Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
Der „St. Jugberter Anzeiger“ erjscheint wochentlich funfmal: Am Montag, Dienstag, Donuerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs- 
Blatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljährlich 1A 40 — einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 146 60 —, einschließlich 
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AMA 12. I Donnerstag, 18. Jannar 1883. —18. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Die „Voss. Ztg.“ bringt ein Schreiben aus 
Leipzig, in welchem mit Enischicdenheit die Ver— 
legung des Reichsgerichts von Leipzig 
nasch Berlin verlangt wird. Wie verlautet, 
würde bei Berathung des Reichsjustiz-Etats ein 
derartiger Antrag eingebracht werden. 
Gegen den deutschkonservativen Antrag auf Ein— 
führung obligatorischer , Arbeitsbücher“ für die ge— 
werblichen Arbeiter mehren sich die beim Reichs⸗ 
tage einlaufenden Gegenpetitionen. Die ange— 
führten Gründe sind meistens nur Umschreibungen 
der Aeußerungen der Gewerkvereine: alle kommen 
darauf zurück, daß sie in den Arbeitsbüchern eine 
Herabseßzung sähen, eine Klassengesetzgebung für 
eine einzelne Klasse der gewerblichen Arbeiter, die 
„ungerecht“ sei und „alle ehrlichen Arbeiter de— 
müthige“. Hierauf wird von den Freunden des 
Antages entgegnet: In allen wohlhabenderen und 
gebildeteren Kreisen bestehen „Arbeitsbücher“ oder 
Zeugnisse, und zwar nicht bloß über Art und Dauer 
der Beschäftigung, sondern sogar auch über Führ— 
ing und Leistung. Für die Beamten des Staates 
zestehen sie vorschriftsmäßig; aber auch für Kauf— 
leute, Buchhalter, Verwalter, Zivilingenieure, Haus—⸗ 
lehrer u. s. w. mit großer Regelmäßigkeit. Der 
zutage liegende Unterschied aber ist der, daß hier 
das Zeugnißwesen, soweit es private Kreise betrifft 
auf freiem Uebereinkommen beruht, während es in 
dem vorliegenden Falle für eine bestimmte Kate⸗ 
gorie von Arbeitern obligatorisch gemacht werden soll 
Straßburg, 16. Jan. Bei dem gestrigen 
Diner zu Ehren des Landesausschusses hielt der Statt⸗ 
halter Feldmarschall v. Manteuffel eine Rede, wo⸗ 
rin es heißt: „Nicht freiwillig war Elsaß-Loth⸗ 
ringen zu Frankreich getreten, nur durch Schwäche 
des Reiches war es diesem verfallen. Sie erinnern 
sich, daß ich in dem heißen Streben, dem Lande 
möglichst bald seine verfasfsungsmäßigen Rechte zu 
verschaffen, die Bitte aussprach, Männer in den 
Reichstag zu wählen, welche die Zusammengehörig— 
keit Elsaß⸗Lothringens mit Deutschland offen an— 
erkennten. Der Erfolg meines Rathes war, daß 
u. A. auch ein Abgeordneter auf das Programm 
gewählt wurde, welches in den Worten: „Prote- 
atation et Action“ gipfelte. Die Protestation 
datirt von Bordeaux her und erhält dadurch ihre 
bestimmte Erklärung: Krieg, damit Elsaß⸗Lothringen 
nicht bei Deutschland bleibt. Ich bin Soldat, der 
Krieg ist des Soldaten Element, und wohl möchte 
ich das Hochgefühl nochmals schmecken, in der Feld⸗ 
schlacht zu commandiren; aber als Statthalter von 
Elsaß⸗Lothringen kann ich diesen Krieg nicht wün— 
schen. Das weiß ich auch, daß, wenn dieser Krieg 
uns nochmals aufgedrungen wird, Hunderttausende 
von deutschen Frauen ihren Söhnen das mit oder 
auf dem Schilde zurufen, das würde kein blos 
vpolitischer, das würde ein Nationalkrieg sein. Kein 
Land müßte aber mehr unter ihm leiden, als El— 
saß⸗Lothringen bei seiner geographischen Lage, bei 
jeinen beiden großen Festungen. Ich fürchte den 
Krieg nicht; aber auf das Gewissen möchte ich es 
nicht nehmen, zu ihm zu schüren. Welch andere 
Bedeutung als schüren zum Kriege hat die Hinzu— 
fügung des Wortes „Action“ zu dem der „Prote⸗ 
