Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberler Anzeiger. 
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18 192. Donnerstag, den 2. Dezember 
1880 
Deutsches Reich. 
Dem „Pf. K.“ wird aus München geschrieben: Reichsrath 
dr. v. Neumayr hat das ihm vom Ausschuß der Reichsrath skammer 
ibertragene Referat über den von der Abgeordnetenkammer bekannt⸗ 
ich mit mehrfachen Modifikationen angenommenen Entwurf eines 
disziplinargesetzes für richterliche Beamte vollendet, so daß unmittel⸗ 
„ar nach dem Wiederzusammentritt des Landtages der Ausschuß 
zer 1. Kammer darüber in Berathung treten kann. Hinsichtlich 
es wesentlichsten Differenzpunktes, welcher zwischen den Beschlüssen 
der Abgeordnetenkammer und dem Regierungsentwurf besteht — 
der Frage der Dienstentlassung, Art. 6 — wicd, wie ich höre, von 
derrn v. Neumayr eine Fassung in Vorschlag gebracht, die geeignet 
rin dürfte, auch hier eine Vereinbarung der drei Faktoren der 
gesetzgebung herbeizuführen. 
Von verschiedenen Seiten laufen jetzt bei der bayerischen 
Regierung die Antworten auf, die neulich ergangenen Anfragen 
ʒezuͤglich der Arbeiterversicherungskassen ein; es hält 
ber noch schwer, aus dem Durcheinander der meistens den Ge⸗ 
jenstand nur streifenden Erörterungen ein anderes Gesammtergeb⸗ 
uiß zu erzielen, als daß die Aufgabe durch Schwierigkeiten aller 
urt behindert ist. Mit anerkennenswerther Offenherzigkeit sprechen 
die Gutachten die Ueberzeugung aus, daß den betreffenden Kreisen 
Zas Matetial fehlt, um Einzelvorschläge zu machen. Darüber, ob 
nan von Reichswegen den Gegenstand in Angriff nehmen solle, 
cheinen die Ansichten getheilt zu sein; doch neigen sich die Stim— 
nen von größerer Autorität der Verneinung der Frage zu. Je— 
„Fenfalls leuchtet aus Allem hervor, daß wir hier für eine prak— 
ische Lösung noch im Anfang des Anfanges stehen. 
Auf ein von dem Herrenclub zu Goslar an den Reichs⸗ 
anzler gerichtetes Glückwunsch-Telegramm, am zehnten Jah⸗ 
restag der Unterzeichnung des Vertrages mit 
Bayern, als der letzten Urkunde über die Wiedervereinigung 
zes ganzen deutschen Vaterlandes, hat Fürst Bismarck dieser Tage 
olgende Antwort ertheilt: „Ew. Hochwohlgeboren und den Her⸗ 
en Mitunterzeichnern danke ich verbindlichst für die landsmann⸗ 
chaftliche Begrüßung am heutigen Jahrestage des Abschlusses mit 
Bayern und freue mich mit Ihnen des Ruͤckblicks auf die Ent—⸗ 
vickelung des Reiches in dieser zehnjährigen Epoche. Wenn heute 
msere nationalen Errungenschaften als ein sicherer und natürlicher 
Besitz erscheinen und ihnen deshalb von vielen unserer Mitbürger 
nicht mehr der Werth beigelegt wird, den sie zu haben schienen, 
ils wir sie noch nicht besaßen, und wenn wir in unserem Be⸗ 
treben nach Befestigung derselben Gegner finden, auf deren Bei⸗ 
tnd wir damals rechneten, so macht mich diese Erscheinung in 
zer Ueberzeugung nicht irre, daß das deutsche Nationalgefühl stark 
jenug sein wird, festzuhalten, was deutsche Kraft gewonnen hat.“ 
Der deutsche Kaiser ist von seinem Unwohlsein völlig 
vieder hergestellt. 
In Bundesrathskreisen werden Verhandlungen einiger⸗ 
naßen lebhaft besprochen, welche darauf abzielen, das waldecksche 
Ländchen an Preußen zu annektiren. Veranlaßt sind 
ziese Verhandlungen durch die Stimmung des waldeckschen Landtags, 
welcher rückhaltlos der Vereinigung des Laändchens mit Preußen 
uneigt und welcher dabei, vorausgesetzt, daß seitens Preußens ge⸗ 
visse finanzielle Vedingungen erfüllt werden, auf eine zustimmende 
Haltung des Fürsten rechnen zu können weiß. 
Friedrichsruhe, das Tuskulanum unseres Reichskanzlers, 
hat in diesen Tagen eine Reihe von Diplomaten gesehen, deren 
esuche uns beweisen, daß der Fürst Bismarck immer flott bei der 
Arbeii ist. Besonders die deulschen Botschafter waren entboten; 
o Graf Schweinnitz, Fürst Hohenlohe, Prinz Reuß, doch war 
auch der sranzösische Gesandte, Graf St. Vallier, anwesend. 
