Full text: St. Ingberter Anzeiger

vATt. Junherter Amzriger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
— — —“ XäXÆM——XS— — — — — — — — slæMhÑνàæαασσαιασαιαα ᷣ äαôα αααααααα 
der .St. Ingberter Anzeiger“ erjscheint wöchenltich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Domnerstag, Samstagtund Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs— 
zlatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteliährlich 146 40 einschlioßlich Tragerlohn; durch die Post bezogen 14 60 -, einschließlich 
(0 Z Zustellungsgebuhr. Die Einrückungsgebühr fur die 4gespaltene Garmsndzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus der Pfalz 10 5, bei außerpfälzischen und solchen, 
auf welche die Erxpedition Auskunft ertheilt. 15 —A, bei Neclamen 30 A. Bei Amaliger Einrückung wird nur dreimalige berechnet. 
A 38. 
Dienstag, 21. Februar 1882. 
17. Jahrg 
— 2— 
“ 
B. T. Ueut Kriegsbilder? 
Unter den Schlachtenbildern des russischen Malers 
Wereschagin, diesen grimmigen Protesten gegen den 
Zrieg, ist ein einziges, wo weder Blut noch Leichen 
eine stumme, erschütternde Sprache sprechen, und 
dennoch ist das Bild wohl das packendste in der 
zanzen Sammlung. Es stellt den Czaren Alex⸗ 
ander II. dar, wie er im Feldsessel auf einem 
abseits gelegenen Hügel der Erstürmung von Plewna 
—X 
höhen wallt der Pulverdampf des Kampfes empor 
Oben auf dem geschützten Hägel sitzt der Czar⸗ 
Befreier, und mit dem Krimstecher vor den Augen 
nustert er aus dem schußsicheren Hintergrunde der 
hof⸗ Loge des Kriegstheaters das furchtbare Schau⸗ 
hiel, das zu Ehren seines Geburtstages veranstalte! 
wurde. Und dieser Mann ist derselbe, welcher 
allenthalben als eia wahrer Apostel der Mensch- 
ichkeit gepriesen wird und dem seine Zeitgenossen 
as Zeugniß ausstellen, daß er eine der fried 
iebendsten Charaktere gewesen ist, der fich nur mit 
ꝛem größten Widerftreben in den Krieg drängen 
ieß! 
Also nicht dem starken, selbstbewußten Willen 
„es Czaren Alexander II. ist es zur Last zu legen, 
aß ein großer Orientkrieg Blut und Flammen 
iber die Balkan-Halbinsel wälzte, sondern der 
Schwäche und Unfähigkeit des russischen Selbft⸗ 
derrschers, dem kriegsdrängenden Panslavismus die 
Epitze zu bieten. Heut nun erheben sich dieselben 
hesorgnisse wegen einer von Rußland her drohenden 
kriegsgefahr für Europa. Wie damals erscheint 
die Kraft und Macht des Czaren nicht mehr als 
ine ausreichende Gewähr für die Aufrechterhaltung 
xs Friedens. Von allen Seiten schwillt in Ruß⸗ 
and der Strom kriegslüsterner Ideen. Graf 
Ignatieff, dieser große Intrigant und Unruhestifter 
n der Diplomatie, reckt gierig die Hand nach dem 
hortefeuille eines Ministers des Aeußern, während 
der deutschfreundliche und friedliebende Herr von 
Hiers seine Demission giebt, weil er seinen Eiufluß 
zjegenüber der abenteuernden Politik der Pansla— 
isten immer mehr schwinden fühlt. General Sko—⸗ 
veleff, der Sieger von Geoktepe, welcher dem fried⸗ 
nebenden Czar⸗Befreier die blutrauchende Morgen⸗ 
jabe des Heeres von Plewna darbrachte, entflammt 
mit wilden Reden die Herzen seiner Kampfgenossen 
zu einem neuen Feldzuge, der aber nicht, wie im 
Jahre 1876, dem einen Erbfeinde Rußlands, der 
Türkei, gilt, sondern der diesmal gegen den andern 
Erbfeind des Moskowiterthums, gegen die Bildung 
ind Intelligenz des Westens, gegen Oesterreich und 
deutschland sich richten soll. 
