8* t. Inaberker Anzeiger.
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1880.
Deutjches Reich.
Berlin, 15. Sept. Fürst Bismarck ist zum Handelsminister
und der seitherige Oberpräsident von Bötticher zum Staatssekretär
des Reichsamtes des Innern und zugleich zum Staatsminister er⸗
nannt worden.
Die „Frk. Zig.“ weiß zu berichten, daß das Kasernirungs⸗
gesetz, welches schon einmal den Bundesrath beschäftigt und die
offentliche Meinung lebhaft bewegt hat, wieder einmal auf der
Bildfläche erscheint. Das Kasernirungsgesetz bedingt eine Kosten⸗
forderung von 170 Millionen Mark — sollte es wirklich vorgelegt
werden, so dürfte Dieß auch den Vertrauensduseligsten darüber be—
lehren, was in Wirklichkeit Ziel der Bismarck'schen Steuerpolitik ist.
Der rheinisch-westphälische Parteitag der Fortschrittspartei
wird am 3. Oktober in Elberfeld Statt finden. Ferner wird
der Abg. Ludwig Löwe am 26. September in Remscheid, am
27. in Solingen, am 28. in Offenbach a. M. Vorträge in Ver⸗
sammlungen halten, welche die fortschrittlichen Wahlvereine daselbsi
deranstalten.
Berliu. (Franzosische Strebungen.) In Frankreich ist
die Revanche⸗Idee, trot aller offiziellen und offiziösen Ableug—
nungen tagtäglich noch an der Tagesordnung. So wurde zu
Lyon vorgestern ein Deukmal für die in dem Kriege von 1870/71
Gefallenen dieser Stadt enthüllt. In dem Berichte des Salut
public über diese Feierlichkeit lesen wir:
„Nun ergriff der Platzkommandant von Lyon, General Breart,
das Wort. Er sei, sagte er im Eingange seiner Rede, von dem
Beneralgouverneur beauftragt, ihn bei dieser Zeremonie zu ver⸗
treten; dann erinnerte er in einer glühenden Improvisation an die
Leiden, welche unsere Soldalen zu erdulden gehabt hätten, und
agte zum Schlusse, die französischen Soldaten hätten Elsaßß und
Lothringen noch nicht auf ewig Lebewohl gesagt.
Diese Worte wurden mit frenetischem Beifall aufgenommen und
die Versammlung brach wiederholt in die Rufe aus: „Es lebe die
Armee!“
Nun scheint man allerdings in Paris selbst einigermaßen er—
schrocken zu sein, ob dieser urkräftigen Betonung des nationalen
Rachegedankens, denn der offizielle Telegraph mischt sich darein und
meldet aus Lyon, wie folgt:
„Das Journal „Salut public“ erklärt die dem Geueral
Breart zugeschriebenen Worte, welche derselbe bei der Einweihung
des Denkmals für die in den Jahren 1870 und 1871 gefallenen,
aus Lyon gebürtigen Soldaten gebraucht haben sollte, für unrichtig.
General Breart habe nicht gesagt, daß die Armee nicht auf immer
Elsaß⸗Lothringen Lebewohl! sagen solle, er habe einfach gesagt:
Ich danke der Bevölkerung, welche uns das Geleit gegeben hat
und den Gesellschaften, die aus dem Patriotismus hervorgegangen
sind und unter denen ich einen Namen begrüße, der Frankreich
tets theuer sein wird.“
Wenn man diese beiden Fassungen mit einander vergleicht, so
begreift man kaum, wie es möglich war, wenn von einem „Namen“
die Rede gewesen, dafür „Elsaß und Lothringen“ zu verstehen,
welchem „die Armee noch nicht auf ewig Lebewohl gesagt habe.“
Wir dürfen uns allerdings an dem Rüchzug genügen lassen, den
der General Breart in den Spalten des Salnt public antritt, ein
Rückzug, der in keiner Weise an denjenigen Xenaphons oder Mo—
ceans gemahnt. Frankreich kann sich übrigens für den Augenblick
trösten. Meldet doch das „Journal officiel“ nunmehr amilich die
Annerion der Gesellschaftsinseln, der Freundschaftsinseln und der
Insel Hivaoa im Marquesas-⸗Archipel durch Frankreich, so daß,
was 1871 im Frankfurter Frieden an zivilisirten Elementen ver—
loren ging, nun bis zu einem gewissen Grade wenigstens durch
Wilde ersetzt worden ist. Für den Augenblick wirbelt in den poli⸗
tischen Kreisen der französischen Hauptstadt noch immer Herrn v.
Varnbülers jüngste Rede viel Staub auf, namentlich die Angabe,
Herr Waddington habe als Minister des Aeußeren sich beeilt,
den Fürsten Bismarch von den Allianz⸗ Anerbietungen Rußlands
im vorigen Spatsommer alsbald amilich in Kenntniß zu setzen.
