St. Ingberker Anzeiger.
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Sonntag, den 12. Juni
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Deutsches Reich.
Muͤnchen, 8. Juni. Bezüglich der Uebungen der Reserve
der Feld-Artillerie wurde bestimmt, daß 28 Offiziere, 102 Unter⸗
offiziere, 700 Gefreite und Kanoniere der Reserve einzuziehen sind,
aund zwar in der Art, daß jede Feld-Batterie 3 Unteroffiziere, 20
Befreite und Kanoniere, jede reitende Batterie 1 Unteroffizier, 10
Gefreite und Kanoniere auf 4 Wochen einberuft. Beim J. Feld⸗
Ari.“Regiment haben die Uebungen vom 27. Juni bis 24. Juli,
beim 8. Regiment vom 12. Juni bis 9. Juli stattzufinden. Auf
die Dauer von 6 Wochen sind beim 1. und 4. Regiment je 6,
beim 2. und 3. Regiment je 8 Offiziere einzuberufen.
Berlin, 9. Juni. Kaiser Wilhelm reist übermorgen nach
Ems, wo gegenwärtig auch der König von Schweden sich zur
Cur aufhält.
Fuͤrst Milan von Serbien ist am 8. ds. aus Wien in
Berlin eingetroffen und von Generaladjutanten und Flügeladju—
tanten des Kaisers und dem Gouverneur am Bahnhof empfangen
und nach dem königlichen Schlosse geleitet worden.
Dem Reichstage soll in diesen Tagen die Vorlage wegen
Errichtung eines monumentalen Reichstagsgebäudes in Berlin zu—
zehen. Demnach scheint es also mit der neulichen Drohung des
Reichskanzlers, den Reichstag von dort wegzuverlegen, doch nicht
so ganz ernst gemeint gewesen zu sein.
Am 9. ds nahm der Reichstag seine durch die Pfingst-
ferien unterbrochenen Sitzungen wieder auf. Das Innungsgesetz
wurde in dritter Lesung unverändert nach den Beschlüssen zweiter
Lesung angenommen. Zu 8 1006 beantragten Ackermann und
Genossen, es sollten in Zukunft nur Innungsmeister Lehrlinge
halten dürfen. Dieser Antrag wurde unter lautem Beifall der
Linken mit 125 gegen 122 Stimmen abgelehnt. Abgelehnt, frei—
lich, aber nur mit 83 Stimmen Mehrheit; das giebt für die Zukunft
zu denken. Die Zünftler werden den Ansturm schon erneue rn.
Dem neuen Handelsvertrag Deutschlands mit Oesterreich, der
dem Reichstag jetzt vorliegt, ist eine kurze Denkschrift beige—
geben, aus welcher zu ersehen ist, daß man über einen Meistbe—
zünstigungsvertrag um deßwillen nicht hinausgekommen, weil jeder
Theil es ablehnte, so viele Possitionen seines Zolltarifs, als der
andere Theil verlangte, zu binden, d. h. zuzusagen, daß sie wäh—
rend der Dauer des Vertrages nicht erhöht werden sollen.
Ausland.
Der französische Senat berieth am Donnerstag über den
Gesetzentwurf betr. die Listenwahl. Das Ministerium enthielt sich
jeder Meinungsäußerung. Mit 148 gegen 114 Stimmen beschloß
der Senat, auf die Berathung der einzelnen Artikel des Gesetzent—
wurfs nicht einzugehen. (Dieser Beschluß, der vorherzusehen war,
nachdem der Senat bis auf eine einzige Person lauter Gegner
der Listenwahl in den betr. Ausschuß gewählt hatte, bedeutet eine
Niederlage Gambetta's, dessen Lieblingsplan also vorerst an der
Widerspenstigkeit der Senatsmajorität gescheitert wäre. Unter
Listenwahl ist bekanntlich zu verstehen, daß die Deputirten eines
ganzen Departements (Regierungsbezirks) auf einmal mittelst Auf—
stellung auf einer Liste gewählt werden sollen; jetzt findet die De—
putirtenwahl noch einzeln, nach Arrondissements, Statt. Gambetta
ist der Meinung, daß seine Partkei mittelst der Listenwahl in die
absolut sichere Majorität gelangen werde. Nun muß er sich einst-
weilen noch gedulden.)
In der französischen Deputirtenkammer brachte Kriegs⸗
minister Farre eine Ergänzungs-Kreditforderung von 14 Millionen
Franken für die Expedition nach Tunis ein. (Der Spazirgang
nach Tunis wird demnach für die Franzosen ziemlich kostspielig.)
Wie aus London gemeldet wird, haben die Nihilisten wieder
ein Lebenszeichen von sich gegeben. Sie haben dem Zaren „in
höflichster Form“ die Anzeige erstattet, daß sie ihn „zjum Tode
berurtheilt haben.“
In Cork (Grland) fand infolge von Ruhestörungen, welche
auf der Rennbahn ausbrachen, am Donnerstag ein bis in die
Nacht hinein dauernder Straßenkampf zwischen Volk und Polizei
statt. Viele Verwundete auf beiden Seiten. Eine Menge Ver—⸗
haftungen wurden vorgenommen.
Vermischtes.
