Full text: St. Ingberter Anzeiger

Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
der St. JIugberter Anzeiger“ erscheint woͤchentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs⸗ 
Hlatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt koftet vierteliahrlich 1M 40 B einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 12 60 H, einschließlich 
0 ⸗Zustellungsgebühr. Die Einrückungsgebühr für die Agespaltene Garmondzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus der Pfalz 10 , bei außerpfälzischen und solchen 
auf welche die Erpedition Auskunft ertheilt, 15 , bei Neelamen 30 4. Bei 4maliger Einrüchung wird nur dreimalige berechnet. 
M 2. 
Donnerstag, 4. Januar 1883. 
18. Jahrg. 
—R 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Berlin, 2. Januar. Bei dem gestrigen Em— 
ofang der Generale sprach der Kaiser in der 
UInterhaltung mit einzelnen derselben seine Zuver⸗ 
icht auf Erhaltung des Friedens aus. 
Dem Vernehmen nach ist ein Antrag auf Ab—⸗ 
inderung des Reichsstempelgesetzes zu er⸗ 
varten, welches in seiner praktischen Handhabung 
u mannigfachen Beschwerden Anlaß gegeben hat. 
Ausland. 
Paris, 2. Jan. Die Leichenschau hat 
ergeben, daß Gambetta an einer Entzündung 
des Dick- und Dünndarmes und Vereiterung der um⸗ 
gebenden Gewebe gestorben ist. Eine chirurgische 
Operation wäre nicht am Platze und gefährlich ge— 
vesen. Außerhalb der Eingeweide wurde keine 
Verletzung festgeftellt. 
— 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
*St. Ingbert, 3. Jan. Bei den Ordens— 
verleihungen zu Neujahr ds. Is. wurde der lgl. 
Bergmeister Herr Johann Kamann dahier mit 
zem Ritterkreuz erster Klasse des Verdienstordens 
»om hl. Michael dekor irt. Wir gratnliren dem 
erdienten Herrn Beamten zu diesem Allerhöchsten 
Bnadenbeweise und wünschen, daß es ihm vergönnt 
ein moͤge, sich desselben noch lange in ungebrochener 
Rüstigkeit zu erfreuen. 
* St. Ingbert, 4. Jan. Von den Herren 
Bebr. Krämer hier wurden der k. Regierung der 
Pfalz 1000 Mark für die durch die Wasserfluthen 
Beschädigten übersandt. 
* St. Ingbert, 4. Jan. Endlich ist eine 
Frage, welche lange Zeit die Gemüther dahier in 
Aufregung versetzte, entschieden; wir meinen die Frage 
in Betreff des Kirchenbauplatzes. Nachdem 
aun der Ausschuß des Kirchenbauvereins und der 
Fabrikrath in gemeinschaftlicher Sitzung, nach Kennt⸗ 
nißnahme von der Entscheidung der kgl. Regierung, 
den vorgeschlagenen Bauplatz (Schwarz'sches Haus 
in der Oberstadt mit dahinter liegendem Terrain 
uuf dem Hobels) acceptirt haben und auch weitere 
Hindernisse dem Ankaufe des betr. Bauplatzes nicht 
m Wege stehen, so wird dieser schon in nächster 
Zeit erfolgen. 
MWSt. Ingbert, 4. Januar. Der auf den 
nächsten Sonntag anberaumte Ball des Musik— 
Vereins ist sicherem Vernehmen nach um einige 
Wochen verschoben worden, da es nicht passend er⸗ 
scheint, angesichts so großen, furchtbaren Elends, 
velches die Ueberschwemmungen in unserer Pfalz 
anrichteten, sich noch dem Vergnügen hinzugeben. 
Da wären wohl eher Wohlthätigkeitskonzerte und 
dgl. am Platze, deren Ertrag zur Linderung der 
Noth bestimmt werden würde. 
* Kaum weniger groß als im Bezirke Franken⸗ 
hal ist das durch das Hochwasser verursachte 
Elend in den am Rheine gelegenen Theilen der 
Bezirke Speyer und Germersheim. In der 
Stadt Speyer ist die Gasfabrik mit den niedrig 
jelegenen Stadttheilen überschwwemmt. Im Hasen— 
ofuhl sind bereits Häuser eingestützt. In Neu— 
»urg a. Rh. sind mehrere Häuser ganz eingestürzt, 
andere sind schwer beschädigt. Viel Vieh ist daselbst 
rtrunken. In der Gemeinde Pfortz liegen über 
20 Wohnungen in Trümmer; die meisten Bewohner 
ind geflüchtet. n Wörth a. Rh. sind eine An⸗ 
ahl Hauser eingestürzt, andere sind dem Einsturze 
rahe. Infanterie von Germersheim leistet Hülfe. 
