Full text: St. Ingberter Anzeiger

enem Wagen, da sich viel Volk im Bahnhofe an⸗ 
esammelt hatte, unter starker Begleitung nach der 
Holizei⸗ Direktion verbracht worden. Der Bursche 
oll früher Bäckergeselle gewesen sein. 
4Stuttgart, 28. Juli. Der Fahnen⸗ 
randal vom 14. Juli vor dem Hotel Continental 
Paris hat in Cannstadt ein beklagenswerthes 
—XV 
sich im Garten des Hotel Herrmann in Cannstadt 
nehrere junge Leute in französischer Sprache über 
ene Vorgänge. Einer derselben billigte und rühmte 
as Zerreißen der deutschen Fahne. Privatier 
„ummel, der an einem Nebentisch saß, trat auf 
en Sprecher zu und machte ihn auf das Unge— 
zrige solcher Aeußerungen an einem öffentlichen 
Irte aufmerksam. Der andere entgegnete grob 
ind schimpfte in roher Weise, so daß Hummel 
ym eine Ohrfeige versetzte. Darauf schlug der 
indere Hummel mit einem Stock über den Kopf 
ind diese Kopfwunde, die an sich nicht lebens— 
efährlich war, kostete Hummel das Leben; er 
arb an der Wundrose und wurde gestern beerdigt. 
den Thäter kennt man bis jetzt nicht, da die jun— 
en Leute den Wirrwarr, der infolge des Auf— 
rittes entstand, benützten, um sich davon zu 
nachen. 
In Metz fand man am 28. die Leiche 
mes Soldaten vom 8. baherischen Infanterie— 
tegiment in der Nähe der Kettenbrücke an einem 
gaume hängend. In der Tasche des Todten fan— 
en sich 12 M. an baarem Gelde vor. Das 
Notiv des Selbmordes ist unbekannt. 
Bayreuth. Auch bei der 3. und 4. Par— 
cai⸗Aufführung war das Haus ausverkauft und 
er künstlerische Erfolg jedesmal großartig. 
München, 30. Juli. Herr Dr. Sigl ist 
jon seiner Erholungsreise nach Tirol wieder hier⸗ 
er zurückgekehrt und hat die Redaktion seines Blattes 
dieder übernommen. 
* Eine große Studentenversammlung 
»ll am 17. und 18. Oktober auf der Wartburg 
zattfinden. Eine Reihe von Burschenschaften der 
erschiedenen deutschen Universitäten ladet dazu ein. 
Alle diejenigen Studenten und Studirten, die für 
ine Reform der heutigen Anschauungen, wie sie 
em Universitätsleben in manchen Kreisen anhaften, 
inen Sinn und ein Herz haben sind nach der 
Bartburg geladen.“ Das Reformprogramm, wel⸗ 
hes der Einladung beigegeben ist, richtit sich augen— 
cheinlich in erster Reihe gegen das Unwesen, wie 
s namentlich den älteren Vereinigungen anhaftet. 
denn es ist darin von einem „Prinzip, nicht über die 
derhältnisse hinaus zu leben oder Schulden gegen 
zerpfündung des Ehrenwortes zu machen“, ferner 
on einem „Prinzip der Wissenschaftlichkeit“ die 
tede. Der Zweikampf wird „prinzipiell“ verworfen, 
der man will „den gegenwärtigen Verhältnissen 
dechuung tragen“. Die Bestimmungsmensuren, 
raft deren fremde Menschen, die einander niemals 
twas zu Leide gethan, sich die Gesichter gegenseitig 
erhacken müssen, sind verboten. 
Aus Thüringen meldet die Dorfzeitung: 
zn welcher Gefahr die Passagiere schwebten, die 
m 22. Juli den Schnellzug (Zug drei) 2 
ihr 13 Minuten Nachmittags benutzten, mag bis 
u dieser Stunde kaum Einer derselben geahnt haben. 
