Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sl. Ingberler Anzeiger. 
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Samstag, den 21. Mai 
1881. 
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Deutisches Reich. 
(Bayerischer Landtag.) In der Mittwoch-Sitzung der 
Abgeordnetenkammer verlas der Präsident Frhr. v. Ow ein Schreiben 
z30k. Staatsministeriums des Innern, inhaltlich dessen die feier— 
sche Schließung der gegenwärtigen Landtagsversammlung am Sams⸗ 
sag den 21. ds. Mis. (also heute) vorgenommen werden wird. 
Die bayerische Kammer der Reichsräthe beschloß 
n ihrer Mittwoch⸗Sitzung, dem Beschlusse der Kammer der Ab— 
eordneten bezüglich des Einkommensteuergesetzes zuzustimmen, so 
zaß nunmehr über alle vier Steuergesetze Gesammtbeschluß besteht. 
Aus Anlaß der endlichen Abtragung der baierischen Schuld 
sat S. M. der König von Baiern dem griechischen Minister— 
— Verdienstordens der 
aier. Krone verliehen. Den Michaelsorden in verschiedenen Ab— 
zufungen erhielten der griechische Finanzminister und verschiedene 
idere griechische Beamte, sowie der Professor St. v. Streit an 
xer Universität zu Athen. 
Der Reichssstag hat den bekannten gegen die Weinfabri— 
ation gerichteten Antrag des Dr. A. Buhl (Deidesheim) an eine 
Jommission von 14 Mitgliedern verwiesen. 
Die Kommission des Reichstags für das Gesetz gegen die 
crunkenheit hat das Maximum der Strafe für die in 8 2 mit 
ztrafe bedrohten Handlungen auf 3 Jahre Gefängniß oder 900 M. 
estgesetzt. Am 17. ds. trat die Kommission in die zweite Be— 
athung der Vorlage ein. In 8 1 wurde die Strafe für Den⸗ 
enigen, der in einem selbstverschuldeten Zustand ärgernißerregender 
crunkenheit an öffentlichen Orten betroffen wird, auf Haft bis zu 
Wochen oder Geldstrafe bis zu 60 M. (anstatt 100 M.) fest⸗ 
esetzt. Bei der dritten Verurtheilung binnen 8 Jahren steigt die 
heldstrafe auf 130 M. Ist derselbe dem Trunk gewohnheits- 
näßig ergeben, so muß auf Haft erkannt werden (wie der Gesetz⸗ 
entwürf auch wollte). Nach der in der Kommission herrschenden 
Stimmung zu urtheilen, wird in der zweiten Lesung die vorher 
abgelehnte Strafschärfung durch Schmälerung der Kost wieder auf— 
genommen werden. 
Der schwache Besuch der Mittwochs-Sitzung des Reichtags (es 
waten nur etwa 180 Milglieder anwesend) hat, wie es heißt, den 
bräsidenten des Reichtags in der Absicht bestärkt, die Arbeiten so 
u beschleunigen, daß der Schluß der Session bis Pfingsten er— 
solgt. Bis dahin sollen erledigt werden: das Unfallversicherungs- 
gesetz, das Innungsgesetz, das Gesetz gegen die Trunkenheit, die 
Abänderung des Gerichtskostengesetzes, die zweite Novlle zur Ge— 
werbeordnung und das noch nicht eingebrachte Gesetz wegen Ab⸗ 
inderung des Zolltarifs (Zoll auf Trauben und Mehl). „Die 
votschaft hör' ich wohl, allein es fehlt der Glaube.“ 
In Berliner hohen Regierungskreisen wird der Entwicke⸗ 
ung der Dinge in Rußland die gespannteste Aufmerkfambkeit zu 
heil. Die Quellen für die Darstellung der dortigen Zustände 
ließen an maßgebender Stelle in reichstem Maß, aber mit der Zahl 
det Nachrichten steht der Inhalt nicht im gleichen Verhältnisse. 
dieser bietet wenig trostreiche Aussichten. Das schlimmste ist, daß 
den Kaiser jene Willenskraft zu verlassen scheint, die man ihm hier 
jor allen anderen Eigenschaften zugetraut hatte. Er schwankt, und 
denn er unter den Männern, die ihn umgeben, Umschau hält, 
nann weiß er noch lange nicht, auf wen er sich mit seinem vollen 
dertrauen stützen soll. Die schlimmste Frucht des Wißtrauens in 
undere ist das Mißtrauen in sich selbst. Die Schuld liegt weniger 
m dem Monarchen als in den Verhältnissen. Die Umgebung des 
daisers ist so arm an Männern von Kopf und Herz, daß es fast 
cheint, als habe der Egoismus mit allen redlichen und uneige— 
aützigen Charakteren in den obigen Regionen aufgeräumt. Bon 
Zerliner maßgebender Seite soll ein Einfluß auf den Kaiser 
sdahin geltend gemacht worden sein, daß er wenigstens ein einheit⸗ 
iches Ministerium bilde mit einem Chef und einem bestimmten 
drogramm. Unter diesen Verhältnissen gewinnen die Beziehungen 
deulschlands zu Oesterreich⸗ Ungarn von selbst an Consistenz 
ag in nächster Zeit wird man davon greifbare Beispiele sehen. 
luch darin hat die innige Verbindung der beiden Regierungen ihre 
zarantie auf Bestand, daß diese sich als die Hüter des monarchi⸗ 
schen Princips in Europa betrachten, und damit unausgesprochen 
aber thatsächlich einen Beruf erfüllen, der eigentlich nicht erst durch 
die von Rußland ausgehenden Anträge in Bezug auf das Ein— 
cchreiten gegen das revolutionäre Treiben in Europa formulirt zu 
verden brauchte. Für das zukünftige Verhältniß der beiden Staa- 
en war die äußerst herzliche Aufnahme des Prinzen und der Prin⸗ 
essin Wilhelm am Wiener Hof kein ganz unwesentliches Symptom. 
