Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Jugherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Inabert. 
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M 28. Samstag, 10. Februar 1883. 
18. Jahrg. 
* Ein sozialer Krebsschaden. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
München, 7. Febr. Minister von Crails- 
jeim wird sich am kommenden Samstag in Ange⸗ 
legenheit der Postwerthzeichen nach Berlin begeben. 
Verkehrspolitisch glücklicher liegt wohl kein an— 
derer Staat als Bayern, mitten im Herzen Eu⸗ 
opas, als südliches Hauptstück des deutschen Reiches, 
in Verkehrsmittelpunkt des ganzen Kontinents, uͤnd 
es scheinen angesichts der Hebung des Landverkehrs 
nermittelst der Eisenbahnen für den bayerischen 
A 
velche einst N/urnberg, Augsburg, Bamberg, Regens⸗ 
burg, Passau u. A. so groß und reich gemacht 
haben. Zur Verwirklichung solcher Hoffnungen ge— 
hört nun freilich eine weise, zielbewüßie und weit⸗ 
ichtige Eisenbahnpolitik. welcher wichtigere Interessen 
zu wahren hat, als sie auf politischem Gebiete in 
Frage stehen. Wir nehmen Anlaß, darauf hinzu⸗ 
weisen, weil wir es mit Bedauern sehen, daß zwei 
o erwägenswerthe Alpenbahnprojekte, wie das 
Fernbahn⸗ und das neuere Mailand-Münchener 
Krojelt, keineswegs verdienen, so kurzet Hand ab— 
ällig und ablehnend in München behandelt zu 
verden, als es geschehen. Es wäre kurzsichtig, 
venn man in Müunchen nur die längsten Transu— 
inien und nicht auch die internationalen Verkehrs— 
edürfnisse berücksichtigen wollte, welche sich schließ— 
iich ihre Wege selbst schaffen. Besser ein kürzerer 
tarker als ein schwächerer längerer Tranfitverkehr. 
Auf Bahern lasten schwierige, aber ungemein wich⸗ 
ige Verkehrsaufgaben und es sollten zuͤr besten Er⸗ 
üllung derselbendie erfahrensten und befähi gtesten 
Männer um Rath und Gutachten angesprochen und 
nufmerksam gehört werden, damit nicht Fehier vor— 
tommen, welche in ihren Folgen bitter empfunden 
werden würden. (Pf. K.) 
Aus Berlin, 7. Februar, wird der „Koͤln. 
Ztg.“ gemeldet: Ueber die Antwort des Papstes 
auf das Weihnachtsschreiben des Kaisers Wilhelm er⸗ 
sahre ich aus ungewöhnlicher, aber durchaus glaub⸗ 
würdiger Quelle, daß die Antwort des Papstes auf 
indirektem Wege hier eingetroffen sein soll. Nach 
derselben Quelle soll der Papst auch dem Kron— 
orinzen eine Mittheilung haben zugehen lassen, was 
ich indessen nicht verbuͤrgen läßt. 
Berlin, 7. Febr. Im laufenden Jahre wird 
die Einberufung der Ersatzreserven außer zu einer 
zehnwöchigen und vierwöchigen zum ersten Male zu 
einer zweiwöchigen Uebung erfolgen. Die Uebungs⸗ 
geit wird wiederum wie in den vorhergehenden 
Jahren auf die Herbstmonate festgesetzt werden, 
und zwar möglichst so, daß die Uebungen mit der 
Finstellung der Rekruten beendet sind. Für die 
Schifffahrt treibenden Mannschaften werden die 
debungen im Winterhalbjahr 1883 bis 1884 stati 
inden. — Der Kaiser hat nunmehr befohlen, daß 
»as vierte und elfte Armeekorps (Magdebutg, bezw. 
Kafsel) jedes für sich in diesem Herbste große 
lebungen abhalten sollen und zwar Parade, Corps- 
nanöver gegen einen markirten Feind und drei— 
agige Feldmanöver der Divisionen gegeneinander. 
Der Kaiser wird mit den königl. Prinzen, fremden 
Fürstlichkeiten und einer Suite fremdherrlicher Offi⸗ 
iere die Hauptmanöver, die vom Chef des General⸗ 
tabes, Feldmarschall Grafen Moltke, und dessen 
Udlatus, Generalquartiermeister Graf Waldersee, 
intworfen werden, persönlich leiten. Zeit und Ori 
vird noch bestinimt werden. 
