St. Iudherter Anzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingsbert.
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“ 83.
Für die Monate Mai und Juni
nehmen die Postanstalten, die
Auüsträger und die Expedition Bestel—
lungen auf dieses Blatt entgegen.
p. D.0. Der Parteitag in Berlin.
Es ist äußerst schmeichelhaft für uns, wenn die
Radikalen sowohl wie die Conserbativen und Ultra⸗
montanen mit den Heidelbergern sich beschäftigen,
als wären dieselben bereits der Ziffer nach, was sie
dem Wesen nach zu bleiben sich vorgenommen haben.
Indessen sind wir bescheiden genug, um einzuge—
flehen, daß die Uebernahme der Führung des Volkes,
beziehungsweise seiner politischen Geschäfte doch noch
von größeren Bedingungen abhängt, als sie erfüllt
werden konnten in Heidelberg und Neustadt.
Kichtig ist es ja, daß zunächst die Glieder der
nationalliberalen Partei im Norden ebenso wie im
Süden über praktische Ausführung der Heidelberger
Beschlüsse sich zu verständigen haben. Den Geist
dieser Beschlüsse hat der Norden bereitwillig aner⸗
kannt, was um so leichter fallen durfte, als die
heidelberger das nationalliberale Parteiprogramm
jom Jahre 1881 selbst allen ihren Beschlüssen
vorausgestellt haben. Darin aber hat die National⸗
zeitung vollkommen das Richtige getroffen: Auf die
Abftimmungen von Fall zu Fall kommt es jetzi an.
Die Partei muß einen Sinnes werden darüber, ob
nan z. B. noch in Uebereinstimmung mit den
heidelberger Beschlüssen bleiben kann, wenn man
das Unfallgesetz aus Abneigung gegen irgend einen
darin enthalitenen Grundsatz verwerfen wollte! ob
man noch im Sinne und Geiste der Heidelberger
jandelt, wenn man deutsch⸗freisinnige Kandidaten
im ersten Wahlgange bereiis unterstützt, trotzdem
veselben gegen das Sozialistengesetz üind, u. s. w.
derartige praktische Fragen entstehen noch außer⸗
ordentlich viele. In Heidelberg wurden drei neue
Steuern zur Entlastung anderer drückender Abgaben
vorgeschlagen. Es fragt sich, ob der Partei nicht
blbst jetzt die Pflicht odliegi, gerade in Bezug anf
eine Erhöhung der Börsensieuer, und jedenfalls
Ueichzeitig in Bezug auf die Verwendung eigene
Hesegesvorschläge zu machen. In Heidelberg wurde
diue Revision des Gesetzes über den Unterstützungs⸗
Wohnsitz verlangt. Va alle Gegner bezweifein,
daß unsere Parter über die frommen Wünsche hinaus
eiwas in dieser Beziehung zu leisten fähig sei—
wird die Frage zu beantworten sein, ob die Partei
cicht selbst eine Revision im Detail dorbereiten solle.
Darüber natüslich kann nur eine Versammlung
won Vartei· Delegirten aus allen Theilen des Reiches
im Einvernehmen mit den ReichskagsAbgeordnelen
die maßgebenden Entschließungen fassen; die An⸗
egung ist vom Süden ausgegangen, Tausende haben
ftendig zugestimmt, und sich zur Mitwirkung bereit
ee falls auf dem Boden der Heidelberger
— Thaten reifen sollten. Die Central⸗
Gung der nationalliberalen Partei, im Verein
den Vertretern im Reichstage und den Ver⸗
neen aus ganz Deutschland hat durch
* inberufung eines deutschen Parteitages bereits
7 daß sie die Pflicht wohl verstehe, welche
an den Heidelberger und Neustabter Kund—
een erwachsen sei. Wir dürfen auch an⸗
nn daß die Centralleitung in Berlin sich
v us keinem Zweifel darüber hingibt, wie un—
igt nothwendig jeht ein Arbellsprogramm de—
Dienstag, 29. April 1884.
worden ist, welches sowohl dem Volke zeigt, daß
wvir zu den einschlagenden Worten auch die gang—
harsten Wege der Durchführung wissen, als auckh
nach Oben hin darthut, daß die nationalliberale
Partei zu praktischer und positiver Arbeit, aber
auch nur zu solcher, zu haben sei.
