Full text: St. Ingberter Anzeiger

ginnen, wodurch tausende brodloser Arbeiter in Lyon 
Beschäftigung erhalten. 
Rom, 5. Okt. Laut dem ministeriellen Po— 
polo romano“ habe Herr v. Schlölzer dem 
Kardinal Jacobini jetzt zwei neue Kandidaten für 
die Erzbischofssitze von Köln und Posen vorge⸗ 
schlagen. Die Proposition sei nicht ungünstig auf⸗ 
Jenommen worden. Dagegen soll laut demselben 
Popoloromans“ das von Herrn v. Schlözer 
angeblich mitgebrachte definitive Friedensprogramm 
teine Auͤssicht auf Annahme im Vatikan haben, es 
sei denn, daß wesentliche Abänderungen daran vor⸗ 
genommen würden. Der „Picolo“ ist erstaunt darüber, 
daß Herr v. Schlözer schon seit acht Tagen ver⸗ 
gebens auf eine Audienz beim Papft wartet. 
Moskau, 6. Okt. Die „Moskauer Zeitung“ 
ieht in dem Erscheinen der Gesandtschaft Deutsch⸗ 
lauds, einer Rußland engbefreundeten Macht, in 
Teheran einen nicht zu verkennenden Vortheil für 
Rußland. Deutschland sei in Persien nicht direkt 
interessirt und werde durch die neue Gesandtschaft 
das Gegengewicht gegen den allzugroßen englischen 
Einfluß vermehrt. 
London, 4. Ott. Aus Newyork wird ge— 
meldet, daß die dortige Handelskammer den Prasi- 
denten Arthur ersucht hat, sich mit den andern 
Vertragsmächten in Verbindung zu setzen, um eine 
rreundschaftliche Beilegung des französisch-chinesischen 
Streites zu erzielen. 
London, 6. Okt. Aus Tientsin vom 4. d. 
wird gemeldet, der erste Dolmetscher der französischen 
Gesandtschaft in Peking, Frondin, habe eine Unter⸗ 
redung mit Li⸗-Hung ⸗Chang gehabt; Letzzteret habe 
dabei heftige Vorwuͤrfe gegen Frankreich erhoben; 
gleichwohl habe Frondin die Ueberzeugung gewounen, 
daß Li⸗Hung-Chang einer friedlichen Lösung der 
Schwierigkeilen mit Frankreich zugeneigt sei. — 
Die „Times“ meldet aus Peking vom 4. d.: Wie 
zuverlässig verlautet ist China geneigt, betreffs der 
Differenzen mit Frankreich sich einem Schiedsspruche 
unbedingt zu fügen. 
Aus Cape Town meldet „Reuters Bureau“ 
unterm 2. d.: „Herr Lüderitz, der Gründer der 
deutschen Kolonie in Angra Pequena, hat den 
Karitän Spence, der seit vielen Jahren Pächter 
der Guanodinseln in der Nachbarschaft von Angra 
Pequena, welche der englischen und der Cap-Regierung 
gehören, ist, auffordern lassen, die Kolonie zu ver⸗ 
assen.“ 
Sokale und pfälzische Nachrichten. 
* St. Ingbert, 7. Okt. In der am Sonn⸗ 
sag in Neustadt a. d. H. abgehaltenen deutsch-kon⸗ 
erbativen Versammlung wurde es, laut der 
„K. Ztg.“, als eine patriotische Pflicht aufgestellt, die 
zunächsistehenden nationalliberalen Kandidaten zu 
umterstüten, damit kein pfälz. Wahlsitz in fortschritt⸗ 
iche oder demokratische Hände falle und eine Stich 
vahl möglichst vermieden werde. Für Herrn Eisen 
üttenwerksbesitze Oskar Krämer im Wahlkreise 
Zweibrücken⸗ Pirmasens sei das Eintreten schon jetzt 
ein definitives. Im Uebrigen sei definitiver Ab— 
chluß vorbehalten je nach dem Ausfall der Ver⸗ 
Jandlungen. 
