Full text: St. Ingberter Anzeiger

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k. Jugherter Amzeiger 
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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
der ‚St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wöchentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donuerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs⸗ 
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M 124. Samstag, 30. Juni 1888. 18. Jahrg. 
6.7. K. Regellose Kreditwirthschaft. 
Furchtbar drückend werden in der Jetztzeit die 
ies eingewurzelten Mißstände empfunden, welche 
ich als die unabweisliche Folge des in unserem 
haterlande üblichen regellosen Kreditnehmens und 
dreditgebens bemerkbar machen, und es tritt daher 
in rechtes Verlangen nach Verbesserung und Ord⸗ 
ung unserer Kreditverhältnisse in den gewerblichen 
dreisen lebhafter als je allenthalben zu Tage 
Unerkannt jedoch muß werden, daß die Heilung 
ieses auf Handel und Gewerbe schwer lastenden 
drebsschadens zunächst nur auf dem Wege der 
Selbsthilfe und allerhöchstens nur nebenher mit 
Unterstützung der Gesetzgebung anzustreben ist 
Freilich wird es nicht mit einem Male gelingen, 
iese lang und tief eingewurzelten schlimmen, man 
oͤnnte fast sagen traurigen Gewohnheiten der be—⸗ 
eichneten Art zu beseitigen und durchgreifende Re— 
iormen im geschäftlichen Zahlungsverkehr durchzu⸗ 
ühren, zumal die auf Selbsthilfe basierenden Re— 
ormbestrebungen wirksamer Exekutionsmittel natur⸗ 
jemäß so lange entbehren, als dieselben nur von 
inzelnen getragen werden. Nöthig jedch ist es, 
aß die Ueberzeugung von der Verbesserungsbe⸗ 
hürftigkeit unserer deutschen Kreditverhälinisse eine 
echt allgemeine wird, und daß alle gewerblichen 
dorporalionen, Gewerksverbäude, Gewerbevereine, 
Innungen, soweit solche noch bestehen, Handels 
ind Fabrilantenbereine ihre Miiglieder in Pflicht 
iehmen und zur Hebung der Mißstände, ein jeder 
mm jeinem Theile, gehörig beitragen. — 
Durch das ungebührlich lange Kreditgeben und 
dreditfordern wird aber nicht nur der Waarenhandel 
ach dem Auslande sehr erschwert, sondern zugleich 
uch die Kauffähigkeit im Inlande ganz erheblich 
erabgedrückt. In England und Frankreich gesteht 
nan im Großverkehr längere als 8—4 wöchentliche, 
elten schon 2—8 monatliche Zahlungsfristen nur 
u überaus seltenen Ausnahmesällen zu, und im 
dleinverkehr weicht man ebenso nur ganz aus⸗ 
ahmsweise von der Regel der Baarzahlung ab. 
in Deutschland dagegen sind 8. 6. 8 ofl auch 
2 Monate Ziel etwas ganz Selbstverständliches 
ind selbst der Kleingewerbtreibende, der Detaillist 
nuß mit der Bezahlung für gelieferte Waaren 
Hhne Ziel“ oft halbe und ganze Jahre lang warten 
Daß diese Mißwirtihschaft erschwerend auf die 
tonkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie im all⸗ 
emeinen wirkt, daß die Existenz des einzelnen 
hewerbneibenden, der oft ohnehin mit nicht ge⸗ 
‚ügenden Baarmitteln arbeitet, gefährdet wird, liegt 
lar auf der Hand, und nicht fortgeleugnet kann 
werden, daß durch den langsameren Umsatz der 
beschafiskopilalien die Vertheuerung der inländischen 
zabrikate und Gewerbserzeugnisse eine unausbleib⸗ 
iche Folge ist. I 
Dringend wünschenswerth wäre es, wenn die 
England und Frankreich bestehenden den dortigen 
zroßhandel betreffenden Handelsgebräuche in 
deutschland Einkehr hielten Bitugu des Kurim 
»erkehrs kann an der Moͤglichkeit der Beschränk⸗ 
ung und Unterdrückung der Mißstände um so 
veniger gezweifelt werden, als der Grund der 
ingsderschieppungen weitaus in den meisten 
* nicht in der mangelnden Zahlungsfähigkeit, 
— zrn in der Indolenz und Saumseligkeit der 
raäufer liegt. — 
Aber auch der Verkäufer trägt große Schuld 
an diesen Zuständen. Wie häufig sind die 
aser gezwungen den Gewerbtreibenden zwei⸗ und 
mehrmal um Ausstellung der Rechnung anzugehen! 
