Full text: St. Ingberter Anzeiger

vt. Inghexrter Amzeiger 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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22. Jahrg. 
F 40. 
Donnerstag, 24. Februar 1887. 
Die Reichstagswahlen. 
Obwoͤhl zur Zeit die Resultate aus allen Wahl⸗ 
reisen noch nicht vollständig bekannt sind und der 
berflächlichen Schätzung nach auch noch 60 bis 
30 Stichwahlen stattfinden müssen, so läßt sich 
och schon heute sagen, daß die regierungsfreund⸗ 
ichen Parteien namhafte Gewinne erzielt haben und 
der am 21. Februar gewählte Reichstag wahrschein⸗ 
iich die Militärvorlage im Sinne der Regierung 
mnehmen wird. 
Wie vorauszusehen war, mußten die Deuisch⸗ 
reisinnigen, welche durch ihre doctrinäre Principien⸗ 
reiterei und starre Oppofition in einer Frage, die 
jiber den Parteien stehen sollte, dem nationalen 
Befühle entgegengehandelt hatten, haupisächlich die 
Zeche für die antipatriotische und heuchlerische Hal⸗ 
ung der Opposilionsparteien zahlen, aber auch das 
Fenirum, die Socialdemokraten und Welfen haben 
Berluste erlitten. So sind im Königreiche Sachsen 
m ersten Wahlgange nur nationalliberale und con⸗ 
ervative. Abgeordnete gewählt worden und dürften 
uus den Stichwahlen kaum ein Freisinniger und 
ein bis zwei Socialdemokraten hervorgehen. Was 
ein solches Resultat in dem industriereichen, wahr⸗ 
haftig nicht rückwärtsschreitenden Sachsen zu be⸗ 
deuten hat, mag den übrigen Patrioten im deutschen 
Vaterlande zur Ermunterung dienen. In Sachsen 
ind alte Hochburgen der Socialdemokratie und des 
radikalen Freisinns für die reichstrruen Parteien 
sewonnen worden, so z. B. Leipzig⸗Land, Chem⸗ 
aitz und GlauchaueMerane. Döbeln und Lobtau, 
die bisher fast immer socialdemokratisch, resp. frei⸗ 
innig gewählt hatten. Neue Siege, haben die 
Nationalliberalen ferner in einigen Wahlkreisen 
zayerns davongetragen, so in Hof gegen die Frei⸗ 
innigen, in Augsburg und Immenstadt gegen die 
klerikalen. In der Rheinprovinz und Westfalen 
cheint dagegen das Centrum seinen Besitzstand gut 
‚ehauptet zu haben. In Elsaß⸗Lothringen sind auch 
jast alle Protestler wiedergewählt und dürfte nur 
Baron Zorn von Bulach eine reichsfreundliche Hal⸗ 
ung als Vertreter des elsässischen Wahlkreises Mols⸗ 
deim einnehmen. In Bremen und Hamburg sind 
eider Stichwahlen zwischen Nationalliberalen und 
Socialdemokraten nothwendig. 
Trotz aller Prahlerei sind die Freifinnigen auch 
diesmal in Berlin sehr gedemüthigt worden, denn 
ie haben in den sechs Wahlkreisen Berlins dieses 
Mal keinen einzigen Candidaten im ersten Wahl⸗ 
zange durchgebrecht, sondern vier freisinnigen Can⸗ 
nidaten stehen in Berlin in der Stichwahl mit 
einem reichstreuen oder einem socialdemokratischen 
Tandidaten. Außerdem hat sich die Gesammtzahl 
zer in Berlin abgegebenen freifinnigen Stimmen 
un 4000 vermindert, während diejenigen der reichs⸗ 
reuen um 18,000 und die der Socialdemokraten 
im 25,000 Stimmen vermehrt haben. Man sieht 
ilso auch in Berlin ganz deutlich, wie hohl die 
reisinnige Phrase geworden ist und daß die starre 
ind stets verneinende Politik Eugen Richters und 
ieiner bedauernswerthen Nachfolger positiv gar nichts 
eisten kann, sondern nur zur Scheidung der Geister 
veiträgt. Ein freisinniger Oppositionsheld ist schließ⸗ 
ich den revolutionären Massen viel zu lau, diese 
siehen dann immer einen Socialdemokraten vor, 
vie man zumal auch in Sachsen sehen konnte, 
vo aber wiederum die Socialdemokraten fiegreich 
— Reichstreuen aus dem Felde geschlagen 
vurden. 
