Full text: St. Ingberter Anzeiger

ðl. Jugberter Anzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Inabert. 
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AMA 225. Dienstag, 14. November 1882. 17. Jahrg. 
Deutsche Siege in Nordamerika. 
B. T. Der Wahlsieg der demokratischen Partei 
n den Vereinigten Staaten hat einen Triumph des 
deutschthums zu bedeuten. 
Das im Westen ausschlaggebende und überall 
n der Union schwer in die Wagschale fallende Ge⸗ 
oicht der Deutschen war das entscheidende Moment 
ei den Wahlen, und die Temperenzfrage war es 
vieder bei den Deutschen. 
Durch die Deutschen war die republikanische 
zartei emporgekommen und oben gehalten worden, 
za sie sich aber durch ihr Verhalten in der Tempe⸗ 
enzfrage die Stütze der Deutschen verscherzte, hat 
ie fallen müssen, weil sie die Deutschen haben 
allen lassen. 
Und so ergibt sich bei dem Wahlsiege der demo⸗ 
ratischen Partei auch ein doppelter Triumph für 
iiee Deutschen: erstens, daß unsere Landsleute in 
lmerika zu solcher politischen Macht emporgewachsen 
ind, und zweitens, daß sie ihre Macht in ver— 
ünftiger Weise verwerthet haben. 
Es trat hinzu, daß die republikanische Partei 
berhaupt an Würdigkeit, zumal seit der Mißwirth⸗ 
chaft und Bornirtheit der Grantschen Rerwaltung, 
a den Augen ihrer Anhänger auch außer den 
deutschen, Einbuße auf Eiubuße erlitt, wie auch 
»ie Befürchtung bei allen bessergesinnten Republi⸗ 
anern, daß durch ein jetziges Obsiegen der repu⸗ 
likanischen Partei der schon wiederholt Präsident 
ewesene General Grant sich 1884 abermals als 
iegreicher Kandidat wiederholen koönnte. 
Im Allgemeinen ist der demokratische Sieg gar 
ein Sieg dieser Partiei. Er ist nur eine Nieder⸗ 
age der andern. Er ist ein blos negativer Sieg. 
dicht, weil die demokratische Partei heraufgekommen 
st in der aͤffentlichen Meinung, hat sie den Sieg 
avongetragen, sondern weil die republikanische Partei 
eruntergekommen ist. 
Es darf nicht vergessen werden, daß auch selbst 
ne Temperenzelei von der demokratischen Partei 
richt aus Parteiprinzip bekämpft wird. 
Man hat beide Parteien satt und möͤchte sie 
eide los werden. Packender aber konnte dies zu⸗ 
örderst nicht angegriffen werden, als indem die⸗ 
enige Partei, die eine so altgewordene Herrschaft 
nne hatte, wie die republikanische, aus dem Neste 
jsehoben ward, in das sie sich so fest eingenistet 
laubte, daß sie, ihrer Gewaltherrschaft sicher, sich 
aran gewöhnt hatte, sie immer herausfordernder 
u Parteizwecken, statt zu Staatszwecken, auszunützen. 
ẽ6 taugte nicht, daß die republikanische Partei 
anger das Regiment führe; darum war das Erste, 
pas zu thun gewesen, sie bei Seite zu schieben. 
Was nun? Eine neue Parteibildung, das ist es, 
vas sich aus dem Sturze der alten herrschenden 
hartei einleitet, die, nachdem sie die andere Partei 
erdrängt hat, im Grunde nicht besser ist. als 
ie verdrängte. 
Hierin liegt die große Tragweite des Wahler⸗ 
ebnisses. Das ist das Positive in ihm. Und 
nuch an dem Vorgang der neuen Parteibildung hat 
»as Deutschthum nicht nur einen wesentlich mit⸗ 
nirkenden Antheil, sondern die erste Anregung da⸗ 
ir ist auch vornehmlich eine deutsche Initiative. 
Längst schon fühlen die selbstständigen Naturen 
rüben mit Widerwillen den beklemmenden Druck, 
en die gegenwärtig vorherrschenden beiden großen 
zarteien mit ihrer schonungslosen Drillkunst und 
drahtzieherei auf die Meinungen des Einzelnen 
usüben. Die Partei⸗Abhängigkeit, die Partei— 
syrannei war unausstehlich geworden. Die sich 
Alles unterwerfende Wucht, mit der die beiden 
Zarteien despotisch das öffentliche Leben schuhriegeln, 
rstickt grausam jedes individuelle politische Denken 
ind öffnet den Professionspolitikern und „smarten“ 
demagogen Thür uud Thor, um herrlich und guter 
dinge in Korruption zu macheu. 
