Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberler AAnzeiger. 
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M —169. Samstag, den 23. Oktober 
1880 
Deutsches Neich. 
Wie dem „Pf. K.“ aus München berichtet wird, sollte 
der auf den 20. ds. Mis. zur Berathung der Steuergesetzentwürfe 
einberufene Ausschuß der Abgeordnetenkammer am 21. seine Sitz- 
ungen beginnen und zwar mit der ersten Berathung des Gesetz⸗ 
niwurfs bezüglich einiger Abänderungen an den Gesetzen über die 
allgemeine Grund- und Häusersteuer. Auch soll über einige hiezu 
eingelaufenen Petitionen, insbesondere jene des Vereins der Mün⸗ 
hener Hausbesitzer berathen werden. 
Die Ergänzungen und Aenderungen der , Wehrordnung 
jür das Königreich Bayern vom 21. November 1875“, welche 
im neuesten Verordnungsblatt unseres Kriegsministeriums nach er⸗ 
angter kgl. Genehmigung publizirt werden, sind dieselben, welche, 
zurch das Reichsgesetz vom 6. Mai d. Is. in dem Reichsmilitär⸗ 
gesetz vom 2. Mai 1874 eingetreten sind. Unter anderem wurde 
genehmigt, daß bei Berechnung der Dienstzeit davon auszugehen 
ist, daß die Dienstzeit der am 1. Oktober eingestellten Mannschaf⸗ 
ten nicht am 30. September, sondern erst mit dem 1. Oktober 
hr Ende erreicht. Die Versetzung aus der Reserve in die Land⸗ 
wehr erfolgt bei den nächsten auf Erfüllung der Dienstzeit im 
stehenden Heer folgenden Frühjahrs-Kontrol-Versammlungen; nur 
ziejenigen Mannschaften, deren Dienstzeit im stehenden Heer in der 
Periode vom 1. April bis zum 80. September ihr Ende erreicht, 
verden bei den Herbst-Kontrol⸗Versammlungen des betlreffenden 
Jahres zur Landwehr versetzt. Die Entlassung aus der Landwehr 
erfolgt bei der nächsten auf Erfüllung der Dienstzeit folgenden 
Frühjahrs⸗Kontrol⸗Versammlungen. 
Der neue bayerische Gesandte in Berlin Graf v. Lerchen⸗ 
jeld ist zum Mitgliede des Bundesrathes an Stelle des ausge— 
chiedenen Herrn v. Rudhart ernannt worden. 
Die Berliner offiziöse „Prov.Korr.“ schreibt: An dem 
ernsten Willen der Pforte, den Beschluß zur Uebergabe von Dul⸗ 
igno auszuführen, liegt kein Grund vor zu zweifeln. Es darf er⸗ 
wartet werden, daß die Pforte nachdrücklich ihr Ansehen geltend 
nacht und die lokalen Hindernisse, welche sich etwa der Einlösung 
hres Wortes entgegenstellen sollten, unverzüglich beseitigt.“ 
Nach dem „Berl. Tgbl.“ wird der in Berlin eingetroffene 
Bevollmächtigte Hamburgs, Senator Kißmann im Bundesrathe be— 
intragen, über Ham burg zuerst auf Grund von 8 28 des So— 
zialistengesetzes den kleinen Belagerungszustand zu ver—⸗ 
sängen; ein Gleiches wird Preußen für die Hamburg benachbarten 
Ortschaften Altona, Ottensen und Wandsbed beantragen. 
Der General⸗Auditeur der preußischen Armee, Geheimer 
Zzustizrath Oelschläger, ist aus Süddeutschland zurückgekehrt, wo 
er bekanntlich mit den Kriegsministerien beziehungsweise Regierungen 
»on Württemberg und Bayern über eine neue Miliär⸗Strafprozeß⸗ 
zrdnung Verhandlungen geführt hat. Von allen Seiten wird be— 
ttätigt, daß in Bayern eine unbedingte Abneigung obwaltet, die 
Deffentlichkeit des Verfahrens im Militärstrafprozeß aufzugeben, 
auf die Militär-Schwurgerichte zu verzichten und die Rechte der 
Vertheidigung einzuschränken. Diese entschiedene Haltung in den 
naßgebenden bayerischen Kreisen ist um so erfreulicher. als sie überaus 
nothwendig ist. 
Man gibt sich nämlich einem Irrthum hin, wenn man an—⸗ 
nimmt, daß zu einer Aenderung des bayerischen Militär⸗Strafver⸗ 
jahrens die Mitwirkung der bayerischen Kammern unbedingt er⸗ 
forderlich se. Das ist keineswegs der Fall. In den Versailler 
Verträgen ist vielmehr bestimmt, daß Bayern seine Militärgesetz⸗ 
zebung nur bis zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung über die 
der Bundesgebung anheimfallenden Materien behält. 
Ein Reichs-Militärstrafgesetz würde also ohne Weiteres auch in 
Bayern Geltung haben, da Reichsgesctze den Landesgesetzen vorgehen, 
und nur das Einführungsgesetz bliebe der Mitwirkung der bayerischen 
dammer vorbehalten. Unter so gestalteten Verhältnissen ist es vor⸗ 
nehmlich das moralische Gewicht, welches der Enischiedenheit der 
hayerischen Regierung innewohnt, von dem erhofft werden kann, 
ss möchte in den maßgebenden Berliner Kreisen von Einfluß sein. 