jufolge des Bahnhof⸗Umbaues in Dietendorf fahren 
ie Züge durch diesen nur auf einem Geleise. Als 
ehen zur angegebenen Zeit ein Güterzug auf diesem 
»eleise eingefahren war, sauste auch schon der 
chnellzug herbei, dem Lastzuge entgegen. Ein Zu— 
immenstoß schien unvermeidlich. Doch der Loco⸗ 
nolivführer des letzteren behielt die Geistesgegenwart: 
gab sofort Contredampf und fuhr dann mit voller 
jeschwindigkeit vor dem Schnellzuge her. Der 
ufmerksame Weichensteller ließ den Güterzug auf 
in Nebengeleise fahren. Soeben war die Maschine 
uf diesem — der Weichensteller hatte kaum so viel 
eeit, die Weiche wieder anders zu stellen, — da 
uhr der Schnellzug vorbei und Dank der Auf— 
neilsamkteit zweser Beamten war das Leben 
iniger hundert Menschen gerettet. 
fBei dem ersten Schützenbankett in Leipzig 
cutete den größten Beifall der letzte Redner, der 
n bei der Tafel improvisirtes scherzhaftes Fesst⸗ 
totokoll in Versen unter großem Jubel der 
bͤrer vorlas. Einige Stellen desselben waren von 
diadezu zündender Laune, so z. B. die, welche auf 
ꝛe jüngsten Vorgänge beim Nationalfest in Paris 
sbielte: 
zwar sagt der Vater Goethe schon 
Fin klein Paris sei Leipzig, 
Doch das ist schon sehr lange her, 
Und heut dies Wort umschreibt sich. 
deut würd' auch Vater Goethe sich 
Von diesem Satz entfernen, 
Und sagen, es könne das große Paris 
Vom kleinen Leipzig was lernen. 
Auch Leipzig ist vergnügt, zumal 
Beim Bundesschießen munter, 
Doch reißt's bei dieser féte nationale 
Nicht „Ffremde Fahnen“ 'runter! 
Monsieur ist ja, wir wissen's längst, 
Fin etwas großer Schreifritz, 
Dagegen das ächte Leipz'ger Kind 
Doch „meerschtendheels“ ein Freischütz. 
fDer Arlberg-Tunnel ist gänzlich vol— 
endet. Die Temperatur schwankt darin zwischen 
15 bis 18 Grad Celsius. Besondere Vorkehrungen 
ür Luftzuführung sind nicht nöthig. Bei schönem 
Wetter bewegt sich die Luftströmung von Ost gegen 
West, bei schlechter Witterung von West gegen Ost. 
In der ganzen Länge des Tunnels befinden sich 
links- und rechtsseitig von 100 zu 100 Meter 
sischen mit 1 Meter Tiefe und 2 Meter Breite, 
ann von 1000 zu 1000 Meter auf der rechten 
Zeite sogenannte kleine Kammern von 4 Meter 
Tiefe und 3 Meter Breite, endlich vom Ostportale 
uind Westportale, je 3400 Meter nach einwärts 
zgemessen, zwei große Kammern von 8 Meter Tiefe 
ind 4 Meter Breite, welche sämmtlich für den 
zetriebs- und Sicherheitsdienst errichtet wurden. 
Stabile Wächter sollen im Tunnel nicht unterge— 
zracht werden, dagegen wird ein regelmäßiger Be— 
jsehungsdienst eingeführt. Die Fahrtdauer durch 
»en Tunnel dürfte ungefähr 25 Minuten betragen; 
»as Durchschreiten nimmt gute zwei Stunden in 
Unspruch. Bei vollkommen ruhigem und schönem 
Wetter ergibt sich am Culminationspunkte der in⸗ 
eressante Anblick, die beiden Mündungen als winzigt 
Lichtpunkle zu sehen. 
(Schwarzbrod — Weißbrod.) Auf 
dem letzten Congresse des britischen Vereines für 
Besundheitspflege zu Glasgow hielt Dr. William 
Wallace einen Vortrag über Nährwerthe des weißen 
ind des schwarzen, respective des feinen und des 
zroben Brodes, wobei er erwähnte, daß das Siech— 
hum der Kinder haupfisächlich auf die unzureichende 
fẽrnährung durch Brod aus feinem Mehle zurückzu— 
ühren sei, und insbesondere die Ursache der Rhachitis 
englische Krankheit) meint er darin finden zu können. 
