Full text: St. Ingberter Anzeiger

das den bedauerlichen Beweis fur den Schätzungs⸗ 
verih, den die oͤffentliche Moxal im Urtheil der 
Jeutigen Franzosen noch hat. Die Monarchisten 
chreiben diesen Zustand der republikanischen Ver⸗ 
affung zu. Dies ist wohl nicht richtig. Es war 
ben in Frankreich seit 80 Jahren niemals anders. 
Borlaufig bleibt es noch zweifelhaft, oh die Unter⸗ 
aehmer des Eingangs bezeichneten großartigen Be⸗ 
techungsgeschäfts auf Aktien sich nicht irren, aber 
Jach geschichilichen Erfahrungen war die Bestechung 
durch Aemter und Orden und mittelbar oder un⸗ 
nittelbar durch Geld zur Zeit Ludwig Philipps 
und Rapoteons III. nicht geringer, als sie heutzu⸗ 
age sein kann, und es ist nicht anzunehmen, daß 
i orleanistische Restauration dieses Hilfsmittels 
vürde entbehren können, um sich zu halten und 
Mehrheiten zu gewinnen. 
Lokale und pfalzische Nachrichten. 
— Vom 22. Oktober l. Is. beginnend, werden 
die Förderkohlen bei der kgl. Grube Mittelber⸗ 
ach um 90 Pf. auf der Halde, um 99 Pf. ab 
Bahnhof Bexbach per 100 kg einschließlich des Lade⸗ 
zeldes verkauft. 
Die Sirafkammer des kgl. Landgerichts 
Zaiserslaut ern beschäftigte ein den letzten Tagen 
iin interessanter Fall. Die Anklage war gerichtet gegen 
den 47 J. a. Bahnwart Johann Michael Kalb 
hon Kaiserslautern, wegen nicht weniger als 43 
n dortiger Stadt verübter Diebstalsberbrechen, wo⸗ 
zei ihm seine flüchtig gegangene „bessere Hälfte“ 
neist Hilfe geleistet hat. Der Dieb und Einbrecher 
Jjatte in der Nähe seines Wärterhauses ein förm⸗ 
iiches Magazin aufgespeichert; sein Vertrauensposten 
chützte ihn lange vor Verdacht. Gestern (Donners⸗ 
ag) wurde das Urthil gesprochen. Dasselbe lautet 
wegen 41 Verbrechen des Diebstahls auf eine Ge⸗ 
ammt⸗Zuchthausstrafe von 8 Jahren. 
Dem Vernehmen nach soll eine neue Bo⸗ 
denkreditbank für die Pfalz mit dem Sitze in 
Speyer, errichtet werden, deren Thatigkeit sich 
Jauptsächlich dem Lande zuwenden würde. 
Der Verwaltungsgerichtshof hat entschieden: 
Die Uebernahme der Art. 40 der Gemeindeordnung 
sür die Pfal z vom 29. April 1869 angeführten 
Ausgaben auf die Gemeindekasse ist nach Abs. 3. 
3 . nur dann zulaässig, wenn die Gemeinde 
hre Bedürfnisse ohne Inanspruchnahme von Ge— 
neindeumlagen zu bestreiten im Stande ist. Strei⸗ 
iigkeiten über den Vollzug des Art. 40 der Gemein⸗ 
dordnung sind gebührenpflichtig. 
Vermischtes. 
Markirch Elsaß), 23. Oktober. Ein 
urchtbarer Brand hat die schöne Meierei auf dem 
Kreuͤzberge bei Markirch ganz zerstört. Gestern 
Abend gegen halb 19 Uhr bemerkte man das Feuer 
ind 10 Minuten nachher standen die hölzernen, mit 
Heu und Stroh überfüllien Gebäude in hellen Flammen 
Ind leuchteten unheimlich in das schmale Thal hinein. 
Viele glaubten, der Wald stände in Brand. Von 
len Seiten sirömte Hilfe herbei, um bei'm Löschen 
uind Retten zu helfen. Leider konnte man nicht 
sofort in die Stallungen eindringen, weil die Thüren 
zerschlossen waren, und als man sie endlich öffnete, 
var die Hitze schon so groß, daß an ein Retten 
Laum zu denken war. Von dem schönen Viehstand 
fonnte nur eine Kuh und eine Ziege gerettet werden; 
Ales andere, worunier 30 Rinder, mußte im Qualm 
und Rauch elendiglich ersticken; die Hitze war so 
groß. daß man sich dem Gebäude nicht mehr nähern 
bnnie. Löschen konnte die Feuerwehr nicht, weil 
jar kein Wasser am Orte vorhanden und die nächste 
Quelle zu weit von der Brandjtätte entfernt war. 
