Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
Der „St. JIusberter Anzeiger⸗⸗ erscheint wochentlich füufmal: An Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal wöchentlich mit Unterhaltungs
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22. Jahrg.
—
Deutsches Reich.
Berlin, 9. Marz. Der Reichstag hat heute
zie Militärvorlage (mit Septennat, Be⸗
villigung auf 7 Jahre) in zweiter Lesung mit
223 gegen 48 Stimmen angenommen. 83
Centrumsmitglieder enthielten sich der Abstimmung.
7 vom Centrum stimmten dafür, Freisinn, Sozial⸗
demokraten und Elsaß-Lothringer dagegen, die
Polen fehlten. Art. 2 (GKGormation der Armee)
wurde mit 247 gegen 20 St. genehmigt. Die
z übrigen Artikel wurden mittels Akklamation ge⸗
nehmigt.
Berlin, 8. März. Die „Kreuzzeitung“
warnt heute aufs Neue vor falschen Hoffnungen
auf Erhaltung des Friedens, so lange Boulanger
im Ruder ist, dessen Macht und Einfluß fort
während wachse. — Die Gerüchte über eine Hier⸗
herkunft des Zaren zu Kaisers Geburtstag werden
jür unrichtig erkläct. — Das Schweigen der
russischen Offiziösen in der bulgarischen Angelegen⸗
jeit wird mit wachsender Aufmerksamkeit und sehr
nuffällig wahrgenommen.
Berlin, 9. März. Herr von Lesseps ist
geute Vormittag von Paris hier eingetroffen und
n der franzoͤsischen Botschaft abzustiegen.
Der Seniorenkonvent des Reichstages,
zu welchem die Abgeordneten v. Benda, Marquardsen,
o. Frankenstein, Windthorst, v. Helldorf-Bedra, v.
dardorff und Rickert gehören, hat am Dienstag die
Lerteilung der Kommissionsstellen an die einzelnen
Fraktionen nach der Kopfstärke derselben vorgenom⸗
men. Die Sozialdemokraten, welche weniger als
15 Mitglieder zählen, werden als Fraktion über⸗
jaupt nicht mehr betrachtet, haben deshalb auch
in keiner Kommission einen Sizz erhalien, selbst
nicht in der Wahlprüfungs⸗Komission.
Wie die M. Ztig. erfährt, haben die Fraktions⸗
itzungen des Centrums am Ende voriger
Woche bewiesen, daß die unbedingte Einmütigkeit
dieser Partei, welche bisher fast sprüchwörtlich war,
nicht mehr vorhanden, und daß namentlich
das Vertrauen der Mitglieder zu den Führern
der Fraktion infolge der Verheimlichung der papst ⸗
ichen Wünsche erschüttert worden ist.
München, 8. März. Prinz Arnulph von
dayhern wurde unter Beförderung zum General⸗
Keutenant an Stelle des pensionirten Generals
dedel zum Commandeur der 1. Division ernannt.
Straßburg, 8. März. Die „Landesztg.“
ꝛeröffentlicht eine Verfügung des Staatssekrelärs,
betreffend Maßregeln gegen Vereine von franzö—
ischer Richtung. Gleichzeitig ist die Auflösung
xr Centralverbände der elsässischen Gesang⸗ und
Turnvereine angeordnet. Die Landeszeitung“
neldet ferner die Auflösung des Gesangvereins im
dreise Rappoltsweiler, weil er bei der Wahl Si—
nonis in deutschfeindlichem Sinne thätig war, so⸗
die die Suspension des Bürgermeisiers Gillert in
kheinau (Stadt im Nieder-Elsaß. Kreis Erstein).
