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de Saint⸗Claire sstürbe, so solle er in Wilchester
begraben werden, wenn er, blödsinnig, jedoch am
Leben bliebe, im schwarzen Hause untergebracht
verden. Das geschah und seit Jahren fristet der
Unglückliche hier sein elendes Dasein, während ich
meinem Berufe als Schauspielerin lebte. Endlich
bermochte ich der Sehnsucht, in die alten Verhält⸗
nissen zurückzukehren, nicht mehr zu widerstehen.
Ich kam nach London und der Zufall begünstigte
mein Vorhaben. Lady Genevieve suchte eine Er⸗
zieherin für ihre Kinder und ich bot Alles auf,
die Stelle zu erhalten. Ich ward angenommen.
Sie wissen es. Doch was ich litt, keine Seele
kann es ahnen. Mein Dasein ist ein hartes, bit⸗
teres gewesen und ich verlange nach Nichts mehr,
als zu sterben! Und doch ist der höchfte Sieg
meines Lebens mir geworden. Sie wissen, daß
Lord Rosegg nur mein Adoptivvater war. Wessen
stind ich in Wirklichkeit sei, ich wußte es nicht —
dis auf diesen Tag.“
„Bis auf diesen Tag?“ wiederholte Roderich
befremdet. „Und jetzt, jetzt wissen Sie es?“
„Ja, jetzt weiß ich, wer ich bin!“ antwortete
Manuela aufleuchtenden Blickes. „Und dieses Be⸗
wußtsein, ich werde es mit mir hinaussstragen in
die Welt, in die rauhen Kämpfe, welche meiner
warten!“
Er blickte sie fragend an.
„Sie verstehen mich nicht,“ fuhr sie mit mattem
Lächeln fort. „Mit deutlichen Worten denn, meine
derkunft ist entdeckt; mein Vater lebt und die
Tochter der Frau, deren Obhut ich als Kind über⸗
geben war, nimmt die Stelle ein. welche mir zu⸗
kommt!“
„Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück zu Ihrer
kntdeckung! Sie werden fich natürlich fofort zu
Ihrem Vater begeben? Niemand kann sich dessen
herzlicher freuen als ich!“
„Sie irren! Ich werde nie zu ihm gehen!
Eine Andere nimmt die Stellung ein, welche mir
zukommt; ihr Leben ist vernichtet, trete ich mit
meinen Ansprüchen hervor. Mein Vater ist ein
stolzer Mann, wer bürgt dafür, daß er auf die
Aussage einer Abenteurerin hin mich als seine
Tochter anerkennt ?“
Troß Allem ist es Ihre Pflicht, Ihrem Vater
die Wahrheit zu bekennen, möge dieselbe Ihrem
»der seinem Stolze noch so hart ankommen!“
„Meine Pflicht?“ fragte sie forschend zurück.
.„Auch, wenn beispielweise Graf Ainsleigh dieser
mein Vater wäre? Was dann, wenn ich den
Beweis dafür erbringen könnte ?“
„Selbst dann wäre es Ihre Pflicht, dem Grafen
die Wahrheit zu entdecken, folge daraus, was wolle.“
erwiederte Roderich mit Festigkeit.
„Kapitän O' Donell, so sprechen Sie, der Sie
Täcilie lieben ?
Er sah sie ängstlich an. Ihr Wesen war ein
so seltsames, daß er eine unbestimmte Furcht em-
pfand.
„Ja, so spreche ich, weil Recht stets Recht
bleiben mußel“ versetßzte er.
Ein müdes Lächeln überglitt ihre Züge.
„Ich danke Ihnen, mein Freund!“ sprach sie,
hm die Hand reichend. „Jetzt sehe ich den Weg,
den ich gehen muß. Sie haben mir einen größeren
dienst erwiesen, als Sie ahnen. Thun Sie noch
Eins; verbrennen Sie dieses Papier für mich!“
Sie reichte ihm ein zusammengefaltetes Blatt
und er las die Ueberschrift „Bekenntnis von Jo⸗
hanna Hermann.“
Mit Befremden starrte er auf die Worte, bis
dieselben ihm vor den Augen zu schwanken began⸗
ien. Sie sah sein Schwanken, sein Zaudern —
doch dann — ein jähes Auflammen, ein Auflodern
ind — das Johanna Hermann gewaltsam abge⸗
ungene Bekenntniß ihres Geheimnisses war zu Asche
derbrannt
Mit brennendem Blick hatte Manuela den ganzen
Horgang verfolgt. Jetzt, als der letzte Rest des
PBapiers verkohlt war, sprach sie, und ihre Stimme
zitterte leise:
„Nochmals danke ich Ihnen, Kapitän O'Donell.
Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen, Sie
haben mich vor mir selbst gerettet! Wann verlassen
Sie mit Ihrer Schwester diese Gegend?“
„Heute noch!“ entgegnete er. „Wünschen Sie
duch zuvor zu sehen?“ Haben Sie ihr Richts zu
agen, bevor sie, — wer weiß, — vielleicht für
mmer aus Ihrem Tebensweg scheidet?“
Mit einem unsagbaren Ausdruck ruhten ihre
Augen auf ihm.
„Geben Sie mir einige Stunden Bedenkzeit“,
yersezte sie. „Kommen Sie mit Luch hierher, ehe
Sie diese Gegend verlassen. Sie sollen meine Ant⸗
vort vernehmen! Nun leben Sie wohl!“
„Ich werde mit Lucy wiederkommen und sollte
ie es wünschen, darf sie ihn, den Unglücklichen, der
hr Leben vernichteet und an dem troßdem ihr
janzes Herz noch immer hängt, sehen ?“
Wehmüuthig neigte Manuela das Haupt.
.Ja, sie soll ihn sehen. Er wird sie nicht er⸗
sennen, er erlennt Niemanden !“
Er faßte uach ihrer Hand.
„Auf Wiedersehen!“ sprach er, ihre Rechte an
seine Lippen ziehend.
„Leben Sie wohl!“ antwortete sie mit leiser
Stimme.
Er wandte sich und war ihren Blicken ent⸗
chwunden.
Waßs diese Stunde ihm offenbart, es hatte Alles