Full text: St. Ingberter Anzeiger

ou. Ingherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
. St. Ingberter Anzeiger“ erscheint woͤchentlich fünfmalz: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs 
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)” I43. 
Ein französisches Urtheil. 
Nachdruck verboten. 
WBie selten begegnet man französischerseits Ur— 
len, welche die deutsche Industrie loben. Fort 
d fort Gehässigleit, fort und fort Schmähreden. 
ur ganz vereinzelt und schüchtern treten für das 
chsthum der deutschen Industrie anerkennende 
jmmen auf. Aber wenn auch nur vereinzelt, 
ein auch noch so leise, lawinenartig wachsen sie 
und rufen der uns feindlich gesinnten Nation 
mernd entgegen: das ist deutscher Fleiß, das ist 
ische Industrie. Nicht blos im offenen Kampfe 
wuns Deutschland geschlagen, auch in industriel⸗ 
Beziehung müssen wir vor deutschem Gewerbe⸗ 
ꝛe, vor deutscher Industrie die Waffen strecken. 
Lon einer Studienreise in Begleitung von In— 
neuren, Chemikern und Industriellen durch 
rutschland zurückgekehrt, schreibt der Maire von 
uchh (Norddepartement), Herr Legrand. fol⸗ 
des. 
„Es handelt sich für uns um die Zuckerfrage, 
aufs engste mit der Ackerbaufrage zusammen⸗ 
ungt, und es ist daher angezeigt, die Wahrheit 
xt unsere Nachbarn zu sagen, zumal es zu spät 
n dürfte, Vortheil aus dieser wahren Dar—⸗ 
lung zu ziehen. Deutschland erzeugt heute für 
ir als 500 Millionen Franken Zucker und Me⸗ 
se; es überschwemmt die Märtte der ganzen 
elt, und während die Produktion jenseits des 
seines in schreckenerregendem Maße zunimmt, ver⸗ 
ndert sich die unsrige in gleicher Schnelligkeit. 
dem man sich hier auf das Argument der deut⸗ 
een Auswanderung stützt, bildet man sich ein, 
autschland sei arm, am Ende seiner Hilfsquellen 
elangt, sei von dem, was Darwin den Kampf 
mdas Leben nannte, dazu angestachelt, die In— 
itie der Kriegführung zu betreiben. Das ist 
er einer jener Irrthümer, die wir vielleicht schwer 
büßen haben werden, und Derjenige, welcher 
eist oon einem industriellen Sedan sprach, hat 
utefflich unsere Befürchtungen definirt. In 
vutschland isi die Landwirthschaft so reich, daß 
ihte für Feldarbeit bestimmten Pferde bis zu 
90 Franken pr. Pferd ankauft. Der Ackerboden 
icd von Jahr zu Jahr theuerer, was ein unbe⸗ 
rithares Kriterium für die zunehmende Prosperi⸗ 
ist. Bei uns hingegen sinkt der Bodenwerth 
ner mehr. Während unsere Fabriken und Werk⸗ 
ven — entmuthigt und ohnmächtig — geschlossen 
den, während unsere achtbarsten Häuser für ihre 
amerzielle Ehre ziitern, die von beständig wieder— 
nenden Krisen angegriffen werden, erheben sich 
itz des Rheines allerwärts neue Etablissements 
emem auserlesenen Personal, das für Wissen— 
it, für Fortschritt schwaͤrmt und — es muß 
oesagt werden — das durch einen beharr— 
n Fortschritt gestärkt wird. Während wir die 
mer umsichtslosen (() Gesetzgebung tragen, 
ch die deutsche Regierung von den Interessen 
Jationalangehörigen inspiriren; sie beschützt 
Interessen mit allen nur möglichen Mitieln. 
Frnem Lande, dessen Geschichte bei uns Roman— 
eler schreiben, nimmt der Wohlstand in sol⸗ 
Proporlionen zu, daß es an der Zeit ist, die 
he von der Armut Deutschlands, mit welcher 
die Unwissenden hier einlullt, zu zerstören. 
e Beispiele werden genügen zu zeigen, wie 
unsere nationale Industrie in Gefahr ist. Ich 
—8 einem großen Lyoner Seidenwaaren⸗ 
6 en begegnet; seine Expeditionen nach 
and nahmen täglich meht und mehr ab, 
Samstag, 26. Juli 1884. 