*— Durch Verfügung der kgl. Kreisregierung 
wurde Herr J. Herrmann, bisher Verweser an 
der hiesigen protest. Schulverweserstelle, in gleicher 
Figenschaft an die in Schnappbach neu errich⸗ 
sete zweite protest. Schule ernannt; mit der Füh⸗ 
rung der hierdurch in Erledigung gekommenen hiesigen 
bierlen protest. Schule wurde der Schuldiensterspektant 
derr J. Leopold von Dellfeld betraut. 
*DAm 10. November d. J. wird die deutsche 
Schiller⸗· Stiftung ihr 25jähriges Bestehen feiern. 
Mit dieser Feier wird in Weimar zugleich die Feier 
des 125. Geburtstages Schiller's be— 
gangen werden. Der Vorort der deutschen Schiller⸗ 
Stiftung beabsichtigt, diesen Tag zu einem natio— 
nalen Festtag zu erheben, und fordert die höheren 
Schulen Deutschlands zu einer würdigen Gedenk— 
feier auf. 
— Dahn. Einen eigenthümlichen Fund machte 
Herr Max Siegel von hier dieser Tage beim 
Hflügen eines Ackers am Frohnbüdl. In der Mitte 
dieses Ackers blieben die Pferde plötzlich stehen und 
waren auf keine Weise mehr vorwärts zu bringen. 
Herr Siegel, dem auch ein pestilenzartiger Geruch 
auffiel, entdeckte, als er sich vom Pfluge weg vor 
die Pferde begab, den Kadaver eines Wildschweines, 
den er sogleich in den Ackeer verscharren ließ. Das 
Ferendete Wiloschwein, das zwischen 180 und 200 
Zfund schwer gewesen sein maqg, war wahrscheinlich 
mngeschossen worden und auf der Flucht seiner 
Wunde erlegen. 
— Kaiserslautern, 2. Okt. Am 21. 
Dkt. nächsthin wird sich die Strafkammer des hiesigen 
randgerichts mit einem selten zur Verhandlung 
ommenden Gesetzesvergehen zu beschäftigen haben. 
Vorgeladen sind auf diesen Tag drei Sozialdemo—⸗ 
ftraten von Kirchheimbolanden, um sich wegen 
lebertretung des 8 128 des R. Str. G. B. zu ver⸗ 
intworten. 
— Grünstadt, 4. Okt. Heute Morgen 
vurde eine Dame in ihrer Behausung von einem 
Fremden in frechem barschem Tone um eine Unter⸗ 
tützung angegangen. Auf die Frage, was haben 
ie für ein Geschäft, antwortete der Fremde, der 
rach seinem Aeußern schon Furcht und Schrecken 
injagen konnte: „Mord und Todtschläger.“ Nach- 
em ihm bedeutet, sich zu eutfernen, erklärte er, 
das steht ganz bei mir“ und belegte die Damt 
nit den gemeinsten Schimpfworten. Bald darauf 
cobachtete man, daß das Individuum, das sich 
ür einen Schlächter aus Hamburg ausgibt, vom 
Arm der Polizei ereilt und in Nr. Sicher gebracht 
vurde. (Fr. T.) 
— Dirmstein, 4. Oktt. Hier erzählt man 
ich folgendes Geschichtchen: Vergangenen Freitag 
twa 7 Uhr Morgens begaben sich der hiesige Poli— 
eidiener mit einem Gendarmen in die Wohnung 
iner hiesigen Wittwe, um wegen Fremdenbeherber—⸗ 
zung Recherchen zu pflegen. Als nach einigem Klopfen 
in die Thüre eines Fremdenzimmers, von innen 
zeöffnet wurde, sahen beide Bedienstete, daß ein 
unger Mann vollständig entkleidet auf einem Stuhl 
aß und die einzige Tochter der Wirthin vor ihm 
niete und demselben vorwarf „warum erschießt 
du mich nicht, warum hast Du mich gestern nicht 
hon todtgeschossen.“ Die Muiter bat beide Bedienstete 
em jungen Mann den Revolver abzunehmen, den 
erselbe in der Hand unter dem Kopfkissen versteckt, 
nit 4 Patronen geladen, hielt, der auch abgenom⸗ 
nen und vorläufig beschlagnahmt wurde. Beide 
zukunftsaitentäter äußerten hierauf, daß wenn ihnen 
iuch der Revolver jetzt abgenommen; sei, sie bis 
seute Abend doch nicht mehr lehten. Od sie ihre 
elbsimörderischen Gedanken verwirklicht, sowie über 
die Ursache dieses Vorfalles, wurde uns Weiteres 
nicht bekannt. (F. T.) 