Der Schaden soll sich auf etwa 50,000 Mk. belaufen. 
fUeber die Straßburger Mordtha— 
den werden mit größtem Eifer die umfassen dsten 
Nachforschungen angestellt, aber ein sicheres Resultat 
bezüglich der Thäterschaft ist noch nicht erzielt wor⸗ 
den.“ Die Polizeidirektion macht Folgendes bekannt: 
„Die inzwischen erfolgten Feststellungen haben er⸗ 
geben, daß eine der drei Personen, welche den An⸗ 
zall auf den Kutscher Schätzle gemacht haben, einen 
tleinen weißen Handkoffer oder ein in ein weißes 
Tuch eingewickeltes kleines Kistchen trug und einen 
chwarzen Hut auf hatte. Nähere Beschreibung 
ehlt. Am Körper des Apothekergehilfen Lienhardt 
ind mehr als 20 Verletzungen, darunter absolut 
ödtliche, vorgefunden worden. Dieselben scheinen 
nit einem sehr scharfen Beile oder mit einem Hack⸗ 
——— B. die Arme 
bis auf eine dünne Hauptverbindung scharf durch⸗ 
zehauen find. Das mit Bleistift geschriebene Rezepl 
räͤgt, wie nähere Besichtigung ergab, die etwas un⸗ 
ꝛeutliche Unterschrift Hr. Sehuster. Der ganz 
Inhali lautet: Ut Chloralhydrat 100 gr.: Ar 
Schulze. Dr. Schozter. Der der That verdächtig 
ignalifirte Mann spricht Straßburger Dialect. Ei 
ragt dunkelblaue Schürze, in der Mitte mit eine 
Tasche. Er soll Kratzwunden am Halse haben 
Die anfangs vermißte Uhr des Soldaten Adels hat 
ich inzwischen gefunden. Es scheint also ein Raub⸗ 
nord nicht vorzuliegen. Es sind Schritte gethan. 
um für Ermittelung der Thäter eine Geldbelohnung 
zu erwirken.“ Weiter erfährt man, daß ein Straß⸗ 
hurger Beamier die drei Männer, welche den 
Droschkenkutjcher angefallen haben, um 10 Uhr 
20 Minuten in der Langensiraße gesehen haben 
pill. Der Beamte will wahrgenommen haben, daß 
alle drei Männer schmutzige falsche Bärte (einer der 
Manner sogar den falschen über seinem eigenen) 
rugen. Aus diesem Vorkommniß dürfte hervor⸗ 
jehen, daß die drei Männer gar nicht mit dem 
zauterburger Zuge ankamen, sondern in Straßburg 
inwesend waren oder gar Straßburger sind. In 
Molsheim verhaftete drei Männer sind in Straßburg 
ibgeliefert worden. 
GOer erste eheliche Streit um — 
daiser Wilhelm.) Einer meiner liebenswür⸗ 
zigsten Freunde, so erzählt der bekannte Schrift⸗ 
teller Robert von Hagen, hat vor kurzem ein 
schmuckes, unperfälschtes Schwarzwaldmaädele als 
ein Weibchen nach Berlin heimgeführt und stellte 
nir die lustige Frau neulich vor. In ihrem so 
Jemüthlichen Süddeutsch exrzählte sie mir nun von 
her „Hochzeitsreiß“ — daß heißt, wenn mersch e' 
dochzeitsreiß nenne kann“ — sagt sie — denn 
dir sinn blos von Mannheim nach Bade'⸗Bade 
iud von da direkt nach Berlin. Mei gut's Männele 
vollte ebe, wir solle noch e biß'le nach der Schweiz 
ahte' — ich aber hab' g'sagt: „Weißt was. 
