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xt. Jugherter Atzeiger
40 * F
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
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M 242.
Samstag, 9. Dezember 1882.
17. Jahrg.
34 RFerer socialen Zustände. Das Blatt schreibt:
Politische Uebersicht. eege wie e darüber IJ waren
zuch die Vorschläge, die zur Abhilfe vorgebracht
vurden. Der Minister des Innern hat die zu
veit gehenden Vorwürfe des Abgeordneten Dr.
Windthorst auf das richtige Maß zurückgeführt; im
lebrigen zeigte er sich damit einverstanden, daß auf
dem Wege der Gesetzgebung diese Wunde am Volks⸗
örper geheilt werden müsse. Von den extremen
zarteien abgesehen, die theoretisch-politischen Pain—
ipien zu Liebe die offenbaren Uebelstände nicht
ehen wollen, scheinen alle Parteien darin einig zu
ein, daß die Gesetzgebung über Unterstützungswohn⸗
itz und Heimathsrecht einer Abänderung bedarf,
die die Competenz der Gemeinde wieder mehr in
»en Vordergrund stellt und ihr die Mittel an die
dand giebt, nicht so sehr die Armgewordenen zu
interstützen, als vielmehr das Armwerden zu ver⸗
indern. Es ist nicht zu leugnen, daß die außer⸗
rrdentlich humane Behandlung in den Gefängnissen
ind Corrigendenanstalten dazu beiträgt, den Herren
hagabonden das Bummeln und Schnorren zu er⸗
eichtern, insofern sie in diesem endlichen Ziele ihrer
eriodenweisen Thätigkeit nicht nur keine Abschreck—
ing sehen, sondern sogar mit einer rührenden Vor⸗
iebe zeitweise Versorgung darin suchen. Ist so in
ser Zeit wirthschaftlicher Nothstände von der Re⸗
jierung eine gewisse Nachficht geüdt worden, so
vird es jetzt wo die Arbeits- und Lohnverhältnisse
infaugen sich zu bessern, nothwendig sein, die Zü—
jel wieder etwas straffer anzuziehen.“ Indem das
Zlatt ferner sich gegen die Unterstützung rei—
ender Handwerker durch die Vereine gegen Armuth
ind Bettelei wendet, daß es ganz besonders die
lusgabe der Innungen sei, für die hilflosen Hand⸗
verler auf Reisen zu sorgen, wendet sich das be—
anntlich den Regierungskreisen sehr nahe stehende
Ireßorgon gegen die von conservativer Seite befür—
vortete Einführung obligatorischer Innungen: „Ein
Theil der Handwerker wünscht obligatorische In⸗
iungen von der Regierung: mögen gerade diese
ingedenk sein, daß die beste Form, die beste Ge—
etzgebung nichts nützt, wenn in dem Menschen
elbst nicht der Trieb und der Wille sind, den In⸗
entionen des Gesetzgebers nach besten Kräften ent⸗
segenzukommen. Die bestehenden Formen der In⸗
ungsgesetzgebung sind nicht vollkommen; aber sie
jenügen, um den strebsamen Handwerkern „Zine
eẽntwickelung des Innungslebens zu gestatten, die
»ie hervorragenden Uebelstände im Handwerksleben
zeseitigt. Wenn sie selbst Hand mit anlegen und
venn ein solcher Appel an ihr Ehrgefühl nicht
imsonst ist, so wird der Connex zwischen dem rei⸗
enden Handwerkerthum und dem Vagabondenthum
hald aufgehoben sein.“
(Parlamentarisches.) Die beständige
TFommission für die sozialpolitischen Vorlagen setzte
hre Berathungen über 8 39 fort, in welchem die
dereinigung von Ortskrankenkassen verschiedener
hemeinden oder Communalverbände geregelt werden
oll. Die Opposition der liberalen Mitglieder sowie
erer des Centrums richtete sich hauptsächlich gegen
»as Bestreben des Regierungsentwurfs, hierbei an
Ztelle der Selbstverwaltung die ministerielle Ver—
ugung und Willkür zu setzen. Die darauf ge—
ichteten Anträge der Abgg. Dr. Hirsch und Dr.
Zutfleisch wurden schließlich auf Vorschlag des Abg.