Fast ganz Neupfotz steht unter Wasser. In! 
Naximiliansau sind zwei Häuser eingestürzt. 
der Bahnhofverwalter, der bis zum äußersten Augen⸗ 
zlick auf seinem Posten aushielt, mußte sich per 
Nachen auf badisches Gebiet flüchten. 
— Die Pfennigsparkassen von Lim bach und 
IIntstadt erzielten pro 1882 eine Gesammt-Ein⸗ 
ahme von 1800 M., welche in der Bezirks-Spar⸗ 
— 
— Der Haupttreffer der Kaiserslauterer Kirchen⸗ 
au⸗Lotterie zu 40,000 M. soll nach den „Pf. J.“ 
jach Kusel gekommen sein und zwar an einen früher 
ehr vermögenden, jetzt aber durch Unglück gänzlich 
erarmten Mann. 
— Der Stadrath von Kaiserslautern 
jat die Summe von 2500 M. an das kgl. Regier⸗ 
ingspräsidium zur Verwendung für die Wasserbe⸗ 
chaͤdtigten gesandt und einen Aufruf ertassen, in 
velchem zu Gaben aufgeopfert wird. 
— ZSas landwirthschaftliche Bezirkskomite Kai⸗ 
erslautern hat in seiner Sitzung am 28. Dez. be⸗ 
chlossen, daß in der letzten Hälfte des Monats 
rebruar der schon längst geplante pfälzische Saat⸗ 
jutmarkt in Kaiserslautern abgehalten werden soll. 
— Ludwigshafen, 2. Januar. Soeben 
varen wir Zeuge eines schrecklichen Ereignisses. 
kin mit etwa 30 —40 Personen besetzter Sandnachen 
vollte von Oppau her die Durchbruchstelle passiren 
im über den Rhein nach Sandhofen zu flüchten. 
ẽtwa 40 Meter vom Damm entfernt scheiterte der 
stachen und sämmtliche Insassen fanden bis auf 
iwan6 oder 8 Personen, die in einem herbei⸗ 
ommenden kleineren Nachen Aufnahme fanden, in 
den Wellen ein nasses Grab. Das Jammergeschrei 
der Unglücklichen war herzzerreißend. Wir konnten 
die Scene mit ansehen, doch Hilfe zu bringen war 
uins unmöglich. Etwa ein Drittel der Ertrunkenen 
varen Kinder. 
— Dem „Pf. K.“ entnehmen wir folgende 
ergreifende Schilderung der Ueberschwemmung: 
Ludwigshafen, 3. Jan. Es ist eine überaus 
raurige Aufgabe, nicht allein das Elend mit an— 
usehen, sondern es auch noch beschreiben zu müssen. 
Seit Samstag löst eine Schreckensbotschaft die 
indere ob und ständig lauscht das Ohr, ob die 
Zturmglocke nicht wieder neues Unheil verkündet. 
dudwigshafen ist rings von Wasserfluthen umgeben, 
iber wir empfinden unsere mißliche Lage weniger, 
veil unsere Nachbargemeinden von dem unheilvollen 
Flement weit schwerer betroffen sind, als wir zur 
Zeit. Zur Zeit! Denn bei dem stetig niederström— 
enden Regen, bei den trostlosen Nachrichten, welche 
uins der Telegraph übermittelt, droht auch uns 
ernste, dringende Gefahr. Aber so lange sie uns 
noch nicht umfaßt hat, bieten wir von Herzen 
Alles auf, um Unglücklicheren Trost, Hilfe und 
Ibdach zu spenden. Welch' grauenhaftes Bild 
hbietet sich dem Blicke dar, der vom Wasserthurm 
der Anilinfabrik oder vom Thurm der hiesigen pro⸗ 
restantischen Kirche sich auf unsere Umgebung rich— 
et. Ein großes Wassermeer, wohin das Auge 
ällt, nichts wie Wasser und wieder Wasser. Und 
nmitten dieses grauenvollen Meeres sehen wir die 
dörfer um ihre Existenz ringen. Aber das Ele— 
nent ist stärker und mächtiger, wie Menschenarm 
und Menschenhilfe. Schonungslos und ohne Er— 
harmen stürzt ein Haus nach dem anderen ein. 