19. Jahrg 
ind er schrieb diesen Unfall der Unzulänglichkeit 
einer Reisenden zu. Er kam selbst nach Berlin 
ind fand seine Kunden mit ebenso schönen deut⸗ 
chen Seidenwaaren versorgt, wie die von ihm ge— 
ieferten; die deutschen Stoffe waren aber billiger. 
Ich kann verbürgen, daß es zu Roubaix Geschäfts⸗ 
säuser gibt, die in Frankreich, uunter der Bezeich⸗ 
iung von Roubairstoffen, in Deutschland fabrizirte 
Waare verschleißen. Wir haben Möbel exportirt; 
jeute ist dieser Markt in Deutschland für uns ver— 
oren. Doch genug davon. Was nun die Zucker⸗ 
vaarenindustrie, die ich besser kenne, anbelangt, so 
vird dieselbe für Frankreich verloren sein, wenn 
richt, wie ich dies kürzlich von einer parlamentari— 
chen Kommission (der Enquetekommission) verlangte, 
sie Rübensteuer eingeführt wird. Mit dieser 
Zteuer ist die Lage geändert. Zweihundert neue 
fFabriken werden ins Leben treten und die bestehen⸗ 
zen werden ihre frühere Thätigkeit wieder erlangen. 
Rit den Ueberresten der Runkelrüben wird man 
nassenweise das Vieh mästen, dessen Dünger unsere 
Iecker verbessern und so die Ernte vermehren wird. 
Ist es nothwendig, die durch eine intelligente Land⸗ 
virthschaft zu erzielenden Reichthümer aufzuzählen? 
rrankreich wird sich also nicht blos für seinen Be— 
»arf an Fleisch und Weizen genügen, den es jetzt 
n beträchtlichen Mengen aus Deutschland bezieht, 
ondern, indem die Preise sinken, wird auch die 
ernährung der Volksmasse leichter und die Stunde 
der Wiederaufnahme des Exports herangenaht sein. 
Man sagt, wenn der Ackerdau geht, blühen alle 
heschäfte. Wohlan! Wenn diese ökonomische Um⸗ 
välzung stattfindet, dann wird das flache Land 
auch seine Bevölkerung besolden, die jetzt nach den 
Ztädten strömt, wo sie einem ungewissen Lebens⸗ 
interhalt entgegensieht. Anstatt der Arbeitslosigkeit 
uind des Elends werden die Arbeiter des Feldes 
ꝛin glückliches Leben führen, sie werden nicht mehr 
vor der Eventualität einer Vermehrung ihrer Fa— 
nilie zurückschrecken. Und auch in dieser Hinsicht 
vird Frankreich sie segnen. ... Wenn ich dieses 
konomische System belobe, so thue ich dies nicht, 
veil es ein deutsches, sondern weil es ein gutes 
System ist.“ 
ur Seite treten. Der frühere geradezu großartige 
Import französischer Schokoladen ist fast bis auf 
ull herabgesunken. Schließlich sei noch die Ta⸗ 
detenindustrie erwähnt. Französische Tapeten zierten 
rüher die Wohnräume der besser Situierten Deutsch⸗ 
ands. Gegenwärtig fabriziert Deutschland Tapeten, 
die den französischen an Güte nicht nur gleichstehen, 
ondern dieselben übertreffen. Namentlich ist dies 
zie Satintapete, die selbst von den Franzosen als 
mübertrefflich anerkannt wird. Hauptsächlich am 
Rheine und im Elsaß hat die Tapetenfabrikation 
inen ungeheuren Aufschwung genommen, und ge— 
visse Erzeugnisse machen der Waare im Auslande 
ine harte Konkurrenz. Und so giebt es nun viele 
on unserer Seite gewonnene Industriezweige, deren 
zjesammte Aufzählung zu weit führen würde. — 
Die Anerkennung aber, mit welcher Legrand 
»on der deutschen Industrie spricht, soll uns ja 
nicht stolz und glauben machen, wir ständen nun 
oslständig an der Spitze aller Nationen. Zöge eine 
erartige Ansicht ein, würde das Vorwärtsstreben 
ofort nachlassen und Stillstand eintreten, und Still⸗ 
tand ist gleichbedeutend mit Rückschritt. Wohl uns, 
»aß wir den uns friedlich gesinnten Nationen be— 
viesen haben, daß wir nicht nur mit dem Schwerte 
n der Hand erobern können, sondern daß wir auch 
mstande sind, mit geistigen Waffen zu kämpfen. 
