Full text: St. Ingberter Anzeiger

Amiliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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M688. Dienstag, 7. April 188838. 
290. Jahrg. 
** England und Rußland.“ 
Acht Tage lang hatte es den Anschein, als 
venn sich zwei der mächtigsten Reiche der Erde, 
England und Rußland, wegen der Grenzen In⸗ 
diens in eine furchtbare Fehde stürzen würden 
Frfahrene Politiker glaubten aber von Haus aus 
nicht recht an den Ausbruch des gewaltigen Zwei⸗ 
ampfes, weil der Streit um Indien noch nicht 
recht reif ist und erst die Etappen der beiden großen 
gegner sich in Centralasien zu Gesicht bekommen 
zaben; wer ein gutes Gedächiniß hat, erinnert sich 
auch daran, daß auch in der letzten Türkenfrage 
kngland und Rußlan schon das Schwert gegen⸗ 
inander gezückt hatten, aber doch nicht losschlugen. 
ẽs liegt in dem Kampfe für beide Gegner eben 
in zu großer Einsatz und ein zu kleiner Gewinn. 
kngland kann in einem Kriege mit Rußland sein 
janzes asiatisches Prestige verlieren und Rußland 
lann durch einen langwierigen Krieg ebenfalls in 
södtliche Verlegenheiten gebracht werden. Deshalb 
wird in London wie in Petersburg die schon ge⸗ 
chwungene Streitax immer wieder vergraben und 
nan sucht sich noch einmal zu versöhnen. 
So wird es auch diesmal mit der afghanisch⸗ 
iurkmenischen Grenzfrage werden. Die lange er⸗ 
wartete Antwort Rußlands auf die englische Note 
ist in England eingetroffen, und sie lautet ent⸗ 
zegenkommender, als man erwartet hatte. Das 
Petersburger Cabinet willigt ein, die streitige Zone 
muszudehnen und der Arbeit der Grenzkommission, 
inen größeren Spielraum zu gewähren. Nach der 
Pall Mall Gazette“ hat Rußland sogar die Vor— 
chlage Granville's angenommen, nach denen die 
Züdgrenze nicht südlicher als Kara⸗Zelias und 
bhaman· · Baid und die Nordgrenze nicht nördlicher 
als Schir⸗Tephe am Heri⸗Rud und Sariyazi am 
Nurghab gezogen werden soll. Zwischen diefen 
beiden Linien, von denen die erste die von Rußland 
beanspruchte neue Grenze zwischen Turkestan und 
Ighanistan bezeichnet, die zweite ebenfalls etwas 
ildlich von der bisherigen Grenze liegt, befindet 
aich das Gebiet, über welches die englisch⸗russische 
Commission zu entscheiden haben wird. Die Ant⸗ 
wort Rußlands bedeutet noch nicht, daß der Grenz⸗ 
conflict beigelegt ist, aber fie beschrantt denfelben 
uuf einen destimmten Raum, Rußland verpflichtet 
ich, wenn die Mittheilung der Pall Mall Gazente“ 
enau ist, auf keinen südlich von Kara⸗Zelias und 
Heaman · Vaid gelegenen Punkt Anspruch zu erheben. 
das ist immerhin ein Gewinn. Nicht gerad⸗ für Eng⸗ 
and, obwohl die englische Regierung sich stellen wird, 
As habe sie einen Erfolg rrungen denn Ruß 
and wird wahrscheinlich in der gemeinsamen Grenz⸗ 
mmission darauf bestehen, die BGrenze Turkestans 
dis an die äußerste, in dem gegenwärtigen Ueber⸗ 
nnommen angegebene Linie vorzuschieben, und 
uand wird ebenso wahrscheinlich nachgeben, se 
Ende des Streites einen neuen nicht un— 
— Gebietszuwachs für Rußland bringt. 