Ueberdies haben beide Parteien, wie das Ent— 
prechende an ihren Namen, so auch den Haupt⸗ 
gegenstand ihres Widerstreits und damit das Recht 
erloren, fortzubestehen. 
Aus der Sklavenfrage und der Spaltung zwi⸗ 
chen dem Süden und der Union, der „Sezessions⸗ 
rage“, sind die gegenwärtigen Parteigestaltungen 
servorgegangen. Seit die Neger frei geworden 
ind der Süden friedlich dem Bunde wieder ein⸗ 
nerleibt ist, sind die bestehenden Parteien ihrem 
rernziele nach platterdings gegenstandslos. Beide 
Parteien vertreten kein großes Prinzip mehr, nicht 
inmal ein kleines. Wozu bestehen sie eigentüich? 
da hat man denn vor Jahren, und zwar in erster 
deihe von deutscher Seite, mit Carl Schurz an der 
Spitze, für eine neue Partei⸗Organisation zu 
igitiren begonnen. Die neue Partei sollte zunächst 
dealen Zwecken zugewendet und gegen die Kor—⸗ 
uption in der Volksvertretung und der Verwaltung 
gerichtet sein, auch die „Amtsdienst-Reform“ auf 
hre Fahne schreiben. In zweiter Linie sollte sie 
olkswirthschaftliche und staatsökonomische Ziele, 
vielleicht auch die Handelssreiheit zu ihrem Vorwurf 
iehmen. 
Bis heutigen Tages schwebt. die neue Partei 
noch in der Luft, obwohl die Agitation für sie 
ortdauernd an Boden gewinnt. 
Die unsinnige freiheitswiedrige Temperenz⸗-Be—⸗ 
vegung in ihrer neuen plumpen Erscheinung kommt 
ust dem Prozeß der Neubildung ganz besonders zu 
Statten. Sie ist vorzüglich dazu angethan, das 
alte Parteiwesen aus dem Sattel heben zu helfen 
ind für die neue Partei einen Stoff hdur Oppo— 
ition darzubetien, der für die gesammten Unionsstaa⸗ 
en und für alle Schichten der nordamerikanischen 
Hesellschaft lebhafte und thätige Theilnahme er—⸗ 
zegen muß, da die Frage der gesetzlichen Verpön⸗ 
ing des Genusses von Spirituosen und des Sonn⸗ 
agsvergnügens, wie es die Temperenzler anstreben, 
Jedermann an den Leib geht. 
Die Deutschen aber insbe sondere stehen wie Ein 
Mann, bereit, eine Partei zu bilden, die auf ihre 
Fahne die Antitemperenzlerei stellen will, um das 
Brinzip der Unanfechtbarkeit der persönlichen Frei⸗ 
heit aufrecht und ungefährdet zu erhalten. 
Einen starken Stoß nun zur endlichen Ausge—⸗ 
taltung der neuen Partei hat der Wahlsieg ge⸗ 
jeben, der unter dem Zeichen der Antitemperenz 
rfochtet wurde, und in dem der deutsche Einfluß 
inen Freiheits-Triumph feiert. So weitreichend 
vird man jenen Sieg und diesen Triumph an— 
assen dürfen, ohne Furcht. von der Zukunft Lügen 
gestrast zu werden. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Aus der Rheinpfalz, wird dem „Frankf. 