station“? Das Reich muß die Gewißheit gewinnen, 
daß Elsaß-Lothringen voll und ganz sich zu Deutsch⸗ 
land gehörig weiß. So lange die Begriffsverwirrung 
in der Bevölkerung hierüber noch so groß ist, daß 
Programme wie “ Protestations et Actions“ und 
zas des Herrn Antoine Anklang finden, so lange 
jat das Reich diese Gewißheit nicht. Der Muth, 
olche Programme und Briefe zu veröffentlichen, ist 
vohlfeil, denn ich mache keine politischen Märtyrer, 
aber das Land hat keinen Vortheil davon. Unter 
olchem Zustande leidet das Land. Eine muthvolle 
Aussprache der eigenen Ueberzeugung wird die 
ßflicht Aller. Es giebt keine Protestpartei in El— 
aß Lothringen, es giebt nur Protestagitationen, 
as beweist die Haltung der Bepvölkerung, mit der 
iie das Vertrauen des Kaisers gerechtfertigt hat, al⸗ 
erselbe die Kriegsgerichte aufgehoben und die Op⸗ 
antenfrage geordnet hat. Aber die Bevölkerung 
st eigeschüchtert, sie fürchtet sich vor Schmähungen 
)er französischen Blätter, wenn sie die definitive 
Zusammengehörigteit mit Deutschland offen aner— 
ennt. Ich dente mich hinein in die Elsaß-Loth— 
inger. Mit tausend Verwandtschafts- und Freund⸗ 
chaftsbanden sind sie an Frankreich gekettet, aber 
Frankreich hat ja einem völkerrechtlichen Vertrage 
ẽlsaß · Loihringen an Deutschlaud zurückgegeben 
Wo das Wohl des Geburislandes in Frage steht 
reten die Pflichten gegen dieses in den Vorder⸗ 
jrund und müssen die Gefühle schweichen machen. 
ẽlsaß⸗Lothringen leidet unter dem Fortbestehen dieser 
Lerhältnisse. Sein Gedeihen hängt von der Er— 
angung der vollen Verfassungsrechte ab. Ich ap⸗ 
hellire erneut an den elsaß⸗lothringischen Patriotis⸗ 
nus und fordere alle Elsaß⸗Lothringer auf, mich 
in diesem Streben zu unterstützen. Aber diese 
Unterstützung werde mir oder werde mir nicht, die 
Versicherung gebe ich dem Lande, daß, so lange 
ich hier hin, meine Politik unbeirrt die der Ver— 
söhnung und Gefühlsschonung bleibt.“ 
Ausland. 
Paris, 16. Jan. Der „Figaro“ veröffent⸗— 
licht heute ein Maniftest des Prinzen 
Iérôme Napoléon, in welchem dieser die 
segenwärtige Lage erörtert und die Napoleonische 
orbschaft für sich in Anspruch nimmt. Das Mani— 
est war auch an den Straßenecken angeheftet. 
Dasselbe erörtert die Unfähigkeit der Regierung. 
die Uneinigkeit der Kammern, den Verfall der 
Armee, die Verderbtheit des Richterstandes, den Rück⸗ 
gang des Handels, die Zerrüttung der Finanzen 
und das Wachsen der Staatsschuld. Die von der 
Bottlosigkeit verfolgte Religion werde nicht geschützt; 
die Anwendung des Concordats allein könne den 
religiösen Frieden wiederbringen. Die socialen 
Fragen beduͤrften eines ernsten Studiums, welches 
der Prinz verspricht. Er verurtheilt die auswär— 
ige Politik und beansprucht die Erbschaft der Na— 
poleoniden für sich, weist die Gemeinschaft mit den 
—WsFVGuVPC— 
denen Plebiscite erinnernd an das Volk, dessen 
Sache er vertretee. — Das Manifest wurde durch 
die Polizei von den öffentlichen Gebäuden entfernt. 
Am Nachmittag wurde Prinz Napoleon verhaf— 
det und in die Conciergerie gebrach. — (Grinz 
Jördme Napoleon L„Plon⸗Plon“] ist der zweitge— 
borene Sohn des weiland Königs Hieronymus von 
Westphalen, Bruders Napoleons J.; er vollendet am 
ommenden 9. Sept. ds. Is. sein 61. Lebensjahr. 
Am 30. Januar 1859 vermählte er sich mit Clo— 
tilde, Prinzessin von Savoyen, Tochter des weiland 
Zönigs Viktor Emanuel II. von Italien. Dieser 
khe sind zwei Söhne und eine Tochter entsprossen. 
der älteste, Prinz Viktor, geboren am 18. Julf 
862, ist seit einiger Zeit von der einen Fraktion 
der Bonapartisten JViktorianer]) im Gegensatz zu 
seinem Vater als Thronkandidat aufgestellt. 