Deutsches Reich. 
Aus München, 22. Febr. wird der „Köln. 
Ztg.“ kelegraphiert: Es ist durchaus sicher, daß 
in dritfer Schritt des Papstes bevorsteht. 
hon den verschiedenen über dieses Schreiben umlau⸗ 
enden Gerüchten ist dasjenige richtig, wonach das⸗ 
elbe eine insonderheit an die preußischen Bischoöfe 
erichtete Mahnung enthalten wird. Der Vermitt 
ler des päpstlichen Wunsches wird auch wieder der 
Münchener Nuntius sein. Der betreffende Brief 
des Papstes scheint bereits von Rom abgesandt zu 
sein, war aber auffallenderweise bis gestern noch 
zicht der hiesigen Nuntiatur zugegangen. In der 
Form wird auch dieser Brief des Papstes verbind⸗ 
uch sein, der Lobsprüche auf das Centrum nicht 
nibehren, aber sehr entschieden die maßgebenden 
Punkte betonen. 
Munchen, 23. Febr. Das Gesammiergeb⸗ 
uiß der bayerischen Wahlen ist, soweit bisher über⸗ 
ehebar: 12 Nanionalliberale, 80 Ultramontane, 
lSozialdemokrat, 5 Stichwahlen. Bei den Stich⸗ 
vahlen werden wahrjcheinlich siegen in München 
J Sedlmayer, München V Vollmar, in Erlangen 
JFreisinniger, in Kronach Centrum; Würzburg 
st unberechenbar. 7* 
Berlin, 28. Februar. Der Reichsanzeiger 
ublizirt die Kaiserliche Verordnung, mittelst welcher 
ar Keichsstag zum dritten Mär;z einbe⸗ 
ufen wird. 
Berlin, 283. Febr. Einem Telegramm des 
„F. J.“ zufolge wird der Reich stag, sobald 
zas Wahlergebnis amilich festgestellt ist, ohne daß 
»as Resultat der Stichwahlen abgewartet wird, in 
Z3 Tagen schon zusammentreten, um das Budget 
ind die Militärvorlage vor dem 1. April zu er⸗ 
edigen. Der Etat werde, da er wenige Verände⸗ 
ungen erfährt, ebenso wie die beiden Unfallver⸗ 
icherungsborlagen und der Gesetzentwurf über den 
terkehr mit Kunsibutter den Bundesrath nur for⸗ 
nell beschäftigen, desgleichen die Militärvorlage, so 
daß der Reichstag sofort ein reiches Material por⸗ 
indet. 
Berlin, 28. Februar. Bisher find 821 
Wahlresultate bekannt geworden, davon entfallen 
32 auf Konservative, 20 auf Reichspartei, 61 auf 
dentrum, 85 auf Nationalliberale, 10 auf Deutsch⸗ 
reifinnige. 6 auf Sozialisten, 158 auf elsaß⸗loth⸗ 
ingische Protestler, 12 auf Polen, 2 auf Welfen. 
Ztichwahlen sind 48 vorzunehmen. Darnach stehen 
170 Septennatisten 103 Antiseptennatisten gegen⸗ 
uüͤber. 
gesiegt, nämlich in Speyer⸗Ftankenthal: Herr 
Zommerzienraih Dr. Karl Clemm; in Zweibrücken⸗ 
hirmasens: Herr Krämer; in Kaiserslautern⸗Kirch— 
geimbolanden: Herr Ober⸗bürgermeister Dr. Miquel 
aus Frankfurt a. M.; in Germersheim⸗Bergzabern: 
Herr Landgerichtsrath Brünings; in Homburg⸗Kusel: 
Herr Dr. A. Buhl; in LandauNeustadt: Herr 
Dr. Bürklin. 
— Die Briefmarken werden jetzt nicht 
mehr mit Gummi präparitt, sondern infolge der 
zestiegenen Gummipreise nur mit einem dertrin⸗ 
haltigen Klebestoff. Es wird deshalb davor ge— 
warnt, die Briefmarken mit der Zunge anzufeuchten, 
da dies vielleicht schadlich, zum mindesten aber sehr 
unappetitlich ist. 
