Full text: St. Ingberter Anzeiger

zi. Jugherter Atzeiger. 
Amtliches Oraan des königl. Amtbsgerichts 3t. Znabert. 
der Et. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmal: Am Moutag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöoͤchentlich mit Unterhaltung 
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—0—— 
Vor der Entscheidung. 
Aller Wahrscheinlichkeit nach fallen am nächsten 
zonnerstag die Würfel über Leben oder Ende des 
genwartigen Reichstags. Herr Windthorst will 
er Regierung das Socialistengesetz bewilligen, aber 
ur ohne die Befugniß, den kleinen Berlagerungs⸗ 
tand zu verhängen. Das Gesetz würde uns 
unn lebhaft an das Lichtenbergische Messer ohne 
linge erinnern, an welchem der Stiel fehlt. Ginge 
jeser Vorschlag in der Kommission durch, so könnte 
ch die Regierung der Mühe des längeren Zuwar— 
ens enthoben betrachten. Vermuthlich würde sie 
uch sofort zur Auflösung des Reichstages schreiten. 
dann wäre also thatsächlich diejenige Loosung für 
ie Wahlbewegung ausgegeben, welche den Zwecken 
mes gouvernementalen Wahlausfalles am Meisten 
irderlich sen muß. Denn selbst die ultramontane 
artei steht dann vor der Gefahr einer Spaltung, 
ie unseres Erachtens auch durch den überlauten 
rchenpolitischen Schlachtruf der ultramontanen Führer 
us Köln nicht gänzlich beschworen sein kann. 
Am schlimmsten natürlich wird die deutschfrei— 
anige Partei daran sein. Die gemäßigten Elemente 
merhalb derselben, welche im Plenum des Reichs⸗ 
iges für die Verlängerung des Gesetzes gestimmt 
ahen würden, erscheinen ohne Ausnahme mitver— 
mtwortlich für die Neinsager, welche von der Partei 
die Commission gewählt worden sind. Nichts 
hber erschwert mehr ein leidliches Zusammengehen 
let Liberalen in der Wahlbewegung, als gerade 
iese Loosung im Wahlkampfe, welche eine uns so 
harf trennende Prinzipienfrage so weit in den 
ordergrund rückt. Will Herr Eugen Richter im 
achten Reichstage eine in sich geeinigte Partei an⸗ 
ihten können, so muß er thunlichst solche Candi⸗ 
aten auftreten lassen, welche unbedingt gegen das 
„wzialistengesetz stimmen werden. Das Wiederauf⸗ 
teten der Herren Mommsen und v. Stauffenberg, 
Bitte und Stengel als Candidaten könnte ihm das 
anze Wahlgeschäft nur heillos verwirren. Die 
ationalliberale Partei jedoch ist unmöglich in der 
jage, über eine gemeinschaftliche Candidatur mit 
en Deutschfreisinnigen sich zu verständigen, wenn 
hr keine andere Candidalen geboten werden können, 
als grundsätzliche Gegner des Gesetzes. Vielmehr 
nürde fie dann allerdings sich genöthigt sehen, alle 
isherigen secessionistischen Wähler zu befragen, ob 
enoch mit ihrem jetzigen deutschfreisinnigen Ver⸗ 
relet im Einklang leben oder zur natisnalliberalen 
artei jurücktehren wollen Auch vit hegen den 
ufrichtgen Wunsch. dah über diesem unvermeid⸗ 
hen Kampfe die Gemeinschaft der größeren libe⸗ 
n Grundsätze nirgends aus den Augen verlo— 
n werde. Eben deswegen müssen wir aber jetzt 
w uns dagegen verwahren, daß Herr Eugen 
er alle Befurworter des Socialistengesetzes mit 
nenen Herbe seines Spottes als „Heul⸗ 
—*8 berächtlich macht und daß die eigenthüm—⸗ 
n Düpirungsbersuche auf's Neue nernonn 
Dnde. 
