Full text: St. Ingberter Anzeiger

8* . Ingberler Anzeiger. 
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—8 91. 
Donnerstag, den 9. Juni 
18815 
Deutsches Reich. 
Der „Bayer. Kur.“ will wissen, die bayerischen Land⸗ 
agswahlen würden zu Anfang des Juli vorgenommen werden 
Die diesjaͤhrige Reichstagssession gewinnt eine Aus- 
dehnung, wie sie, abgesehen vom Jahre 1879 mit seiner ganz 
ußergewöhnlichen Aufgabe, dem neuen Zolltarif, noch nicht erreicht 
vorden ist. Wie oft hat man früher aus dem Uebermaß des Par— 
amentarismus und der gesetzgeberischen Ueberproduktion dem Libe— 
alismus einen Vorwurf gemacht, als ob er aus reiner Freude an 
arlamentarischen Debatten die Gesetzgebungsmaschine ungebührlich 
ang im Gang hielte! Jetzt sind Regierung und „geschäftsführende“ 
Najorität im Reichstag konservativ, und die Sessionen nehmen 
inen noch viel längeren Zeitraum in Anspruch und sind dabei 
veit' ärmer an positiven Ergebnissen, als in der sogenannten liberalen 
lera. Das Wenige aber, was die konservativ⸗ultramontanen Köche 
och zusammenbrauen, sieht nicht eben appetitlich aus, und das 
zgolk wird es nicht leicht verdauen. Da ist jetzt wieder zu der 
Innungsvorlage von Seiten der Konservativen und des Zentrums 
ie Wiederaufnahme der bedenklichsten Bestimmung von dem Ver— 
ot der Annahme von Lehrlingen beantragt worden. Auch sonst 
vird es nicht an Versuchen fehlen, das bei der zweiten Lesung 
acht Erreichie nachträglich wieder in das Gesetz zu bringen. Aehn⸗ 
cches ist jedenfalls auch bei der Stempelsteuervorlage und andern 
ritten Lesungen zu erwarten. Es ist daraus für die liberale 
älfte des Hauses die dringende Mahnung zu entnehmen, durch 
echizeitiges und vollzähliges Erscheinen gegen Ueberrumpelungen 
uf der Hut zu sein. Es wird sich bei wichtigen Entscheidungen 
mur um wenige Stimmen handeln. (Heute, Donnerstag, nimmt 
er Reichstag seine Sitzungen wieder auf.) 
Aus Anlaß der bekannten nationalliberalen Erklärung be— 
aertt die „Südd. Pr.“ u. A.: „Es ist gar keine Frage, daß wir 
u Deutschland zu viele direkte und zu wenig indirekte Steuern 
aben. In England hat man 183 Prozent direkte gegen 87 Pro— 
ent indirekte Steuern; in Frankreich steht das Verhältniß wie 25 
75, in Oesterreich wie 86 zu 64 und nur in Deutschland wie 
4 zu 56. Ratürlich können und dürfen die direkten Steuern 
— 
iyne sie aus, was sie niemals thun werden, die direkten Steuern 
oären nothwendig für die konstitutionelle Garantie und Kontrole, 
ber die man nicht ernsthaft genug denken kann und welche die 
grundlage jedes verfassungsmäßigen Lebens bildet. 
Ausland. 
In Frankreich beschäftigt man sich neben der Abänderung 
Wahlgesetzes mit einem Antrag, betreffend die Verminderung 
er aktiven Militär-Dienstzeit von fuünf auf drei Jahre, am meisten. 
der größte Theil der gegenwärtigen Abgeordneten hat diese Ver⸗ 
ninderung in ihr Wahlprogramm aufgenommen und deren Durch—⸗ 
ührung versprochen. Die Wähler erwarten mit Bestimmtheit die 
krfüllung dieses Versprechens. Nun behaupten aber Fachkenner, 
aß eine Verminderung der aktiven Dienstzeit für die Armee ver— 
Jäugnißvoll sein würde, und Gambetta hat sich so sehr zu dieser Mein⸗ 
ing bekehrt, daß er mehreren seiner Freunde erklärte, im Nothfalle 
jegen den Antrag das Wort ergreifen zu wollen. Die gemäßigten 
sepublikaner sind darob in großer Verwirrung. Sie müssen sich 
ntweder nachsagen lassen, daß sie die Wehrkraft des Landes in 
Frage stellen, oder sie müssen ihren Versprechungen untreu werden 
ind die Erwartungen ihres Wähler täuschen. 
Die englische Regierung hat beschlossen, die Truppen in 
Irland bis auf 30,000 Mann zu verstärken. 
Aus Petersburg wird der Wiener „Presse“ geschrieben, 
⁊ sei dort eine Gesellschaft von 21 Personen, fast lauter sehr 
unge Leute, darunter auch Zöglinge von Gymnasien, welche einen 
Unschlag gegen das Leben des Kaisers gemacht hatten, von der 
zolizei in dem Augenblick aufgehoben worden, als sie zu einer 
zerathung versammelt waren. Die Geschichte klingt recht aben⸗ 
euerlich: ein Officier soll unter einem Bett verstedt, die Leute 
ꝛelauscht haben ⁊c. ⁊c. 
Russische Zeitungen berichten über die unter der Regierung 
Uecanders iJ. erfolgie Vergrößerung des russsschen Reiches. 
