Full text: St. Ingberter Anzeiger

W 
Amktliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
der „St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs 
ßlatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljährlich 1/ 60 — einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1 78 , einschließlich 
0 H Zustellungsgebühr. Die Einrückungsgebühr fur die 4gespaltene Garmondzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus der Pfalz 10 —, bei außerpfälzischen und solchen 
auf welche die Expedition Auskunft ertheilt, 1I5 , bei Neclamen 30 A. Bei 4maliger Einrückung wird nur dreimalige berechnet. 
210. Sonntag, 28. Oktober 1883. 18. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Deutiches Reich. 
Das kgl. bayerische Staatsministe⸗ 
rium des Innern hat den Aktiengesetzent— 
wurf an die Handels- und Gewerbe— 
ammern zu gutachtlicher Aeußerung hinausge— 
chlossen. 
Liegnitz, 25. Oktober. Der Reichstags-Ab⸗ 
geordnete Richter⸗Mühlrädlitz (Fortschrittspartei) 
wurde wegen Majestäts-Beleidigung zu 6 Monaten 
und einer Woche Gefängniß und zum Verlust des 
Mandats verurtheilt. 
* Das Königreich Sachsen erfreut sich an⸗ 
zauernd höchst günstiger Finanzen. Infolge steigen— 
der Staats-Einnahmen und des gerringen Erforder— 
nisses für die Verzinsung der Staats-Schulden hat 
die sächsische Regierung beschlossen, den Ständen 
Vorlagen über den Wegfall des 20prozentigen 
außerordentlichen Steuer-Zuschlages zur Einkommen—⸗ 
steuer, über Aufhebung des Chausseegeldes und Er— 
mäßigung der Eisenbahnaütertarife zugehen zu lassen. 
Lokale und pfälzische Nachrich ten. 
St. Ingbert, 27. Oktober. Vor eini— 
gen Tagen ließ der Bäcker und Wirth Schaum 
don Friedrichsthal durch eine in seinem Dienste 
tehende Person auf dem hiesigen Vorschußvereine 
die Summe von 700 Mark erheben. Er wartete 
edoch vergebens auf die Ablieferung derselben; der 
„ungetreue“ Knecht hatte mit dem Gelde die Flucht 
nach Luxemburg ergriffen. Doch sollte seine Freude 
iber die reiche Beute nur von kurzer Dauer sein. 
herr Schaum folgte ihm noch an demselben Abend 
dahin nach und mit Hülfe der dortigen Polizei 
züückte es ihm auch, des entflohenen Vogels wieder 
jabhaft zu werden. Die entwendete Summe fand 
ich noch im Besitze des Diebes, mit Ausnahme 
ines Theiles, den derselbe für ein Billet zur Reist 
gach Amerika ausgegeben hatte. 
*Si. Ingbert, 27. Oktober. Wie wir 
vernehmen, ist für die hiesige Stadt die Bildung 
eines Zweigvereins des allgemeinen deutschen Ge⸗— 
werkvereins von Dr. Hirsch geplant. 
Aus dem Bliesgau, 26. Otktober. 
die Bewohner unserer Gegend wurden abermals 
durch ein Verbrechen in Aufregung versetzt. Ein 
erdorbenes Subjekt aus Ehlingen griff ein ganz 
mnbescholtenes Mädchen aus Erfweiler an, um es 
zu vergewaltigen. Nur durch Hilferufen und Auf—⸗ 
zielung aller Kräfte gelang es dem Madchen, den 
Wüstling zu überwinden. Die Gendarmerie war 
o glücklich, den Patron noch in Wittersheim zu 
rwischen und lieferte ihn wohlverwahrt nach Zwei— 
vrücken ein. Es werden demselben noch «zwei 
veitere Verbrechen dieser Art zur Last gelegt. 
Man wird sich erinnern, welche Aufregung es ver⸗ 
ursachte, als in Wittersheim eine ähnliche Unthat 
vollführt wurde. Es ist daher nicht zu verwundern, 
venn man sich angesichts solcher Vorfälle hütet, 
Abends von Nachbarsorten heim zu gehen. Diese 
Furcht findet umsomehr ihre Begruͤndung, als seit 
2bis 3 Jahren die Gendarmerie von Bebelsheim 
nach Reinheim verlegt ist. Es ist dies sicher mit 
beranlassung, daß solche Verbrechen am hellen Tage 
erüht werden können. An dem Aufftreten der 
leisenden Handwerksburschen kann man dies eben⸗ 
alls wahrnehmen. Unser Wunsch geht deshalb 
dahin, die Gendarmerie nach ihrem früheren Sitze 
urückzuverlegen. An einer Landstraße in der 
dänge von Blieskastel nach Habkirchen sollte unbe⸗ 
dingt der Sitz der Gendarmerie sein. 
