ 
ungen, sowie der rothe, unzweifelhaft von einem Strick herrührende Streifen 
am Halse deuten zum Mindesten darauf hin, daß es ein ungewöhnlich lebhafter 
ind naturgetreuer Traum war, den die Ehefrau Reichert damals durchträumt 
hat — ein Traum, der ihr das Leben gekostet hätte, wenn der an sich 
starke Haken an der Bettlade etwa widerstandsfůhiger gewesen wäre. 
Der Angeklagte macht den ungunstigsten Eindruck; auch bei seiner Kon⸗ 
stituirung beharrt er auf seinem Vertheidigungssystem: Es sei Alles Erfindu.ag 
jeiner Frau. Diese letztere deponirt als erste Zeugin äußerst ruhig und lei⸗ 
denschastslos; unter Thränen erklärt fie, sie habe zwar all die Drohungen 
jhres Mannes und sein Benehmen mil Angst uud Furcht aufgenommen, aber 
Das haͤtte sie eben doch nie geglaubt, daß er, der mit ihr vor dem Altar 
gestandea sei, Hand an seine alte schwache Frau legen werde, die ihm immer 
Alles nachgesehen habe. Die k. Siaatsbehörde hält die Anklage aufrecht; cs 
sei sicherlich dei dem Angellagten die Absicht, zu tödten, nachgewiesen und auch 
die Ueberlegung, denn er sei zweiflellos plaͤnmäßig vorgegangen, indem er be⸗ 
absichtigte, seine Frau zu siranguliren, sie dann aufzuhäugen und einen Selbst⸗ 
mord vorzuschützen. Die Vertheidung harte natürlich eine schwere Stellung; 
fie führte aus, daß der Beweis der Tödtungsabsicht und der Ueberlegung doch 
nicht vollständig gelungen sei. Die Geschworenen sprachen den Angeklagten 
ganz im Sinne des Vortrags des k. Staatsanwalis des Mordversuchs und 
der schweren, jedoch nicht von Siechthum gefoluten Körperletzung schuldig, 
worauf der Gerichtshof ihn in eine Gesammtzuchthausstraft von 12 Jahren 
und 10 Jahren Ehrenverlust verurtheilte. — Damit schloß die Sefsion, und 
die Geichwonrenen wurden vom Vorsitzenden mit einer kurzen AX 
Vermischtes. 
* St. Ingbert, 23. Juni. In heutiger Schöffen— 
itzung kamen folgende Straffälle zur Aburtheilung. 1. Zwei 
Reservisten von hier erhielten wegen Auswanderung ohne Erlaub— 
niß je 3 Tage Haft. 2. Wegen Berufsbeleidigung erhielt ein hie— 
siger Bergmann 5 Mark Geldstrafe. 3. Ein junger Bursche von 
hier erhielt wegen Sachbeschädigung und groben Unfugs 3 Tage 
Befängniß und 5 Tage Haft. 
FAus der Pfalz. Es wird wohl wenige deutsche Lan⸗ 
deskinder geben, die das Glück haben, den deutschen „Reichsanzeiger“ 
don Angesicht zu kennen, und doch müssen alle öffentlichen gericht: 
tichen Zustellungen, d. h. diejenigen an Personen, deren Aufent.— 
haitsort unbekannt ist, in demselben veröffentlicht werden. Daß 
zun diese öffentlichen Ladungen in einem gänzlich ungelesenen und 
nbelannten Blatte in 999 unter 1000 Faͤllen rein vergeblich sind, 
das ware noch das geringste; allein die Inserationskosten sind auch 
noch sehr hoch. Es wird nämlich die Drucheile mit 50 Pf. oder 
gar einer Mark berechnet und in Armensachen muß sogar der 
Staat die Inserationsgebühren nach Berlin bezahlen. Ob diese 
Reichssteuer der Reichskasse oder der Expedition des „Reichsanzeigers“ 
in die Tasche fließt, wissen wir nicht; allein enorme Einnahmen 
muß dieselbe liefern. Da klagt z. B. eine Frau in Ludwigswinkel 
im Armenrechte auf Ehescheidung gegen ihren verkommenen und 
abwesenden Mann, Die offentliche Ladung des Letztern, die aber 
außer den Justizstellen Riemanden zu Gesicht kommt, geschieht im 
deutschen „Reichsanzeiger“ und der bayerische Staat muß für etwa 
15 Druchzeilen 15 Mark nach Berlin zahlen. (Pf. 3.) 
Am Mittwoch wurde vor der Strafkammer des kgl. Land⸗ 
— Schmidt von 
Zweibrücken, z. Z. in München, wegen des Vergehens des Zwei⸗ 
kampfes (mit Sec.-Lieut. Schmidtborn vom 2. Jägrb. im Jan. 