Die bescheidenen Hütten, welche fleißige Armuth 
aus dem Ersparten sich' geschaffen, verfallen dem 
wüthenden Elemente und ganze Ortschaften haben 
»eute nichts weiter gerefttet als nur den Namen 
Friesenheim? Der Ort ist fast verschwunden, ein 
Haus um das andere bricht zusammen und es ist 
ine erschütternde Aufgabe, sich aus den Ruinen 
ein Bild des Ortes zu schaffen, wie es vor wenigen 
Tagen noch, bescheiden zwar, aber doch stattlich sich 
xräsentirte. Oppau? Auch hier hat das Wasser 
rürchterlich gehaust und nun noch dieses furchthare 
Anglück. Brave wackere Leute von Sandhofen 
rotzen der Gefahr, um den pfälzischen Nachbarn 
hilfe zu bringen. Muthig lenken sie ihr Fahrzeug 
zurch die hochgehenden Wellen. Es glückt ihnen, 
Dppau zu erreichen und ihre Liebesgaben abzu⸗ 
geben. Aus den bedrohtesten Häusern nehmen sie 
zie Einwohner, meist Frauen und Kinder, mit, um 
hnen jenselts des Rheines ein behagliches Obdach 
zu bereiten. Mit aller Anstrengung lenken sie 
hren Kahn in den Rheinstrom, die Segel werden 
geschwellt, um schneller am heimischen Strande zu 
sanden. Da fährt ein Windstoß in das Segel, der 
Nachen wird gegen Bäume geschleudert:, kentert 
und begräbt seine Insassen in der Fluth. Nur 
inige vermögen sich zu retten. die meisten — ihre 
Zahl ist noch nicht festgestellt, finden den Tod im 
Wasser. Das Lied vom braven Mann hat sich 
hier in einen schaurigen Grabgesang verwandelt. 
Wir können sie auf Erden nicht mehr greifen, die 
Muthigen, welche, um Anderen zu helfen, selbst zu 
zrunde gingen, aber ein ehrendes Andenken wird 
hnen gewahrt bleiben, den Wackeren, welche den 
wahren Heldentod im Dienste aufopfernder Men⸗ 
schenliebe fanden! — Gegen 6 Uhr Abends kam 
das Dampfboot des Herrn Arnheiter mit 150 Per⸗ 
sonen aus Oppau hier an. Unter Schwierigkeiten 
und Mühseligkeiten aller Art haben Herr Arnheiter und 
seine Leute das schwere Werk vollbracht und auf⸗ 
richtigster Dank gebührt ihnen für das Unteenehmen, 
das, Gott sei Dank, von Erfolg gekrönt war. Die 
Geretteten wurden in der Aula des neuen Schul⸗ 
gebäudes untergebracht. Edigheim? Von dieser 
Ortschaft stehen nur noch 14 Häuser gesichert da, 
alles andere ist ein Spiel der Wellen geworden 
und Schutt bezeichnet die Stätte, wo einst ein 
zlühendes Dorf sich erhob. Wie gesagt, der An— 
blick des Elends rings um uns stumpft den Blick 
für das eigene Unglück ab. Und doch ist dieses 
erheblich genug. Der Hemshof steht vollständig 
unter Wasser und nur nothdürftig wird der Ver— 
kehr durch hod gelegene Brücken bewerkstelligt. Gleich 
hinter dem Rangirbahnhof beginnt die Wasserfläche 
und erstreckt sich nach allen Seiten hin. Fünf 
Häuser und zwei Nebengebäude find bereits einge— 
fürzt, manche andere sind dem Einsturz nahe. Die 
Anilinfabrik beherbergt jetzt ungefähr 1400 Per⸗ 
sonen, 429 sind in dem Schulhause untergebracht 
und hier in unserer Stadt sind alle öffentlichen Lo— 
ralitäten mit Obdachlosen belegt. Und im Unglück 
giebt es doch den einen Trost: was an Hilfe geleistet 
werden kann, wird geboten. Es hat sich ein Hilfs⸗ 
romite gebildet, um organisatorisch Hilfe zu leisten 
uind die einlaufenden Gaben zu vertheilen, unser 
Frauenverein hat, den edlen Bestimmungen seiner 
Zatzungen gemäß, sich constituirt und wird sofort 
n Function treten. Was in den Kräften unserer 
Stadt und ihrer Bewohner steht, wird gern und 
willig zur Verfügung gestellt, aber die Noth ist so 
groß, das Elend so entsetzlich und die Sorge so 
fiefgreifend, daß wir auch an auswärtige Hilfe 
appelliren müssen. Und sie wird uns werden, deß 
sind wir gewiß, und zu dieser Hoffnung berechtigen 
uns die Spenden, welche bis jetzt einliefen; 
reichliche Spenden zwar, aber immer noch —8*