Ind wahrlich, die Siege auf den industriellen Ge⸗ 
ieten bringen der Nation mehr Segen, als jene 
zroßartigen Siege des letzten Krieges. E. WM. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Die Schulpflicht der Kinder. Bekannt⸗ 
ich beginnt die Schulpflicht der Kinder mit dem 
3. Lebensjahre. Die Frage, welches Jahr, das 
vollendete 5., 6. oder 7. Jahr der Schüler, sowohl 
vas die körperliche wie geistige Entwickelung der 
dinder anbetrifft, das geeignetste zur Aufnahme in 
die Schule sei, ist in Lehrerkreisen schon vielfach 
rwogen worden. Kürzlich hat nun die Deputation 
ür das Medicinalwesen in einem dem preußischen 
interrichtsminister erstatteten Gutachten über die 
leberbürdung der Schüler an höheren Lehranstalten 
ich dahin ausgesprochen, daß die Klagen, betreffend 
leberbürdung der Schüler, manchmal übertrieben 
verden, jedoch keineswegs ganz unbegründet seien, 
saß aber das Uebel nicht nur in den mittleren und 
»beren Classen der höheren Schulen, sondern auch 
n dem zu frühzeitigen Schulbesuch zu suchen sei, 
ind daher dringend die Aufnahme der Schüler in 
ie Elementarschule erst mit dem vollendeten 7., 
ind in die Gymnosial⸗Sexta erst nach vollendetem 
10. Jahre empfohlen. Die Volksschullehrer, die 
vissen, welche Mühe und Plage es ist, sich mit 5- 
ind Gjährigen unreifen Kindern im erken Schul— 
ahre zu beschäftigen, zumal wenn für die geistige 
ẽntwickelung der Kinder in vorschulpflichtigem Alter 
nichts gethan worden, würden eine solche Maßregel 
eitens der Schulbehörden gewiß mit Freude be— 
— 
vickelung, sondern bei der größeren geistigen Reife 
zuch dem besseren Vorwärtskommen zu statten käme. 
Vollzug des Unfall-⸗Versicherungs⸗ 
zesetzes in Bayern. Durch eine kgl. Ver⸗ 
rdnung vom 19. d. wird zum Vollzug des 8109 
»es Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli d. J. 
Folgendes verordnet: Die in diesem Gesetze den 
öheren Verwaltungsbehörden, den unteren Verwal⸗ 
ungsbehörden und den Ortspolizeibehörden zugewiese- 
Nun wahrer und treffender sind wohl kaum aus 
ranzösischem Munde deutsche Zustände besprochen 
dorden und besser ist wohl kaum der Aufschwung 
on Deutschlands Industrie und der allmälige Ver— 
all der französischen Industrie beleuchtet und ein— 
inder gegenüber gestellt worden. Wahr ist es freilich, 
vas Legrand sagt, und wir können stolz auf diese 
miere Errungenschaften sein. Die zähe deutsche 
lusdauer oder, wie Legrand sich ausdrückt, der be— 
arrliche Fortschritt haben Wunder bewirkt. Lang⸗ 
am und sicher haben wir den Ausländern einen 
zundustriezweig nach dem andern aus den Händen 
erissen, hoffentlich, um sie nie wieder zu verlieren. 
egrand führt aber nur zwei Industriezweige an. 
zollen wir ihm noch andere nennen? In der Fabri— 
ation von farbigen Ledern steht gegenwärtig Deutsch⸗ 
ind allen Nationen obenan. Es versieht mit den 
zineren und feinsten Artikeln dieser Art alle Kul⸗ 
urstaaten der Erde. Früher nahm Frankreich diesen 
dang ein. Gegenwärtig aber ist es gezwungen, 
einen Bedarf an feinen Kalbledern und hellfarbigem 
Saffian aus Deutschland zu decken. Oder meint 
). Legrand nicht, daß heute Deutschland seine 
Teppichfabrikate den französischen ebenbürtig zur 
Seite stellen kann? Auch die Leistungen der deut— 
chen Schokoladenfabriken lassen deutlich erkennen, 
aß sie ihren französischen Konkurrenten ebenbürtig