Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sl. Ingberler Anzeiger. 
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M2. 
Samstag, den 5. Februar 
1881. 
Deutsches Reich. 
Aus München berichtet eine Correspondenz des „Pf. K.“: 
der Entwurf eines Hagelversicherungsgesetzes, welcher dem 
Heneralkomite des landwirthschaftlichen Vereins zur Begutachtung 
vorliegt, will eine Hagelversicherungsanstalt unter Leitung des Staates 
in's Leben rufen, und zwar ohne Versicherungszwang. Es soll 
Jedermann freistehen, sich bei der neuen Anstalt zu versichern, dieser 
ber nicht nur vorbehalten bleiben, die Aufnahme oder den Austritt 
letzteren auch?) zu versagen, sondern auch nach geschehener Auf⸗ 
zahme zu künden. Die bestehenden Versicherungsgesellschaften wür— 
)en ihren Betrieb nach wie vor fortsetzen können, indem es sich 
iur um die Schaffung eines neuen Jnstituts neben den bereits 
estehenden handelt. Die neue Anstalt soll auf dem Grundsatz 
„er Gegenseitigkeit beruhen und mit der (für die rechtsrheinischen 
dreise bestehenden) Brandversicherungskammer in nächste Verbindung 
jebracht werden. Finanzielle Lasten sollen der Staatskasse durch 
zie neue Anstalt nicht erwachsen. Der vom Generalkomite für den 
Hesetzentwurf bestimmte Referent, Gutsbesitzer Dr. Simmerl, spricht 
ich, wie wir hören, für denselben im allgemeinen sehr günstig aus. 
In der letzten Soirée bei Fürst Bismarck bemerkte dieser, 
zaß die Institution des Volkswirthschaftsraths sich bis jetzt sehr 
zut bewährt habe und es keine Schwierigkeiten machen werde, sie 
uf das Reich auszudehnen. Bismarck trat lebhaft für seine sog. 
taatssozialistischen Pläne ein; so meinte er, es müßten die Schule, 
Urmenpflege und das Versicherungswesen ganz auf die Staatsver⸗ 
valtung übergehen; das Unfallversicherungsgesetz bernhe auf ge⸗ 
sunden Principien. 
Allem Anschein nach wird Fürst Bismarck seine Vorlage we— 
jen der Unfallversicherung der Arbeiter viel leichter durch den preu⸗ 
zischen Volkswirthschaftsrath bringen, als durch den Bundes⸗ 
rath. Den Haupigrund für die Abneigung der Mittelstaaten ge— 
gen das Projekt scheinen neben wirthschaftlichen Rücksichten Be— 
denken mehr politisch-partikularistischer Natur zu bieten. In Würt— 
semberg treten dieselben besonders schroff zu Tage, während aus 
Bayern bisher blos gemeldet ist, daß die oberbayerische Handels— 
ind Gewerbekammer in dem von der Regierung eingeforderten 
hhutachten sich keineswegs durchaus befürwortend für die Vorlage 
ausgesprochen habe. Am entschiedensten tritt das amtliche Blatt 
ꝛer sächsischen Regierung, das „Dresdener Journal“ auf. Am 
Schluß eines zweiten kritischen Artikels dieses Blattes heißt es? 
„Im Ganzen dürfte der Plan einer „Reichs“-Versicherungsanstalt 
zie Durchführung des dem Gesetze zu Grunde liegenden Gedankens 
cher erschweren, als befördern.“ Der Umstand, daß die amtliche 
„Karlsruher Zeitung“ sich aus dem ersten Artikel des Dresdener 
Blattes mehrere absprechende Sätze ohne jede weitere Beifügung 
angeeignet hat, scheint dafür zu sprechen, daß auch die badische 
Regierung von dem Projekte einer Reichsversicherung nicht allzu 
erbaut ist. Kommen nun aus den Hansestädten und Kleinstaaten 
noch einige prinzipielle Gegner hinzu, so ist das Gesetz ohne Frage 
im Bundesrath sehr gefährdet. 
Dem preußischen Volkswirthschaftsrathe ging nunmehr ebenso 
wie dem Bundesrathe die Vorlage über das Innungswesen 
zu. Das Wichtigste daran ist, daß dieselbe die Innungen nicht 
obligatorisch macht, sondern den Gewerbetreibenden den Eintritt in 
die Innungen freistellt und für diese neue organisatorische Bestim— 
mungen trifft. Als deren Aufgaben werden angeführt: Lehr⸗ 
ingslingsschulen zu errichten, Einrichtungen zu besserer Ausbildung 
der Meister und Gesellen zu treffen, Gesellen⸗ und Meisterprüf⸗ 
ungen zu veranstalten und darüber Zeugnisse auszustellen, Ermög— 
lichung von gemeinsamem Geschäftsbetrieb, Errichtung von Kranken⸗ 
und Unterstützungskassen und von Schiedsgerichten. Die Innungen 
erhalten auch korporative Rechte. 