Berlin, 8. Febr. Die Steuercommission 
hat unter Ablehnung des Antrags auf Quotisirung 
die Resolution des Referenten in ihren einzelnen 
Theilen angenommen, welche verlangt: Vorlegung 
yon Gesetzentwürfen zur Reform der Einkommensieuer 
nit einer von 6000 M. ab fallenden Skala, zur 
Finführung der Deklarationspflicht und besondere 
Besteuerung des Einkommens aus der Capitalrente. 
Freitag Abend findet die zweite Berathung statt, 
und hofft die Commission, ihre Arbeit zu Ende zu 
bringen. 
Dem Präsidenten des Reichstages sind am 7. 
ds. Mts. wieder 50,000 M. aus Amerika für 
die Ueberschwemmten am Rhein zugegangen. Im 
Banzen übersteigen die Summen, welche die Deut⸗ 
schen in Amerika für diesen Zweck nur an den 
RKeichstag gesandt haben — abgesehen von durch 
deutsche Konsuln dem Reichskanzler übermittelten 
Spenden — bereits die Summe von einer halben 
Million Mark. 
Das Vagabundenthum und das Herumziehen 
arbeitsscheuer oder auch nur arbeitsloser und bet— 
telnder Menschen ist, wie die amtlichen Berichte be— 
agen und wie auch Jeder aus eigener Anschauung 
ꝛeurtheilen kann, fast in allen Staaten des Reiches 
ein so tief eingewurzeltes, die Menschwürde und 
die Achtung vor Recht und Ordnung mit Füßen 
rretendes Uebel, daß in einer Zeitperiode, in der 
nan es für nothwendig hält, soziale Schäden zu 
heilen, nicht oft genug gerade auf jenen sozialen 
Krebsschaden hingewiesen werden darf, der Hundert- 
ausende unserer Staatsangehörigen anftatt zu 
dleißigen, den Wohlstand des Landes fördernden 
Arbeitern zu Bettlern, Vagabunden und Spitzbuben 
nacht, die tagtäglich den ehrlichen Einwohnern und 
»en Gemeiudeverwaltungen in oft erfchreckender 
Weise zur Last fallen und außerdem noch vielen 
mderen Menschen ein schlechtes Beispiel geben. 
Ungeheuer schwiertg ist es aber, dieses soziale 
lebel mit der Wurzel auszurotten, denn in einem 
dande, welches wie das deutsche Reich beinahe 80 
Rillionen Einwohner zählt, werden sich aus Tausend 
Ursachen immer Menschen finden, die in die Noth 
nder Versuchung gerathen, durch Betteln ihr Dasein 
u fristen; denn abgefehen von plötzlichem Unglück, 
iberstandener Krankheit, durch Leichtsinn herbeige⸗ 
zeführter Brodlosigkeit und ähnlichen noch nicht 
besonders schweren Ursachen der Vagabondage tritt 
dazu noch ein Heer anderer und bedenklichster Be— 
weggründe. wie Trunksucht, Lüderlichkeit, Mangel 
an fachmännischer Ausbildung, Raufsucht, Spiel⸗ 
wuth, Völlerei u. s. w. — Will man also das 
Uebel der Vagabondage an der Wurzel vernichten, 
so haben dies Eltern und Erzieher, Schule und 
Berkstatt, Gemeinde und Staatswesen zu thun und 
it es auch Pflicht der Gesetzgebung, hie und da in 
die betreffenden Aufgaben stützend und fördernd 
ainzugreifen und dafür zu sorgen, daß so wenig 
us möglich Arbeiter und Handwerker, sowie die 
Angehörigen aus anderen Berufsklassen in die Lage 
ommen, Neigung zur Vagabondage zu empfinden. 
