Full text: St. Ingberter Anzeiger

zurch Ueberzeugung und freie Wahl, sind wir deß⸗ 
Jalb keine blinden Fanatiker einer bestimmten Re⸗ 
gierungsform und fönnen, unbeschadet unserer po⸗ 
stischen Ueberzeugung, dem Heldenkaiser, der heute 
As Kaiser an der Spitze des deutschen Reiches 
jeht. unsere aufrichtige Achtung und warme Ver⸗ 
„hrung zollen. Unsere Beobachtungen und Erfahr⸗ 
ungen lehren uns, daß der beste Schatz eines 
Boltes nach innen und außen in dem Patrio⸗ 
tismuß und in der Opferwilligkeit seiner Bürger 
heruhln ohne daß deßhalb ein beträchtlicher Theil 
der Ernägnisse der Volksarbeit für die Erhaltung 
einer großen stehenden Armee geopfert wird. Aber 
hei alledem erkennen wir die unerläßliche Noth⸗ 
vendigkeit einer derartigen Institution unter den 
veslehenden Verhaältnissen Europas nicht nur in 
hyollem Umfange an, sondern preisen so laut als 
irgend Jemand die hohen Verdienste, welche das 
deutsche Heer um den Aufbau⸗ des Reiches er⸗ 
vorben, und wetteifern mit allen Freunden Deutsch⸗ 
ands, dieser glorreichen Armee und ihren bewährten 
Führern den wohlverdienten Ruhmesglanz um die 
Stirne zu flechten. Unsere politische Erziehung und 
Fie daraus sich ergebende Anschauung über Wesen 
ind Zwed der Beziehungen der Volker und Staaten 
u einander erschweren es uns vielleicht, die hohe 
Heission der Diplomatie gebührend zu würdigen. 
sPber wir sind deßhalb nicht so sehr mit Blindheit 
zeschlagen, um nicht die eminenten Verdienste des 
zroßen Staaismannes anzuerkennen, dessen meister⸗ 
zaften Zuge auf dem Schachbrette der europäischen 
—X——— verdanken ist, daß das 
seit Jahrhunderter verachtete Aschenbrödel der euro⸗ 
päischen Völkerfamilie — Deuischland — zu der 
Alles überstrahlenden Prinzessin geworden, um 
deren Gunst sich heute die mãächtigsten und stolzesten 
BZotentaten der alien Welt bewerben.“ 
In Barcelona soll am 26. Juli der „Welt⸗ 
ongreß“ der Anarchisten aller Länder 
agen. Die Vereinigung amerikanischer Anarchisten 
vicd auf diesem Kongroß nicht vertreten sein, ver⸗ 
nuthlich weil der Hauptheld derselben, Johann Moss, 
sich in New⸗Vork sicherer fühlt als auf europäischem 
goden. Wenn man berüchsichtigt, daß der erste 
Punkt der Tagesordnung die Frage aufwirft, 
velches die besten Mittel zur Herbeiführung und 
Beschleunigung der Revolunon sind, so erscheint es 
gerade zu unfaßbar, wie die Regierung einen solchen 
ünfug auf spanischem Boden dulden follte. 
Deutsches Reich. 
Berlin, 8. Juli. Der Reichslanzler Fürsi 
Fismard, welcher sich gestern nach Potsdam begeben 
Fatte, verhandelte dort länger als zwei Stunden 
mit dem Kronprinzen. * 
Berlin, 9. Juli. Die Sensationsnachricht 
on dem denisch · vsterreich: schen Zollbundniß schrumpft 
mmer mehr zusammen; jetzt wird von Wien ge⸗ 
neldet, es handle fich nur um eine Verlängerung 
des deutscheösterreichischen Handelsvertrages. 
Auslaud. 