d. J) auf Grund des 8 205 des deutschen Strafgesetzes zu 4 
Monaten Festungshaft (also 1 Monat über das geringste Straf⸗ 
maß) und zu den Kosten des Verfahrens verurtheilt. Seitens des 
Gerichtsvorsitzenden wurde dem Angeklagten Schmidt sein „provo⸗ 
katorisches“ Benehmen nachdrücklich vorgehalten. — Schmidtborn 
wurde bekanntlich vom Militärbezirksgericht Würzburg wegen dieser 
Affäre zu 3 Monaten Festung verurtheilt. 
pZweibrücken. Mittwoch Vormittag war das hiesige 
k. Landgerichtsgefüngniß der Schauplatz eines grauenhaften Seibst— 
mords. Ein 18 J. alter Schuster von Pirmasens war wegen 
Widerstands gegen die Staatsgewalt auf 3 Monate dingfest ge⸗ 
macht und hatie von dieser Strafzeit bereits 2 Monate hinter sich. 
Am gen. Vormittag nun brachte sich derselbe in der Schusterwerk— 
Jätte des Gefänanifies, wo er beschäftigt war, plötzlich einen Schnitt 
in den Hals bei, der die Pulsader zerstörte und den fast augen— 
blicklichen Tod herbeiführte. 
4 Einer beantragten Postomnibusverbindung zwischen Zwei— 
zrücken und Medel sheim sowie der Errichtung einer k. Post—⸗ 
xpedition an letzterem Orte soll die höhere Genehmigung ertheilt 
vorden sein. 
Pirmasens. „Wie die Alten sungen, so zwilschern 
die Jungen!“ Haben wir bis jetzt nur Bankerotte en gros gehabt, 
so scheinen nun auch unsere „Kleinen“ dem lobenswerthen Beispiel 
u folgen, durch ein modernes Bankeröttchen sich ihrer Verpflicht- 
ungen gegen ihre Gläubiger mit einem Schlage zu entledigen. 
Kommt da z. B. ein hiesiger Geschäftsmann zu einem seiner Schuldner, 
der ihm seit geraumer Zeit ca. 300 M. schuldet, um diese Schuld 
endlich beizutreiben. „Ich werde Ihnen 100 M. geben,“ ward 
hm da zur Antwort, „die andern 200 M. streichen wir, sonft 
triegen Sie gar nichts!“ — Tableau! — Noch ein nettes Bei⸗— 
spiel: Ein hiesiger „kleiner“ Schuhmacher und Inhaber einer Bügel- 
anstalt, dessen ganzen Passiva sich vielleicht auf 1000 M. belaufen. 
schickt eben ein fein hektographirtes Zirkular an seine Gläubiger, in 
velchem er sich insolvent erklärt und als Abmachung 25 ꝰ0 bietet. 
Daß der gute Mann, wenn er irgend will, diese ganze Schuldenlast 
in einem Jahre durch redliche Arbeit abverdienen kann, fällt ihm 
gar nicht ein. Es ist ja so bequemer. Ja, ja, böse Beispiele ver— 
derben gute Sitten! Gesunde Zustände kann man Das aber gewiß 
nicht nennen. (Zw. Ztg.) 
Bei der in Pirmasens in so großartigem Maßstabe 
hetriebenen Schuhfabrikation wird jährlich eine ganz enorme Masse 
Filz (Woll⸗ und Haarfilz) zu Sohlen, Futter und Oberstoff ver⸗ 
wendet, der alle von außen bezogen wird; denn was davon bis 
jetzt dort und in dem benachbarten Orte Rodalben producirt wird, 
ist nicht nennenswerth. Es haben sich deshalb zwei dortige Ge— 
schäftsleute vereinigt, um eine Filzfabrik mit Maschinen-? und 
Dampfbetrieb in Pirmasens zu gründen, und sie haben bereits mit 
der Fabrikation begonnen. Die Stadt wird dadurch um einen 
Industriezweig reicher. 
F Dem „Pirm. A.“ wurde ein Hühnerei vorgezeigt, in dessen 
Innerem sich ein kleineres weißes Ei, etwa von der Größe eines 
Sperlingseies, vorfand. Die Schale des kleinen Eies ist ganz hart 
und etwas rauh. 