Wie häufig hört man, nachdem man endlich unge— 
duldig geworden, die entschuldigende Worte von 
„erst etwas zusammen kommen lassen“! 
Eine wirksame Besserung würde eintreten, wenn 
dem baarzahlenden Käufer Prozentabzüge gewährt 
vürden, wenn bei unvermeidlicher Gewährung 
ängerer Zahlungsfrist Zinsenzuschläge normiert und 
die in manchen Grossohandlungen jetzt üblichen 6 
und mehrmonatlichen Fristen allmähliche Abminder⸗ 
ung erführen. Die vermehrte Benutzung des äußersi 
empfehlenswerthen Postauftragberfahrens, allseitig 
trenges Vorgehen gegen boöswillige und säumigt 
Schuldner, und vor allem sofortige oder längstens 
n einvierteljährigen Fristen zu bewirkende Aus— 
chreibung und Absendung von Rechnungen würden 
wirksame Mittel gegen die Kreditkrankheit sein und 
eine Besserung der Mißstände ermöglichen. 
Wolle nur jedermann, so oft er als Käufer 
oder Konsument auftritt, an seinem Theile zur Be⸗ 
hebung dieses nationalen Krebsschadens in verdienst⸗ 
icher Weise mitwirken und, wenn er in Verkehr 
mit Detaillisten und Handwerker kommt, fich als 
Kegel die Baarzahlung vorschreiben oder aber 
eventuell jedenfalls für regelmäßige Begleichung 
der Gewerbsrechnungen in monatlichen oder ein⸗ 
dierteljährlichen Fristen Sorge tragen, es würde 
bald besser aussehen in unserem deulschen Gewerbe⸗ 
tande und das oft gehörte „billig und schlecht“ 
vürde wieder gestrichen werden können von den 
Schildern der Gewerbtreibenden. 
Volitische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
München, 27. Juni. S. M. der König 
äßt sich uber das Befinden des an Kolik erkrankten 
Herrn Staatsministers v. Lutz jeden Taç 
durch den Telegraphen unterrichten. Es hat sid 
das Befinden des Herrn Staatsministers erfreulicher 
Weise derart gebessert, daß derseibe täglich die 
aufenden Geschäfte von seinem Krankenbette aus 
erledigen kann. 
Berlin, 27. Juni. Fürst Bismarck, so ver⸗ 
lautet heute von einer Seite, wird die letzte Note 
Jacobini's gar nicht als vorhanden betrachten 
und also nicht beantworten, während Andere wissen 
wollen, der Kanzler werde die formell freundlich 
gehaltene Note in versöhnlichem Tone beantworten. 
Sicheres wußte man übrigens über den Inhalt der 
päpstlichen Note im Einzelnen eben so wenig, wie 
über die Art der Beantwortung. 
Ausland. 
Rom, 27. Juni. Die Kammer genehmigte 
hjeute den Handels- und Schifffahrtsvertrag mit 
Deutschland und Großbritannien. 
London, 28. Juni. Der Stiandart ver—⸗ 
jffentlicht eine Depesche aus Hongkong, in welcher 
es heißt, daß China den Wunsch nach Erhaltung 
des Friedens hege, aber die herausfordernde Haltung 
Frankreichs arbeite der chinesischen Kriegspartei in 
die Hände. Der englische Besandte Sir Harry 
Parkes werde sehnlichst von Japan erwartet; der 
dandel beginne in Folge der Unsicherheit der Lage 
dereits zu stocken. 