Paris, 8. Juli. General Courch meldet aus 
hue von gestern AÄbend 11 Uhr: „Wir sind unbe⸗ 
chraulte Herren der Stadt. Die annamitischen 
Truppen find in Auflösung. In der Umgebung 
der französischen Residentschaft und an gewissen 
Punkten der Citadelle kamen vereinzelte Feuers⸗ 
hrünfte vor, der Konigspalast ist aber unversehrt 
geblieben, dank der musterhaften Disziplin des 
Zuavenbataillons. welches denfelben eroberte und 
Jewacht. Der Palast enthält große Reichthümer, 
namentlich 5 Millionen an Silberbarren. Die 
Ziffer des Betrages wird sich erheblich vermehren, 
venn ich auch Goldbarren finde. Der Werth der 
Funsischätze ist unermeklich. Ich erwarie Intruf. 
zonen.“ 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
* St. Ingbert, 10. Juli. Wie schon 
zurch Anzeige bekannt, hat der Garten⸗ und Obsi⸗ 
auberein seine Mitglieder auf heute Abend 8 Uhr 
zu einer Versammlung (Vereins⸗ Abend) bei Wirth 
Johann Weirich GBecker'sche Brauerei in der Unter⸗ 
jadt) eingeladen. Dem Vernehmen nach wird auch 
Herr Bezirlsbaumwart Betsch aus Zweibrücken 
er Versammlung anwohnen. 
*In der leßten Strafkammersitzung des Igl. 
Landgerichts Zweibrücken wurde gegen 71 wider⸗ 
penstige Wehrpflichtige eine Geldstrafe von je 
nn' hark enentuell 100 Taae Gefänganiß ausge⸗ 
sprochen. — In derselben Sitzung wurde der 
Ackerer und Krämer Dreßler von Aßweiler, 
velcher ·angellagt war, in den Jahren 1882 bis 
1884 füns Verbrechen nach 8 176 Ziff. 3 des 
zt.⸗G. B. verübt zu haben, deren vier für überführt 
erklärt und hierwegen unter Ausschluß mildernder 
Umstände zu einer Gesammtzuchthausstrafe von 
3 Jahren. sowie den Kosten verurtheilt, unter gleich⸗ 
eitiger Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte 
muf die Dauer von fünf Jahren. 
— Aus der Pfalz. Die besondere Vor⸗ 
zereitungspraxis der zum Staaisforstdienste ad⸗ 
pirirenden Forstkandidaten kann in der Pfalz bei 
olgenden kgl. Forstämtern neuer Ordnung verbracht 
verden: Bergzabern, Fischbach, Frankenstein, 
Merzalben, Neuhäusel, Winnweiler. — Zur voll⸗ 
tändigen Durchführung der neuen Forstorganisation 
ind in der Pfalz außer den Forstamtern n. O. 
noch folgende Forsidienstesstellen- vorgesehen: 28 
rorstamtsaffessoren, 15 Forstamtsassistenten, 89 
förster, 52 Forstwarte, 29 Forstgehilfen, 26 Forst⸗ 
ufseher und 74 Waldwärter. — Mit der Neu⸗ 
rxganisation der Staatsforstverwaltung wurden 
oigende Forstamts⸗Affistentenstellen bei nachgenann⸗ 
en Forstamtern n. O. in der Pfalz geschaffen: 
hergzabern, Dahn, Elmstein Nord und Elmstein 
ʒüd Hohenecken Johanniskreuz, Kaiserslautern, Kal⸗ 
enbach, Neidenfels, Neuhäusel, Speyer, Waldfisch⸗ 
hach, Wilgartswiesen, Winnweiler und Zweibrücken. 
— Nächsten Sonntag, den 12. Juli findet das 
Nadenburg fest statt, welches mit Konzert 
uuf der herrlich gelegenen, umfangreichen Burgruine 
ibgehalten wird. 
— Rhodt, 6. Juli. Der im Stalle des 
derrn Weinkommisfionär Wittmann durch Veteri⸗ 
jararzt Bossert in Edenkoben festgestellte Milz 
zrandfall unter dessen Rindvieh wird aller Voraus— 
icht nach ein Menschealeben zum Opfer fordern. 
Anser Kuhhirt, der auch den Dienst eines Wasen⸗ 
neisters versieht, hat sich trotz wiederholter Warnung, 
uicht unvorsichtig zu sein, derletzt und liegt nun 
inter allen Erscheinungen des Milzbrandes schwei 
rkrankt darnieder. Rach Aussage der den Er⸗ 
rankten behandelnden Aerzte ist wenig Ausficht 
auf Wiederherstellung vorhanden. 