journ.“ geschrieben: Die Rede, mit welcher der 
fälzische Landrath durch den Herrn Regierungs⸗ 
zräsidenten eröffnet worden ist, hat in einer unserer 
vichtigsten Provincialangelegenheiten eine Enttäusch— 
ing gebracht. Man hatte allgemein erwartet, daß 
die seit zwei Jahren projectirte pfälzische Boden— 
und Communalcreditanstalt durch den diesjährigen 
Landrath definitiv in's Leben eintreten würde und, 
iun kündigt die Eröffnungsrede an, daß das 
Staatsministerium des Innern, Abtheilung für Land⸗ 
virthschaft, Gewerbe und Handel, es zur Zeit noch 
ür zweifelhaft erachte, ob für die Errichtung der 
zenannten Anstalt ein wirthschaftliches Beduͤrfniß 
»estehe und deshalb Bedenken tragen, für den Sta— 
utenentwurf die Genehmigung des Königs nach⸗ 
usuchen. Diese nachträglichen Zweifel hat man X 
)en gründlichen Erörterungen der Angelegenheit 
in den Landrathssessionen von 1880 und 1881 
nicht inehr erwariet. Es war durch dieseiben nach⸗ 
jewiesen, daß ein Institut zur Hebung des Real— 
credits in der Pfalz dringend nothwendig und daß 
gie seitherige Art dieser Creditbefriedigung eine zu 
ostspielige sei. Bei Errichtung von Hypotheken 
nußten vielfach, abgesehen von den für die Geschäfts⸗ 
eute abfallenden hohen Vermittlungskosten, 6 und mehr 
»Ct. Zinsen verwilligt werden, wobei an eine allmäh⸗ 
iche Amortisation des Capitals in den allermeisten 
Fällen nicht gedacht wurde und auch bei den hohen 
Jahreszinsen nicht gedacht werden konnte, so daß die 
etreffenden Hypothekarschulden entweder auf Kind 
ind Kindeskinder sich forterben oder nur durch Veräuß⸗ 
rung des hypotekarisch belasteten Grundvermögens 
Abgetragen werden konnten. Diesem in der pfälzischen 
Landbevölkerung schwer empfundenen Mißstande sollte 
iun durch Errichtung einer Boden⸗ und Gemeinde- 
Treditanstalt abgeholfen werden. Nach den in der 
vorjährigen Landrathssession für dieselbe aufgestell- 
en Statuten sollte dieselbe an Private gegen eine 
zoppelte in Grund, und Boden gewährte Sicher⸗ 
jeit Darlehen zu 41),5 pCt. an Gemeinden und unter 
zirecter Staatsaufsicht stehende Stiftungen Darlehen 
u 4 pCt. gewähren können, bei welchen Darlehen 
die allmälige Amortisation Grundbedingung wäre. 
Bis zur Höhe der ausgeliehenen Kapitalien, sollte 
zie Anstalt ermächtigt sein, 4proz. Pfandbriefe zu 
mittiren. Die Vortheile eines solchen Instituts 
pringen doch wohl in die Augen. Bis jetzt zahlt der 
Schuldner in den meisten Fällen neben den hohen 
Vermittlungsspesen, deren Höhe eine mitunter un⸗ 
Aaubliche ist, sechs und mehr Prozent Zinsen, ohne 
vaß seine Schuld irgendwie abnimmt, bei derselben 
ährlichen Abzahlung würde er bei der Bodenctedit 
instalt in einer bessimmten Reihe von Jahren auch 
zas Capital mit abgetragen haben. Neden den Pri⸗ 
aten wäre die Anstalt auch für die Gemeinden und 
Stiftungen von erheblichem Vortheil, weil dieselben 
»ann das für sie nöthige Geld zu 4, d. h. mit einem 
Zuschlag von * pCt. für die Verwaltungskosten der 
Anstalt zu 494 pCt. aufnehmen könnten, während sie 
etzt zumeist mit fünfprozentigen Zinsen belastet sind. 
Ob durch amtliche Nachfragen, auf welche unser 
Staatsministerium bei der Anzweiflung der Be⸗ 
ürfnißfrage sich zu stützen scheint, volle Klarheit 
iber die Bedürfnißfrage geschaffen werden wird ober 
iann, scheint uns nicht wahrscheinlich. Die Leute 
iind bei der Aufnahme von Darlehen sehr vorsichtig 
ind lassen sich, wie man sagt, nicht gern in die 
darte sehen. Soweit unsere Erfahrung reicht, ist viel, 
ehr viel Bedürfniß für fremdes Capital da, und wird 
iesem Bedürfniß vielfach durch theuer vermittelte 
Zuflüsse, welche von auswärts in die Pfalz fließen, 
ibgeholfen. Das werden uns Alle, welche unsere 
afälzischen Verhältnisse kennen, gerne bestätigen. 
Wir zweifeln auch gar nicht, daß der jetzt ber⸗ 
ammelte pfälzische Landrath die Sache nicht preis⸗ 
eben, daß es ihm vielmehr gelingen werde, dem 
S„taatsministerium gegenüber die Bedürfnißfrage