Fürst Hohenlohe, der Stellvertreteter des Reichskanzlers, 
ist seit einiger Zeit an einem gastrischen Fieber erkrankt, dessen Ver⸗ 
lauf sich, wie das „Tagebl.“ meldet, in den letzten Tagen bedenk⸗ 
lich gestaltet haben soll. 
Die „NRorddeutsche Allg. Zig.“ schlägt vor, daß den Straf⸗ 
erichten ein Mittel gegeben würde, um ohne viele Recherchen den 
randstreicher vom wandernden Arbeiter zu unterscheiden; ein solches 
Mittel ist das obligatorische Arbeitsbuch. Wenn neben 
dessen Einführung das Strafgesetzbuch eine Ergänzung dahin erhielte, 
daß jeder Handwerksgeselle und Arbeiter, der ohne ein ordnungs⸗ 
Jjemäß geführtes Arbeitsbuch auf dem Bettel betroffen wird, als 
dandstreicher betrachtet würde, und daß der Landstreicher zur Ver⸗ 
üßung seiner Haftstrafe dem nächsten Arbeitshaus überwiesen werden 
önnte, so wäre wieder gegründete Aussicht, das Vagabundenthum 
inigermaßen wirksam zu bekämpfen, und wäre zugleich dem besseren 
Theil der wandernden Arbeiterbevölkerung ein großer Dienst erwiesen. 
ticht minder würde die ganze bürgerliche Gesellschaft es angenehm 
mpfinden, wenn das regellose Almosengeben und die mancherlei 
onstigen Nachtheile eines ausgedehnten Vagabundirens beschränkt 
verden könnten, wie es endlich auch von unschätzbarem Gewinn 
väre, wenn die irrigen Vorstellungen von einer zunehmenden Ver⸗ 
irmung Deutschlands, welche im Ausland durch die sich häufenden 
dlagen deutscher Blätter über das Anwachsen des Vagabundenthums 
ich bilden wieder richtigeren Ansichten Platz machten. Wahrlich, 
Bründe genug um ein bisher wenig geachtetes Gebiet der Gewerbe⸗ 
ardnungsreform der öffentlichen Meinung zur Beachtung zu empfehlen. 
Am Mittwoch kam der Kaiser mit dem Kronprinzen und dem 
Prinzen Heinrich in Frankfurt an. Eine große Menschenmenge 
tand, sie erwartend, vom Necarbahnhof bis zum Panorama, wo 
die Kriegervereine aufgestellt waren. Vom Panorama fuhren die 
derrschaften zum Palmengarten, wo sie, geleitet von mehreren Ver⸗ 
valtungsräthen die seit dem Brand i. J. 1877 hergestellten Neu⸗ 
hauten besichtigten, über die sie sich anerkennend äußerten. Dann 
zegaben sich die Herrschaften in ihr Absteigequartier, die Post. 
Abends, als sie von da durch die festlich erleuchteten Straßen zum 
ieuen Opernhaus fuhren, wurden sie von dem in den Straßen 
dichtgedrängten Publikum mit begeisterten Hochrufen begrüßt. Das 
in allen Räumen überfüllte Haus bot einen prächtigen Anblick dar. 
Bei dem Eintreten des Kaisers in die kaiserliche Loge ertönten 
türmische Hochs unter den Klängen der Musik. Am Schlusse des 
»on Wilhelm Jordan gedichteten Festspieles erhob sich das Publi⸗ 
jum und stimmte die Nationalhymne an. 
Ausland. 
Ueber das Befinden des russischen Kaisers vernimmi 
nan, daß derselbe sich in einem Zustande hochgradiger nervöser Auf⸗ 
ꝛegung befinde und deßhalb der Aufenthalt in Livadia verlängert 
verden müsse. Die Reise des Großfürsten⸗Thronfolgers nach dort 
vird dahin kommentirt, daß Unterhandlungen gepflogen werden 
ollen über die Uebernahme einer Art Mitregentschaft seitens des 
chronfolgers. Letzterer soll die eigentlichen Regierungslasten dem 
Zaren abnehmen, während diesem alle kaiserlichen Vorrechte vorbe⸗ 
jalten bleiben. Der Zar würde dann seine Residenz in Lipadia 
nehmen. 
Die von Montenegro zurückgewiesenen türkischen Beding⸗ 
ingen waren folgende: Eine neue veränderte unannehmbare Grenz⸗ 
linie, Einschränkung der Schifffahrt, welche den Besitz Dulcignos 
lahmlegt, und der Abzug der türkischen Truppen einige Stunden 
jvor der Ankunft der Montenegriner. 
Vermischtes. 
*St. Ingbert, 20. Okt. In der Sißung des heutigen 
Schöffengerichts dahier kamen folgende Fälle zur Verhandlung: 
Wegen Berufsbeleidigung wurden bestraft: Zwei Männer von 
Suslzbach zu fünf und zwei Tagen Gefängniß; ein Ehepaar von 
Schnappbach zu vier und zwei Tagen Haft; zwei Männer von hier 
ju Geldstrafen von je dreißig Mark und ein Dritter ebenfalls von 
hier zu einer Geldstrafe von zehn Mark. 
*St. Ingbert, 22. Olt. In der verflossenen Nacht 
hat uns der Winter bereits seine Visite abgestattet und Dächer,