die Analyse der Knochen eines an Rhachitis ge— 
torbenen Kindes ergab nur 20.6 pCt. mineralischer 
Zalze, während jene eines gesunden Kindes deren 
34 pCt. enthielten. Da sich fremde sonstige Stoffe 
nicht vorfanden, kann — wie Wallace meint — 
ein Zweifel obwalten, daß das Uebel einzig und 
zllein durch die ungenügende Zuführung von phos⸗ 
horsaurem Kalk und anderen Salzen hervorgerufen 
vard, welche dem feinen Mehl mit der Kleie ent— 
sogen, im Schrotmehl und dem daraus gebackenen 
grode — Grahambrod, Pumpernickel — hingegen 
janz enthalten sind. Dr. Wallace vermeint, daß 
s hohe Zeit sei, weun nicht der Gesundheitszustand 
»er Menschheit noch mehr zurückgehen soll, das 
Schrotmehl zu allgemeiner Einführung zu bringen, 
vas um so weniger Schwierigkeiten baben dürfte, 
ils solches Gebäck von den Kindern, seines süßen 
heschmackes wegen, sehr gern genommen werde und 
nuch Erwachsene sich leicht daran gewöhnen dürften. 
CGCehrerüberfüllung.) In Schlesien 
zibt es gegenwärtig so viele Lehramts-Kandidaten, 
saß manche lange auf Anstellung warten müssen. 
Bie sich die Zeiten ändern! Anfangs der 70er 
Fahre herrschte in Preußen überall Lehrermangel, 
veil viele junge Leute sich in der Gründerperiode 
»em Kaufmannsstande widmeten. Damals beeilte 
ich Minister Dr. Falk, die Gehälter zu erhöhen 
ind Lehrer⸗Seminarien zu errichten, um dem fühl⸗ 
zaren Mangel abzuhelfen. Es wäre interessant zu 
rfahren, wie viele geprüfte Lehrerinnen in Preußen 
‚jegenwärtig auf Anstellung warten. 
(Die Brieftaschedes Herrn Schlum— 
»erger.) Man schreibt dem Sprudel aus Karls⸗ 
zad: Der eine Chef des Weltweinhauses Schlum— 
zerger weilt jetzt in Karlsbad zur Kur und nimmt, 
um das Angenehme mit dem Nützlichen harmonisch 
zu verbinden, neben so und so viel Bechern Spru— 
del auch so und so viel Tausender als fälligen 
Tribut für gelieferten Böslauer entgegen. Freitag, 
den 25. vor. Mts., fuhr Herr Schlumberger auf 
»en Bahnhof, um sich von einem Freunde zu ver— 
ibschieden, betrat aber in dem Momente den Perron 
als der Zug sich bereits in Bewegung setzte; rasch 
zriff er in den Rock und warf dem Freunde die 
Figarrentasche ins Coupé. In die Stadt zurück⸗ 
gekehrt, wollte sich Herr Schlumberger wieder mit 
Cigarren verproviantiren, war aber nicht wenig 
erschreckt, als er, um zu zahlen, die Brieftasche 
herausnehmen wollte und die Cigarrentasche in der 
Hand hatte. Die Brieftasche mit 42,385 Gulden 
in Banknoten war verschwunden. Ins Hotel Anger 
urückgekehrt, erwartete ihn schon ein Eisenbahn— 
nediensteter mit der Brieftasche. Herr Schlumberger 
hatte in der Eile anstatt der Cigarrentasche die 
Brieftasche in das Coupé geschleudert, dieselbe war 
aber durchgeflogen und fand sich nach Abgang des 
Zuges auf den Schienen, wo sie ein Eisenbahn⸗ 
»ediensteter fand und aus der Adresse eines in ihr 
hefindlichen Briefes den Eigenthümer eruirte. Wenn 
die Eisenbahnbediensteten in der nächsten Zeit aber 
nur Böslauer anstatt „Fischerner Bier“ trinken, so 
Jeschieht dies nicht etwa aus Cholerafurcht — in 
ttarlsbad war ja noch nie die Cholera — sondern 
aus dem Privatkeller des Herrn Schlumberger. 