Bei der Thronbesteigung desselben betrug der Länderbesitz Rußlands 
nn Europa 99,226, in Asien 266,171, in Amerika 24,050, zu⸗ 
ammen 389,447 Quadratmeilen. Bei dem Tode Alexanders II. 
zagegen betrugen die Besitzungen in Europa 100,154, in Asien 
302,824, zusammen 402,878 Quadratmeilen. Das amerikanische 
Hebiet Rußlands ist bekanntlich an die Vereinigten Staaten gegen 
ine Geldentschädigung abgetreten worden. Der der Regierung 
daiser Alexanders I. zu verdankende Zuwachs beträgt demnach 
13,531 Quadratmeilen. Katharina II., welche bisher als die im 
ändererwerb glücklichste Beherrscherin Rußlands galt, hat ca. 2000 
ZQuadratmeilen weniger für Rußland erorbert. 
Vermischtes. 
* St. Ingbert, 8. Juni. In heutiger Schöffen⸗— 
itzung wurden folgende 4 Fälle verhandelt: Eine Frau von 
Oberwürzbach wurde wegen Berufsbeleidigung zu einer Geldstrafe 
»on 6 M., ev. 2 Tagen Gefängniß, verurtheilt; eine Bursche von 
ẽUversberg wegen gleichen Reates zu einer Haftstrafe von 2 Tagen 
zerurtheilt und dem Beleidigten die Befugniß zugesprochen, die 
gerurtheilung öffentlich bekannt zu machen durch einmaligen An— 
chlag des Urtheilssatzes am Gemeindehause zu Schnappbach inner— 
jalb 3 Wochen nach eingetretener Rechtskraft; eine durch einen Mann 
jon Ensheim gegen ein Frauenzimmer von dort angestrengte Be— 
eidigungsklage wurde nach Verhandlung zurückgezogen und ein 
Mann von Rohrbach wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung, 
erübt durch Schlagen mit der Hand und Faust, dann mit zwei 
ils gefährliches Werkzeug zu betrachtenden Stöcken und Gebrauch 
)es Messers, zu einer Gefängnißstrafe von 3 Monaten verurtheilt. 
* St. Ingbert. Eine Anzahl hiesiger Bürger hat eine 
Zetition an die Direktion der pfälzischen Eisenbahnen vorbereitet, 
n der dieselbe ersucht wird, am Billetschalter dahier Badebillets 
iach Saarbrücken während der Sommermonate zur Ausgabe ge— 
angen zu lassen. Eine ähnliche Vergünstigung ist den Städien 
der Vorderpfalz gewährt, und steht darum zu hoffen, daß die er⸗ 
wähnte Petition nicht ohne Erfolg sein wird. 
FAus der Pfalz schreibt man der „Allg. Ztg.“: Die 
Neise des Prinzenn Ludwig von Bayern in die Pfalz hat 
interderhand eine Bedeutung gewonnen, an die eigentlich von 
Anfang an wohl Niemand gedacht hat, und die darum auch für 
veitere Kreise hervorgehoben zu werden verdient. Es ist bekannt, 
»aß König Ludwig IIJ. während seiner ganzen Regierungszeit die 
Bfalz noch nicht gesehen hat, und auch von den andern Gliedern 
)es königlichen Hauses war seit dem Jahr 1870, als Prinz Luit⸗ 
hold mit dem großen Hauptquartier in den Krieg gegen Frankreich 
og, nur Prinz Ludwig ein einziges Mal, wenn ich nicht irre, 
auch aus Anlaß einer landwirthschaftlichen Versammlung, in der 
gfalz. Es ist wohl selbswerständlich, daß die Pfälzer es gern 
ehen würden, wenn ihr schönes Ländchen ab und zu einmal von 
inem Mitgliede der königlichen Familie besucht würde, und wir 
ürfen nicht verhehlen, daß sie über die bisherige Vernachlässigung, 
vie sie es nennen, ein wenig pikirt waren. Als Prinz Ludwig 
am, beeiferten sich die Pfälzer ihm auf jede Weise zu zeigen, wie 
ie sich durch seinen Besuch geehrt fühlen; durch diese Kundgebungen 
er Freude wünscht man zugleich ihn oder andere Mitglieder des 
öniglichen Hauses zu veranlassen den so glücklich angebahnten 
yersönlichen Verkehr lebhafter zu pflegen. Prinz Ludwig ist aller⸗ 
ings durch sein freundliches, leutseliges, einfaches und ungezwungenes 
Wesen der rechte Mann, um die Herzen zu gewinnen, wie andrer— 
eits der Pfälzer leicht sich anschließt, wo er merkt, daß er auf 
herständniß stößt, und dann gern heraussagt was ihm auf dem 
herzen liegt. So sprach bei dem Bankett in Neustadt Joh. Hüll 
n einem von ihm verfaßten und vorgetragenen Toast den Wunsch 
rus: daß der Landesherr auch einmal die Pfalz besuchen möge. 
dedenfalls wat es gut gemeint, was hier herausgesagt wurde, und 
in gutes Wort findet einen guten Ort, pflegt man ja zu sagen. 
Man weiß wie schon im gewoͤhnlichen Leben der persönliche Ver—⸗ 
ehr leicht Unebenheiten ausgleicht und Bande enger knüpft; um 
o mehr ist dies der Fall, wenn die Glieder des regierenden Hauses 
mit dem Volke in Berührung treten. Es ergibt sich daraus ein