Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Räamen des Zivilkasinos fand ein zahlreich besuchtes Festessen statt; 
der Kriegerverein veranstaltete bei großer Betheiligung eine Ausfahrt 
nach dem nahe in der Pfalz gelegenen Habkirchen. (Sg. 8.). 
Das Zenttal⸗Komite der Pfalzgau-Ausstellung in Man n—⸗ 
heim hat für die nächsten 14 Tage das Programm der Festlich⸗ 
keiten festgestellt und Fuürsorge getroffen, daß dem Ausstellungsbe— 
sucher stets Neues und Interessantes geboten wird. Wir erwähnen 
ur, daß bereits künftigen Samstag die Kieler Matrosen-Kapelle 
in der kleidsamen Tracht als kaiserliche Matrosen ein Doppelkonzert 
geben wird. Der Ruf dieser Kapelle ist ein sehr bedeutender, und 
3 werden die Leistungen derselben die Kunstfreunde in hohem Grad 
hefriedigen. — Ferner wird der Aeronaut Securius künftigen 8. 
September auf Veranlassung des Komites in Mannheim eine 
vduftschifffahrt antreten. Es wird hierzu der Riesen-Ballone, Deut⸗ 
sches Reich“ benützt werden und es können Passagiere um den 
Preis von 150 M. sich an der Auffahrt betheiligen. 
Die Probefahrt, die auf Veranlassung der Spezial⸗ 
direktion der Hessischen Ludwigsbahn mit dem von ihr in den 
regelmäßigen Dienst eingestellten Dampfwagen Statt gefunden 
hat, ist zur vollen Zufriedenheit ausgefallen. Der Gang des 
Wagens, welcher bekanntlich zweistöckig ist, ist ein durchaus ruhiger; 
die Maschine überwand die Schwierigkeiten der Odenwaldbahn mit 
Leichtigkeit und meist unter Einhaltung einer Geschwindigkeit von 
50 kmäin der Stunde. In den Kreisen der Bahnverwaltung 
glaubte man daher nach dem „Fr. J.“, daß die Einführung dieser 
letzteren Geschwindigkeitsnorm keinem Hinderniß begegnen werde. 
Seitens des Reichseisenbahnamtes wurde indeß dem dahin abzie— 
lenden Antrage der Bahnverwaltung nicht willfahrt, sondern unter 
Geltendmachung verschiedener Bedenken dahin Verfügung erlassen, 
daß der Dampfwagen nur mit einer Maximal-Geschwindigkeit von 
40 kmin der Stunde in Verwendung genommen werden dürfe. 
4 Die in Stuttgart sehr stark zu Tage getretene Au s- 
wanderungslust hat einen Unternehmer veranlaßt, zur 
Gründung einer Kolonie „Stuttgart“ im Westen Nordamerikas 
aufzufordern. Die Gründer sollen mindestens 2000 M. besitzen, 
wovon 1000 M. sogleich eingezahlt und zum Ankauf von Land, 
erster Bearbeitung und Bestellung desselben verwandt werden sollen, 
so daß die Ansiedler im nächsten Jahr gleich ernten können. Der 
Plan soll schon Liebhaber ins Portemonnaie haben greifen lassen. 