Raännele? wir wolle lieber e paar Tag' in Bade'- 
gade' bleide, ich möcht' für me Lebe gern den 
Iten Kaiser sehe — ich hab' ihn noch nimmer 
p'sehn, außer am Bild.“ — „Aber, liebes Weib⸗ 
hen,“ sagt er darauf in seiner hochdeutschen Sprach' 
den Kaiser kannst Du ja dann, wenn wir in 
gerlühn sind, alle Tage sehen — wir wollen unser 
teiseprogramm einhalten.“ — „Also Du schlägst 
nir mei unschuldig's Verlange rund ab? Schau, 
Nännele, das hätt ich nitt dacht von Dir — jetzt 
in wir netto 48 Siund' verheirat — — 8 is 
jut — Du bischt ja der Mann — Du hascht je 
u befehle!“ — „Befehlen? — ich befehle nicht,“ 
agte er dann, ich bitte Dich blos — und zwar 
hiite ich Dich, vernünftig zu sen —“ Vernünftig 
— Alfju bin ich unvernuͤnftig!“ fragte ich dann 
nei Männele und — „sehen Sie mei Herre,“ 
agte sie recht treuherzig, „ich war wirklich rech 
inbernünftig; denn ich hab' zu weine ang'fange 
ind hab' so kang g'weint — bis ich mei Wille 
‚och durchgesetzt hab!“ Triumphierend sah die junge 
zrau von mir auf ihr gedankenvoll lächelndes 
Nännele — dann fuhr sie fort: Ja — und da 
in wir also doch nach Bade'-Bade' g'fahre. Ganz 
eitlich — früh um Uhre 8 hab' ich mich in der 
däh' der Villa Meßmer aufg'stellt und hab' g'wart 
is halb 12 — und richtig, da is er plötzlich 
»auskommen. 'N Chlinder hat er aufg'habt und 
v langen, grauen Havelock und a Spazierstöckle 
aber nit vielleicht, um sich d'rauf ze stütze' — 
BZoit bewahr' — so ganz leicht in der Hand hat 
r's ghalte. Die Leut' hab'n alle reschpekwoll ihre 
ȟt' zoge und ich hab' 'nen tiefen, tiefen Knix 
»macht. Das gute alte Herrle hat mich dabei so 
reundli anguckt und so herablassend dankt, als 
denn wir Beide aus ein und demselben Ort im 
„chwarzwald wären. Dann is er zu Fuß und 
janz allein nach dem Hotel Angeleterre' gange. 
zch hab' ihm nachg'schaut: „Nei — wie der alte 
derr noch forsch laufe kann! — mer möcht's nit 
zlaube, wenn mer's nit g'sehe hätt'!“ — „So, 
ehe Sie“— schloß sie ihre muntere Erzählung, 
om alte Herre, der noch so forsch laufe kann — 
das war unser erster und hoffentlich auch unser 
etzter Streitü — — aber — — durchg'setzt hab— 
cch mei' Wille halt dog! 
— Der Wetterprophet De. L. Overzier der 
rotz vielseitiger Anfeindungen, ser häufig doch das 
stechte trifft. theilt mit, daß die nächste Periode 
illgemeiner Nachtfröste auf die ersten Tage des 
November fällt und bis 8. resp. 10 November 
eichen wird. Mit dem 11. oder 12. November 
riti der Umschlag zu wärmerem Wetter ein. 
Mainyr, 23. Oktober. Gestern sind einige 
Jungen im Aller von elf bis zwölf Jahren in eint 
Villa, unweit unserer Stadt, eingebrochen und haben 
nach dem R. K., in derselben einen Schaden * 
a. 3000 Mk. angerichtet. Die Zerstörung, die 
hon den Buben in der Villa angerichtet wurde, ist 
ine wahrhaft vandalische, indem jammtliches Mo— 
hilar zertrümmert, Vorhänge, die mehrere hundert 
Mark gekostet hatten, zerschnitten und bei einem 
Zrämpler für 70 Pfennig verkauft wurden. Von 
denselben noch schulpflichtigen Knaben jst noch eine 
Reihe anderer Diebstaähle verübt worden. 
FDie vergessene Fahne.) Wir brachten 
rürzlich eine Notiz. wonach die Deputationen eines 
Frantfurter Vereins ihre Fahne zweimal in Rüdes⸗ 
Jeim zurüchgelassen habe. Die⸗ Deputation des 
Franksurter Turnvereins bezeichnet die Geschichte 
zls vollständig erfunden und sagt am Schlusse ihrer 
xẽrklärung: „Unsere Fahne wurde einfach absicht⸗ 
ich in Rüdesheim zurlickgelassen, um uns den Trans⸗ 
yort am folgenden Sonntag zu ersparen, an wel— 
hem in Rüdesheim ein Turnfest Statt finden sollte, 
as wir besuchen wollten. Dasselbe wurde aber 
nfolge Regenwetters zu Wasser, und wir ließen 
eßhalb die Fahne durch unseren Vereinsdiener von 
Rüdesheim hierher holen. Bei allem Wiz erwartet 
nan von anständigen Leuten „Ehrlichkeit“; diese 
aber scheint der Herr — vergessen zu haben. 
p Den jungen Damen, welche gelegentlich der 
Niederwaldfeier an Kaiser Wilhelm poelische 
Anreden gehalten haben, dankte der Kaiser durch 
Uebersendung von Dankschreiben mit je einer werth⸗ 
hollen goldenen Brosche. 