Betrachtet man mit kühler Erwägung die Ele— 
nente, welche in Rußland zu einem Kriege gegen 
)en europäischen Westen drängen, so muß man in 
der That eingestehen, daß sie recht zahlreich und 
nit jener Entschlossenheit erfüllt sind, welche den 
Friedensfteunden, zu denen wir auch den Czaren 
echnen, leider abgeht. Da ist zuerst die zahlteiche 
vruppe Derjenigen, welche in einem Kriege gegen 
desterreich das Rachegefühl löschen möchten, das 
tnen seit der Zerreißung des San Stefano⸗Ver⸗ 
dages in der Seele brennt. Zu ihnen gehört Graf 
Janatieff in erster Reihe. Nicht minder zahlreich 
ind von Einfluß sind die, welche in einem aus— 
därtigen Kriege das einzige Heil sehen, vm mit 
nem Schlage aus den schrecklichen inneren Wirren 
xxtauszukommen, die das Lebensmark Rußlands 
erqiften und zerstören. Sie sind nach ihrem Sinn— 
—XEXV— 
Baterland damit vor einer inneren Zersetzung zu 
ꝛechüten. Mit viel weiter schweifenden Gedanken 
und wilden Eroberungsplänen erfüllt sind dagegen 
die Panslavisten, welche in Rußland im Augenblid 
mohl die bedeutsamse Rolle spielen. Ihnen steht 
die Racenfrage obenan. In Bosunien und der 
herzegowina kämpfen Slaven gegen Nicht⸗Slaven 
das genügt für sie, um den unterdrückten slabischen 
Brüdern zu Hilfe zu eilen und den großen Brand 
zu entfesseln, der die germanischen Reiche zerstören 
ind dem einen großen Weltreich der Slanen mit 
russischer Spitze“ Raum schaffen soll. 
Und wie in diesen drei Gruppen Ehrgeiz, Er— 
»berungslust und Nationalstolz sich verquicken, so 
isst allen dreien auch noch ein anderer finsterer 
Bundesgenosse gemeinsam: der Nihilismas. Die 
virklichen Nihilisten schauen mit grimmigem Be— 
jagen dem Eifer der Kriegsschürer zu, denn sie 
vissen, daß aus den Trümmern eines großen Krieges 
hnen allein die reichlichste Beute winkt. Auch 
vährend des Orientkrieges schwieg unter dem Larm 
der Waffen der Nihilismus; erst als die traurigen 
Sieger heimkehtten, begann jene Reihe grausiger 
Attentate, gegen welche der Czar-Befreier nicht ge⸗ 
eit war, trotz des blutgetränkten Lorbeers. den ihm 
Stobeleff. Kattoff, Aksakoff und Genossen mit Ge— 
valt auf das Haupt gedrüdt hatten. 
Man sagt, daß Czar Alexander UL ein festerer 
Tharakter sei, als sein hingemordeter Vater. Früher 
prachen für diese Annahme mancherlei Ueine Züge 
deut ist der Glaube daran stark erschüttert, und e⸗ 
wäre ja auch erklarlich, wenn die verhaltene Sorg 
ind die stete Spannung, die den Herrscher Ruß 
ands seit den nihilistischen Anschlagen sagtäglich 
jeimsucht, die Kraft seines Geistes gedeugt hätten. 
Dennoch vermögen wir nicht zu glauben, daß Czar 
Ulexander III. bereits die Herrschaft über sich und 
eine Umgebung so sehr verlor, daß er nicht mehr 
m Stande wäre, der pansjlavistischen Hochfluth 
venigstens bei einer gewissen Grenze Hall zu ge⸗ 
hbieten. 
Es ist nicht wohl anzunehmen, daß der jetzige 
derrscher Rußlands, der doch noch un der Fülie 
einer Jugendkraft steht, schwächer fein sollte, 
als sein betagter, von körperlichen Leiden ge⸗ 
»rochener Vorgänger. Als Czar Alexander II. sich 
ndlich dazu entschloß, dem gewaltsamen Drängen 
einer Umgebung nach Krieg Folge zu leisten, ge⸗ 
chah es unter Umständen, welche immerhin ein 
Jewisse Bürgschaft des Erfolges in sich trugen 
wegnerin war die Türkei. Montenegro und Serbien 
varen bereits insurgirt, in Bosnien nad der Herze⸗ 
jowina war gleichfalls der Aufstand gegen die 
ürkische Oberherrschaft entflammt. Rumänien zeigte 
ich nicht minder geneigt, den Türken entgegenzu— 
iehen. Kurzum alle Balkanvölker jubelten den 
Russen als ihren Bundesgenossen und Befreiern 
ntgegen. Dazu kam, daß Rußland in langer 
Friedenszeit Gelegenheit gehabt hatte, sich mit Gelt 
ind Ausrüstungen zu einem Kriege vorzuhereiten 
