Full text: St. Ingberter Anzeiger

Die Verluste der Franzosen in Süd-⸗Algerien sind viel 
bedeutender, als man dis jetzt geglaubt hat. Zwei Compagnieen 
der Fremdenlegion, die von Saida 250 Mann stark ausgerückt 
waren, verloren an Todten, Verwundeten und Kranken über 150 
Mann. Sie gehörten zur Colonne des Obersten Innoncenti, dem 
Bu Amema eine empfindliche Schlappe beigebracht hat. 
Der franzosische Generalrath von Oran (Algerien) hat eine 
Untersuchung uͤber die Ursachen des Aufstandes beschlossen; es soll 
mit allen gesetzlichen Mitteln versucht werden, Aufklärung über die 
demselben zu Grund liegenden Thatsachen zu schaffen. Der Präfect 
hatte sich gegen eine solche Untersuchung ausgesprochen. 
Die große bulgarische Nationalverj ammlung nahm 
durch Aklamation einstimmig die Bedingungen des Fürsten Alexander, 
hetreffs Verfassungssuspension an. Die Session wurde sodann ge⸗ 
schlossen. (Der Fürst hatte bekanntlich am 10. Mai eine Prokla⸗ 
motion an das bulgarische Volk erlassen, worin er das Land als 
nach außen diskredinert, im Innern als unterwühlt bezeichnete und 
in welcher er aukündigte, daß er entschlossen sei, die Regierung 
niederzulegen, falls nicht eine zu berufende Nationalversammlung, 
die für die Aenderung des jetzigen Zustandes unerläßlichen Be⸗ 
dingungen, swelche in der Forderung einer Jjährigen diskretionären 
Gewalt für den Fürsten gipfelten]) genehmigen würde. Mit Ge⸗ 
nehmigung dieser Bedingung ist also die Thronentsagung des 
Fürsten abgewendeth). 
Amerika. Jefferson Daviz, der einstige Präsident 
der Sezession, hat in einem Schreiben sein Bedauern über das 
Altentat auf den Präsidenten ausgedrückt und die Hoffnung auf 
feine Genesung ausgesprochen. Er fügt hinzu, daß es wünschens⸗ 
werth sei, daß das Attentat die Aufmerksamkeit des amerikanischen 
Volkes auf die Demoralisation, welche durch die wilde Jagd nach 
Aemtern hervorgerufen sei, richte und es veranlasse, Vorkehruu gen 
gegen dieselbe zu treffen. 
Vermischtes. 
* (Wahlresultate.) Im Wahlbezir Ommersheim 
wurden als Wahlmänner gewählt die HH. Schnabel Peter, Ad— 
junkt in Ommersheim (88 St.), Fries Joh., Adjunkt in Ormes⸗ 
heim (83 Si.), Becker Franz, Adjunkt in Oberwürzbach (72 St.), 
qöller Vernhard, kath. Pfarrer in Ormesheim (68 St.), Stolz 
Wilhelm, Adjunkt in Heckendalheim (66 St.). Die Gewählten ge⸗ 
hörten zur patriotischen Partei. Die Zahl der Wahlberechtigten 
betrug 324, die der Abstimmenden 91; es haben somit ihr Wahl⸗ 
recht nicht einmal ganz 18 Proz. der Wähler ausgeübt. 
Ensheim woählte mit großer Majorität 4 liberale Wahl⸗ 
männer. Die 4 in Rohr b asch Gewählten gehören zur patrio⸗ 
tischen Partei; ebenso die 3 Wahlmänner, die in Erfweiler— 
Ehlinugen gewählt wurden. 
F Eine wohlhabende Frau in Neuburg hat 8300 M. zur 
Anschaffung der neuen Schulbücher für arme Kinder gespendet. 
Fine so wohlangelegte Gabe verdient alle Anerkennung. 
Se. Majestat König Ludwig von Bayern ist, 
wie verschiedene Blätter mittheilen, am Mittwoch früch nach 14tä- 
gigem Verweilen an den Gestaden des Vierwaldstättersee's mit ei— 
Jem Extrazug über Zürich, Winterthur und St. Gallen nach 
Bayern zurückgekehrt. 
F Durch das bayerissche „Verordnungss und Anzeigeblati 
für die kgl. Verkehrsanstalten“ Nr. 47 wird zur Kenntniß gebracht, 
— Pflanzenwurzeln nach Frank⸗ 
reich verboten ist. 