— Zweibrücken, 26. Oktober. Die land⸗ 
mirthschaftliche Bezirksschule in Zweibrücken, welche 
am 3. November ihren Unterricht eröffnet, tritt unter 
recht erfreulichen Aussichten ins Leben. Bis gestern 
waren bereits 25 Schuler angemeldet. 
— Landau. Bei Bäcker Hoffmann hier 
wurden dieser Tage 20 dreipfündige und ein sechs— 
»fündiger Laib Brod polizeilich beschlagnahmt. Bei 
dem dreipfündigen Brode ergb sich heiß gewogen 
ein Mindergewicht von 70, nach dem Abdampfen 
bis 120 Gramm. Das Brod wurde bei Hoffmann 
deswegen gestern gewogen, weil sein Bursche sich 
kurzlich äußerte, „Sonntags könne man das Brod 
eichter machen, da kommt die Polizei nicht.“ H. 
vurde schon wiederholt gewarnt und auch protokollirt. 
4Eilb.) 
Vermischtes. 
F Die bekannte Würzburger Duell— 
affaire Moschel-Lenning wird, wie dem „Berl. 
Tgbl.“ aus München telegraphirt wird, durch den 
Abgeordneten Rittler in der bayerischen Kammer 
entweder in Form einer speziellen Interpellation 
oder bei Berathung des Kultus-Etats zur Sprache 
zebracht werden. Unter Parteimitgliedern der Linken 
haben sofort nach dem Erscheinen von Moschel's 
Brief Besprechnngen stattgefunden. 
FSaarbrücken, 25. Oktober. Bei den 
Wirthen unserer Stadt wurde am Montag uner⸗ 
wartet eine polizeiliche Revision der Bierpressionen 
vorgenommen. Von 41 untersuchten Pressionen 
wurden laut der „Sbr. Ztig.“ nur 22 als den 
gesetzlichen Vorschriften entsprechend imstande be— 
funden, während 19 im polizeiwidrigen Zustande 
angetroffen worden sind. 
F Straßburg, 25. Oktober. Die „Sir. 
Post“ erfährt, daß Aussicht vorhanden ist, eines 
der Mörder des Soldaten Adels habhaft zu werden 
Bei dieser Mordthat scheine ein Racheakt vorzuliegen. 
Der morgige Vormittag werde vielleicht Näheres 
dringen. Eine Bekanntmachung des 1. Staatsan⸗ 
valtes sichert Dem, welcher zur Entdeckung des oder 
der Mörder des Apothekers Lienhardt führende 
Anzeigen macht, eine Belohnung von 1000 M. zu. 
F In Folge der Straßburger Morde hat 
die Regierung der Reichslande angeordnet, daß die 
in dem Entwurf des Landeshalts-Etats für 1884 — 
35 vorgesehene Vermehrung der Schutzmannschaft 
in Straßburg um einen Wachtmeister und zwanzig 
Schutzleute schon jetzt fofort zur Ausführung ge— 
hracht werden soll, um dadurch vor allem einen 
ausreichenderen Nachtdienst zu ermöglichen. 
F (Ein Vorsichtiger') Dieser Tage verlor 
in Fremder in Mainz eine Brieftasche, in welcher 
ich außer anderen Papieren ein Geldbetrag von 
ünf Einhundert-Markscheinen befand. Er publi— 
irte darauf den Verlust in den Blättern und erbot 
ich, dem redlichen Finder, der die Brieftasche in 
einem namhaft gemachten Geschäftslokal abgeben 
würde, einen Finderlohn von 100 Mk. zu zahlen. 
Am Montag Vormittag trat nun in dieses Lokal 
ein kleines Mädchen und legte die gefundene Brief— 
sasche mit einem „Kompliment vom Papa“ auf 
den Ladentisch, worauf sich das Kind rasch entfernen 
wollte. „Wart einmal, Kleine“, rief der Ladenin⸗ 
Jaber, Du bekommst ja auch den versprochenen 
Finderlohn“. „Nein“, gab das Mädchen zurück, 
Papa hat sich schon 100 Mk. herausgenommen.“ 
darauf ging sie fort. Bei Besichtigung des Inhalts 
der Tasche fand sich in der That Alles vor, bis 
auf 100 Mk., womit sich der Finder selbst bezahlt 
gemacht hatte. 