— N]unschweiler, 6. Juli. Ein be— 
auernswerther uͤnglücksfall ereignete sich gestern 
in hiesiger Gemeinde. Der Ackerer Adam Buchheit 
var mit Kirschenbrechen veschäftigt, als er vom 
haume fiel und dadurch erheövliche Verletzungen 
rlitt, an denen er heute gestorben ist. Der Un— 
lückliche ist 51 Jahre all, und hinterläßt eine 
Wittwe mit 8 Kindern. 
— Neustadt, 9. Juli. Meue Brg.⸗Zig.) 
Es scheint, als stehe unsere Pfalz bei den Himm— 
lischen in ganz besonderer Gunst, und als seien sie 
beeifert, den fremden Gästen — nämlich den 
amerikanischen Schützen — die pfälzische Erde 
möglichst glanzvoll und bezaubernd erscheinen zu 
assen. Denn während die Independent⸗Schützen 
in Bingen und auf der Rheinfahrt von den Wetter 
geistern in sehr sliefmütteriicher Weise bedacht 
vwurden, glänzten ihnen hier im Pfälzerlande ein 
tiefblauer Himmel entgegen, und Gebirge und Ebene, 
Bald und Flur präͤsentirten sich in ihrem Gala— 
leide. Wer mochte darin nicht ein glückverkünden⸗ 
des Omen für die bevorstehenden Festlichkeiten des 
gestrigen Tages erblicken? 
Der Zug, welcher die amerilanischen Gäste von 
Bingen aus über die Alsenzbahn hierher brachte, 
am mit 20 Minuten Verspätung hier an (also 
nach *412) was bei einer solchen Gelegenheit sehr 
zegreiflich. Kopf an Kopf stand die Menschen⸗ 
nasse auf dem Perron des Bahnhofes und außer⸗ 
jalb desselben gedrängt; schon hieraus, und 
»ann auch aus dem Flaggenschmuck der Haupt⸗ 
traßen der Stadt, konnten die New⸗Yorker ersehen, 
velche Sympathien ihnen von der ganzen hiesigen 
hevöllerung entgegengebracht wurden. Selbstver⸗ 
tändlich kamen die Amerikaner — lauter schöne 
räftige Gesitalten — in ihrem Schuützenkostüm 
zlaue Joppe mit Sammefkragen und Korkhelm. 
xs mochten ihrer ca. 50 Personen — darunter 
zuch ein Kranz reizender amerikanischer Schützen⸗ 
hwestern — sein; auch Mitglieder der Bingener 
zchützengesellschaft, unter Anführung ihres Schützen⸗ 
neisters Herrn Gräff und mit ihrem Schützenkönig 
derrn Roͤdler, befanden sich unter den Ankommen⸗ 
en. Unser Schützenmeister Hr. Gennheimer nebsl 
»en Mitgliedern des Ausschusses der Neuftadter 
zchützengesellschaft begrüßten die Güste und alsdann 
oq man — die⸗e Namen in horoeitgehaltenen Ehagisen 
—unter Vorantritt der Musik direlt nach dem 
Schützenhause. Die amerikanischen Schützen fuͤhtten 
hr Sternenbanner sowie die deutsche Tricolore mi 
sich. Wegen der schon etwas vorgerückten Zeit 
mußte leider auf den Durchmarsch durch die Staͤdt 
welcher anfänglich deabsichtigt worden, dergichie 
werden — was aus dem Grunde sehr zu be— 
dauern, weil unsere Gäste auf diese Weise die 
Flaggengala der Stiadt nicht zu Gesicht bekamen. 
Bei der Ankunft auf dem Schützenhauf⸗ 
donnerten den Schützen Böllerschüsse entgegen und 
die Musik spielte einen Tusch. Herr Gennheimet 
unser Neustadter Schützenmeister, richiete an di 
amerikanischen Schützenbrüder im Namen der Neu— 
stadter Schützengesellschaft eine kernige Ansprache. 