Aus dem Privatleben Bismarck's 
yringt das Oktoberheft der „Deutschen Revue“ in— 
eressante Mittheilungen. Wir geben aus dieser 
—„childerung des häuslichen und politischen Treibens 
n Varzin und Friedrichsruhe folgende Stellen: 
sach übereinstimmenden Berichten der Gäste Bis— 
narck's verlief der Tag in Varzin in gleichmäßiger 
Weise: Gemeinschaftliches oder besonderes Früh— 
tück je nach Wunsch gemeinschaftlicher Spaziergang 
»der Spazierfahrt vor dem Essen, wobei es dem 
danzler besonderes Vergnügen vereitete, seinen 
Bästen seine neue Forstkulturen, Wiesenanlagen, 
Forellenteiche und dergleichen zu zeigen, und wobei 
man Gelegenheit hatte, wahrzunehmen, daß derselbe 
das Größte wie das Kleinste mit derselben Energie 
und Sammlung des Geistes behandelt. Selbstver— 
tändlich war der Ton der Unterhaltung bei Tisch 
ind sonst je nach der Persönlichkeit und Qualität 
der Gäste ein verschiedener, mit der alleinigen 
Maßgabe, daß der Kanzler es nicht liebte, außer 
zei dem Kaffee und der Cigarre über Geschäfte zu 
prechen. Diese Nachtischgespräche wurden, so 
chreibt der Verfasser, in der ungezwungensten 
Weise geführt und seitens des Kanzlers mit dem 
naturwüchsigen Humor gewürzt, welchen wir so oft 
in seinen Briefen zu bewundern Gelegenheit gehabt 
jaben. Der Verfasser kommt u. a. auf das Schick⸗ 
jal der Briefe öffentlichen und privaten Inhalts zu 
sprechen, die dem Kanzler nach Varzin nachgesendet 
wurden und die regelmäßig in den großen Kamin 
m Arbeitszimmer wanderten. Da zitirt er denn 
ine merkwürdige Aeußerung Bismarcks. Als sich 
Jemand darüber beklagte, daß so mancher Brief 
erloren gehe und daß nicht selten auch Unter⸗ 
hlagungen auf der Post vorkämen, bemerkte der 
danzler in seiner trockkenen Weise: „Meine Varziner 
Zriefe könnten sie alle unterschlagen; übrigens ist 
s ein wayres Glück, daß wir nicht lauter ehrliche 
Postbeamte haben, denn sonst würde kein Mensch 
nehr eine Werth- oder Geldsendung deklariren.“ 
Mit dem Jahre 1866 war Bismarck ein großer 
ind berühmter Mann geworden, doch war ihm die 
zerühmtheit nicht selten recht unbequem. „Es ist 
icht gerade sehr angenehm“, sagte er, „weder auf 
14 Schritt belorgnettirt, noch auf 5 Schritt beschossen 
zu werden, und das Bischen Eitelkeit, welches in 
dem Angestauntwerden seine Befriedigung findel 
hält nicht lange vor. Alle die kleinen Eitelkeiten 
des Lebens haben nur so lange Reiz, wie man sie 
nicht besitzt. Sobald man dieselben erreicht hat 
gilt von allen der Ausspruch des Königs Salomo 
daß es eitel ist und keine wahre Befriedigung ge. 