as aber ist es, was man in Petersburg wissen 
J Man zieht es dort vor, Asien flüchweise zu 
upesen und statt gleich auf Herat zu marschiren 
England zu einem Kriege zu noͤthigen, dem 
san gen seiner Verträge min dem Emir“ von Af— 
an und der Sicherheit Indiens kaum aus⸗ 
en könnte, begnügt man sich mit einem Streifen 
* es, den man 'in aller Ruhe und ohne einen 
Von zu erwerben vermag. Ein Profitchen 
“ at für Rußland selbst“ im ungünstigsten 
e heraus. da Sarihazt und Schir 
bon der gegenwärtigen, allerdings ziemlich willkür⸗ 
ich von den englischen Kartographen angenommenen 
Grenze liegen. 8 
England hat also keinen besonderen Grund, sich 
iber die Verständigung zu freuen, die erstens nichts 
weiter betrifft, als die genaue Definition des Streit⸗ 
objectes, und zweitens die Russen ganz sicher, wenn 
auch vielleicht nur um wenige Meilen, näher an 
Herat heranbringen wird. Aber Europa hat einige 
ürsache, mit der Aussicht auf eine friedliche Vei— 
egung der afghanischen Grenzfrage zufrieden zu 
ein. Ein englisch⸗russischer Krieg koͤnnte nicht ohne 
chwere Rückwirkungen und Erschütterungen in 
anserem Welttheile geführt werden, und deßhall 
»ernimmt man es bei aller Gleichgiltigkeit dagegen 
ob die Nordgrenze Afghanistans künftig da oder 
dort sein wird, mit einem gewissen Behagen, daf 
die Cabinette von Petersburg und London sid 
einander nähern und beide der Ansicht zu sein 
scheinen, es sei besser die Sache am grünen Tische 
katt mil dem Schwerte auszutragen. 
licheren Stimmung in den künftige politischen und 
parlamentarischen Kampfen in unrem Vaterlande 
zu schöpfen, dies muß eben die Zukunft lehren. 
Bezuglich der nach Paris zusammenberufenen 
Suez⸗Kommisssion ist daran festzuhalten, daß 
dieselbe sich nur mit technischen Angelegenheiten zu 
hefassen hat. Die politischen Grundsähe über die 
„Neutral isirung“ des Kanals sind in den vorher⸗ 
gegangenen Besprechungen der Großmächte zur Be— 
handlung gelangt und hat darin wohl jener Punkt 
das wichtigste Intexesse dargeboten, laut welchem 
der Kanal jelbst nicht der Shauplaß irgend welcher 
kriegerischer Aktionen zweier sich feindlich gegen⸗ 
überstehenden Mächte sein dürfe. Die Kriegsschiffe 
zweier im Kampf befindlichen Nationen haben in 
—A 
aller Feindseligkeiten zu enihalten, während der 
Türkei als der völkerrechtlichen Oberherrin des 
Kanalgebietes wohl das Recht vorbehalten bleiben 
müsse, unter Umständen zur Abwehr gegen sie ge— 
richteter Feindseligkeiten und Besißstörungen auch 
im Suezkanal vorgehen zu dürfen. Aufgabe der 
Pariser Suezkommission ist es nun, in iechnischer 
Weise die Neutralitäts-Rayons des Suezkanals 
näher zu begrenzen. 
Politische Uebersicht. 
* Die Bismarckeier gehört nun der Ver—⸗ 
jangenheit an, aber die Erinnerung an sie wird 
n den Herzen der Heilgenossen und speziell bei 
denen, welchen es vergönnt war, an den glänzenden 
Festlichkeiten in der Reichshauptstadt theilzunehmen 
Fortleben, und nicht nur dies — diese imposante 
ationale Kundgebung, sie wird für alle Zeiten in 
den Annalen des neuen deutschen Reiches verzeichnet 
ehen, als ein markantes Zeugniß dafür, wie das 
deutsche Volk seinen großen Staatsmann zu ehren 
wußte. Von den Fürttenthronen herab bis zu den 
antersten Kreisen der Nation ist der Mann, dessen 
Name für alle Zeiten mit den Ereignissen ver 
nüpft sein wird, welche die nationale Wiedergebur! 