„Has in Braunschweig soeben gegebene Beispiel 
un das Schlimmste befürchten. Erst werden 
in n nationalliberalen Vertreter im Herzog⸗ 
——æ ihr Einverständniß zu einem Zuͤ⸗ 
6* n mit dem bisdherigen secessionistischen 
cucen Veitteten Schrader · Braunschweig) zu er 
gdinterdrein nimmt dann Herr Schrader 
— * e und bekennt sich rüchaltlos zu den 
——— Socialistengesetzes Die nationallibe⸗ 
eileitung in Berlin hatte ohnebin scon 
Dienstag, 22. April 1884. 
roßen Widerstand zu überwinden, um die örtlichen 
zarteileitung in Braunschweig zur Anerkennung des 
Schrader'schen Besitzstandes zu bewegen. Sie wird 
vird jetzt recht ernstlich die Frage erwägen wollen, 
'b ein Wahlkreis, der seit 1876 nationalliberal 
zewählt hat, nicht viel mehr zu ermuntern sei, zur 
ilten Fahne zurückzukehren. 
Und was in Braunschweig geschehen sollte, wird 
n Hessen und Baden, in Mittelfranken und Hessen⸗ 
assau und zwar unmittelbar aus der Bürgerschaft 
jeraus, ganz gewiß nicht unterbleiben. Die deutsch⸗ 
reisinnige Partei hat in diesen Landschaften nicht 
veniger als 11 ehemals secessionistische Mandate 
zu vertheidigen, die aber sammt und sonders ver— 
orengehen müßten, wenn dort Candidaten erschei⸗ 
nen wollten, welche ihre Wähler und sich selbst der 
„Heulmeierei“ beschuldigen würden, weil sie vor 
3 Jahren übereinstimmend für die Verlängerung 
»es Sozialisiendesetzes waren. Sache der national⸗ 
iberalen Partei, und deren patriotische Pflicht würde 
8 sein, dafür zu sorgen. daß diese Mandate 
denigstens nicht an die Reaction verloren ginge. 
sicht wir haben die Falle gelegt, in welche die 
deutschfreifinnigen nach Ansicht ihres eigenen Or— 
janes, der „National-Zeitung“, hineinfallen müssen. 
Wir können nur darauf Bedacht nehmen, daß 
venigstens die liberale Sache nicht darunter leidet, 
venn der „entschiedene“ Liberalismus die Mahnung 
einer besten Rathgeber in den Wind schlägt. 
(Pf. L. C.) 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Berlin, 21. April. Der dritte Kongreß für 
nnere Medizin ist heute unter dem Vorsitze des 
Heheimraths Frerichs zusammengetreten. Eiwa 
300 Theilnehmer aus allen Theilen Deutschlands 
und Oesterreichs waren erschienen. In Vertretung 
der Regierung waren Staatsminister v. Bötticher, 
Interstaatssekretär Lucanus und Geheimrath Althoff 
ugegen. 
Die von dem Fursten Bismarck vorherge⸗ 
agte Aera der „großen Mißverständnisse“ fängt 
chon an. Im Richter'schen „Reichsfreund“ lesen 
vir: „Die Anträge der deutschfreisinnigen Partei 
inden bei dem Reichskanzler Anklang.“ (Dann 
olgt die Mittheilung, daß der Herr Reichskanzler, 
vie vorher für den Tabaksteuer-Antrag, so jetzt 
iuch für den Antrag „von Stauffenberg-Hoffmann“ 
u Gunsten der Invaliden des Jahres 70 ent⸗ 
hieden habe.) Unsere Leser wissen, daß der erstere 
Untrag anderhalb Jahre vor der Geburt der deutsch⸗ 
reisinnigen Partei durch die nationalliberalen Ab— 
seordneten Buhl und Sander, der andere 
Untrag ebenfalls schon vor Jahresbericht durch die 
ationalliberalen Abgeordneten Groß und Buhl 
m Reichstage eingebracht, ersterer durch Herrn Dr. 
Zuhl, letzterer ganz besonders warm durch Herrn 
I)x. Groß befürwortet, und auch mit einer er—⸗ 
rückenden Mehrheit des Reichstags durchgesetzt 
vorden ist. Solche Anträge ohne Einvernehmen 
nit den ehemaligen Antragstellern sich meuchlings 
imzueignen, hat Herr Dr. Buhl von der Tribüne 
es Reichstags herunter als eine gänzlich neue par—⸗ 
amentarische Uebung gekennzeichnet. Wenn die 
Deutschfreisinnigen jetzt mit dem Erfolg ihres 
remden Federnschmuckes auch noch Reclame machen, 
o kann über den Zweck des ganzen Manövers bei 
herftändigen Leuten nicht der geringste Zweifel mehr 
hwalten. Pf. L. C.) 