FAus Kissingen, V. Juli, schreibt ein Corresponden 
der „Pf. V.“: Vei einer Promenade nach Haussen Mittags 12 
Uhr begegnete ich dem Fürsten Bismarck ganz in der Nähe; 
er führte einen großen schwarzen Hund, eine Dogge, mit sich und 
näherie sich einem Arbeiter, der sein Mittagessen zu sich nahm; er 
untersuchte die Kost, es war Kartoffelbrei. Der Fürst öffnete sein 
Geldtäschchen und gab dem Arbeiter 10 M. mit dem Bemerken: 
morgen ist Sonntag, er möge sich Fleisch kaufen. 
F In Biebrich wurden auf, Antrag einer dortigen Wein⸗ 
handlung etwa 20 von einem Weinkommissionär in Diedesfeld 
Pfalz) dezogene Faß Wein wegen Verdachts der Fälschung mit 
Beschlag belegt und gerichtlich versiegelt. (F. J.) 
FDer Kanzler Rümelin in Tübingen hat die Frage aufge⸗ 
worfen, ob Deutschland übervölkert sei, und bejaht diese Frage. 
In den neun Jahren von 1871 bis 1880 ergaben sich neben 11 
Millionen Sterbefällen nahezu 16 Millionen Geburten von dem 
Ueberschuß von etwa 5 Millionen kommen 4,135,000 auf wirk⸗ 
lichen Zuwachs, der Rest auf Verlust durch Wegzug. Es ist, als 
wenn eine neue große Provinz, bevölkerter als Elsaß. Lothringen, 
Vaden und Hessen, ein Zehntheil des Reiches annectirt worden 
waͤre — nur ohne den Grund und Boden. Die mehr Belastung 
der nationalen Wirthschaft durch diesen Zuwachs veranschlagt Rü— 
melin auf wenigstens 1240 Millionen Mark jährlich indem er das 
Bedürfniß für einen Kopf nur auf 800 Mk. im Durchschnitt ver⸗ 
anschlagt. Uebersetzt man die Anforderung in Natural⸗Bedürfnisse 
o hat schon Viebahn vor 30 Jahren den Jahresbedarf und mitt— 
eren Verbrauch eines Individuums im Zollverein an unerläßlichen 
Nahrungsmitteln berechnet auf 362 Pfund Grrtreidekörner, vi 
Zfund Fleisch, 860 Liter Milch, 60 Cier, 218 Pfund Wolle, 
Ellen Leinwand, 16 Ellen Baumwollenzeug. Ueber das Ein— 
elne wird sich streiten lassen, im Ganzen wird auf das Angege— 
zene bezw. dessen Nahrungswerth das Bedürfniß hinaus kommen. 
Wohnung, Modbilar, Licht, Getranke und alles weitere sind, wie 
nan sieht, dabei nicht mitgerechnet. Multiplizirt man dieses Mi— 
rimum mit der Ziffer des Bevölkerungszuwachses von 4,185,000, 
o ergibt sich heute im Vergleich mit 1872 ein Mehrbedarf von 
14, 98,700 Etr. Getreide, 2, 108, 850 Ctr. Fleisch, 1,488, 600, 000 
diter Milch, 248 Mill. Eier, 9 Mill. Pfund Baumwolle, 20 
Mill. Ellen Leinwand, 66 Mill. Ellen Baumwollstoffe. Dieser 
Betreidebedarf allein entspricht dem Erträgniß von 700,000 Heb. 
aren, der Milchbedarf der Leistung von einer Million weiterer 
Milchkühe. Alle die trüben Erscheinungen in unserem wirthschaft⸗ 
ichem Leben führt Rümelin auf die Existenz einer Uebervölkerung 
zutück. Der Rückgang der Geschäfte, die Ueberfüllung aller Berufs- 
ind Erwerbszweige, die Unmasse von Zwischenhändlern, die sich 
wischen Producenten und Consumenten drängen, die verzweifelte 
Foncurenz, die sich daraus ergibt, das Vagantenthum, die Steige- 
rung der Verbrechen, alles das erklärt er als eine Folge der 
lebervölkerung. Heilmittel weiß er keine anzugegen. Die Gesetzge— 
hung in Ehe, Gewerbe und Unterstützungswesen, könnte ein wenig 
hemmen, aber nichis Entscheidendes leisten. Das Beste müßte eben 
die Vernunft eines jeden Einzelnen thun. 