Das „D. M.sBl.“ hringt einen längeren Artikel über die 
Passionsspielei Oberammergau, in welchem auch die finan⸗ 
elle Seite des Spieles in Betracht gezogen wird. Ein Auszug 
daraus dürfte unsern Lesern nicht uninteressant sein. Im vorigen 
Jahrhunderi kämpfte das Unternehmen mit einem ständigen Deficit, 
das im Jahre 1770 noch 157 Gulden betrug. Die letzten vier 
Aufführungen ergeben dagegen stetig sich steigernde Ueberschüsse; die 
Einnahmen im Jahre 1850 betrugen 24,000, die Ausgaben 7500 
Gulden, im Jahre 1860 Einnahmen 54,810, Ausgaben 15,000 
Julden, 1871 Einnahmen 117,000 Gulden, die Ausgaben sind 
aicht bekannt, endlich die Ausgaben für 1880 80,000 M. während 
die Einnahmen auf 300,000 M. veranschlagt sind. Was sagen 
nun diese Ziffern? Nichts Anderes, als daß aus der einstmaligen 
schlichten, mit Opfern verbundenen Erfüllung eines frommen Ge— 
luübdes heute eine großartige Theaterunternehmung geworden ist, 
und zwar eine der erfolgreichsten, rentabelsten der Neuzeit. Was 
ainst stillfrommes Thun war, ist heute eine praktisch bewußte Unter— 
nehmung, was einst einzig dem Gemüthe genügen wollte, das strebt 
jetzt — im großen Maßstabe — nach Ruhm und Gewinn:. Und 
dieser Gewinn wird den Oberammergauern in noch viel größerem 
Maße als durch die Einnahmen des Spieles selbst durch die Ver⸗ 
mieihung von Wohnungen ꝛc. zu Theil. Trotzdem würde man 
fehlgreifen, wenn man in den Passionsspielen, wie sie heute sind, 
raffinirie moderne Speculationen sehen wollte. Noch immer wird 
der größte Theil des Reingewinnes öffentlichen Zwecken gewidmet 
ind nur ein kleiner Theil dem Honorar der Spieler, wenn eine 
so bescheidene Entschädigung diesen stolzen Titel verdient. Noch 
immer sind die Passionsspieler trotz des vielen ihnen gespendeten 
Lobes durchaus unaffektirte, bescheidene Leute, noch immer lebt der 
Beist der Pietät, der freudigen Hingebung des Einzelnen an das 
Gelingen, die Ehre und Würde des Ganzen, in den meisten 
von ihnen. 
In Delhoven haben sich in einem Wirthshause zwei 
Gäste, welche wegen eines Schnäpschens in Streit geriethen, gegen— 
seitig ermordet. Der Eine, welcher einen Stich in den Unterleib 
ꝛrhieit, besaß noch so viel Kraft, seinem Gegner einen tödtlichen 
Schnitt in den Hals zu versetzen. Beide starben nach wenigen 
Minuten. 
— Wie bereits bekannt, wird aus Erbrechtsgründen der Pro— 
Feß Tourville in England wieder aufgenommen; es wird nach 
Wiener Blättern die zur Untersuchung beorderte Kommission in 
einigen Tagen auf dem Stilfserjoche eintreffen, um nach genauer 
Besichtigung des Thatortes mit größerer Sicherheit die Entscheidung 
reffen zu können. Unterdeß ist Tourville durchaus unzufrieden 
mit dem Leben in der Festung Gradisca, denn er, dem sein Kapi—⸗ 
al monatlich mehr als 2000 fl. Zinsen abwirft, darf im Ge— 
ängnisse nicht mehr als 1 fl. 40 kr. im Monate ausgeben. Auch 
ie Kost will ihm durchaus nicht munden. Bei dieser Gelegenheit 
ei eine kleine Episode aus der Zeit des sensatisnellen Prozesses 
zrzählt. Nachdem Tourville in Folge des Wahrspruches der Jury 
in Votzen verurtheilt worden war, erhielt sein Vertheidiger, Dr. 
Markbreiter, von einem 72jährigen Tiroler Bauer ein Schreiben, 
nn welchem sich dieser anheischig machte, für Tourville die Strafe 
mzutreten. Er habe, erzählt der Bauer, Weib und Kinder, die 
er in Folge seiner Greisenhaftigkeit nicht im Stande sei, zu erhalten. 
dieser schmerzvolle Gedanke breche ihm nun das Herz, und er 
vürde sich daher sehr gerne für die Seinigen opfern und für eine 
ebensrente von täglich 50 kr., die seiner Familie auszufolgen 
vären, die Strafe für Tourville absitzen. 