4 Am 21. ds. Mis. hat ein etwa 30jähriger 
Mann beim Postamte in Braunschweig auf 
Zrund einer gefälschten Quittung der Diskontoge⸗ 
sellschaft in Berlia einen an die Firma Gutkind 
u. Comp. in Braunschweig adressirten Geld— 
hrief. der mit 2800 Mk. deklarirt war, in dem sich 
ber 75,000 Mt. befanden, herausgeloctt. Der 
Unbekannte ist von mittelgroßer, gedrungener Statur, 
hat blonde Haare, kurzen blonden Vollbart und war 
mit einem dunkelen Rocke, graumelirtem Ueberzieher 
mit dunkelem Kragen und kleinem schwarzem Filz- 
hute bekleidet. Für die Beibringung des Betrügers 
und der herausgelockten Summe ist eine Belohnung 
hon 3000 Mk. ausgesetzt. (Rach einer Berliner 
Mittheilung vom 24. Ottober wurde der Betrüget 
in Braunschweig verhaftet und es wurden circa 
73,000 Mark bei demselben vorgefunden. 
Weimar. Die Grafin Bose, geborene 
Fräfin Reichenbach, Tochter des Kurfürsten von 
dessen, hat der Jenger Universitat ein Kapital von 
150,000 M. zu „medizinischen Studien“ vermacht; 
aamentlich soll dasselbe die Ertheilung von Reise⸗ 
tipendien an Studenten der Medizin ermöglichen. 
AUnter Umstäuden kann die Summe sogar auf 
300,000 Mark sich erhöhen. Vorerst ist indessen 
die dadurch bediugte Vermehrung der Einnahmen 
der Universität noch keine sehr erhebliche. Auf den 
Zinsabwurf des Kapitals sind einstweilen noch zahl⸗ 
reiche andere Legatare angewiesen. 
pGohe Bilderpreise.) Wie nach der 
Magdeb. Ztg.“ verlautet, sind seilens des Berliner 
MRuseums für den neuen Rembrandt 24,000 Ml. 
Jezahlt worden. Ist diese Angabe zutreffend, so 
Jjaben die königlichen Museen eine Summe autge⸗ 
dendet, wie bisher für kein anderes Bild. Selbst 
her im Jahre 1881 aus der Sammlung des Grafen 
—Zchönborn in Wien erworbene Rubens, dessen Echt⸗ 
jeit bekanntlich vielfach und nicht ohne Grund an— 
zezweifelt wird, kam nur auf 200,000 Mk. Die 
oa 60 Centim. breite und 66 Centm. hohe Lein⸗ 
vand von Rembrandt ist also im Preise noch um 
10,000 Mtk. über. Die Meister haben sich gewiß 
nie träumen lassen, daß so enorme Summen einst⸗ 
nals für ihre Arbeiten gezahlt würden. —X 
der für Könige und Fürsten malte, erhielt niemals 
äber 10,000 Fl. für ein Bild, Rembrandt uie 
uͤber 20,000 Fl. Tizian, der gewiß gut honorirh 
Durde und dabdei ein recht gewiegter Geschäftsman 
war, fühlte sich schon befriedigt, wenn er 10,000 
Holdgulden erhielt. Wenn heutigen Tages die 
Verhaͤltnisse auch vollig andere geworden, der Werth 
der Bilder jener Zeit gestiegen. der heutige Werth 
des Geldes hingegen gesunken ist, so kann man 
doch nicht umhin, Preise wie 240. 000 Mt. über⸗ 
trieben zu nennen. 
F'Verluin, 24. Oktober. Der Beschluß, welchern 
der geodätische Kongreß in Rom gefatßzt hat, 
Vereinheitlichung der Zeit in allen Ländern durd 
Annahine der dvon der mittleren Mittagszeit bo 
inl