Aber trotz dieser Vorbeugungsmaßregeln bliebe 
ullerdings immer noch das schlimmste Uebel der 
bagabondage zurück. Denn, was sou aus der er— 
chredend großen Anzahl Vagabonden, welche die 
Straßen und einsamen Niederlassungen im Reiche 
ahraus, jahrein unsicher machen ober doch belästigen, 
werden? Kann man aus Gründen der Humanitäf 
er der geduldigen Fassung abwarten“ bis der 
dagabonden weniger geworden sinde 6 muß 
ben für diese armseligen und unglücklichen Menschen 
auch direkt etwas geschehen. Doch beider Prüfung 
deser Frage stößt man sofort auf eine große 
Sdwierigkeit, denn nicht Jeder, der arbeitslos im 
dande umherwandert und dabei mehr oder weniger 
im Almosen anspricht, ist ein Vagabond, ein Tage⸗ 
jeb; denn Unglück, Krankheit, Darniederliegen der 
branche konnen oft den fleißigsten Arbeiter zum 
bettler machen, und müßte man, ehe nur irgendwie 
meine pratktische Lösung der Vagabondenfrage 
dacht werden kann, Minel und Wege ausfindig 
achen, um dem bummelnden, profesfionsmaßigen 
hettler und Faullenzer von jenen unglücklichen oder 
iuch jugendlich leichtsinnigen Personen zu unter 
eiden, die gern wieder arbeitlen und drdentliche 
Nenschen werden wolllen, wenn sie nur dazu eine 
ausreichende Gelegenheit hätten. 
Ausland. 
Kairo, 8. Febr. In der ersten Sitzung, 
velche die Entschädigungs-Commission abgehalten, 
st konstatirt worden, daß nicht weniger als ca. 
O00 Reklamationen, in denen Ansprüche auf Ent⸗ 
chädigung geltend gemacht werden. eingelaufen find. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
St. Ingbert, 9. Febr. Am letzten Sonn⸗ 
ag Nachmittag wurde am Viadukt unterhalb der 
Stadt weinend ein fremdes Mädchen von etwa 5 
Jahren gefunden. Von Kindern und großen Leuten 
umgeben kam das Kind, das von Niemand gekannt 
vurde, später vor das Haus des Herrn Kaufman—⸗ 
nes Fischer, dessen Frau dasselbe freundlich auf— 
nahm. Es konnte nur aus ihm herausgebracht 
werden, daß es Kathchen heiße und daß sein Vater 
an der Bahn arbeite, dessen Namen bezeichnete es 
nit Diener, was sich jedoch später als unrichtig 
erwies. Soviel wurde festgestellt, daß es der Sprache 
nach bei Saarbrücken zu Hause sein müsse. Am 
indern Tage wurde nach verschiedenen Seiten hin 
ausgeschickt und u. A. auch nach Brebach an das Bür⸗ 
Jermeisteramt telegraphirt. Dieses letztere hatte den ge⸗ 
vünschten Erfolg; denn mit dem 5 Ühr Zuge traf der 
Bater des Mädchens hier ein und gleich nachher zu 
Fuß die Mutter und Großmulter, alle in der 
zroöͤßten Freude, ihr verlorenes Kind wieder gefun⸗ 
den zu haben. Der Name des Mannes ist Wal⸗ 
ger; er ist Bahnarbeiter und aus St. Arnual. 
Das Mädchen war mit andern Kindern den Mas— 
ken in Saarbrücken nachgelaufen, hatte dann heim 
Nachhausegehen den rechten Weg verfehlt und war so 
hierher geraten. Der Vater hatte bereits den Verlust auf 
allen Aemtern der nächsten Umgegend angezeigt und 
darum erfolgte auch auf die Depesche nach Brebach sobald 
die Aufklärung. Der Kleinen hat es übrigens so 
zut gefallen, daß sie nicht mit ihren Eltern gehen, 
jondern lieber bleiben wollte. In Zukunft dürf⸗ 
en dieselben wohl ein wachsameres Auge auf ihr 
rind haben. 
—, Die Strafkammer des köngl. Landgerichts 
Zweibrücken hat gegen den Zimmergesellen 
Karl Abt von Kaiserslautern ein harles, aber ge⸗ 
rechtes Urtheil erlassen. Derselbe erhielt acht Mon. 
Befängniß, weil er an den Distriktsstraßen 35 
Bäumchen theils abgebrochen, theils beschädigt hatte. 
Dieses Erkenntniß dürfte geeignet sein, übermüthige 
Burschen von ähnlichen Frevelthaten abzuhalten. 
— In der von dem jüdisch-theologifchen Se— 
minare zu Breslau für dieses Jahr gestellten Preis⸗ 
aufgabe über die avokryphische Schrift Jesus Sirach 
—