Er betonte darin, Reustadt könne ihnen nicht so 
Aänzeude, rauschende Festlichkeiten bieten, wie sie 
dieselben in Bingen genossen, denn wegen der 
Zurze der Zeit habe man von größeren Arrange- 
ments absehen müssen — aber was man ihnen 
hdier biete, werde ihnen aus vollem Herzen ent 
gjegengebracht. Die schöne Natur, die reizender 
Amgebungen Neustadis sowie das idyllische Heim, 
welches die Neustadter Schützengesellschaft ihr eigen 
nenne, würden ja auch das Ihrige dazu beitragen 
in die Gemüther eine animirte Feststimmung ein⸗ 
ziehen zu lassen. Schließlich forderte Herr Genn⸗ 
jeimer zu einem dreimaligen Hoch auf die ameri⸗ 
anischen Schüßen und Schützenschwestern auf, dem 
begeistert entsprochen wurde. Hierbei wurden den 
Basten die filbernen, mit dem edelsten Naß ge— 
füllten Becher der Schützengesellschaft credenzt. De⸗ 
Ddankes für diese Bewillkommnung entäußerte sich 
dr. William Weber, der Sekretär der Independent⸗ 
Schützen gesellschaft (ein geborener Neustadter und 
Besißer des in Newyork erscheinenden „Freischütz“) 
Er hob in seiner Rede hervor, es hätien fich hider 
nicht alle seine Genossen der Fahrt nach Neustadt 
mschließen können; es seien nur Diejenigen ge— 
ommen, die noch transportabel wären, ein anderer 
Theil dagegen sei von den Nachwehen der Bingener 
Festlichkeiten quasi todt und kaput. Er dürfe fich 
rühmen, als Neustadter seine Gefährten zum Zuge 
aach dem gastlichen, schönen Neustadt hauptsächlich 
heranlaßt zu haben. Mit Stolz und Freude spreche 
er es aus, daß er ein Pfälzer sei, und habe auch 
ähnlichen Gedanken bei seiner Aufwartung, die er 
n Koblenz der Kaiserin und dem deutschen Kron⸗ 
prinzen gemacht, Worte verliehen. Die Kaiserin 
Augusta habe ihm ihrte Sympathien für die Pfalj 
mit den Worten „Fröhlich Pfalz, Gott erhalt's 
ausgedrückt und der Kronprinz habe geäußert, daß 
er Neustadt gut kenne. Herr Weber schloß sein⸗ 
Rede mit einem Hoch auf die Stadt Neufstadt. 
Um *522 Uhr ließ man sich zum Festmahl ir 
der großen, geschmackvoll dekorirten Halle de 
Schützenhauses nieder. Da die Tafel nicht aus⸗ 
zeichte, so mußten in der Eile noch einige Neben⸗ 
ische herangeschoben werden. Die Reihe der Toasie 
röffneie Herr Merkel, welcher in humoristischet 
Weise seine früheren Bekannten und Freunde von 
enseits des Ozeans begrüßte. Ihm folgte Heri 
dennock, der Präsident der Independent⸗Schüßzen 
zer für den gastlichen Empfang dankte und auß 
die Neustadter Schützengesellschaft trank. Hr. Klein 
paul aus Ludwigshafen toastete auf die deutsch⸗ 
amerikanischen Frauen und einer der Nemwyorlet 
auf Hrn. Weber. Wir wollen noch erwähnen, 
daß bei Beginn des Festmahls Hr. Schiffer prächtige 
Rosensträuße an die amerikanischen Schübzen— 
chwestern hatte vertheilen lassen. Hru. —RYVD 
Ranzende Leistungen in kulinarischer Beziehunt 
kanden allgemeine lobende Anerkennung und Würdig⸗ 
ung. Daz der Keller des Schützendauses sich di 
gieiche Anerkennung eroberte, brauchen wir woh 
—X 
rinen Ruf weit üder die Grenzen der Pfaiz hinaus 
degen Ende des Mahles erreichte die froͤhlich anr 
nicie Stimmung, die schon bei Beginn deffelber 
geherrscht hatte, ihren Gipfelpunkt. 
Speziell für ihre Gäste hatte unsere Squten 
gesellschaft ein Siernschießen veranstaltet, anu 
hem sich die Ersteren mit Eifer betheiligten. or 
vessen konzertirte die Musik in den Anlagen a 
Schutzenhauses und aus der Stadt und * 
naheren Umgebung stroͤmte das Publikum in 
herbei, so daß die Anlagen bald ein höchst — 
zes, bundbewegtes Gemälde boten. Puree 
merikanischen Gasten wurden theils viele 
chaften angeknupft, theils erneuert. Gegen * 
hegann in der Halle die jüngere Welt d 
rmnügen des Tanzes zu buldigen und noch la