. Wendt in zweckmäßiger Weise vereinigt, die Re—
zierungsvorlage abgelehnt und die combinirten An—⸗
räge der Liberalen und des Centrums gegen die
5timmen der Conservativen angenommen. — Zu
FZ 40, betr. das Aufsichtsrecht über die Orts⸗
krankenkassen, wurde von derselben Majorität ein
Zusatz angenommen, wonach bei Gemeinden von
mehr als 2000 Einwohnern das Aufsichtsrecht den
Bemeindebehoͤrden zustehen soll. Danach wurde
z»er 8 41 mit einem Abänderungsantrage des Abg.
Dr. Hirsch, dem die Regierungsvbertreter sich an—
chlossen, mit großer Mehrheit angenommen, ebenso
nach kurzer Debatte der folgende Paragraph. Da—⸗
auf wurde auch die letzte der speziellen Bestimm⸗
ingen über die Ortskrankenkassen in 8 43 mit
inzelnen Amendements des Abg. Dr. Hirsch ge⸗
iehmigt. Von den gemeinsamen Bestimmungen
ür die Gemeinde- und Ortskrankenkassen wurden
»ie ersten in 8 44 mit geringen Aenderungen nach
Lorschlägen des Abg. Dr. Buhl genehmigt, ebenso
inverändert die 88 45 und 46, nachdem ein vom
Abg. Lenzmann eingebrachter Antrag zu 8 45 als
rrthümlich zurückgezoggen war. Zu 8 47 hatten
zie Vertreter der nationalliberalen Fraction einen
Untrag gestellt, dessin Tendenz Dr. Buhl dahin
zräcifirte, es solle unter allen Umständen die
drankenversicheuung von dem Zustandekommen der
Unfallversicherung getrennt werden. Deshalb sollen
naicht blos die Arheiter der haftpflichtigen Gewerbe
ur unbedingten Beitragszahlung verpflichtet sein,
'ondern alle Arbeitgeber einen bestimmten Antheil
‚ahlen. Diese Beiträge werden von anderer Seite
auch damit motivirt, daß dadurch derjenige Theil
der Krankheiten, die als Folge der Betriebsgefahren
zu betrachten sind, aber nicht als Unfälle gekenn—
zeichnet werden können, doch dem Betriebsunter⸗
nehmer zur Last fallen. Man bestand seitens der
diberalen auf den Antrag Buhl hauptsächlich des⸗
wegen, weil in den Motiven der Regierungsvorlage
die Verpflichtung der Haftpflichtigen als losgekauft
jezeichnet wird durch das Drittel der Beiträge zur
drankenkasse, eine Motivirung, die man unbedingt
xrinzipiell ablehnen will. Nach ziemlich lebhafter,
iber im allgemeinen versöhnlichem Sinne geführter
Debatte wurden die liberalen Anträge mit großer
Lajorität angenommen gegen die Stimmen einzel⸗
ner conservativer und ultramontaner Abgeordneten.
Anperandert zur Annahme gelangten ohne Debatte
ie' 88 48, 49 und 50. Zu 8 531 hatte der Abg.
dasker einen dahin gehenden Antrag gestellt, daß
rusdrücklich ausgesprochen werde, daß die aus dem
estehenden Haftpflichtgesetz resultirenden Verpflich⸗
tungen der Arbeitgeber nicht alterirt würden. Nach
ängerer Debatte wurde gegen die Stimmen der
Liberalen dieser Antrag abgelehnt und der Para⸗
zraph angenommen. Die Beschlußfassung über
z52 wurde vertagt, da darauf bezügliche Anträge
erst genau formulirt werden sollten.
Ausland.