4 Das Non plus ultra der Dressir. In Straßbur 
zroduzirte sich augenblicklich vor einem siets außerordentlich zahl— 
reichen Publikum der bekannte und berühmte Thierbändiger Bidel. 
Diese Produktionen sind bisher absolut unerreicht geblieben. Hen 
Bidel arbeitet gleichzeitig mit 14 Löwen und einer Anzahl anderet 
Bestien, unter denen ein Eisbär, welcher ebenfalls wie seine fämmt— 
ichen Gefährten durch den Reifen muß, nur kann er nicht springen. 
ondern wälzt sich sozusagen durch denselben. 
— Eine interessante Wette ist am Freitag von einem jungen 
Referendar in Berlin gewonnen worden. Derselbe hatte im Kreise 
von Bekannten die Behauptung aufgestellt, daß in Berlin jemand, 
der es verstehe, recht anständig vom Betteln leben könne. Er selbst 
machte sich anheischig, den Beweis der Wahrheit anzutreten, und 
erpflichteie sich, von morgens 7 Uhr bis abends 7 Uhr mindestens 
3 Mark zusammen zu „schnorren.“ Als Gegenstand der Wette 
vurden 50 Mark angenommen, welche Summe mit dem Ertrage 
der seltsamen Exkursion einem wohlthätigen Zwecke dienen sollte. 
Der freiwillige Bettler wurde vor seinem Gange genau durchsucht 
ind während desselben von zwei Freunden begleitet. Sein Erfolg 
var groß. Sein dürftiges Aussehen sowie das bescheidene Auf⸗ 
reten erweichte das Herz mancher Familienmutter, und in den 
allermeisten Fällen ist ihm kleines Geld gegeben worden. In einer 
Beamtenfamilie hat er Mittagbrod bekommen und angenommen. 
Rachmittags hatie er 180 Mal angesprochen, davon 42 Mal ver— 
geblich; sein Ertrag war drei Stunden vor der festgesetzten Zeit 
3,5 Vik. und somit war die Wette gewonnen. Der Betrag von 
56,5 Mk. ist am Samstag einer armen Witwe, deren Mann am 
Tage vorher beerdigt war, eingehändigt worden. 
F Die Strafkammer zu Halberstadt hat einen Metzger 
und Gastwirth, welcher nicht untersuchtes, trichinöses Fleisch ver⸗ 
kauft und dadurch weit über hundert Erkrankungen und vier Todes— 
rälle herbeigeführt hatte, wegen Fahrlässigkeit, welche den Tod 
mehrerer Menschen zur Folge gehabt, und wegen Körperverletzung 
zu drei Jahren Gefängniß verurtheilt und denselben sofort in's 
Hefängniß abführen lassen. 
FEine schreckliche That wird aus Hirschberg in Schl. 
zemeldet: Die Frau eines Schirrbauers Weißig in Oberberbisdorf 
ntfernte sich vor einigen Tagen ohne Wissen ihres Mannes, wel⸗ 
her gerade in seiner Arbeit in der Linkeschen Fabrik in Hirschberg 
var, mit ihren vier Kindern im Alter von 1443 Jahren von 
hrer Behausung, um unter Mitnahme eines Kinderwagens nach 
Zirschberg zu gehen. Abends machte sie sich auf einer Wiese ein 
rager und legte sich mit ihren Kindern darauf. Letztere, von dem 
angen Umherirren ermüdet, schliefen bald ein; nun nahm die 
Weißig ihre 3 Jahre alte Tochter Bertha und warf sie in den 
Boberfluß; demnächst sofort die 6jährige Anna. Bei dem Schrei, 
velchen dieses Kind ausstieß, erwachten die beiden noch übrigen 
dinder; schnell begriff der 11jährige Knabe, welch schreckliche That 
Jeschehen war und was ihm bevorstehe. Er erfaßte daher den 
gebenstehenden Kinderwagen und entfloh. Nun eilte die Mutter 
auf die 14jährige Ernestine zu, umschlang sie mit den Armen und 
prang mit ihr in die Fluthen. Als beide in das Wasser stürzten, 
iieß die Weißig ihr Opfer aus den Händen, so daß es dem Mäd⸗ 
hen gelang, sich an dem Weidengebüsch festzuhalten und so ihr 
Leben zu retten, während ihre Mutter ertrank. 
FOriginelle Grabschrift. Die „Sorauer Zig.“ 
chreibt: Ein Freund unseres Blattes in Borlitz fand dieser Tage 
inter altem Eisen, das er vor mehreren Jahren gekauft, Theil⸗