Eine grauenhafte Hinrichtung fand am Diens⸗ 
tag in der Strafanstalt zu Stein (Nieder⸗-Oesler⸗ 
ceich) statt. Der Mörder Baumgartner wehrte 
'ich wie ein wildes Thier gegen den Scharfrichter 
»essen Gehilfen und die militärische Eskorte. Die 
etztere mußte die Gewehre weglegen, um den Henkers⸗ 
knechten zu helfen. Unter dem Galgeu fand ein 
zräßliches Ringen der Knechte und Militärs mit 
dem Delinquenten statt, bis letzterer endlich über— 
wältigt wurde. Als er schon in die Höhe gehoben 
var, erfaßte der Delinquent die Schlinge zweimal 
nit den Zähnen und wehrte sich unter gräulichen 
Flüchen gegen die Hinrichtung, welche erst nach 
abscheulichen Szenen gelang. 
F Paris, 31. Juli. Von gestern früh bis 
zum Abend sind in Toulon 3 und in Marseille 
8 Personen an der Cholera gestorben. 
F Paris, 27. Juli. Der Pariser „Figaro“ 
hringt eine ebenso kurze wie treffende Kritik der 
närrischen chauvinistischen Schöpfung der Schüler— 
»ꝛataillone. Die Kleinen ziehen in Reih und Glied 
über den Boulevard, eine Frau unter den Zuschauern 
ruft ihrem Söhnchen, dem „Flügelmann“, zu: 
August, putze Dir das Näschen! 
F EhescheidungeninFrankreich. Das 
„Journal des Débats“ meldet, daß nach den an 
sicherster Quelle eingezogenen Erkundigungen bei 
dem Seine⸗Tribunal in der auf die Veröffentlich— 
ung des Ehescheidungsgesetzes folgenden Woche 
mindestens 3000 Anträge auf Umwandlung der 
hisher ausgesprochenen Trennung von Tisch und 
Bett in die definitive Scheidung eingebracht werden 
dürften. Die Frage ist, wie wird am Vorabend 
der Gerichtsferien die Bewältigung dieses Materials 
nöglich sein. 
F Unter den Pariser Schauspielerinnen scheint 
Sarah Bernhardt durchaus nicht das Monopol der 
Exzentrizität zu besitzen. Dieser Tage ist Mile. 
Blauche Lardinois vom Gaité-Theater nach Fon⸗ 
ainebleau zur Villeggiatur gefahren. Die zierliche 
dünstlerin reiste aber nicht wie gewöhnliche Sterb⸗ 
liche auf der Eisenbahn, sondern in einer vierspän— 
nigen Postchaise. In Fontainebleau besitzt die junge 
Dame ein Mal⸗Atelier und will neben der bilden— 
»en Kunst auch das edle Waidmannswerk ausüben. 
Sie hat von dem Pariser Polizeipräfekten die Er— 
aubniß erhalten, in Fontaineblcau „Männerkleidung 
zu tragen. Wenn man das kleine Persönchen aber 
m zierlichen Jaquet, Sammthöschen und Leder— 
jamaschen, einen runden grauen Filzhut mit grünem 
Federbusch, herausfordernd in die krausen Haare 
nedrückt, keck einherstelzen sieht, so wird man die 
dünstlerin höchstens für ein seiner Gouvernante ent⸗ 
aufenes Bürschchen halten. Jedenfalls ist das ein 
ieues, recht amüsantes Genre von Hosenrollen außer⸗ 
sjalb der Bühne. 
F In Marseille, wo die Cholera am 27. 
Juni ausbrach, hat sie bis zum 27. Juli, also 
nnerhalb eines Monats, 1146 Opfer gefordert. 
Dieselben vertheilen sih nach der Nationalität, wie 
folgk: 798 Franzosen, 322 Italiener, 13 Spanier, 
9 Griechen, 1 Engländer, 1 Amerikaner, 1 Oester⸗ 
reicher, 1 Deutscher. 
f,Heiteres aus ernster Zeit“, so 
könnte man folgende Cholerageschichte aus Marseille 
betiteln, welche beweist, daß es in der in Süd— 
frankreich herrschenden Epidemie auch ganz leichte 
Erkrankungsfälle gibt. Eine ältere Dame wurde 
Morgens in der Früh plötzlich von einem Cholera— 
anfall überrascht. Der Arzt wurde gerufen, aber 
wie es scheint, etwas spät. Als er kam, gab der