Während in Norwegen die republikanische Pro⸗
»aganda immer weiter um sich greift, macht sich
n Schweden eine lebhafte sozialdemokratische
Agitation bemerkbar. Dieselbe richtet sich zunächst
zjegen den Militarismus. So nahm die sehr zahl⸗
reiche Genossenschaft der Stockholmer Holzarbeiter
zieser Tage eine Resolution an, welche besagt, daß
-Zchweden sich niemals weder mit seinem jetzigen,
nioch mit irgend welchen anderen noch so großar⸗
igen Verteidigungsmitteln gegen eine Großmacht
yerteidigen könne, daß der Militarismus eine Land⸗
olage sei, welche jegliche Entwickelung hemme, die
kmigration befördere u. s. w. und daß daher der
neue Militär-Reorganisationsplan rundweg abzu—
ehnen sei, daß Schweden anderen Mächten gegen—
iber seine Neutralität zu erklären habe, daß die
Coblenz, 6. Dez. Die Kaiserin reist morgen
rui über Gießen ab und wird Abends 10*4 Uhr
a Berlin eintreffen.
Berlin, 7. Dez. Der Kaiser ist gestern
1dend wohlbehalten aus Göhrde von der Jagd
urückgekehrt.
dem Reichstage ist die Dentschrift, betr.
x Ausführung des Socialistengesetzes zugegangen.
z53 wird entwickelt, die socialdemokratische Beweg⸗
ing hat seit den letzten Reichstagswahlen einen
euen Anstoß bekommen, weil die Führer diese
gelegenheit mit Erfolg zur Stärkung der Organi—⸗
ation benutzten. Es habe sich herausgestellt, daß
ie socialdemokcatische Partei weit entfernt sei,
e Reformvorschläge der Regierung auf dem soci⸗
lan Gebiete richtig zu würdigen. Neuerdings
heint sich die Aufmerksamkeit der Parteileitung
nieder besonders auf die Bildung von Gewerkschaf⸗
n, Vereinen und Verbänden hinzulenken, welche
e für vorzugsweise geeignet erachtet, den socialde⸗
okratischen Geist zu wecken und wachzuhalten.
ie Verbreitung von Flugblättern hat zwar, ab⸗
esehen von der Zeit der letzten Reichstagswahlen,
icht in dem bisherigen Umfange stattgefunden;
agegen genießen die periodischen Druchschriften der
zartei, namentlich der Socialdemokrat und die
reiheit, ungeachtet der mannigfaltigen der Ver⸗
reitung derselben entgegentretenden Schwierigkeiten
ach wie vor eines starken Absatzes. Trotz ange⸗
annter Aufmerksamkeit der Grenzbehoͤrden finden
iese Preßerzeugnisse immer auf den verschiedensten
begen ihren Eingang in Deutschlaud. In einem
Wartal dieses Jahres sind allein von dem Soci⸗
demokrat circa 13,000 Exemplare in dem Ge⸗
iete des deutschen Reiches beschlagnahmt worden.
die Heftigkeit und der Cynysmus der Sprache
ieser Blätter ist kaum noch einer Steigerung fähig
nd wird nur erreicht in den Reden hervorragender
zarteiführer, die besonders bei Gelegenheit von
zarteifesten in den deutlichsten Worten zum Um⸗
uurz aufreizen und in unqualificirbaren Ausdrücken
ber staatliche und kirchliche Institutionen, über
olitische Persönlichkeiten u. s. w. sich auslassen,
ie am Jahrestage der Ermordung des Kaisers
llexander II. und auf dem Erinnerungsfest an die
freignisse des Jahres 1848 in London, sowie die
nlängst auf dem Schlosse Wyden gehaltenen Re—
en liefern hiefür einen schlagenden Beweis. Der
von der sogenannten gemäßigten Partei, wenn auch
nit gewissen Einschränkungen als Partei⸗Organ
uusdrücklich anerkannte Socialdemokrat geräth immer
gehr in das Fahrwasser der social⸗revolutionären
artei und bestätigt hierdurch die Annahme, daß
er zwischen den beiden Parteirichtungen noch be—⸗
ehende Unterschied keineswegs mehr ein funda⸗
nentaler is. Die Zahl der Anhänger der Most⸗
chen Richtung ist auch in Deutschland im Steigen
griffen, was in erster Linie den foctgesetzten
gitationen der internationalen social⸗revolutionären
irbeiter⸗Association in London zuzuschreiben ist.
Ddie „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ zieht
enem Leitartikel: „Das Vagabonden⸗
eben im deutschen Reich“, gewissermaßen
as Resultat der am 28. November nnd 4. De—
mber im preußischen Abgeordnetenhause stattge⸗
abten Debatten über diese Schattenseite un—