Guch eine Kritik, Von dem Fiasco des am letzten 
Sonnabend in New-York aufgeführten Stiergefechts sagt der 
„N.«Y. Figaro“: „Es waren nicht Ochsen, sondern Stiere, mit 
welchen die Stiergefechts-Farce am Sonnabend aufgeführt wurde; 
— die Ochsen saßen im Zuschauerraum und hatten für dieses Ver⸗ 
znügen Doll. 1.50 -2 bezahlt.“ 
— Eine Amerikanerin, Frl. Dr. Ethel Walter, erklärt in einem 
offenen Briefe die ganze Fastenprobe Tanners für eitel Humbng, 
indem sie ausführt, wie derselbe durch Kautschukröhren aus an— 
stoßenden Zimmern flüssige Speisen erhalten habe; die verschiedenen 
Erbrechungsaffairen erklürt sie für ganz natürlich, die übrigen Krank— 
heitserscheinungen als Comödie. 
FDie Bearbeitung der Resultate der Volkszählung von 1880 
in den Vereinigten Staaten von Amerika ist jetzt so weit vor— 
geschritten, daß die Bevölkerungsziffer wenigstens der größeren 
Städte genau festgestellt werden kann. Die folgende Tabelle gibt 
die Zahl der Einwohner und das Anwachsen der seit 1870 in 
Prozenten an: Bevölkerung Zuwachs in pCt. 
New⸗York 1208,561 24 
Philadelphia 3842,900 24 
Brooklyn 3554,693 40 
Chicagon. 177,500 60 
St. Louis 175,000 21 
Boston. 352,000 09 
Baltimore 330,000 
Lincinnati 255,000 
A 227,350 
New⸗Orleans 217,328 
Washington 60,000 
Cleveland 57,000 
Buffallo. 49,000 29 
Newark .. 36,000 30 
Pilwaukee.. —430,000 92 
Detroit —119,000 50 
vouisville .. 112,000 11 
Providence... 104,000 52 
Für Pittsburg und Jersey⸗-City sind die Arbeiten noch nicht vol⸗ 
lendet. Chicago, Cleveland und Milwaukee stehen oben an, was 
die relative Vergrößerung der Bevölkerung betrifft — eine Folge 
des Aufschwunges des Getreidehandels und der Petroleumraffinerie. 
leinere Städte sind noch bedeutender gewachsen, so Minneapolis 
um 244, Atlanta (ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt in Georgia) 
um 106, Waterburg (Uhrenhandel) in Connecticut um 102, Si. 
Paul 100 und Denver in Colorado gar um 614 pCt. Im Gan— 
en scheint jedoch der Zuwachs ziemlich gleich auf alle Staaten 
bdertheilt zu sein. 
F Ueber den Nährstoff der Fleischbrühe 
nachte in einer Sitzung des niederöosterreichischen Landtages kürz⸗ 
ich Rektor Dr. E. Brücke, der berühmte Physiologe, folgende Be— 
nerkung: „Es ist mir aufgefallen, daß man zur Verbesserung der 
Kost den Zwänglingen eine Fleischsuppe geben wolle. Es hat 
nich dies daran erinnert, daß im Publikum sehr irrthümliche Vor⸗ 
tellungen über den Nährwerth der Fleischbrühe verbreitet worden 
ind. Sie sind verbreitet worden durch einen sehr berühmten und 
yopulären Gelehrten (Liebig), der seinen wohlverdienten Ruhm auf 
inem andern Felde und nicht auf jenem der Medizin und Diätelik 
xworben hat. Es hat sich herausgestellt, daß dieser Gelehrte sich 
seirrt hat, und daß das Publikum mit irre geführt worden ist. 
die Sache steht einfach so: Es ist zur Ernährung nicht unum— 
zänglich, aber unter gewissen Umständen, für gewisse Individuen, 
jei gewisser Arbeitsleistung ein bestimmtes Quantum von Fleisch 
aothwendig. Es ist für den Nährwerth gleichgültig, ob man ge— 
ratenes Fleisch oder erst die Fleischsuppe und nachher das aus⸗ 
jekochte Fleisch genießt. Ich muß ausdrüchlich betonen, daß das 
Fleisch fuͤr die Ernaährung ebenso wichtig wie die Fleischbrühe ist. 
die Fleischbrühe ist eine Nahrung, bei der man, wenn die übrige 
dost nicht danach geregelt wird, verhungern kann. Es hat leinen 
Zinn, zur Verbesserung der Kost Fleischbrühe zu empfehlen (Hörth; 
es hat aber Sinn, das Gewicht des Fleisches zu erhöhen.“