— Homburg, 21. Februar. Heute Mittag 
gegen Uhr wurde der Tagner Konrad im Garten 
des Herrn Georg Löw erhängt aufgefunden. Er 
hinterläßt 8 unversorgte Kinder. Ursache der That 
unbekannt. (Zw. Ztg). 
— Kaiserslautern, 22. Februar. Die 
Jestrige Nummer der sozialdemokratischen „Pfälz. 
Freien Presse“ wurde konfiszirt und der Satz mit 
Beschlag belegt. 
— Nach dem S. W. ist der Frucht⸗Und Mehl⸗ 
händler Jonas Mayer von Ingenheim vor 
einigen Tagen verreist, ohne bekannt zu geben, 
wohin. 
— Oppenheim, 22. Februar. Gestern 
Abend wurde ein Wähler politischer Differenzen 
wegen von einem Anderen ersiochen. (W. Zig. 
— Wahlhumoristika in Spey er.) Auf 
einem im rothem Viertel abgegebenen Stimmzettel 
fand sich folgendes Verslein vor: 
Ich wähl' nicht schwarz, ich wähl' nicht roth, 
Mischmarsch ist uns'rer Rechte Tod, 
Der einz'ge Stern in dem Gelichter 
Das ist der große Eugen Richte;; 
Doch weil man hier die Farb' nicht hat, 
So geb' ich ab ein leeres Blatt. 
Der Pfälzer von dem Rheine 
Sprach Wahltagsmorgens Remm Blemm! 
Ich pfeif auf Frankensteine 
Und wähle Dr. Carl Clemm. 
Vermischtes. 
PFriedrichsthal, 22. FJebr. Ein 
patriotischer Wähler machte gestern seinen heiligen 
Vefühlen in humoristischen Versen Luft. Aus der 
Arne ging nämlich ein Zettel folgenden In⸗ 
halts hervor: 
Die Zeit ist ernst, ich weiß es gut; 
Drum bin ich selbst auf meiner Hut, 
Und wähl' nicht Hitze, den Erzkrakehler, 
Sondern wähl' richtweg: Geheimrat Pfähler. 
F Heppenheim a. B., 22. Februar. 
Heute Morgen um 6 Uhr hat ein 17jähriger 
Zuckerbursche einen anderen jungen Mann (beide 
von hier) im Wartesaal der Main⸗-Nekarbahn er⸗ 
tochen ohne jeden vorherigen Wortwechsel. Die 
diebe soll hier im Spiele sein. 
'Ein zaärtlicher Gauner. Beim 
dangericht zu Metz befinden sich zwei internationale 
HZauner in Antersuchungshaft, die sich Jean Autie 
ind Franz Petermeher nennen. Dieselben kamen 
Anfangs Dezember nach Meg und haben dort 
während ihres Aufenthaltes folgenden Betrug ver—⸗ 
aͤbt. Nachdem sie sich vorher uͤber die Verhäitnisse 
iner Wirthin erkunidgt hatten, stellte P. sich der-⸗ 
AAße⸗n mit der Bebauptung vor, daß er sie in seiner 
Auslaud. 
Paris, 22. Febr. Die Polizei befahl der 
Redaktion der „Revanche“ die Entfernung der fran⸗ 
zösischen und russischen Fahnen, womit die Fenster 
zeschmückt waren. Der „Temps“ teilt mit, zwei 
Soldaten seien in Obock in der nächsten Umgeb⸗ 
ing der Kolonie ermordet worden. Wenn die 
Truppen in Obock nicht verstärkt würden, so sei 
ie gewaltsame Befreiung der algerischen Sträflinge 
aus dem dortigen Bagns zu befürchten. 
Wien, 22. Februar. Kronprinz Rudolf reist 
um 90. Geburtstag des Kaisers Wilhelm nach 
Berlin. 
London, 23. Februar. Die „Times“ erblicht 
in dem Ausfall der deutschen Wahlen die weitere 
Zicherung des vorlaufigen Sriedens 
Lokale und pfͤlzische Nachrichten. 
— In saämmtlichen pfälzischen Wahlkreisen 
zahen die Nandidoten der naäationalliberalen Vartei