Schon hält sich der als offiziös geltende Pariser Telegraphe“ für
herechtigt, diesen, Herrn Waddington betreffenden Passus, der Rede
des Herrn v. Varnbüler vollständig zu dementiren. Zugleich ver—⸗
autet aus Paris, Herr v. Waddington habe das direkte Ersuchen
in den Fürsten Bismarck gerichtet, die Varnbülerschen Behaupt⸗
ungen insoweit wenigstens, als dieselben ihn — Waddington —
heträfen, durch eine Kundgebung der deutschen Regierung für un—
vahr und erfunden erklären zu lassen. Ja, der Brüsseler „Etoile
zelge“ läßt fich sogar aus der französischen Hauptstadt depeschiren,
Waddington hätte Herrn von Varnbüler wegen seiner Aeußerung tele⸗
zraphisch eine Herausforderung zugesandt. Diese letztere Fassung
st ein wenig kraß und erscheint ziemlich unglaubwürdig — wenn
auch vorausgesetzt werden darf, daß in dieser Sache noch weitere
Aufklärung nicht ausbleiben werde.
Auch die Russen bemächtigen sich der Varnbülerschen Rede,
im sie nach ihrer Art zu kommentiren.
Bei diesem internationalen Lärm mag Herrn v. Varnbüler
ʒielleicht nicht ganz wohl zu Muthe sein — aber da helfen ihm
keine Schutzzollschranken, denn Gedanken sind noch immer zollfrei,
und so wird er wohl Rede und Antwort stehen müssen.
Da den Franzosen der Import „preußischer Spi⸗
one“ nicht mehr für ihren Bedarf genügt, haben sie in jüngster
Zeit bekanntlich im eigenen Heere noch einige Spione entdeckt, die
n preußischen Diensten stehen. In Paris kommt nun die Affäre
Woestyne⸗Yung vor Gericht. Herr v. Woestyne hatte im Gaulois
»ehauptet, die deutsche Regierung beziehe seit langer Zeit Nach—
ichten aus dem französischen Kriegsministerium, und mit dieser
Behauptung den Oberstlieutenant Yung in verdächtigende Verbin⸗
dung gebracht. Der verleumdete Offizier trat als Kläger auf.
Bie das genannte Blatt meldet, ist nun verflossenen Donnerstag
Woestyne vor dem Untersuchungsrichter erschienen und hat sich be—
reit erllärt, den Bemeis der Wahrheit seiner Behauptungen mit
ꝛeinem imposanten Zeugenapparate anzutreten. Unter seinen Zeugen
iannte er nämlich eine Anzahl Persönlichkeiten, worunter sogar den
sriegsminister General Farre sowie den gewesenen Chef des Kriegs-
dortefeuilles, General de Cissey, und schließlich die geschiedene
Frau HYung, welche angeblich dem Kläger dazu gedient haben soll,
dem Kriegsministerium anvertraute Staatsgeheimnisse an fremde
Regierungen auszuliefern. Arthur Ranc, dessen Ehrenhaftigkeit
einem Zweifel unterliegt, gibt über diese ganze Affaire im, Vol—⸗
aire“ Aufschlüsse, welche den Oberstlieutenant Yung als ein Opfer
der niedrigsten Partei-Intrigue erscheinen lassen. Aus Ranc's
Jaubhafter Darstellung geht hervor, daß die Feinde der Republik
herrn Yung für seine mannhaften republikanischen Gesinnungen,
vomit er den Reaktionären etliche Male empfindlich unbequem ge⸗
wesen, büßen lassen wollten.
Ausland.
Wien, 15. Sept. Admiral Seymour wird heute oder
Morgen namens des vereinigten Geschwaders an den Gouverneur
»on Dulcigno das Ultimatum richten, die Stadt binnen drei Tagen
un die Montenegriner auszuliefern. Falls der Gouverneur der
Aufforderung nicht nachkommt, werden montenegrinische Truppen
und die vereinigte Flotte gegen Dulcigno vorgehen.
London, 15. Sept. Den „Times“ wird aus Ragusa von
jestern gemeldet, daß 5000 Monienegriner mit 3 Geschuͤtzen äͤuf
dulcigno marschiren. — Demselben Blatte wird aus RKom von
zestern gemeldet, die Admirale der Flotte seien nicht verpflichtet,
den Regierungen zu referiren, ehe sie ein zweckddienliches Vorgehen
heschließen. Diese Actionsfreiheit erstredte sich auch aquf ein Vom—
bardement Dulcigno's, im Falle es erforderlich sei. Die Landung
von Truppen sei in den Instruktionen aber streng untersagt.
Der Haß der irischen Aktionspartei gegen
England hat sich bis zum Wahnsinn gesteigert; der „Irisham“
)xuckt einen Artikel des in Amerika erscheinenden „Irisch World“
nit dem Vorschlag einer Niederbrennung Londons ab. Wenn die
Flammen in der Weltstadt an 50 Stellen zugleich emporschlagen,
ann ist Englands Kredit und Macht vernichtet und wenn die Eng⸗
änder die irischen Städte ebenso behandeln würden, könnten Liver-
hool, Manchester, Leeds und Sheffield gleichfalls an die Reihe