Der Centralleitung in Berlin, welche sich jetzt
so außerordentliche Muühe gibt, die Wichtigkeit uͤnd
Dringlichkeit ihrer Einladungen zum Berliner Par⸗
teitag aller Orten erkenntlich zu machen, wissen wir
doppolten Dank dafür. Denn wir entnehmen da—
raus zugleich, daß sie der tiefen und breiten Strö⸗
mung, welche unsere gutgesinnte Bevölkerung seit
Heidelberg bwegt, in vollem Maße gerecht zu wer—⸗
den wünscht. Was sie dabei voraussetzen muß und
darf ist zweierlei: Die möglichst starke Beschickung
des Parteitags insbesondere aus denjenigen Landes
heilen, aus denen die Heidelberger Bewegung her—
bdorgegangen ist; sodann die Beschickung des Berliner
Parteitages durch solche Männer, welche den nord⸗
eutschen Gesinnungsgenossen unser süddeutsches
politisches Rathen und Thaten am verständlichsten
nachen, aber auch am wäemsten vortragen können.
Es ist wohl angezeigt, den einzelnen Vereinigungen
iber das Land hin diese beiden Voraussetßungen
aachdrücklich vor Augen zu führen. Kein Zweifel
daß in Berlin eine Uebereinstimmung erzielt werden
wird, so groß und schön, wie sie uns im Süden
und Südwesten gelungen ist. Kein Zweifel, daß
vir alle um ihre Existenz besorgten conservativen
P ultramontanen Parlamentarier von dem vollen
rnste unserer ungeschmälerten liberalen Gesinnung
in Nord und Süd überzeugen können.
Kein Zweifel, daß wir den Leuten vom Fort⸗
schritt und den widerlichen Gesellen der demokra—
tischen Presse ebenso schlagende Beweise liefern
können, wie Nord und Süd andererseits auch mit
Begeisterung alle guten Absichten einer Regierung
im Reiche, deren Vorstand gleichzeitig der Gründei
des Reiches ist. fördern will. Aber wir müssen ⸗
wiederholen: Wenn das Eine wie das Andere er—
reicht werden soll, ist es unerläßlich, daß jeder
Wahlkreis Vertreter nach Berlin sendet, die in Neu⸗
ffadt mitgetagt und den Geist jener Versammlung
doll in sich aufgenommen haben.