FRechtdrollige Geschichtchen kommen 
zuweilen zur Kenntniß des Schiedsmannes. So er⸗ 
zählt man dem „Irkf. Journ.“ die nachfolgende 
durchaus wahre kleine Geschichte. Ein in der Fahr⸗ 
zasse bei einem Merceriewaarenhändler bedienstetes 
Mädchen empfand recht drückend die Wahrheit des 
hiblischen Satzes: „Es ist nicht gut, daß der 
Mensch allein sei“ Um diesem Solo ein Ende 
zu machen trat sie mit einer in der Nähe bedien⸗ 
teten alten wohlerfahrenen Köchin in Verbindung 
und bat diese, ihr doch „Einen“ zu verschaffen. 
Als Provision wurde der Köchin, die wie alle 
Köchinnen ungemein die Reinlichkeit liebte, nicht 
allein fünf Pfund feine Glycerinseife, sondern auch 
noch 10 Mk. und ein „Seelenwärmer“ versprochen. 
Die Köchin war damit einverstanden, begab sich 
auf den Männerfang und führte ihrer Freundin 
bei einer Tanzfestlichkeit in dem für solche Zwecke 
vorzüglich geeigneten Bornheim einen jungen Tape⸗ 
zierer zu, der vor den Augen ihrer Kommittentin 
auch Gnade fand. Das Verhältniß war bald ein 
fixes und die Köchin erhielt einstweilen ihre Seife 
auf Abschlag. Leider geschah es aber, daß bevor 
sie die 10 Mk. und das Umschlagtuch erhielt, der 
Tapezierer seiner Dulcinea wieder untreu geworden 
war! Gleichwohl rbelamirte nach einiger Zeit die 
Köchin ihre volle Provision, zu deren Entrichtung 
sich aber das verliebte Dienstmädchen nicht verstehen 
wollte. So gelangte denn der Fall zur Kenntniß 
des Schiedsmannes, als der ersten Instanz. Hier 
zankten sich nun beide Parteien tüchtig herum, wur⸗ 
den aber, nachdem sie ausgetobt hatten, dahin einig, 
daß die Köchin, das Heil ihrer Seele höher schätzend 
als schnöden Mammon, sich mit dem „Seelenwär⸗ 
mer“ zufrieden gab und auf die zehn Mark ver⸗ 
zichtete. Und die Moral von der Geschichte? —: 
Ein Bräutigam hat nur den Werth einer Waare 
(⸗ Seife Wolle); der „Mann“ aber ist — Gol—⸗ 
des werth! 
F Eine große Anzahl bekannter und hervor⸗ 
ragender Männer aus allen Gauen Deutschlands 
erläßt einen Aufruf zur Gründung einer „Allge⸗ 
meinen deutschen Lutherstiftung“, zur 
Stütze der Pfarrer und Lehrer, einer Stiftung, 
welche eine gute Erziehung für deren Söͤhne und 
Töchter ermöglicht. Die Begründung dieser in 
weiten Kriesen vertraulich vorbereiteten Stiftung, 
die Feststelling der Statuten, die Wahl des Vor⸗ 
tandes, die Aufforderung zur Bildung von Zweig⸗ 
VBereinen, deren Mittelpunkt die Stiftung bilden 
oll, die Organisation der im Deutschen Reiche zu 
beranstaltenden Sammlungen soll in einer öffent⸗ 
lichen Versammlung zu Leipzig am Reformations⸗ 
'age, 31. Oktober, erfolgen. 
F „Ausgerechnet“ — und zwar unter Berück⸗ 
ichtigung aller Chikanen, wie Schaltjahre und 
dergl. — hat ein Freund des „B. T.“ die chrono⸗ 
ogische Thatsache, daß unser Kronprinz am heutigen 
24. Oktober genau 19,000 Tage alt ist. Geboren 
am 18. Oltober 1831 vollendete „unser Fritz“ vor 
venigen Tagen sein 52. Lebensjahr. Am 20. Juli 
1866 wird derselbe im Alter von 54 Jahren 9 
Monat und drei Tagen seinen 20,000, am 28. 
März 1900 im Alter von 68 Jahren 5 Monat 
1 Tagen seinen 25,000. Lebenstag erreichen u. s. w. 
Der Kaiser, geb. am 22. März 1797, erlebte bereits 
am 10. Maĩ 1879 seinen 30,000. Lebenstag und 
vpird im nächsten Jahre am 30. Oktober im Alte