Der Gesetzentwurf über die Bestrafung der Trunksucht finde 
sehr verschiene Beurtheilungen. Man erkennt zwar die gute Absicht 
in, daß damit ein Versuch gemacht werden soll, einen wunden 
bunkt unser es Volkslebens zu heilen, aber man verhehlt sich auch 
nicht, daß die vorgeschlagenen Mittel ihren Zweck, vorbeugend zu 
virken verfehlen werden. Die dem Entwurfe beigegebenen Motive 
derweisen auf die einschlägigen Gesetze anderer Länder, doch ist 
nirgends der Beweis geliefert, daß dort der Trunksucht durch die 
Gesetze auch wirklich gesteuert würde. Ein Punkt in dem Gesetz⸗ 
entwurfe wird sich wohl allgemeiner Billigung erfreuen, es ist dies 
jener Paragraph, durch welchen die mildernden Umstände für die 
in der Trunkenheit begangene Verbrechen aufgehoben werden. War 
es doch in einem gewissen Theile unseres engeren Vaterlandes ge— 
radezu sprichwörtlich geworden, daß die Burschen, bevor sie sich 
zu einem Attentat auf Leib und Leben eines Fesindes anschickten, 
sich vorher mildernde Umstände antranken. Zur Besestigung dieses 
Mißstandes allein bedurfte man kein besonderes Gesetz, eine ein⸗ 
fache Aenderung des betreffenden Paragraphen des Strafgesetz⸗ 
buches hätte wohl genügt. 
Die Europamüdigkeit hat allem Anschein nach ihren“ 
Hoöhepunkt noch nicht erreicht, obgleich oder weil die große Wirih⸗ 
schaftsreform des Reichskanzlers schon da und dort recht fühlbar 
wird. Nach den Aussagen Betheiligter, welche einen Einblick haben, 
wird die diesjährige Auswanderung die vorjährige sogar noch bei 
weitem übertreffen. Die Anmeldungen laufen, dem „Berl. Tgbl.“ 
zufolge, so stark ein, daß die großen Dampfergesellschaften kaum im 
Stande sein werden, alle Eurapamüden zu befördern. Es wäre 
jedoch, dem „Berl. Tagebl.“ zufolge, ein Irrthum, anzunehmen, 
daß ausschließlich die Unzufriedenheit mit der Heimath die vielen 
Tausenden hinwegtreibt. Aber Zufriedenheit mit der Lage hier ist 
ꝛs doch gewiß auch nicht, welche den Entschluß zum Auswandern 
jur Reife bringt. Lautet ja dach das Urtheil einstimmig dahin, daß 
Amerika für die Europamüden kein Schlaraffenland abgiebt, daß 
hielmehr schwere Arbeit derer harrt, die sich dorten ein befriedigen⸗ 
des neues Heim herrichten wollen, und daß sie sich der Entsag⸗ 
ungen gar viele auferlegen müssen, die sie hier nicht kannten. 
Ausland. 
Da Gambetta nach der unangenehmen Erfahrung, die er mit 
einer Cherbourger Rede gemacht hat, sich einige Zurückhaltung auf⸗ 
erlegen und den Friedfertigen spielen muß, wenn er sich nicht den 
Antritt der Erbschaft Grevy's erschweren will, so müssen jetzt seine 
Freunde an seiner statt von Zeit zu Zeit eine kleine Revanche⸗Ex— 
pectoration vom Stapel lassen: für die Franzosen gilt das so, als 
hätte es Gambetta selbst geredet; dem Ausland sagt man, Gam⸗ 
betta könne doch nichts dafür, wenn irgend ein Heißsporn einmal 
seiner Zunge freien Lauf lasse. In die Kategorie dieser achsel— 
trägerischen Auslassungen gehört eine Rede, welche erst jüngst Gam⸗ 
hdetta's Intimus, Spuller (nebenbei gesagt, geborener Badenser) vor 
seinen Wählern in Vitry-le-Frangais gehalten hat, und die darauf 
hinauslief, Frankreich sei recht friedfertig, aber die Hoffnung gebe 
es doch nicht auf — welche Hoffnung? Gesagt hat er's nicht, aber 
verstanden hat ihn Jeder. 
Rom, 3. Februar. Rach Konstantinopeler Nachrichten der 
„Italie“ ist in Folge von Verhaftung Hodo Pascha's Prenk Bib 
Dodas und Abdullah Bey's Revolution in Albanien ausgebrochen. 
In Nordalbanien desertirten vier aus Albanesen bestehende Bataillone 
und zogen sich in ihre Berge zurück. 
Weil die Pforte auf Larissa und Griechenland auf Janina 
erzichtet hat, soll sich der griechische Grenzstreit jetzt nur noch um 
Mezzowo in Albanien drehen und hofft man deßhalb auf eine 
Beilegung des ganzen Handels. Wenn derselbe beigelegt ist, be— 
zinnen aber natürlich erst die türkischen Ausflüchte hinsichtlich der 
lleberlassung des abgetretenen Gebietes. Unterdeß hat sich die 
Pforte zur Konfiszirung eines albanesischen Waffendepots in Skutari 
d'Albania veranlaßt gesehen. Mehrere südalbanesische Stämme 
haben sich bereits erhoben. Daß die Herrschaft der Pforte in der 
zesammten westlichen Hälfte der Balkanhalbinsel zwischen Griechen— 
land, Montenegro, Serbien und dem von den Oesterreichern besetzten 
Bosnien unhaltbar geworden ist, bedarf übrigens keiner weiteren 
Darlegung als eines Hinweises auf die Landkarte. 
Vermischtes. 
Der Statistiker Dr. Max Seydel in München hat die 
yorläufigen Ergebnisse der Volkszählung in Ba y eren zusammen— 
zestellt und veröffentlicht. Wir entnehmen daraus folgende, auf 
die Pfalz Bezug habende Mittheilungen. Die Bevölkerung des 
zanzen Königreichs Bayern, welche im Jahr 1875 fich auf 5,.022,390