In Homburg wird für das Amtsgericht ein Neubau
aufgeführt auf dem sogen. Reitacker. Nach der „Zw. Ztg.“ wären
die Kosten auf etwa 800,000 Mark (9) veranschlagt.
Wie die „K. Ztg.“ berichtet, hat Hr. Oberförster Mühl⸗
eldin Waldmohr am 6. d. in der Nähe der Hengstwalder⸗
ziegelhütte einen Hirsch erlegt.
F Nach der „Pf. Z.“ geht man auch in Pirmasens den
Weinschmierern und den Verkäufern von gefälschtem Weine energisch
zu Leibe. Die Amtsanwaltschaft hat aus allen Kellern Proben
intnehmen lassen. Gesprächsweise verlautet, daß ein Wirth im
Besitze von „Wein“ gewesen, der im Ankauf 10 Pf. der Schoppen
jekostet und den er aber zu Naturwein zu 45 und 50 Pf. pro
S„choppen verkauft hätte.
Der bekannten Erklärung nationalliberaler Reichs und
Landtagsabgeordneter ist auch Ht. Sie bert, Bezirksamtmann
n Neustadt, beigetreten.
Der Quartiermeister, welcher wegen Anstiftung des Kaser⸗
tenbrandes zu St. Avold in Haft war, wurde zu 8 Jahren
Festung veruͤrtheilt und kürzlich nach Straßburg obgeführt.
FDie deutsche Lehrererversammlung in Karlsruhe wurde
im Donnerstag mit einem Hoch auf den Kaiser und den Groß⸗
jerzog von Baden geschlossen. Als nächster Versammlungsort
vurde Bremen gewählt, Zeit der Zusammenkunft ist das
Jahr 1881.
4 Die Einwohnerzahl Münchens beträgt nach der super—
evisorischen Feststellung auf Grund der Volkszähluug vom 1. Dez.
880: 230,028, hiervon 110,083 männlich und 119,990 weib—
ich; Hausnummern existiren 8791, Haushaltungen 583,457.
F In Habich (Niederbaiern) wurde von einem 13jährigen
dirtenknaben das Anwesen des Bauern Maushammer in Brand
sesteckt. Das Anwesen brannte gänzlich ab; es sind auch 73
Schafe und 2 Ochsen in den Flammen umgekommen.
4 Bei einer im Dorfe Alfalter bei Hersbruck am 31.
Mai gefeierten Hochzeit, zu welcher sehr viele Gäste geladen waren,
ind die meisten Theilnehmer in Folge des Genusses von Blut—
ind Leberwürsten schwer erkrankt. Die Zahl derselben soll 150
zetragen; unter den Erkrankten befindet sich auch das Brautpaar.
FIn Nordhausen (ßpreußen, Reg. Bezirk Erfurt) wurde
vor dem Schwurgerichte ein Gatten- und Vatermord verhandelt.
Auf der Anklagebank erschienen die 485jährige Wittwe Auguste
zudwig, geb. Rettig, und deren 14jähriger Sohn Ernst
Budwig von Nordhausen unter der Anklage, in der Nacht vom
5. zum 16. März ihren Ehemann resp. seinen Vater, den Arbeiter
Friedrich Ludwig, borfätzlich getödtet und diese Tödtung mit Ueber⸗
egung ausgeführt zu haben. Die Wittwe Ludwig war mit dem
ẽrmordeten seit 19 Jahren verheirathet. Die Ehe war nicht glück—
ich zu nennen; der Mann, sonst ein fleißiger und ordentlicher
Arbeiter, glauble Ursache zu haben, an der ehelichen Treue seiner
Frau zweifeln zu müssen; es kam darüber oft zu Streit und gegen⸗
eitigen thaͤtlichen Angriffen, so daß die Frau am 12. März d. J.,
ils sich wieder eine solche Scene abspielte, den Entschluß faßte,
der Sache durch Tödiung ihres Mannes ein Ende zu machen.
Sie theilte dieses Vorhaben ihrem 14jährigen Sohne Ernst mit,
velches der Junge auch billigte. Als am 15. März der Mann
im 9 Uhr Abends nach Hause kam, erhielt er außer seinem Abend⸗
zrod Punsch vorgesetzt. Es war die Henkersmahlzeit. Die Frau
aß währenddem am Tisch und strickte, der Sohn las in einem
guche. Um 11 Uhr eiwa wurde Ludwig müde, legte sich auf
ʒem Sopha nieder und schlief auch bald ein. Gegen 1 Uhr nahm
die Frauss nachdem sie einige Male unruhig auf- und abgegangen,
aus Linem Pappkasten das Rassirmesser und brachte damit ihrem
Mann einen langen tödtlichen Schnitt am Halse bei, der von einem
Ohr bis zum anderen ging. Der Mann richtete sich auf, sah
eine Frau, entwand ihr das Messer und rief dem Sohne zu:
„Ernsi, lieber Ernst, Hilfe!“ Die Frau ergriff rasch ein Tisch—
messer und rief ebenfalls dem Sohne zu, mit zu helfen; es entstand
ein schrecklicher Kampf zwischen Rann und Frau, beide stürzten
zuf den Fußboden nieder die Frau bekam die Oberhand und