Wie man aus Rom meldet, wird der baye⸗ 
rische Geschäftsträger Frhr. v. Cetto heute 
Domerstag) dem Papfte seine Kreditive als Ge— 
'andter überreichen. 
Lokale und vfälzische Nachrichten. 
* St. Ingbert, 18. Jan. Nächsten Sams— 
tag Abend findet im großen Oberhauser'schen Saale 
dahier das dritte Abonnements-Conzert der 
Bergkapelle von Heinitz unter Leitung ihces 
Herrn Kapellmeisters Wittig statt. Wir erlauben 
ins, unsere hiesigen Leser darauf aufmerksam zu 
machen. Aus dem uns vorliegenden reichhaltigen 
Programme werden uns folgende Piecen als be⸗ 
sonders beachtenswerth bezeichnet: Fest⸗Ouber⸗ 
kure „P'edur v. Lautner, Violin-Soloa.d. 
Op. „Das Nachtlager v. Granada“, Scene und 
Arie für Clarinetse v. Bergsen, „Der musi— 
kalische Witzbohd,“ Potpourri v. Schreiber. 
*. St. Ingbert, 17. Jan. Am ver—⸗ 
lossenen Sonntag hielt der schon seit einigen Jahren 
unter den hiesigen Schmelzarbeitern bestehende 
„Arbeiterhilfsverein“ seine ordentliche Ge— 
neralversammlung ab. Die Tagesordnung 
hildete: Rechnungsablage, Neuwahl des Ausschusses 
und Aufnahme neuer Mitglieder. Die Kasse zeigte 
am 1. Januar des Vorjahres einen Bestand von 
2144 M. 58 Pf. Hierzu kamen die Jahresein⸗ 
nahmen pro 1882 mit 1010 M. 46 Pf. und ein 
Zinsenbetrag mit 91 M. 10 Pf. An Sterbegel⸗ 
dern wurden ausbezahlt 360 M.; die außerordent⸗ 
lichen Ausgaben beirugen nur 2 M. 60 Pf., und 
die Gesammt-⸗Ausgaben pro 1882 362 M. 60 Pf. 
Das verflossene Jahr war demnach für die Kasse des 
Vereins ein sehr günstiges, und zeigte dieselbe am 1. Jan. 
ds. Is. einen Vermögensstand von 2883 M. 54 
Pf., gegenüber dem gleichen Zeitpunkte des Vor— 
jahres ein Mehr von 738 M. 96 Pf. Besondere 
Anerkennung verdient die umsichtige und gewissen— 
hafte Führung der Bücher wie überhaupt der Ge— 
chäfte von Seiten des Ausschusses. Die Grneral⸗ 
bersammlung gab dieser Anerkennung denn auch 
durch die einstimmig erfolgte Wiederwahl der alten 
Ausschußmitglieder Ausdruck. Der Verein zählt 
gegenwärtig 347 Mitglieder und immer erfolgen 
weitere neue Anmeldungen. Es sollte aber auch bei 
den Vortheilen, die derselbe bietet, kein Schmelzar— 
heiter, der es mit seiner Familie gut meint, ver—⸗ 
säumen, demselben beizutreten. Moͤge er auch im 
laufenden Jahre wie bisher wachsen und gedeihen! 
S Niederwürzbach, 17. Jan. Bei der 
unterm 14. 1. Mts. dahier veranstalteten Samm⸗ 
lung für die Wasserbeschädigten der Vorderpfalz 
ergab sich die erfreuliche Summe von 205 Mark 
35 Pf. Dieses günstige Resultat darf um so mehr 
betont werden, da die Bewohner der hiesigen Ge⸗ 
meinde durch die große Wasserfluth im November 
d. Is. ebenfalls bedeutenden Schaden erlitten. 
Zudem sind manche Familien in finanzieller Be— 
siehung keineswegs in günstigen Verhältnissen. 
Trotzdem gaben Alle mit bereitwilligem Herzen, 
und die edlen Geber, denen der herzlichste Dank 
ausgesprochen wird, lieferten durch ihr freundliches 
Beben den Beweis, daß sie die Noth und das 
Elend ihrer schwer heimgesuchten Mitmenschen zu 
würdigen wissen. 
— Ein zu Gunsten der Wasserbeschädigten der 
Rheingegend am letzten Sonntag in Eßweiler 
durch den dortigen Musiker-Verein gegebenes Konzert