Petersburg, 27. Juni. Wie die Nowoje 
Wremja aus glaubwürdiger Quelle mittheilt, wurde 
in Siedlce (Russisch-Polen) ein österreichischer 
Generalstabsoffizier Namens Nagy verhaftet, 
bei welchem man Pläne und Karten sowie Croquis 
wichtiger Positionen am westlichen Bug vorfand 
2 
Der Verhaftete sei zum Zweck weiterer Untersuchung 
nach Warschau gebracht worden. Nach demselben 
Blatte wurde in Polen ein zweiter österreichischer 
militärischer geheimer Agent verhaftet in der Perfon 
des angeblichen Lebensversicherungs-Agenten Hugo 
Rittberg, der sich mehr mit der Recognoscirung 
des Terrains, als mit der Lebensversicherung ab— 
geben soll. Das Blatt benutzt diese Gelegenheit, 
um die lokalen Behörden wieder zu größerer Wach— 
jamkeit zu ermahnen, da angeblich alljährlich viele 
derartige maskirte militärische Tourisien an den 
russischen Grenzgebieten auftauchen. 
Calcutta, 28. Juni. Eine von der in d⸗ 
ischen Regierung an den Emir von Afghanistan 
abgesandte Munitionskolonne wurde von 
den Grenzstämmen der Schinwaris und Afridis 
angegriffen und ist nach heftigem Kampfe in deren 
Hände gefallen. 
Lokale und pfolzische Nachrichten. 
e. Ensheim, 28. Juni. Viktualienmarkt. 
Butter per 2 Kilo 1,80 Mark, Eier per Dutzend 
70-75 Pf., Kartoffeln O M. — pf. 
— Kaiserslautern, 26. Juni. Der Ge— 
schworene, welcher durch Verschulden des Hausknechts 
am Montag den ersten Zug hier versäumte und deß— 
halb einen Extrazug nach Zweibrücken nahm, ist, 
wie der „Stadtanz.“ mittheilt, aus Deidesheim. 
Das Hotel, welchem die Geschichte passirte, ist das 
Bahnhofhotel. Die Rechnung für den Extrazug 
(188 Mh). hat der Geschworene dem Hotelbesizer 
zugeschickt; derselbe weigert sich aber, zu zahlen. 
— Kaiserslautern, 27. Juni. Heute 
vurde der Geschäftsagent Zimmermann, früher 
Bürgermeister in Hochdorf, dahier verhaftet und in 
dessen Wohnung Haussuchung gehalten. 
— Kaiserslautern, 28. Juni. Der 
Zjährige Knabe Frz. Michael Haun dahier, wollte 
beim Baden im Vogelwoog, Wasserrosen pflücken 
und fand dabei nach der „K. Z.“ durch Ertrinken 
seinen Tod. 
— Auf dem Marsche der Mannschaften des 17. 
Infanterieregiments von Germersheim via 
Landau nach dem „Dernbachthale“, woselbst große 
Schießübungen stattfinden, sind 40 Mann durqh die 
allzugroße Hitze erkrankt und in das Landauer 
Militärspital verbracht worden. 
P.C. Edenkoben, 27. Juni. Die empor⸗ 
jtrebenden deutschen Städte des Mittelalters waren 
aicht nur die Träger humaner Bildung und die 
Sitze regen Kunstfleißes sondern auch die Mittel⸗ 
punkte des gesellschaftlichen Lebens. So enistanden 
auch in „den Pflanzstätten edler Sitten“ im 13. 
Jahrhundert schon die Schützengilden. Namentlich 
zing Braunschweig in der Ausbildung des Schützen⸗ 
wesens voran. Im Jahre 1265 gab es dort schon 
eine Schützenstraße. Damals zogen die Schützen⸗ 
brüderschaften mit den Spielleuten im Maien in 
den Wald. Ein bunter Frühlingsvogel wurde von 
einer hohen Stange herunter geschossen und der 
beste Schütz bekränzt. Heute aber stehen bei den 
Schützenfesten den glücklichen Schützen mit hohen 
Treffern ganz andere Preise in Äussicht. Auch 
hier werden die Schützenbrüder vom Rhein und den 
angrenzenden Gauen in dem eigens in dem Fest⸗ 
platze hergerichteten Pavillon eine Menge der pracht⸗ 
vollsten Ehrengaben, Doppelkronen oder sehr schöne 
Kunstgegenstände im Werthe von mindestens 11,000 
M. ausgestellt finden, ein Zeichen, daß die Glieder 
der verschiedensten Vereine eine Auszeichnung für 
die besten Schüsse wünschen, ein Beweis. daß die