Das junge Paar kam mit besten Eindrücken zurück uud erstattete, 
vie man vernimmt, bei seiner Rückkunft bei'm Kaiser ebenso wie 
die Umgebung in der Gesellschaft von der Aufnahme am Kaiserhof 
den günstigsten Bericht. 
Die Verhängung des „kleinen Belagerungszustandes“ über 
Leipzig, welche bei den neulichen Verhandlungen über die Ver— 
ängerung des Sozialistengesetzes bereits in Aussicht genommen 
var, scheint der Verwirklichung nahe zu sein. Die betreffenden 
Vorbereitungen werden bereits sehr lebhaft betrieben. 
Ausland. 
Seit dem Jahre 1840, als Palmerstone Frankreich be⸗ 
drohte, er werde dessen Protegé, den Pascha von Egypten, ins 
Meer werfen lassen, falls Ein französischer Soldat sich rühre, war 
die Sprache nicht so gereizt und die Spannung zwischen Frankreich 
uind England nicht so hervortretend, wie jetzt. Nicht nur konser⸗ 
»ative Organe und Parlaments-Mitglieder Englands verurtheilen 
Frankreichs Handlungsweise und sprechen von Erpressung, von 
äuberischer Gewalt und von einem „Schlag in das Antlitz Euro— 
pas,“ sondern selbst das Regierungsorgan, die „Daily News,“ 
pricht von Frankreich als von einem „voleur de muit“ (nächtlichen 
Findrecher). Die englischen Blätter betonen dabei, gerade Deutsch— 
and werde sehr nahe davon berührt, daß Frankreich wieder streits 
ustig und leichtsinnig geworden, wie es vor Sedan war, und daß 
die Abenteuerpolitik in Frankreich wieder vorherrsche. Das Vor— 
gehen Frankreichs sei ärger cynischer als „Jeckers bekannter Bond⸗ 
krieg“ in Mexiko. Europa könne unter der jetzigen französischen 
Regierung wieder ebenso bedroht und beunruhigt werden, wie 
anter Napoleon. (Und dies Alles wegen der französischen Weige— 
rung den neuen Zolltarif zu Gunsten Englands zu ändern! Uns 
will scheinen, als ob Frankreich für uns ein um so freundlicherer 
Rachbar sein muß, je mehr es sich in Nordafrika engagirt.) 
Die Zustände in Irland sind noch immer höchst unbe⸗ 
triedigender Ratur, obwohl täglich Verhaftungen von Agitatoren 
dorgenommen werden. Am Samstag wurden in der Grafschaft 
dildare sieben und in Kerry vier Landligisten verhaftet. Es be— 
finden sich jetzt nahezu 100 „Verdächtige“ hinter Schloß und 
Riegel. Nichtsdestoweniger nehmen die Agrarverbrechen beständig 
zu, und es scheint, als ob die Zwangsakte ihren Zweck ven 
fehlt habe. 
In Sachen der griechischen Grenzfrage scheint das über⸗ 
aus energische Auftreten des deutschen Botschafters Grafen Hatz⸗ 
eldt einige Wirkung gehabt zu haben; doch setzt die Pforte ihre 
Verschleppungstaktik fort. Der auswärtige Minister derselben 
Assym Pascha ließ durchblicken, daß er von der tunesischen Frage 
ind der durch dieselbe unter die europäischen Mächte gebrachten 
Ineinigkeit Vortheile für die Pforte in der griechischen Angelegen⸗ 
seit hoffe, allerdings eine äüußerst bezeichnende Aeußerung. Man 
nuß Alles zum Besten nehmen sagte der Mann, als er sich in 
einem brennenden Hause die Pfeife anzündete. 
Die Ernennung des Grafen Ignatiew zum russischen Mi—⸗ 
aister des Innern und der Empfang des Generals Tschernajeff, 
ines hervorragenden Führers der Panslavisten, durch den Kaiser, 
vird allgemein als das Anzeichen einer neuen Aera in der rus⸗ 
ischen Politik betrachtet. Die panslavistische Partei, deren Endziel 
ekanntlich die Vereinigung aller slavischen Stämme unter russi⸗ 
chem Scepter ist, erblickt darin nicht ohne Grund einen großen 
Erfolg. Während der verstorbene Kaiser sich mehr der westeuro— 
päischen Cultur zuneigte, scheint der jetzige Zar mehr auf dem 
iltrufsischen Standpunkte zu stehen, der jene Cultur als ein Un— 
zlück für das Land betrachte. Ob der Zar damit das drohende 
Angewitter beschwichtigen wird, ist wohl zu bezweifeln, dagegen 
äßt sich mit Sicherheit erwarten, daß den Fremden und besonders