Es bereiten sich Zeiten vor, die eine großt
dolitische Reife unseres Volkes und tiefen Ernsi
seiner Vertreter voraussetzen, wenn das Reich unter
den radicalen und demagogischen Quertreibereien
nicht wieder zu Schaden kommen soll. Ist nun in
Heidelberg und Neustadt eine Saat aufgegangen,
velche uns Schoutz zu versprechen scheint gegen
alle unreifen und unlauteren Bestrebungen, haden
'o durch und durch deutsche Stämme, wie die
rankischen, schwäbischen und hessischen, sich die Hand
zeboten mit dem Gelübde, ungeachtet aller Ver—
äumdung und zum Trotz aller Uebelwollenden das
Reich auszugestalten und zu schirmen, wie sie es
in wesentlichster Uebereinstimmung mit der Reichs⸗
regierung zunächst für nothwendig halten, so werde
nun das Werk gekrönt und besiegelt. Im Norden
hat sich ja gleich einem Lauffeuer die Heidelberger
dosung von Ort zu Ort verbreitet, ganz Mitiel⸗
deutschland hat fast am selben Tage diese Losung
zu der seinigen gemacht. Nachdem wir selbst das
zjündende Wort gesprochen, nachdem wir in Neu⸗
tadt den praktischen Durchführungsgedanken eines
Miquel dereits jubelnden Beifall gespendet, nachdem
unser Thun von Ort zu Ort fortgewirkt hat: Dür⸗
Fen wir da überhaupt noch zu Hause bleiben, wenn
zie Centralleitung in Berlin uns nun bietet. das
19. Jahrg.
Feuer des Geistes von Heidelberg und Neustadt
nach Norden zu tragen und von ihr dann die
praktischen, den Voraussetzungen parlamentarischer
Thätigkeit entsprechenden Vorschläge die Verwirkli⸗
hung zu vernehmen und mit den Genossen im
Norden darüber zu beschließen. Nein! Wir hätten
nie eine schwerere Unterlassungssünde begangen als
diese. Unser Fernbleiben von Berlin, ja seibst die
mangelhafte Betheiligung an dem allgemeinen
Deutschen Parteitage dürfte die Gesinnungsgenossen
im Norden zu der Besorgniß führen, daß wir in der
That eine neue Mainlinie in Heidelherg hätten
ziehen wollen. Seien wir einig, seien wir es aber
auch durch die That! Lassen wir unsere Freunde
im Norden jetzt nicht im Stiche, verabsäumen wir
aber auch nicht, den norddeutschen Genossen die
straft und die Wärme unseres politischen Empfin⸗
dens mitzutheilen und es auf sie zuübertragen. Wir
wären nur halb gerüstet, wenn die Tagfahrt nach
Berlin eine minder allgemein⸗deutsche wäre, als
die Tagfahrt nach Neustadt eine allgemeine süd⸗
und südwestdeutsche war. Rüsten wir uns vollends,
denn der Strauß wird ernst und lang sein!
Politische Uebersicht.
Deutsches Reich.
Berlin, 26. April. In der heutigen Be—
rathung der Commission für das Sozialistengesetz
machte der Abg. Richter die Mittheilung, daß
kürzlich acht Arbeiter wegen anarchistischer ümtriebe
derhaftet wurden, von denen zwei, der Eine in
Elberfeld, der Andere in Naumburg, übereinstimmend
ausgesagt haben, daß sie vor der Einweihung des
Denkmals auf dem Niederwald in zine
Drainröhre 16 Pfund Dynamit in das
Fundament des Denkmals gebracht haben. Nur
durch den Regen und die Nässe des Bodens sei die
beabsichtigte Explosion während der Einweihung
berhindert worden. Einige Tage darauf hätten sie
das Dynamit wieder entsfernt, wobei es in einem
Zelte des Festplatzes zu einer ungefährlichen Explosion
getommen sei. In der Kommission herrschte über
diese Miuttheilung nicht geringes Erstaunen, das
Herr Windthorst durch die Bemerkung unterbrach,
daß er sehr überrascht sei, jetzt erst zu erfahren, in
welcher Gefahr er sich damals befunden. Nun er⸗
klärte Herr von Bötticher, daß die preußische Re⸗
gierung binnen wenigen Tagen einen Gesetzentwurf
zur Verhütung anarchistischer Attentate beun Bun—
desrath einbringen werde, der also noch in dieser
Session dem Reichstag zugehen würde. Nun ge⸗
zelangte auch die von den Freisinnigen beantragte
derschärfte Resolution einstimmig zur Annahme.
Die Situation ist durch diese Vorgaͤnge in wünschens⸗
perther Weise geklärt. — Es ist eine genaue
Zcheidung zwischen den anarchistischen Gefahren,
owie dem gegen sie gerichteten Gefetze und dem
Sozialistengesetz eingetreten, über dessen Verlänge⸗
rung sich jetzt weit sachlicher wird sprechen lassen.
Zu der vorstehend erwähnten Aussage zweier
Anarchisten, „daß sie zur blutigen Störung des
Jroßen deutschen Nationalfestes am Niederwaͤld in
ine Drainröhre des Niederwalddenkmals 16 Pfund
Dynamit gelegt, daß die Nässe des Bodens die
Explosion am Einweihungstage verhindert habe;
daß sie zwei Tage später das Dynamit herausge⸗
rommen hätten, welches dann in einem Zelt der
Festlichkeiten ohne Folgen explodirt sei“ bemerkt der
Berichterstatter des „B. T.“, welcher damals dem
Nationalfeste beiwohnte: „Diese Aussage der beiden