Ein höherer russischer Stabsofficier hat in der
Daily Rews“ über den Zustand der russi⸗
hen Armee folgende Erobffnungen gemacht:
„Sie fragen mich über meine Ansicht betreffs eines
arieges zwischen Oesterreich und Rußland. Ruß⸗
land würde eine vernichtende Niederlage erleiden
und zwar um so vernichtender, je eher der Krieg
uusbräche. Wir haben weder ehrliche Führer noch
cqend welche Verwaltung. Unsere ganze militä
Ausland.
rische und bürgerliche Organisation ruht auf einer
ittlich verrotteten Grundlage. Ihre jüngst ver⸗
zjffentlichten Angaben über unsere Streitkraft sind
hinfällig. Ein Theil unserer Millionen von Sol⸗
»aten steht nur auf dem Papier und der andere
st elend bewaffnet und ausgerüstet in Folge des
kFinverständnisses von Armeelieferanten mit unseren
Berwaltungsvorständen. Tausende jener Soldaten
pürden nach einem zweitägigen Marsche zusammen⸗
inken. Natürlich unsere Arm'estatistik ist pracht⸗
yoll. Wir können auf dem Papier Alles beweisen.
Aber wenn man mir und fünfzig andern ehrlichen
Officieren Vollmacht ausstellte, so würde ich die
steform unseres Militärwesens damit anfangen,
daß ich einige fünfhundert Verwaltungschefs auf—⸗
müpfen ließe. Ist Ihnen nicht die Nachgiebigkeit
Rußlands in den letzten fuünf Monaten aufgefallen?
Wir haben uns in den Augen Eutopas wegen
ꝛiner Handvoll armseliger Bulgaren lächerlich ge⸗
nacht. Nicht als wenn wir nicht im Stande wären
die Selbständigkeit Bulgariens zu unterdrücken.
Aber dabei hatten wir mit Oesterreich zu rechnen,
ind ich wiederhole Ihnen, daß wir mit dieser
Macht uns nicht zu messen vermögen. Wir haben
eine Generale. General Gurko ist vielleicht der
Mann der Zukunft, seitdem wir Skobelew ver⸗
loren. Aber er ist nur Soldat, Kavallerist, und
vesitzt nicht das nothwendige Talent zur Ober⸗
seitung. Im letzten Krieg retteten uns General
Totleben und die wackern Rumänen vor hoffnungs⸗
oser Niederlage. Aber Totleben ist gestorben und
inser schwarzer Undank gegen die Rumänen hat
ins ihre werthvolle Bundesgenossenschaft entfrem⸗
»et. Wie verlautet, soll Kaulbars nach seiner Rück—
kehr nach Petersburg eine Brigade erhalten.
Die wichtigste Frage in den bulgarischen
Angelegenheiten bleibt die nach der Haltung
Rußlands in Folge der Hinrichtungen. Wenn
n Rußland nicht seit dem vorigen Jahre eine große
krnüchterung in Bezug auf Bulgarien eingetreten
väre, so könnte man erwarten, daß nunmehr die
Itkkupation unausbleiblich sei. Auch werden die
hauvinistischen Kreise aller Wahrscheinlichkeit Alles
nufbieten, um den Kaiser jetzt zu einer solchen
Maßregel fortzureißen. Indessen ist Grund zu
der Annahme vorhanden, daß der Zar noch wider⸗
dehen wird, da offenbar die Bündnißfragen noch
aicht hinreichend geklärt sind. Vielleicht beschränkt
sich Rußland zunächst auf eine Flottendemonstration
bor Varna.
Einige Stimmen über die brennende Tagesfrage
mögen hier noch etwas ausführlicher wiedergegeben
werden.
Die „Berl. Pol. Nachr.“ schreiben:
„Daß mit der Vollziehung der Todesstrafe an
den gefangen genommenen Offizieren die Sache ihre
Erledigung gefunden hat, wird wohl niemand glauben
wollen, der als aufmerksamer Beobachter dem Ent⸗
gidelungsgange der bulgarischen Zustände gefolgt
ist.“
Das Wiener „Fremdenblait“ meint:
.Man darf den Eindruck nicht unterschätzen,
den die Hinrichtungen auf das russische National⸗
gefühl ausüben werden. Aber selbst in Bulgarien
ist ein Rückschlag der Stimmung möglich; in Ländern,
welche sich im Zustande eines Provisoriums befinden,
sind alle Parteien auf gegenseitige Nachsicht ange—
wiesen, keine derselben weiß sich derart frei von
seder Schuld, um mit boller Strenge das Richter⸗
amt über die andern auszuüben, fast hat es den
Anschein, als hätte die Regentschaft ihren mili⸗
tärischen Sieg durch einen politischen Fehler beein⸗
trächtigt.“
Der „Expreß· Orient“, eine in Bukarest in
französischer Sprache erscheinende offiziöse russische
Korrespondenz, gibt zu verstehen, daß auch die
Exekution der Offiziere, die der Korrespondenz noch
weifelhaft erschien, Rußland nicht aus seiner ab⸗
wartenden Politik bringen würde. Der Augenblick
ist nahe, wo Europa Rußland um die Okkupation
Bulgariens ersuchen werde.