Deutschlands herbeiführten, mit gleichem Enthufias 
mus gefeiert, ist ihm die gleiche Bewunderung ent⸗ 
jegengetragen worden und doch haben alle diese 
huldigungen, welche dem Reichskanzler an seinem 
70. Geburtstage dargebracht wurden; nur dem ent⸗ 
prochen, was er für sein Volk geleistet. Am 
rhebendsten war wohl jener Moment, in welchem 
daiser Wilhem, umgeben von Sohn und Enkeln 
einen treueslsen Diener persoͤnlich beglückwünschte 
und hierbei unter Thränen der Rührung den ob 
dieser Auszeichnung tiefbewegten Kanzler um⸗ 
armte und küßte, diese weltgeschichtliche Scene 
zeugte von dem innigen Verhältnisse, welches 
wischen dem greisen Monarchen und seinem ersten 
Rathgeber besteht und mit Recht mag Fürst Bis— 
marck den Kuß seines Kaisers als die stolzeste der 
hm gewordenen Auszeichnungen betrachten. Noch 
Fines verdient bei einem Rücklicke auf die Feier 
des Kanzler⸗Jubiläums hervorgehoben zu werden. 
Sie hat gezeigt, daß das deutsche Volk, wenn es 
gilt, die unsterblichen Verdienste seiner großen 
Männer anzuerkennen und zu würdigen, alle Mei⸗ 
aungsverschiedenheiten in den politischen Tages⸗ 
fragen zu vergessen weiß. Auch diesmal schwieg 
der leidige Pärteihader; einmüthig wurde das 
große Werk des Fürsten Bismarck gepriesen und 
freudigen Herzens bezeugten ihm auch diejenigen, 
velche ihm in den Kämpfen unserer inneren Politik 
Us entschiedene Gegner entgegenzutreten pflegen, an 
einem Ehrentage seine unerreichten Verdienste um 
Deutschland und das deutsche Volk. Ob es vielleicht 
nicht zu gewagt ist, aus dieser erfreulichen That⸗ 
ache die Hoffnung auf den Fintritt einer versöhn— 
* 
Der Aufstand der Indianer und 
Negermischlinge in Manitoba (Canada) 
nimmt immer größere Dimensionen an. Die cana— 
dische Regierung hat das Parlaments-Mitglied Mr. 
Joseph Royal nach dem Nordwesien mit Instruk. 
tionen gesandt, wenn irgend moöglich mit dem Füh— 
rer der Bewegung, Riel, wegen der Regelung der 
Ansprüche der aufständischen Mischlinge und In—⸗ 
dianer zu unterhandeln. Inzwischen wird in den 
Zriegsvorbereitungen nicht nachgelassen. Ein inten 
sives patriotisches Gefühl mit einem scharfen mili⸗ 
ärischen Anstriche herrscht durch ganz Canada. 
Großze Kontralte zur Lieferung von Üniformen sind 
abgeschlossen worden. Die aligemeine Ansicht geht 
dahin, daß der Streit in die Länge gezogen fein 
wird. Aus Ottawa ist an Generai Middleton der 
Befehl abgegangen, ohne Verzug vorzurücken. Battle- 
ford wurde von den Indianern eingenommen, die 
dort jedes Haus besetzt haben. Die Ansiedler haben 
sich in die Barracken geflüchtet, wo sie einen Angriff 
erwarten, für den sich die gut bewaffneten Indianer 
an dem südlichen Ufer des Flusses zusammenrotten. 
Telegramme aus Winnipeg deuien an, daß sich faft 
sämmtliche Indianerstämme auf dem Kriegspfade 
befinden. — Aus Otiawa verlautet, daß in Re— 
zierungskreisen große Befürchtungen gehegl werden, 
da man glaubt, daß die Indianer im Allgemeinen 
ein Bündniß mit den Rebellen eingegangen sind. 
General Middleton telegraphirte aus Qu' Appelle 
das Ersuchen, daß außer den 13500 Mann, welche 
das Dominion ihm jetzt aus dem Osten sendet, noch 
2000 Mann equipirt und für einen Nothfall bereil 
zehalten werden. Es wurden Befehle erlassen, 
968 Mann im Nordwesten aufzubringen. Diese, 
mit den Truppen, die General Middleion jetzt haf 
oder die sich en route befinden, ergeben 3168 
Mann, außer den 2000 Mann beritlener Polizei. 
Wenn die Regierung die Ausrüstung der 2000 
Mann anordnet, dann wird sich die Streitkraft im 
Felde oder in Reserve auf über 7000 Mann be— 
laufen. Ernste Beschwerden werden darüber lauf 
daß die Truppen mit veralteten Gewehren hewaffue