Der 170 Jahre alte Sohn eines Gutsbesitzers von Kattzen⸗ 
zach bei Landstuhl gerieth, als er von der Feldarbeit heimkehrte, 
'o unglücklich unter den Wagen, daß er in Folge der erhaltenen 
Lerletzungen bald darnach starb. 
7 In einem Privatbriefe an einen Freund hat der gegen— 
värtige Reichstagsabgeordnete für Kaiserslautern-Kirch— 
heimbolanden, Tr. Zinn, die Erklärung abgegeben, ein 
Mandat nicht mehr annehmen zu wollen. 
Die Unterhandlungen wegen Ueberlassung des Dürk— 
heimer Bades an eine französische Gesellschaft, an deren Spitze 
der Pferdebahn-König Feral steht, kamen dieser Tage zum vorläu⸗ 
igen Abschluß. Tas Badehaus geht um 100.000 M. baar an 
die Feral'sche Gesellschaft über. 
Am letzten Sonntag wurde das Städtchen Tauber- 
hbischofsheim von einem Wolkenbruch schwer heimgesucht. Die 
Weinberge gleichen theilweise Schutthaufen, die vorher lachenden 
Fluren sind in öde mit Lehm bedeckte Flächen verwandelt. 
F Zu der auf 21. Juni in München anberaumten Apo— 
thekergehilfenprüfung hatte sich ke in Theilnehmer gemeldet. 
FAus der sächsischen Oberlausitz hört man jetzt, daß 
die Zahl der Opfer der Ueberschwemmung groößer ist, als man an— 
fangs vermuthete; die, welche anfangs blos als vermißt genannt 
wvurden, sind wie sich jetzt herausstellt, alle ertrunken: im Ganzen 
ind es 63 Personen. In der vreußischen Oberlausitz sind 51 
Personen ertrunken. 
— Ein wahrhaft erschreckendes Zeichen der Zeit bildet die un—⸗ 
geheuere Zunahme der Selbstmorde resp. Selbstmordversuche in 
Berlinß deren Zahl sich in der verflossenen Woche bereits aui 
14 gesteigert hat 
Markt berichte. 
Zweibrücken, 24. Juni. (Fruchtmittelpreis und Vickualienmarlt. 
Weizen 12 M. 97 Pf., Korn 11M. 12 Pf., Gerste zweireihige —— M. — Pf 
erreihige — M. — Pf., Speiz — Vi. — pi Spelztern — M. F Vj. 
Dinkel'“ M. pf. nischfruht — M. — pf., Pafer 8 M. 38 3f 
5rosen — M. — pf., Wicien — M. — Pf., Kartoffeln 3 M. 45 pf. 
deu 3 M. 20 Pf., Stroh 3 M. — Pf., Weißbrod 1 /2 Kilogr. 62 Pj., 
dornbrod 3 Kilogr. 73 Pf., Gemischtbrod 8 Kilogr. 92 Pf., paar Weck 100 
Br. 6 Pf., Rindfleisch J. Qual. 60 Pf. II. Qual. 54 Pf. Kolbfleisch d0 Pf. 
dammelfleisch 60 Pf. Schweinefleisch 60 Pf., Butter i/ Kilogr. O M., 85 Pij. 
Wein 1 Liter 80 Pf., Bier J Liter 24 Pf. 
Homburg, 23. Juni. (ruchtmittelpreis und Victualienmarkt.) Weizen 
12 M. 74 Pf Korn 11 M. 10 Pf., Spelzkern —— M. — Pf., Spelz 0 M 
— Pf., Gerste Zreihige — M. — pPpf. G.erste 4reihige O M. — pji. Hafer 
3 M.'ü8 pf. Mijschfrucht — M. — Pf., Erbsen — M. — Pf., Wicken 
d M. — Pf., Bohnen O M. — Pi., Kleesamen — M. — Pf., Korn⸗ 
brod 6 Pfund 88 Pf., Gemischtbrod 6 Pfund — Pf. Ochsenfleisch — Pf. 
Rindfleisch 30 Pf., Kalbfleisch 410 Pf. Hammelfdeisch — Pf.“ Schweinefleisch 
z0 Pf, Butter 1 Pfund O M. 90 Pf., Kartoffeln per Ctr. 3 M. — Pf. 
Fur die Redaction verantwortlich: sF. L. Dam