Endlich — und das war wohl das Ausschlag—⸗ 
gebende — war der Czar nach der berühmten 
daiserzusammenkunft in Reichstadt sicher, daß Ruß 
and weder von Oefterreich-Ungarn noch von Deutsch⸗ 
jand in der Flanke oder im Rücken bedroht werden 
würde. Das Dreikaiser-Verhältniß gab dem Gzaren 
den Muth, die Sicherheit und den Schutz, Ruß— 
ands Kräfte mit denen der Türkei zu messen. Ob 
der letzte russische Orientkrieg trotz dieser denkbar 
zünstigen Umstände ein besonderes Ruhmesblatt in 
der Geschichte Rußlands bildet, das mögen die 
russischen Todten entscheiden, welche regimenter⸗ und 
armeekorpsweise in wahnsinniger Nutzlosigkeit vor 
Plewna und im Schipka von ihren talentlosen 
Führern geopfert wurden 
Noch kann Rußland keinen Krieg beginnen, so 
lange der Czar nicht will, oder — eine Revolution 
den Herrscher gestürzt hat. Hat General Skobeleff 
den Muth zu einer solchen Revolution? Es ist 
möglich, aber vorläufig gebricht ihm trotz aller hoch⸗ 
tönenden Reden die Kraft dazu. Hat der Czar 
den Willen und die Absicht zu einem Kriege? Wir 
hezweifeln es, denn ein Krieg unter heutigen Ver⸗ 
jältnifsen kann dem Hause Romanoff die Krone 
kosten. Vielleicht wagte auch er den Krieg, wenn 
er wie sein erlauchter Vater durch ein Gegenstück 
zu der Reichstädter Konvention gedeckt ware. Viel⸗ 
eicht würde auch Alexander II. sich zum Kriege 
zegen den „europäischen Westen“, gegen „diese 
Deutschen“ drängeu lassen, wenn ihm von Frank⸗ 
reich her eine praktische Unterstützung winkte. Aber 
ein französisches Allianz⸗Vrrsprechen würde doch erfi 
Halt und Sicherheit gewinnen, wenn es von einem 
diktatorisch regierten Frankreich abgegeben würde. 
kin Imperator Gambetta müßte dazu vorhanden 
sein. Wie Frankreich heut regiert wird, bietet es 
zinem so zerrüttelen Reiche wie Rußland keine ernste 
Bewähr für abenteuerliche Allianzen, denn wer heute 
als mächtiger Ministerpräfident Frankreichs eiwas 
versprechen will, befindet sich morgen vielleicht schon 
us einfacher Deputirter auf einer Vergnügungs⸗ 
reise nach Nizza. Das ist der Vortheil der jetzigen 
ranzösischen Republik. 
Rußland hat im Augenblick kein schützendes 
Dreikaiser⸗Verhältniß zur Seile. Es hat ferner 
eine finanziellen Mittel durch den Orientkrieg er⸗ 
chopft, und zum Kriege gehört Geld, viel Geld! 
Seine Gegner wären europäische Armeen, keine 
rürkischen. Also ohne Bundnisse und ohnc Mittel, 
nit noch nicht voöllig ergänztem Kriegsmaterial sollte 
Rußland einen Kampf gegen eine, vielleicht auch 
zegen zwei europäische Machte aufnehmen? Wir 
vermögen vorläufig nicht daran zu glauben. We— 
aigstens so lange nicht, als uns nicht der elektrische 
Funke von einem Staatsstreich in Paris, von einer 
Thron⸗Revolution in Rußland oder davon erzählt, 
daß der Geist des Czaren sich umnachtet babe. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Abg. Schels hat folgenden Initiativ-Antrag bei 
der bayerischen Abgeordnetenkammer eingereicht: 
„An Stelle des Z 17 des Gesetzes vom 21. März 
1881. die Abänderung einiger Bestimmungen des 
Gesetzes über die Wahl der Landtagsabgeordneten 
vom 4. Juni 1848 betr., tritt folgende Bestim⸗ 
mung: 1) Jeder Abgeordnete erhält für je einen 
Kilometer Entfernung seines Wohnsitzes vom Ort 
—D— zum Land⸗ 
jag und einen gleichen Betrag für die Heimreise 
nach Beendigung des Landtages. (Gegenwärtig 
haben sie freie Fahrt auf den bayerischen Eisen 
bahnen und 50 Pf. für jeden Kilometer Entfernung 
außerhalb derselben.) 2) Jeder nicht am Ort der 
Versammlung wohnende Abgeordnete erhält wäh⸗ 
rend der Dauer derselben für jeden Tag, den er 
zanz oder theilweise am Ort der Verfammlung 
zubringt, dann für den dem Beginn der Ver— 
ammlung vorangehenden und dem Schluß nach—