Auf ein an Fürst Bismard gerichtetes Begrüßungs-Telegramm 
don 8300 in Düsseldorf versammeiten Mitgliedern des Vereins 
der deutschen Eisenhüttenleute, worin dieselben für das Wohlwollen 
anken, welches der Reichskanzler für die Industrie durch die Ueber— 
iahme des Handelsministeriums auf's Neue bekundet habe, dankte 
ꝛer Reichskanzler der „Rordd. Allg. Ztg.“ zufolge telegraphisch und 
aate die Versicherung hinzu, er werde fortfahren, das Amt des 
I 
Handelsministers „im Interesse der nationalen Arbeit wahrzunehmen, 
su deren Schutz und Förderung er dasselbe übernommen habe.“ 
Nach der dom kaiserlichen statistischen Amte aufgestellten 
Nachweisung über die deuische Auswanderung nach übersee— 
schen Ländern aus den Häfen Bremen, Hamburg, Stettin und 
Antwerpen in den ersten neun Monaten des Jahres 1880 betrug 
dieselbe 79,958 Personen (48,329 männlich und 31,629 weiblich.) 
Die meisten Auswanderer beförderte Bremen, nämlich 39,758. 
Nach den Vereinigten Staaten von Amerika gingen 77,629 Per— 
onen; während im Jahr 1872 die Auswanderung 96,248 Personen 
hetrug, wanderten 1878 nur 19,758 aus; im Jahre 1879 stieg 
die Zahl auf 25,546, die im Jahre 1880 sich nach obiger Angabe 
um 54,412 wiederum erhöhte. 
Ausland. 
In Wien und in vielen andern Städien Oesterreichs feiert 
die Bevölkerung mit frohem, offenem Jubel den hundertjährigen 
Bedenktag seines großen Kaisers Josef und in Posen begeht zu 
lleicher Stunde der polnische Adel und die polnische Geistlichkeit 
n aller Stille den fünfzigjährigen Gedenktag des pol⸗ 
nischen Aufstandes vom Jahre 18330. 
Wie aus Paris gemeldet wird, hat Viktor Hugo sich an 
zie Spitze einer Substription gestellt, durch welche Garibaldi in 
zessen Vaterstadt Nizza ein Denkmal errichtet werden soll. Wenn 
nan bedenkt, daß in Nizza heute noch eine starke italienische Anti— 
innexionspartei besteht, der Garibaldi zu wiederholten Malen die 
räftigsten Ausdrücke seiner Sympathie gespendet hat, so wird man 
s erklärlich finden, wenn selbst unter den republikanischen Ver— 
hrern des greisen Dichters patriotische Zweifel über die Ange— 
nessenheit der Zeit und des Ortes (vom französischen Standpunkt 
aus) für einen solchen Verherrlichungsakt laut werden sollten. 
Der französische Senat hat bei Berathung des Kultus— 
Budguts die von der Regierung vorgeschlagene und von der Depu— 
irtenkammer herabgesetzte Summe für die Besoldung der Bischöfe 
vieder in der ursprünglichen Höhe eingestellt. — Die Deputirten— 
ammern nahm in ihrer Sitzung vom 29. Nov. eine Vorlage über 
die Unentgeltlichkeit des Elementarunterrichts an. 
Die englische Regierung hat ein Garderegiment nach Ir⸗ 
saud beordert. Die Lage scheint in dem bedauernswerthen Land 
ich also neuerdings noch verschlimmert zu haben. Bekanntlich will 
die Regierung in Bälde gesetzzgeberisch vorgehen, um die grauen— 
jaften Mißstände auf der „grünen Jusel“ zu mildern. Möchte 
dieser Wille ein ernster sein und ihm die geeignete That folgen! 
Aus Petersburg kommt die allerdings nicht sonderlich 
iberraschende, aber um so mehr beachtenswerthe Meldung, daß 
Rußland den von den Kurden so hart bedrängten Persern beistehen 
volle. Vorläufig zwar nur an den Grenzen; doch der Appetit 
'ommt bekanntlich beim Essen und Rußland hat einen großen Magen! 
Die türkisch montenegrinische Streitfrage ist durch 
zie nunmehr ohne nennenswerthen Widerstand seitens der Albanesen 
»ewerkstelligte Uebergabe von Dulcigno an die Montenegriner glück⸗ 
ich beseitigt. Nun kommt die türkisch-griechische Grenzregelungs— 
rage an die Reihe. Was diese anbelangt, so sind die Großmächte 
arüber einig, die Sache nicht zu beeilen, und in der That haben 
ie bis jetzt dämpfend und mäßigend auf Griechenland einzuwirken 
zerstanden. Hoffentlich wird die unter dem leitenden Einflusse 
Deutschlands stehende gemeinschaftliche Thätigkeit der europäischen 
diplomatie nach und nach auch hier den Ausgleich finden. 
Die rumänische Thronfolgefrage ist durch eine in seinem 
eigenen und im Namen seiner Kinder erfolgte offizielle Erklärung 
es Fürsten Leopold von Hohenzollern, wonach er die Erbfolge im 
Fall des Todes des Fürsten Karl annimmt, geregelt. Es hat hier⸗ 
— 
Thronfolges Statt gefunden. 
Das Deutschthum wird im nächsten (47) Kongreß 
der Vereinigten Staaten durch sechs Mitglieder des Re⸗ 
räsentantenhauses vertreten sein, nämlich W. Heilmann ans In⸗ 
iana, Richard Günther aus Wisconsid und Dietrich Smith aus 
Illindis, alie drei Republikaner; ferner Nikolaus Muller von New— 
hork, Leopold Morse (Maus) aus Massachusetts, P. V. Deuster 
us Wisconsin, sämmtlich Demokraten.