Xαααααα 
19. Jahrg. 
Das „Berliner Tageblatt“ schreibt: „Die 
dor geraumer Zeit von uns signalisirten Gerüchte 
don einer geplanten Zusammenkunft der Herrscher 
Desterreichs und Fußlands verdichten sich immer 
nehr und in Kreisen, welche in der Lage sind, der⸗ 
artige Angelegenheiten zutreffend zu beurtheilen, 
berlautet jetzt, der Czar werde im koͤmmenden Som⸗ 
ner eine Reise in das Ausland unternehmen und 
dem Kaiser Wilhelm sowie dem Kaiser Franz Jo— 
jeph Besuche abstatten. Diese Besuche werden 
vahrscheinlich dort stattfinden, wo die beiden Sou— 
eraine zur Zeit der Czarenreise sich aufhalten, wer⸗ 
)en, also in Bädern, jedoch glaubt man auch, daß 
eine Zusammenkunft aller drei Kaiser erfolgen 
önnte und zwar auf die Weise, daß der Cjar 
uerst den Kaiser Franz Joseph besuchen würde, 
ind daß sich hernach Beide zur Begrüßung des 
daisers Wilhelm in die zeitliche Residenz des Letzte— 
ten begeben dürften. Formelle Verhandlungen 
Jierüber haben allerdings noch nicht stattgefunden, 
iber man bestätigt jetzt mehr unsere neuliche Mel— 
»zung. daß der russische Attaché Baron Kaulbars 
zie Aufgabe hatte, auläßlich — 
eim Kaiser Franz Joseph eine Zusammenkunft 
eines Monarchen mit diesem anzuregen, und daß 
die Anregung herzlich aufaenommen worden sei. 
Ausland. 
Wien, 20. April. Zwischen den großmächtlichen 
dabinetten findet gegenwärtig ein ziemlich lebhafter 
diplomatischer Verkehr wegen Egyptens siatt. Ge— 
jenstand desselben ist nicht blos die finanzielle Frage, 
»ezüglich welcher die Kabinette Englands Absichten 
zereits zu kennen scheinen, sondern auch die poli⸗ 
ische Lage des Nillandes. Allem Anscheine nach 
st zwischen den kontinentalen Kabinetten ein Ein— 
dernehmen dahin erzielt worden, daß sie, wenn 
England seine unerwa seten Vorschläge detreffend 
die egyptischen Finanzen macht, vor der Prüfung 
derselben bestimmte Aufschlüsse darüber verlangen 
verden, in welcher Weise und wann etwa die 
egyptischen Wirren geregelt werden sollen. Man 
vünscht allgemein, Er aͤland möge endlich Farbe 
jekennen. 
Wien, 20. April. Die hochoffiziöse ,Mon—⸗ 
agsrevue“ sagt in einer Besprechung die Rede des 
Rinisterpräsidenten Ferry in Cahors: „Legt Frank⸗ 
reich wirklich Gewicht darauf, sich einen Antheil 
in der europäischen Gesammtpolitik zu wahren, so 
muß es zunächst der Thatsache eingedenk bleiben, 
daß Deutschland die erste Macht war, welche die 
tepublik aus ihrer Isolirtheit und Zurückhaltung 
Jjerauszog und iuren legitimen Interessen in aus— 
värtigen Fragen mit Achtung entgegentam. Seit 
sem Berliner Kongreß hat Fürst Bismark der Re— 
ublik eine systen atische Unterstutzung niemals ver— 
agt. und wesentlich Deutschland ist es zu ver— 
anker, daß der Politik Frankreichs in tunesischen 
ind transozeanischen Unternehmungen ein freier 
„pielraum geschaffen wurde.“ Der Artikel schließt 
nit den Worten: „Das Ministerinm Ferry darf 
ich allerdings auf eine längere Vergangenheit be⸗ 
ufen; seine wirkliche Macht wird sich indeß erst 
in der Frage der Verfassungsrevision erproben. 
Das Ministerium Ferry steht nicht am Ende, son⸗ 
ꝛern am Anfang der Schwierigkeiten. Immerhin 
st es eine gute Vorbedeutung, daß es in der parla⸗ 
mentarischen Kampagne gleichzeitig einen persönlichen 
und sachlichen Erfolg errungen hat.“ 
Paris, 20. April. Man liest im „Cri du 
Beuple“ dem sozial⸗repolutionären Blatte des Herrn