währt. Ich begreife deshalb auch nicht, wie in 
Mensch dies Leben ertragen kann, der nicht an ein 
anderes und besseres glaubt.“ Einen besonderen 
Reiz des Aufenthalts in Varzin bot das eigenartige 
Familienleben des Bismarck'schen Hauses. Man 
könnte nicht sagen, daß die Söhne an die Begabung 
des Vaters heranreichen, doch scheint es diesem ge 
lungen zu sein, einen Theil seiner Energie auß 
dieselben zu übertragen und sie sowohl geschäftlich 
wie diplomatisch so einzuschulen, daß er an ihnen, 
wie er dies ja auch kürzlich gegen den Herrn Pro 
fessor Gneist ausgesprochen haben soll, sehr brauch— 
bare Mitarbeiter gewonnen hat. Dadbei darf man 
richt übersehen, daß der Kanzler auch hier dem 
Brundsatze Ludwigs XIV. zu folgen scheint, die 
Staatsgeheimnisse in möglichst wenigen Händen zu 
vcreinigen, und daß er das Bedürfniß hat in seiner 
nächsten Umgebung Organe zu besitzen, deren Treue 
und Diskretion er unbedingt sicher ist. Es waren 
„auptsächlich die Zeiten der Muße auf dem Lande, 
in denen der Kanzler sich der geschäftlichen und 
diplomatischen Erziehung seiner Söhne widmete, 
und zwar so, daß selbige im Dienst womöglich noch 
strenger herangenommen wurden, als andere. Dafür 
war das Verhältniß außer Dienst ein um so herz— 
licheres, und waren die privaten Einwirkungen an 
erster Stelle darauf berechnet, den Charakter aus— 
zubilden und den Söhnen diejenige Selbstständigkei 
anzuerziehen, die dieselben befähigen sollte, demnächß— 
auf eigenen Füßen stehen zu können. Diese Au 
Erziehung erstreckte sich auch auf seine Tochter, di 
jetzt vermählte Gräfin Rantzau, die beispielsweist 
im Dechiffriren von Depeschen geübt war, wie der 
älteste Hofrath im Centralbureau des auswärtiger 
Ministeriums. Sonst erfreute sich diese Tochter 
die damals noch sehr jung und anscheinend Lieb 
ling des Vaters war, eines Humors, wie ein junger 
Student, eines Humors, der niemals seinen Zwed 
verfehlte, den etwa trübe gestimmten Vater auf 
zuheitern. 
Vermischtes. 
F Eine eigenthümliche Eröffnung ü 
der Welt durch James Pearson von der astronomischen 
Geschaft in London gemacht worden. Aus seinen 
Berechnungen scheint hervorzugehen, daß bei der 
Festsetzung des Beginns unserer Zeitrechnung 
ür welche man allgemein das Jahr 753 der Grün 
dung Roms annimmt, ein Fehler um 3 Jahre unter— 
aufen sei. Eusebius schreibt, daß Jesus Christus im 
12. Jahre der Regierung des Kaisers Augustus ge— 
boren sei und diese Regierung begann im Jahr— 
/09 Roms, was 750 fuͤr das Geburtsjahr Chrift 
zibt. Andererseits schreibt St. Lucas im 15. Jahre 
der Regierung des Tiberius, daß Jesus Chrisfus 
ingefähr 30 Jahre alt war. Tiberius trät im 
August 767 Roms Regierung an. Addiren wir 
145 30 767 und ziehen wir 31 ab, so finden wir 
vieder das Jahr 750. Herr James Pearson bring 
rioch etwa zehn ähnliche Berechnungen, welche alle 
auf dieselbe Ziffer hinauslaufen. Es war ein 
Mönch im 6. Jahrhundert, Dionys der Kleine, der 
aach einer analogen Berechnung die Geburt Christi 
auf das Jahr Roms 733 setzte, und das war det 
Ursprung unseres christlichen Kalenders. Die mo— 
dernen Forschungen beweisen im Gegentheil, daß 
Christus gegen das Ende des Jahres 750 Rom⸗ 
Jeboren sei, das heißt drei Jahre späker, als man 
es angenommen hate, als man die christliche Zeit 
echnung im sechsten Jahrhundert annahm. Wit 
ählen also gegenwärtig eigentlich das Jahr 1887 
—XB J 
Dem Prapataior der Berliner Univerfität 
derrn Wickersheimer, ist es, wie die „Post 
yerichtet, infolge eines Auftrags des Kriegsmin—⸗ 
teriums gelungen Kommißbrod derartig het⸗ 
ustellen. daß dasselbe fich nach neunwöchentliche 
Aufbewahrung noch eben so frisch und genießbat, 
wie am ersten Tage nach seiner Herstellung ausge. 
wiesen hah Ein“ von ihm nach dem Schlacht.n 
präbparirter Hammel hat sich noch 762 Monan 
nachher (mit dem einzigen Umstande, daß das dleisch 
desselben die doppelte Zeit zu seiner Zubereituu⸗ 
»edurfte) im Geschmack, wie in allen anderen Eiden