„Rußland, heißt es zum Schluß, kann warten.
Es muß es thun, denn die bulgorische Frage und
ihre Lösung, so sehr sie interessiten, können nicht
den Anspruch erheben, gegen die unmittelbaren
Wagnisse eines europäischen Krieges in die Waaschale
zeworfen zu werden.“
Der Londoner Spektator glaubt, daß der Krieg
n kurzer Zeit unvecrmeidlich ist.
„Selbst wenn der Zar die bulgarischen Auf⸗
tändischen nicht offen unterstützt, muß er ihre Be⸗
trafung verhindern, während die Regenten ebenso
auf derselben bestehen müssen, da ihre Begnadigung
alle Bande der Disziplin in der Armee lockern
vürde. Die Regenten koönnen nicht zum zweiten
MNale gegen die Meuterer Gnade üben, ohne ihre
Sztellung zu untergraben und lassen sie nicht Gnade
valten, so erfordert „die Ehre des Zaren“, wie er
ie auffaßt und sein künftiges Prestige auf der
galkanhalbinsel eine sofortige Besetzung Bulgariens.
And das bedeutet soviel als Krieg, da der öster⸗
reichische Reichskanzler (7) bereits offen erklärt hat,
»aß Oesterreich dieses niemals zugeben könne. (2)
Tritt nicht irgend ein unerwartetes Ereigniß ein,
velches alle Berechnungen über den Haufen wirft,
»der bringt der kühne Geist des Fürsten Bismarck
aicht eine neue Kombinatison zu Stande, so nähern
wir uns mit schnellen Schritten einem Kriege.“
Losale und pfälzische Nachrichten.
* St. Ingbert, 10. März. Am nächsten
Samstag wird der Geburtstag Sr. Kgl. Hoheit
des Prinz-⸗Regenten Luitpold durch Festgottes⸗
dienst hier gefeiert. Abends 7 Uhr findet im Hotel
zur Post ein Festmahl statt, an welchem Beamte
und Bürger unserer Stadt sich betheiligen werden.
Die sämmtlichen Unterrichtsanstalten sfind an diesem
Tage zu schließen. Es wäre sehr erwünscht, wenn
die hiesigen Einwohner zur Erhöhung der Feier
darch Beflaggung der Häuser beitragen würden.
— Speier, 7. März. Dieser Tage starb in
Regensburg der quiescirte kgl. Kreiskassier Friedrich
Freiherr von Mourat, ein Veteran aus den Befrei⸗
ungskriegen 1818 und 1814, im 94. Lebensjahre.
Den Alt⸗Speierern mußt der Name Mourat noch
bekannt sein, denn er lebte längere Zeit als Zoll⸗
und Kreiskassebeamter in hiesiger Stadt und war
wegen seines leutseligen Wesens, seines liebens⸗
würdigen Entgegenkommens und seiner feinen Ma⸗
nieren allgemein beliebt. Moͤge ihm die Erde nun
leicht sein. (Pf. 3.)
— Speier, 8. März. Sicherem Vernehmen
nach soll die diesjährige Anstellungsprüfung für
die prot. Pfarramtskandidaten am Mittwoch den
4. Mai ds. Is. dahier ihren Anfang nehmen.
Sp. 2
Vermischteo.
F Metz, 5. März. Heute wurden in einem
Jiesigen Pfeifen-Engrosgeschäfte eine größere An—
zahl Thonpfeifen polizeilich beschlagnahmt, welche
»as Bildniß des Generals Boulanger trugen.